Der Goldschakal in Deutschland
Einordnung der ersten Nachweise in das Ausbreitungsgeschehen und Überlegungen zum Umgang mit der Art
Eingereicht am 29.04.2020, angenommen am 24.06.2020
Abstracts
Der Goldschakal (Canis aureus) ist ein generalistischer und omnivorer Mesoprädator mit entsprechend großem paläarktischem Verbreitungsgebiet. Nach einem hauptsächlich durch direkte Verfolgung bedingten Populationsminimum in den 1960er-Jahren hat sich der Goldschakal wieder erholt und ausgehend von den Reliktpopulationen seiner ursprünglichen Verbreitung auf dem Balkan verwaiste Räume wiederbesiedelt. Darüber hinaus hat er sich in den letzten Jahrzehnten deutlich über sein bisheriges Verbreitungsgebiet in Europa nach Norden und Westen ausgedehnt und neue reproduzierende Populationen etabliert. Deutschland ist eines der Länder, das aktuell an der Front seines Ausbreitungsgeschehens zu stehen scheint. Zwischen 1997 und August 2020 wurden hier inzwischen 25 Nachweise erbracht. Der Goldschakal ist in Anhang V der FFH-Richtlinie der EU gelistet. Vor dem Hintergrund des aktuellen rechtlichen Rahmens und zur Bewertung seiner ökologischen Wirkung ist eine sorgfältige Dokumentation seiner Ansiedlungstendenz in Deutschland erforderlich. Nur auf dieser Basis lässt sich der erforderliche günstige Erhaltungszustand definieren und ein Managementplan aufstellen.
The golden jackal in Germany – evaluation of the first records of its current range expansion and considerations for managing it
The golden jackal (Canis aureus) is a generalist and omnivorous mesopredator with a correspondingly large Palearctic distribution. After a population minimum due to direct persecution in the 1960s, the golden jackal has recovered and, starting from the relict populations of its original distribution in the Balkans, has re-colonized former territories. In addition, in recent decades it has expanded significantly beyond its previous distribution in Europe to the north and west and established new reproductive populations. Germany is one of the countries that currently appear to be at the front line of its expansion. Since the first evidence in 1997 until August 2020, 25 records have been documented here with no evidence of reproduction so far. The golden jackal is listed in Appendix V of the EU Habitats Directive. Against the background of the current legal framework and to evaluate its ecological impact, careful documentation of its establishment trends in Germany is required. Only on this basis can the necessary favourable conservation status be defined and a management plan drawn up.
- Veröffentlicht am

1 Einleitung
Der in den letzten Jahrzehnten beschleunigte globale Wandel führt zu Veränderungen in der Verbreitung vieler Arten. So wie es Arealverkleinerungen mit dem Aussterben einer Art als möglicher Folge gibt, kommen auch Arealverschiebungen oder -ausdehnungen vor. Verschiedene Mechanismen und Prozesse wie zum Beispiel der Klimawandel, Habitatveränderungen (Klima/Landnutzung) oder ein veränderter Umgang mit Arten (zum Beispiel Schutz/Verfolgung) können diese Dynamik auslösen.
Dabei sind Arealverschiebungen oder -ausdehnungen in nördlichere oder höhere Lagen, in vielen Fällen auch von Süd-Ost nach Nord-West gerichtete Prozesse in Europa dokumentiert, die mit der Klimaerwärmung, der Verbesserung der Lebensbedingungen entsprechend angepasster oder bedürftiger Arten sowie mit Veränderungen im Management in Verbindung gebracht werden (zum BeispielChapronet al. 2014, Pyškováet al. 2016, Waltheret al.2009). Eine Art, die in diesem Zusammenhang in den letzten zwei Jahrzehnten in immer mehr Ländern Europas und in den letzten Jahren auch in Deutschland für Aufmerksamkeit sorgt, ist der Goldschakal ( Canis aureus Linnaeus 1758).
Hier sollen neben einem Einblick in die Ökologie des Goldschakals und einer Skizzierung der aktuellen Ausbreitungs- und Ansiedlungstendenzen in Europa die rechtlichen Rahmenbedingungen bei einer Etablierung in Deutschland sowie die Notwendigkeit eines entsprechenden Managementplans diskutiert werden.
2 Ökologie
Der Goldschakal ist ein generalistischer und omnivorer Mesoprädator, der mit 7–15 kg Körpergewicht und einer Schulterhöhe von 44–50 cm etwas größer als der Rotfuchs ( Vulpes vulpes ) und deutlich kleiner als der Wolf ( Canis lupus ) ist (Abb. 1). Sein Fell ist gelblich bis ockergrau, im Bereich des Rückens bis zur Schwanzspitze mit dunklen Grannenhaaren durchsetzt und an den Läufen und den Flanken goldfarben (Demeter & Spassov1993) (Abb. 2).
