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Günther Czerkus

Der Hüter der Herde

Was haben ein Studium der Arbeitspädagogik, ein Boot, ein altes Bahnhofsgebäude und Schafe gemein? Sie alle sind Meilensteine im Leben Günther Czerkus', seines Zeichens Schäfer und Vorsitzender des Berufsschäferverbandes. Wir haben ihn in seiner Schäferei in Wallendorf an der Luxemburger Grenze getroffen.
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Der alte Holztisch ist vernarbt von den vielen Jahren, die er nun schon in der heimeligen Küche der Schäferei steht. Tiefe Kerben zeugen von der Arbeit, die an ihm verrichtet wurde, von den Generationen, die hier gesessen haben. Heute sitzt Günther Czerkus an diesem Tisch. Irgendwie passen sie zusammen, das robuste Möbelstück und dieser große Mann in dem Wollpullover und den klaren blauen Augen, in denen immer wieder der Humor aufblitzt. Beide haben eine Geschichte zu erzählen. Eine Tasse Tee in der Hand, erzählt Günther Czerkus seine.

Schäfer zu werden war nicht Czerkus' ursprünglicher Plan. Stattdessen studierte er in Köln außerschulische Jugendarbeit und Erwachsenenbildung mit Psychologie der Arbeitswelt. Doch er musste erst gar nicht in Letztere eintauchen, um festzustellen, dass ihn dieser Beruf nicht glücklich machen würde. „Während der Diplomarbeit habe ich festgestellt: Die Leute, die mich bezahlen können, für die will ich nicht arbeiten“, erzählt Czerkus. „Und die Leute, für die ich arbeiten will, die können mich nicht bezahlen.“

Eine 180-Grad-Wende musste her. Weg von dem übermäßigen Kulturangebot der Großstadt, weg von der Effektivierung der Arbeitswelt. Stattdessen sollte eine Europatour mit dem Schiff Klarheit bringen, wohin der Lebensweg führen soll. Um das zu finanzieren, kauften die jungen Eheleute einen alten Bahnhof in der Eifel, den es zu renovieren und gewinnbringend weiterzuverkaufen galt. „Irgendwann haben wir dann gesagt: Aufbauen ist besser als abhauen“, schmunzelt der Schäfer, „und dann haben wir alle Sorten Tiere angeschafft, die sich nicht gewehrt haben.“ Puten, Enten, Gänse, Hühner, Kaninchen, aber auch größere Tiere wie Pferde, Schafe, Ziegen, Schweine und Rinder – er ließ kaum eine Tierart aus.

Auf Wanderschaft

Das Problem: Günther Czerkus hatte zwar Tiere, aber kein Land. Daher begann schon bald ein Selektionsprozess. Die Rinder wurden abgegeben, die Schweine übernahm ein Nachbar, der sich auf die Schweinehaltung spezialisieren wollte. Immer mehr kristallisierte sich heraus: Czerkus' Tier ist das Schaf. Schließlich kündigte er seinen Job in Köln, schulte zum Tierwirt um. Als schließlich der Schäfer im Ort einen Nachfolger suchte, bot sich endlich die Gelegenheit, die Chance, den Betrieb zu übernehmen. Doch die Vorstellungen gingen zu weit auseinander. „Zwei so sture Böcke haben in einer Herde einfach keinen Platz“, lacht Czerkus. Also nahm er seine Schafe – 120 inzwischen, verschiedenste Rassen, alles, was er eben günstig bekommen konnte, was sonst keiner mehr wollte – und zog seiner Wege.

Wege waren es auch, die seine Tiere in den ersten Wochen ernährten. Czerkus zog im Kreis Bitburg-Prüm umher, hütete Waldwege aus, Bahnböschungen, Feldwegränder. Und schließlich begegnete er mit seiner Herde einem Förster. Der überlegte gerade, eine Fläche zu kaufen, in seinen Augen eigentlich völlig unbrauchbar, nur mit Ginster, Moos und ein paar Kräutern bewachsen. Aber der Zuständige von der Oberen Landesbehörde sei ganz begeistert gewesen von der Fläche – der Kontakt, auf den Czerkus nur gewartet hatte.