Die Nahrung im großen Verbreitungsgebiet des Goldschakals variiert stark nach saisonalem Angebot und Habitat und umfasst ein weites Spektrum (zum BeispielBoškovic´ et al.2013, Markov & Lanszki2012, Penezic´& C´irovic´ 2015). Der Goldschakal lebt territorial in einem flexiblen Sozialsystem und jagt entweder solitär, als Paar oder im Rudel (Admasuet al.2004, Macdonald1979).
Einzeln jagende Goldschakale bevorzugen nachJhala & Moehlmann(2004) kleinere Beutetiere wie Nagetiere, Hasenartige, Vögel, Reptilien, Amphibien oder Arthropoden, ausnahmsweise auch Ungulaten, die bei im Rudel jagenden Goldschakalen einen größeren Anteil einnehmen können – meist handelt es sich hierbei um Jungtiere. Darüber hinaus wurde die Bedeutung von Aas oder Schlachtabfällen entsprechend dem großen Angebot im ländlichen Raum in den Balkanländern festgestellt genauso wie die von Obst und Beeren (Raichevet al. 2013). In stark jagdlich gemanagten Gebieten nutzt der Goldschakal saisonal als Hauptnahrung zurückgelassenen Aufbruch oder Aas nicht gefundener beschossener Huftiere (Lanszkiet al. 2018).
Entsprechend seiner Ernährungsökologie als Generalist weist der Goldschakal eine große Plastizität hinsichtlich seiner Habitatansprüche auf, die auch mit eine Erklärung für die aktuelle Arealerweiterung ist. Goldschakale nutzen eine große Vielfalt an natürlichen und halbnatürlichen Habitaten – von Halbwüsten und Steppen- und Waldlandschaften bis hin zu stark überformten Agrarlandschaften sowie Feuchtgebieten im Flachland (Giannatos2004,Šáleket al. 2014,Sillero-Zubiriet al. 2004).
Aus Studien aus den Balkanländern geht hervor, dass insbesondere kleinstrukturierte Agrarlandschaften mit Vorkommen von Brachflächen und dichter Buschvegetation höhere Populationsdichten aufweisen. Dies wird mit einem größeren Nahrungsangebot in solchen Landschaften in Verbindung gebracht, aber auch mit der Qualität an Rückzugsräumen auch für die Jungenaufzucht in Ländern mit illegaler Verfolgung oder legaler Jagd (zum BeispielGiannatos2004). Die Populationsdichte kann lokal bei optimalen Bedingungen bis zu knapp fünf territoriale Familiengruppen/10 km² erreichen, wird aber schon bei rund einer territorialen Familiengruppe/10 km² als hoch angesehen. In weiten Bereichen seines Vorkommens mit konventioneller Landwirtschaft beträgt die Dichte 0,1 territoriale Familiengruppen/10 km² (Baneaet al. 2012,Šáleket al. 2014,Szabóet al. 2007).
3 Ursprüngliche Verbreitung und aktuelle Arealerweiterung in Europa
Der Goldschakal ist eine paläarktische Art, deren traditionell beschriebenes Verbreitungsgebiet sich von Nordafrika und Südost-Europa bis nach Zentral- und Ostasien aufspannte (Jhala & Moehlman2008, Sillero-Zubiri2004). Jedoch wurde für die afrikanische Unterart aufgrund molekular-genetischer Analysen im Jahr 2015 die Ausweisung einer eigenen Art vorgeschlagen, die jedoch eine hochgradige morphologische Ähnlichkeit besitzt (Goldwolf – Canis anthus ;Koepfliet al. 2015). Dennoch bliebe auch bei Anerkennung dieser Differenzierung der Goldschakal einer der am weitesten verbreiteten Caniden, der in den letzten Jahren deutliche Ausbreitungstendenzen zeigt und neben verwaisten Räumen auch neue Gebiete besiedelt.