„Noch am selben Tag haben wir dann miteinander telefoniert“, erinnert er sich. „Am Ende hatte ich dann meine Weide.“ Heute heißt das Naturschutzgebiet „Ginsterheiden“, es war in seiner Zeit die erste Ankauffläche für den Naturschutz in Rheinland-Pfalz. Viele weitere folgten, schließlich wurde der Naturschutz gerade mit Mitteln ausgestattet, die in dieser Pionierphase vor allem in den Flächenkauf flossen.

Neue Strukturen

Allmählich nahm dann auch das Sammelsurium seiner Herde Struktur an. Czerkus begann, die zahlreichen Krankheiten auszumerzen, die er sich in der Anfangsphase aus verschiedensten Beständen gleich mit in die Herde geholt hatte. Die Herde wuchs, 1.200 Tiere waren es schließlich, betreut vom Ehepaar Czerkus und drei Hütehunden. Durch die Einkreuzung von Fleischschafen in die gemischte Landschafherde aus roten Ardennern, Bentheimern, Rhönschafen und manchem mehr wurden die Tiere schwerer, behielten aber ihre Genügsamkeit und Robustheit bei, sodass Czerkus auch weiterhin magerste Flächen beweiden konnte. „Die Schäfer waren immer Pfennigsucher und in der Eifel sowieso“, meint er. Diese Eigenschaft der Tiere, auch mit „schlechter“ Kost umzugehen, hat sich bis heute in der Herde erhalten, und so verbeißen sogar die Lämmer schon überraschend gründlich auch Hecken und Gehölze.

Arbeiteten Czerkus und seine Kollegen – fünf Schäfereien gab es damals im Kreis Bitburg-Prüm für die Landschaftspflege – in den Anfangsjahren sehr eng mit den Behörden zusammen, so änderte sich das mit der Verwaltungsreform. Die Obere Landschaftspflegebehörde zog weg vom nahe gelegenen Trier zur Struktur- und Genehmigungsdirektion nach Koblenz, verbunden mit einem kompletten Personalwechsel. „Das hat einfach das bestehende System eliminiert“, beklagt der Schäfer. „Wir haben immer lösungsorientiert zusammengearbeitet, doch das ist dann den ausschließlichen Preisdruckvorstellungen gewichen.“ Unter dem Preis litt auch die Qualität der Arbeit, meint er weiter. Das sei umso schlimmer, weil der allgegenwärtige Artenschwund sich auch in den Schutzgebieten niederschlage. „Wenn ich in den 80er-Jahren in eine Fläche hineingezogen bin, stand ich in einem kleinen Nebel von Faltern“, erinnert der Schäfer sich. „Heute ist das längst Geschichte.“

Breites Leistungsspektrum

Doch der Artenschwund erstreckt sich nicht nur über die Insektenwelt. Es gibt auch einen Schwund von Schäfern. Denn die Arbeit ist kaum noch auskömmlich, die Wollpreise sind im Keller und auch für Lammfleisch erzielen die Schäfer keine guten Preise. Und einen ganz wesentlichen Teil ihrer Arbeit bekommen die Tierhalter gar nicht bezahlt, erklärt Czerkus: die Leistungen für die Gesellschaft. Da wäre zum einen der Landschaftsschutz zu nennen, denn der Verbiss der Schafe bewahrt die Flächen vor Verbuschung. Ohne regelmäßige Beweidung würden viele Gebiete zügig wiederbewalden, die Landschaft würde sich verändern und wichtige Lebensräume verschwinden.

Zum Erosionsschutz tragen die Huftiere nicht minder bei. Der Verbiss an die Bestockungsgrenze regt die Pflanzen an, alle schlafenden Knospen zu aktivieren. Außerdem werden wüchsige Obergräser so effektiv zurückgedrängt und der Tritt der Schafe verdichtet die Oberfläche außerdem. „Nicht umsonst heißt es: Auf den Schafweiden steht das Gras wie Haare auf dem Hund“, zitiert Günther Czerkus.