Für Europa sind die historische Verbreitung und ihre Veränderungen im Lauf der Zeit nur lückenhaft dokumentiert. Dies bestätigenSpassov & Acosta-Pankov(2019), die in ihrem detaillierten Review verfügbare Informationen zur historischen Verbreitungsdynamik aufbereiten, die kontrovers geführte Diskussion dazu darstellen und versuchen, die Gründe für die aktuelle Expansion zu eruieren. Nach dieser Studie hatte das Verbreitungsgebiet in Europa in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Ausdehnung vom Balkan bis nach Anatolien und zum Kaukasus. Lebensraumverlust und die direkte Verfolgung besonders durch Vergiftungsprogramme, die auch dem Wolf galten, führten zu einem Bestandsminimum mit verinselten Reliktpopulationen in den 1960er-Jahren (Spassov1989). In vielen Ländern in seinem ursprünglichen Verbreitungsgebiet auf der Balkanhalbinsel war der Goldschakal ausgestorben oder ausgerottet.
Ab den 1960er-Jahren erholten sich die verbliebenen Populationen und es kam zur Wiederausbreitung mit dem Schwerpunkt der Entwicklung in Bulgarien und dessen direkten Nachbarländern. Der Goldschakal erreichte dann insbesondere ab den 1980er-Jahren Serbien, Ungarn, die Slowakei, Slowenien, Italien, Österreich, die Ukraine und Russland (Arnoldet al. 2011,Plass2007). Im Regelfall waren dort die ersten dokumentierten Individuen junge Rüden (zum BeispielSzabóet al. 2009). Mittlerweile sind in diesen Ländern teilweise reproduzierende Populationen etabliert. In Ungarn zum Beispiel wurden 2018 als bisher höchstem Streckenergebnis bereits knapp 8.000 Individuen erlegt, mit kontinuierlich steigender Tendenz seit Reetablierung des Goldschakals in den 1980ern (Csányiet al. 2019).
Arnoldet al. (2012) haben bis zum Zeitpunkt ihrer Publikation detailliert den Status und die Ausbreitung des Goldschakals in Europa jeweils auf Staatenebene aufgezeigt. Die Vorhut der Populationsexpansion hat sich seitdem noch deutlich weiter in den Norden und Westen Europas fortgesetzt. Dieser Prozess ist über verschiedene Publikationen (Zitate inPyškováet al. 2016,Spassov & Acosta-Pankov2019) und Internetseiten (zum Beispiel https://www.iop.krakow.pl/Ssaki/gatunek/204; https://www.goldschakal.at/laenderauswahl/) insbesondere zu Erstnachweisen auf nationaler Ebene nachzuvollziehen. Hervorgehoben werden soll hier der bisher westlichste Nachweis, der 2017 im Osten Frankreichs bei Chablais in der Haute-Savoie erbracht wurde. Dies ist zugleich auch der Erstnachweis für Frankreich. Nachdem sich der Goldschakal für viele Ökologen überraschend im Norden mit einer inzwischen kleinen reproduzierenden Population im Baltikum etablieren konnte, mit Erstnachweis im Jahr 2013 in Estland (Männilet al. 2019,Paulauskaset al. 2018,Stratford2015), wurde im Jahr 2019 der Erstnachweis in Finnland erbracht (Honkala & Nummi2019), was auch dem aktuell nördlichsten Nachweis entspricht.
Da sich der vorliegende Artikel auf die Situation und Perspektive des Goldschakals in Deutschland fokussiert, soll das Ausbreitungsgeschehen nur in den direkt angrenzenden Ländern skizziert werden.
Polen: Kowalczyket al. (2015) beschreiben den Erstnachweis in Polen im Jahr 2015 im Grenzgebiet zu Deutschland auf der Höhe von Schwedt (Verkehrsopfer). Für 2015 wurde dann bereits die erste Reproduktion am Unterlauf der Weichsel im Norden des Landes bestätigt und 2017 im gleichen Bereich eine weitere Reproduktion (Kowalczyket al. 2020). Daher gehen die Autoren von einer früheren unbemerkten Einwanderung der Art aus.
Tschechien: Pyškováet al. (2016) belegen erstmals im Jahr 2015 als Fotofallennachweis die Präsenz eines Goldschakals 40 km östlich von Prag und gehen davon aus, dass dieser mindestens neun Monate und dabei über Winter anwesend war. Auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz Milovice-Madlá etwa 25 km nordöstlich von Prag wurde dann in 2017 die erste Reproduktion nachgewiesen und ausführlich dokumentiert (Jirku et al. 2018).
Schweiz: Im Winter 2011/12 wurde in den Nordwestalpen im Rahmen des Luchsmonitorings per Fotofalle von der Raubtierfachstelle KORA der Erstnachweis eines Goldschakals erbracht. Erst im Winter 2015/16 wurde dann wieder ein Goldschakal in der Surselva fotografiert und wenig später vermutlich derselbe versehentlich erlegt. Seitdem werden von KORA regelmäßiger Meldungen registriert. Der letzte Nachweis für seine Präsenz in der Schweiz gelang im April 2020 im Tessin.
Bisher wurden in der Schweiz lediglich Einzeltiere und nur Rüden nachgewiesen (https://www.kora.ch/index.php?id=275 &L=0, aufgerufen am 5.1.2020).
Österreich: In Österreich wurde der erste bestätigte Nachweis eines Goldschakals 1987 in der Steiermark erbracht. Nach weiteren Berichten von vermutlich wandernden Individuen kam es dann 2007 am Neusiedlersee zur ersten belegten Reproduktion (Hatlaufet al. 2017,Herzig-Straschil2008,Hoi-Leitner & Kraus1989). Im Rahmen des seit 2015 laufenden Goldschakalprojekts der Universität für Bodenkultur Wien (www.goldschakal.eu) konnten seitdem weitere Reproduktionsnachweise und weitere Einzelbelege gesammelt werden.
Holland: Im Zentrum Hollands wurde 2016 in der Veluwe, dem größten Waldgebiet des Landes, per Fotofalle der bisher erste und einzige Nachweis eines Goldschakals erbracht (Wenninket al. 2019 und Zitat darin).
Dänemark: Der erste Goldschakal in Dänemark wurde 2015 als Verkehrsopfer im Zentrum Jütlands dokumentiert. Im Februar 2017 wurde ein Goldschakal versehentlich auf einer Fuchsjagd erlegt. Zwischenzeitlich wurden weitere Nachweise per Kamerafalle erbracht und es konnten bisher bei drei Goldschakalen Standorttreue für jeweils mehr als ein Jahr nachgewiesen werden (schriftl. MitteilungKent Olsen). Das Individuum im NATURA-2000-Gebiet Lille Vildemose lebt dort seit vier Jahren (schriftliche Mitteilung Lars Malmborg). Ein weiteres Individuum hat sich im Süden Jütlands nicht weit von der Grenze zu Deutschland niedergelassen.
Deutschland: In Brandenburg wurde 1997 ein Goldschakal bestätigt, zu dem Zeitpunkt über 600 km von anderen bekannten zentraleuropäischen Vorkommen entfernt (Möckel2000). Deutschland steht mit diesem vergleichsweise frühen Erstnachweis inzwischen nicht mehr an der Front des Ausbreitungsgeschehens (siehe oben). Wenn auch auf dem Niveau von wenigen Einzelindividuen werden seit 2007 mit steigender Frequenz Nachweise von Goldschakalen in Deutschland erbracht. Die bisherigen entsprechend den international gültigen SCALP-Kriterien abgesicherten 25 C1-Nachweise (vgl.Kaczenskyet al. 2009) sind in Tab. 1 bis zum Stichtag 20. August 2020 dargestellt, ihre Verortung in Abb. 3. Auf die Darstellung weiterer, nicht abgesicherter Hinweise wird hier verzichtet.
4 Gründe für die Arealerweiterung
Die Gründe für die dargestellte Populationserholung, die Wiederbesiedlung verwaister Lebensräume und die aktuelle Arealerweiterung nach Nord- und Westeuropa sind Gegenstand umfangreicher fachlicher Diskussionen (Šáleket al. 2014,Spassovet al. 2019). Für bestimmte Zeiträume und Skalenebenen wurden plausible Hypothesen von Artexperten aufgestellt. So begründetSpassov(1989) die insbesondere von der Reliktpopulation in Bulgarien ausgehende Populationserholung und -expansion nach dem aufgezeigten Populationsminimum ab den 1960er-Jahren 1. mit dem Verbot von Giftködern (teilweise staatliche Vergiftungsprogramme) und seiner zeitweisen Unterschutzstellung; 2. mit dem intensiven Wildmanagement mit entsprechend hohem Angebot an Aas (zum Beispiel Aufbrüche) und Wild; 3. mit großflächiger Schafhutung und 4. großflächigen Aufforstungen mit Kiefern in landwirtschaftlich peripheren Regionen und sich daraus entwickelnder großflächiger dichter Deckung; sowie 5. mit der Abwesenheit oder geringen Populationsdichte des Wolfes als Prädator.
Diese Ursachen sind vom Grundsatz her sicherlich übertragbar auf die Goldschakalpopulationen in den Nachbarländern Bulgariens. Dabei sind Unterschutzstellung und Einstellung der Vergiftungsprogramme mit hoher Wahrscheinlichkeit die Hauptgründe dafür, dass nachgeordnet der Goldschakal seine breite ökologische Amplitude zum Beispiel in Hinblick auf die Habitat- oder Ernährungsplastizität „ausleben“ kann und seine Populationen sich erholen.
Das großräumige Fehlen des Wolfes als direkter Prädator von Goldschakalen wird auch vonKrofelet al. (2017) als förderlich in Hinblick auf die Populationserholung und Wiederausbreitung gesehen.
Für die dann etwa ab den 1980ern einsetzende Arealerweiterung ist neben dem Populationsdruck in ursprünglichen Verbreitungsgebieten aller Wahrscheinlichkeit nach auch der Klimawandel ursächlich. Das traditionelle Verbreitungsgebiet des Goldschakals liegt vornehmlich außerhalb winterkalter, schneereicher Areale (Jhala & Moehlman2004). Entsprechend meidet er höhere Lagen. Die in Mitteleuropa in den letzten Jahren regelmäßig schneearmen Winter (Deutscher Wetterdienst 2020) ermöglichen das Überleben von ersten einwandernden Individuen. Trockene, heiße Sommer sind nicht hinderlich und eher ein positiver Selektionsfaktor, der sich aus der evolutiven Prägung des Goldschakals in entsprechendem Klima ergibt. Auch finden in der Raumordnung in Europa zunehmend ökologische Vernetzungskonzepte Verwendung, die zum Beispiel beim Neubau fragmentierender linearer Verkehrsinfrastruktur wildtierökologische Ansprüche etwa in Form von Querungshilfen in Kombination mit Zäunung berücksichtigen und so die Durchlässigkeit der Kulturlandschaft erhöhen oder wiederherstellen (Tillmann2005). Die Wahrscheinlichkeit, dass Goldschakale die Landschaft erfolgreich durchdringen, wird dadurch größer. Trotz einer der höchsten Infrastrukturdichten in Europa konnten so schließlich einzelne Goldschakale Schleswig-Holstein und Dänemark erreichen.
Auch die im Allgemeinen in Europa in den letzten Jahrzehnten angestiegenen Populationen von Ungulaten (insbesondere Reh, Damhirsch, Rothirsch, Wildschwein) bedeuten für den Goldschakal eine Verbesserung der Ernährungssituation, in erster Linie über die Nutzung der „Jagdabfälle“, aber auch aufgrund direkter Prädation (vornehmlich Jungtiere von Reh, Damhirsch und Wildschwein, zum BeispielBoškovic´ 2016, Lanszkiet al. 2006,Lanszki & Heltai2002).
Die Geschwindigkeit einer lokalen/regionalen Etablierung mit dem Auftauchen erster Gründertiere kann stark von Zufallsereignissen und temporären Umständen bestimmt sein: Verluste von Individuen durch Verkehrsunfälle, illegalen Abschuss, Krankheit (zum Beispiel Räude) oder Prädation durch den Wolf führen einerseits zu einer Verzögerung, während (temporäre) Verfügbarkeit von Nahrungsquellen (zum Beispiel durch Kleinsäugergradationen und Abfälle) oder bevorzugten Habitatstrukturen (zum Beispiel Pioniergehölze in aufgelassenen Tagebauen) beschleunigend wirken können. In Estland vermuten Wildtierökologen beispielsweise, dass die relativ schnelle Etablierung der kleinen Subpopulation stark durch den dortigen Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest unter den Wildschweinen begünstigt wurde. Die ersten Individuen trafen auf eine große Nahrungsverfügbarkeit in Form von Aas (E. Moks, schriftliche Mitteilung).
Für Finnland gehenHonkala & Nummi(2019) davon aus, dass sich der Goldschakal aufgrund der bis zum Zeitpunkt der Publikation schneereichen Winter dort nicht etablieren kann. In Estland wurden fünf Jahre nach dem offiziellen Erstnachweis im Jahr 2018 bereits 76 Individuen bei steigender Tendenz erlegt.Männilet al. (2019) scheiden aufgrund ihrer Modellierung zur Habitateignung nur relativ wenige gut geeignete Lebensräume in Estland aus und weisen darauf hin, dass das Überleben lokaler Populationen stark von der Akzeptanz des Goldschakals in der Bevölkerung und von dem auf ihn ausgeübten Jagddruck abhängen wird. Nur die ökologische Lebensraumkapazität betrachtend prognostizierenWenninket al. (2019) für Holland eine hypothetische Populationsgröße von 5.728 Individuen beziehungsweise 3.124 Individuen bei einer ebenfalls hypothetischen Etablierung einer Wolfspopulation.
4 Perspektive für eine Etablierung in Deutschland
Während die Rückkehr des Wolfes spätestens seit seiner ersten Reproduktion im Jahr 2000 in Sachsen nach seiner Ausrottung ein prominentes emotionales, polarisierendes Thema in der Öffentlichkeit ist, findet das zunehmende Auftauchen des Goldschakals auch in Deutschland vergleichsweise wenig Beachtung. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass die Suche mit Internetsuchmaschinen für den Wolf bei den Suchwörtern „ Canis lupus , Deutschland“ mit 8.200.000 gut 29-mal mehr Treffer ausgibt als beim Goldschakal mit den Suchwörtern „ Canis aureus , Deutschland“ und 280.000 Treffern (Suche am 26.02.2020). Zudem wird die Art bisher nicht in der einschlägigen Literatur zur Fauna Deutschlands geführt und befindet sich noch nicht im Such- oder Bestimmungsspektrum der Bevölkerung – die Art ist für Deutschland noch nicht „verbucht“ und Meinungen zu ihr sind aus vergangenen Zeiten zum Beispiel über Märchen tradiert.
Bestätigte Sichtungen in Deutschland oder anderweitige Dokumentationen einzelner Individuen werden zwar von den Medien aufgenommen, führen bisher aber nicht wie beim Wolf zu einer Thematisierung in der Öffentlichkei. Das liegt wahrscheinlich an der konfliktärmeren und kaum wahrnehmbaren Einnischung des Goldschakals in der Kulturlandschaft, auch wenn er gelegentlich bei den kleinen Klauentieren zu Nutztierverlusten – im Regelfall einzelne Tiere, besonders Jungtiere – führt (Lanszkiet al. 2006).
Bei den bisher bestätigten Nachweisen von Goldschakalen in Deutschland handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach nur um einen Bruchteil der eingewanderten Individuen. Vermutlich werden im Straßenverkehr verunfallte oder in der freien Wildbahn beobachtete Individuen nicht als Goldschakale registriert, sondern mit Füchsen – wahrscheinlich inzwischen auch mit Wölfen – verwechselt. Ihre relativ unscheinbare Lebensweise verschleiert ihr Auftreten zusätzlich. Gemessen an den bisher vergleichsweise wenigen C1-Nachweisen deutet allein die Tatsache, dass in Holland, Frankreich und Dänemark Nachweise erbracht wurden, darauf hin, dass mehr Goldschakale in Deutschland leben, als entdeckt werden. Da die Art wie beschrieben weniger stark ins Auge fällt und noch wenig bekannt ist, dürfte die Diskrepanz zwischen C1-Nachweisen und tatsächlicher Situation sogar relativ ausgeprägt sein.
Eine Etablierung des Goldschakals in Deutschland ist bei der aktuellen Entwicklung nicht ausgeschlossen. Wo und mit welcher Geschwindigkeit er sich ausbreitet und sich möglicherweise etabliert, ist derzeit nicht abzusehen. Auch die bisherige Datenlage (siehe Abb. 3: C1-Nachweise in Deutschland) lässt keine eindeutigen Rückschlüsse auf ein Ausbreitungsschema zu.
5 Rechtlicher Status
Für Europa wird die Gesamtpopulation des Goldschakals bei insgesamt steigender Tendenz grob auf zwischen 70.000 und 117.000 Individuen geschätzt (C´irovic´ et al. 2016;https://www.lcie.org/Large-carnivores/Golden-jackal 06.04.2020). Die IUCN hat aufgrund der Populationsgröße und der positiven Entwicklung die Weltpopulation des Goldschakals in ihrer Roten Liste als „ungefährdet“ eingestuft (Hoffmannet al. 2018).
Arealerweiterungen können aber auf nationaler Ebene eine Herausforderung für Rechtsprechung und Politik sowie für das Management besonders von konfliktträchtigen Arten darstellen.
Neben den völkerrechtlichen Verpflichtungen, die sich für Deutschland aus der Biodiversitätskonvention (CBD Convention on Biological Diversity 1992) und der Berner Konvention (Übereinkommen über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume 1979) ergeben, stellt die Fauna-Flora-Habitatrichtlinie der Europäischen Gemeinschaft (FFH-Richtlinie vom 21. Mai 1992 92/43/EWG) dabei den konkretesten rechtlich bindenden Rahmen für den Umgang mit dem Goldschakal in Deutschland dar.
Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der FFH-Richtlinie im Jahr 1992 war eine kleine gefährdete Subpopulation in Griechenland Grund für die Listung des Goldschakals im Anhang V der FFH-Richtlinie (Trouwborstet al. 2015). Inzwischen hat sich die räumliche Relevanz aufgrund der EU-Erweiterung in viele Länder seiner ursprünglichen Verbreitung und auch aufgrund seiner eigenen Ausbreitungstendenz deutlich erweitert. Die Art ist inzwischen in 19 Ländern der EU nachgewiesen.
Die FFH-Richtlinie zielt darauf ab, die „Bewahrung und Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes“ von Tier- und Pflanzenarten „von gemeinschaftlichem Interesse“ sicherzustellen. Im Anhang V werden grundsätzlich Arten aufgeführt, deren „Entnahme aus der Natur besondere Verwaltungsmaßnahmen“ erfordern können. Grundsätzlich ist über ein Monitoring ein „günstiger Erhaltungszustand“ zu bestätigen und die Gewährleistung dieses Zustands ist Voraussetzung für die Einrichtung von Managementoptionen wie zum Beispiel der Ausweisung einer Jagdzeit. Eine durch den Erhaltungszustand dieser Arten gerechtfertigte Nutzung ist dann mit der Verpflichtung verbunden, alle Maßnahmen zu ergreifen, um den Bestand dieser Art in einem günstigen Erhaltungszustand zu erhalten. Im Bundesnaturschutzgesetz wird grundsätzlich auf die Arten des Anhangs V der FFH-Richtlinie verwiesen. Explizit wird der Goldschakal aber bisher in keinem deutschen Gesetz geführt.
Vor dem Hintergrund des aktuellen rechtlichen Rahmens und zur Bewertung seiner ökologischen Einnischung beziehungsweise Wirkung ist eine sorgfältige Dokumentation seiner Ansiedlungstendenz in Deutschland erforderlich. Nur auf dieser Basis lässt sich ein günstiger Erhaltungszustand definieren. Potenziellen zukünftigen Konflikten sollte von Anfang an durch die Schaffung einer wissenschaftlich belastbaren Datenbasis begegnet werden. Einige der bisher erbrachten Nachweise des Goldschakals haben sich als „Beifang“ des intensiven und großflächigen Wolfsmonitorings in Deutschland ergeben, andere sind Zufallsnachweise – Verkehrsopfer und Fotofallenbilder aus Artenmonitorings, ökologischen Studien oder aus der Jägerschaft. In der aktuellen Situation ergibt sich daraus ein ausreichendes Bild über sein Vorkommen. WieOkarma & Herzog(2019) es für eine bessere Einschätzung der Wolfspopulation empfehlen, ist es aber auch beim Monitoring des Goldschakals sinnvoll, neben den C1-Nachweisen (siehe oben) ebenfalls C2- und C3-Nachweise mit in die Bewertung des Vorkommens einzubeziehen. Gerade in der Anfangsphase einer möglichen Etablierung kann so eine systematische Unterschätzung bei ausschließlicher Betrachtung der C1-Nachweise vermieden werden.
Bereits jetzt sollten aber flankierend relevante Interessensgruppen (Naturschützer, Landnutzer) über Fachinformationen und Bestimmungshilfen für das mögliche Auftreten der Art sensibilisiert werden. Für Polen berichtenKowalczyket al. (2020), dass mit dem Aufgreifen der Erstnachweise durch die Medien zunächst viele Meldungen eingingen, von denen sich jedoch ein Großteil als Falschmeldungen entpuppte – zum Beispiel räudige Füchse, Wölfe oder Hunde – und nur wenige tatsächlichen Beobachtungen von Goldschakalen entsprachen. Inzwischen ergeben sich aber aus dem gestiegenen Bekanntheitsgrad der Art und der Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung eine größere Anzahl tatsächlicher Nachweise.
Ein gezieltes Populationsmonitoring des Goldschakals empfiehlt sich ab einer ersten belegten Reproduktion. Bei einzelnen sesshaften Individuen wird eine erste freilandökologische Erforschung möglich. Verunfallte oder anderweitig verendete Individuen können aber bereits erste Aspekte über die Ökologie der Art außerhalb ihres ursprünglichen Verbreitungsgebietes preisgeben. In Dänemark zum Beispiel wurde der im Jahr 2017 versehentlich geschossene Goldschakal als zweiter „Totfund“ einer intensiven veterinärmedizinischen Untersuchung unterzogen und dabei die Auwaldzecke ( Dermacentor reticulatus ), die das zoonotische Bakterium ( Rickettsia raoultii ) enthielt, nachgewiesen. Da beide Arten Erstnachweise für Dänemark sind, diskutieren die Autoren das Potenzial migrierender Individuen als Vektor für Parasiten oder Pathogene auch unabhängig von einer festen Etablierung (Klitgaardet al. 2017). In Estland wurden erste legal gejagte Individuen auf ihren Mageninhalt und das Vorkommen von Helminthen untersucht, was Rückschlüsse auf die Ernährungsökologie der Art im Gebiet zuließ (Jõgisaluet al. 2019).
Eine Etablierung des Goldschakals in Deutschland würde in dessen Vorkommensgebieten zu einer Veränderung des Ökosystems führen (vgl.Hobbset al. 2013). Bisher gibt es naturgemäß noch keine Studie zur Ökologie der Art in der deutschen Kulturlandschaft. Aus naturschutzfachlicher Sicht sind hier insbesondere die interspezifischen Wechselwirkungen in der Biozönose wie die ernährungsökologische Einnischung in Hinblick auf Beutetierpopulationen und Populationen der anderen Carnivoren von Interesse. Grundsätzlich ist auch das Raum-Zeit-Verhalten bis auf eine Studie mit einem telemetrierten Individuum im ausgeweiteten Verbreitungsgebiet nicht untersucht (Lanszkiet al. 2018). Auch bei noch wenig solider Datenlage kann sich eine Habitatmodellierung zur Ausweisung von Lebensraumqualitäten auch für Deutschland anbieten (Hatlaufet al. 2016,Wenninket al. 2019).
Sobald sich eine Ansiedlung abzeichnet, sind die hier aufgezeigten Forschungsansätze und die Etablierung eines aktiven Monitorings die Voraussetzung, den Goldschakal in den aktuellen gesetzlichen Rahmen einzuordnen und einen konkreten Managementplan aufzustellen. Für die Erstellung eines akzeptierten Managementplans ist die frühe Zusammenarbeit verschiedener Interessensgruppen unabdinglich.
Dank
Für Auskünfte zum Status des Goldschakals danke ich F. Böcker, Dr. E. Moks, Dr. P. Männil, L. Malmborg, Dr. K. Olsen, S. R. Bengtsson, Dr. R. Kowalczyk, Prof. Dr. H. Okarma, Prof. Dr. S. Csányi, P. Hajas; und Dr. B. Holsten und T. Leikauf für die Durchsicht des Manuskripts sowie die Formatierung der Karte. Des Weiteren gilt mein Dank drei anonymen Gutachtern für ihre kritischen Hinweise und Ratschläge, die zur Verbesserung des Manuskriptes beigetragen haben.
Literatur
Aus Umfangsgründen steht das ausführliche Literaturverzeichnis unter Webcode NuL2231 zur Verfügung.
Fazit für die Praxis
- Nach einem Populationsminimum in den 1960er-Jahren hat sich der Goldschakal wieder erholt und breitet sich aktuell über sein bisheriges Verbreitungsgebiet hinaus bis in den Norden und Westen Europas aus.
- Seit 1997 wurden mindestens 25 Goldschakale in Deutschland nachgewiesen; ein Reproduktionsnachweis wurde noch nicht erbracht.
- Der Goldschakal lebt territorial in einem flexiblen Sozialsystem. Er ist ein generalistischer Mesoprädator mit einem weiten Nahrungsspektrum von kleinen bis mittelgroßen Säugetieren über Amphibien, Insekten und Aas bis hin zu pflanzlicher Nahrung.
- Der Goldschakal ist als Art von gemeinschaftlichem Interesse in Anhang V der FFH-Richtlinie der EU gelistet. Danach ist in Deutschland ein günstiger Erhaltungszustand zu gewährleisten.
- Zur Bewertung seiner ökologischen Wirkung ist eine sorgfältige Dokumentation der Ansiedlungstendenz des Goldschakals in Deutschland erforderlich. Nur auf dieser Basis lässt sich der erforderliche günstige Erhaltungszustand definieren. Ein Monitoring angelehnt an das detaillierte Wolfsmonitoring in Deutschland bietet sich an.
Kontakt
Dr. Jörg E. Tillmann ist stellvertretender fachlicher Leiter der DBU Naturerbe GmbH und inhaltlich mit den Themen Offenland- und Wildmanagement betraut. Er studierte Agrarwissenschaften/Umweltmanagement an der JL-Universität Gießen und war anschließend dort, am ÖZK der CA Universität Kiel und am Institut für Wildtierforschung der TiHo Hannover wissenschaftlich tätig. Forschungsaufenthalte in wildtierökologischen Forschungseinrichtungen in Polen, Portugal, Australien und Alaska.
Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Artikel kommentierenSchreiben Sie den ersten Kommentar.