Darüber hinaus produzieren die Flächen auch dann noch Sauerstoff und nehmen CO2auf, wenn die Bäume ihr Laub schon längst verloren haben. Und auch andere Stoffe werden gespeichert, erklärt der Schäfer weiter. „Das Grünland hat die beste Nitratfilterwirkung neben dem Wald. Im Offenland sind wir die Besten.“ Diese Leistungen müsse man anerkennen, findet er. „Aber wem soll ich da eine Rechnung schreiben?“

Dabei ließen sich einzelne Leistungen recht genau monetarisieren. Vor allem der Transport von Saatgut ist inzwischen gut dokumentiert. Czerkus selbst hat mit seinen Tieren an einer Studie mitgearbeitet, in der die transportierten Saatgutmengen und -arten im Schaffell untersucht und auf die gesamte Vegetationsperiode hochgerechnet wurden. Das Ergebnis: Sämereien im Wert von etwa 4.500 € werden in der Schäferei jährlich von einer Fläche zur nächsten getragen. „Das sind die Kosten für den Erwerb dieses Saatguts im Fachhandel“, betont Czerkus. „Damit sind sie ja noch nicht von A nach B transportiert. Sie sind noch nicht eingetreten, es sind noch keine Konkurrenzpflanzen verbissen.“

Kampf ums Überleben

Für diese und weitere Leistungen, die die Schäfer nach wie vor unentgeltlich für die Gesellschaft erbringen, fordert Czerkus, müsse es endlich ein festes Grundeinkommen für seine Berufsgruppe geben. „Das durchschnittliche Familieneinkommen in Deutschland beträgt etwa 3.600 €“, rechnet er vor. „Für einen Betriebsleiter vielleicht 4.000 €.“ Im Jahr wären es also 48.000 €, die eine Schäferei nach seiner Rechnung erhalten sollte, eine Art Basiseinkommen, die das Überleben der Schäfereien sichern und auch die Suche nach Nachfolgern oder Auszubildenden erleichtern könnte.

Günther Czerkus argumentiert weiter, dass diese Gelder durchaus in Deutschland zur Verfügung zu stehen scheinen: Die Anlastungsandrohungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) für die Nichteinhaltung des Verschlechterungsverbots für die Naturschutzflächen lägen derzeit bei etwa 85.000 € – und das pro Tag. Davon könne man zwei Schäfer ein Jahr lang finanzieren – und damit auch die Flächen in gutem Zustand erhalten oder verbessern. „Da sind wir aber noch weit davon entfernt“, gibt der Schäfer zu. „Bis es so weit ist, brauchen wir zumindest das, was die anderen 22 Mitgliedstaaten in Europa haben: eine Weidetierprämie.“ Das wäre in seinen Augen ein wichtiger Zwischenschritt, um das Sterben der Betriebe zu verlangsamen.

Damit würde auch die Möglichkeit geschaffen, den Beruf auskömmlicher und damit attraktiver zu machen. Denn die Nachfolgersuche für Schäfer gestaltet sich wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Auch Günther Czerkus hat noch keinen Nachfolger. Es gab zwar eine Anwärterin für eine Ausbildung im Betrieb, doch auch sie muss erst einmal arbeiten gehen, um sich die Ausbildung mit den weiten Fahrten zu einer der beiden Schäferschulen Deutschlands leisten zu können. „Wir leisten uns den Luxus, unsere Ausbildung schmählich zu vernachlässigen“, warnt der Schäfer. Denn das Durchschnittalter der etwa 980 Schäfer in Deutschland ist über 56 Jahre. Das heißt, innerhalb der nächsten zehn Jahre wird ein Bedarf von 450 Schäfern entstehen. Um diesen auszugleichen, müsse man jährlich 45 Menschen ausbilden – derzeit sind es gerade einmal 10 bis 20 Berufsabgänger.

Volles Engagement

So könne der Sektor nicht langfristig am Leben erhalten werden, fürchtet Czerkus. Diese Herausforderung ist für ihn ein Grund, sich stark im Verband der Berufsschäfer zu engagieren. Er ist Gründungsmitglied dieses Verbandes, der aus der intensiven Zusammenarbeit der Schäfer in der Pionierzeit der Landschaftspflege mit Schafen entstand. Der Verband ist Sprachrohr und Organ des internen Austausches und mit seiner Hilfe konnten einige Initiativen auf den Weg gebracht werden.

So gibt Czerkus verhaltensauffälligen Jugendlichen aus Deutschland und Luxemburg, manchmal jungen Strafgefangenen bis hin zu Führungsriegen von Unternehmen die Möglichkeit, mit seinen Tieren zu arbeiten. „Es ist unglaublich, wie sich diese Menschen innerhalb von wenigen Stunden völlig verändern, wenn Sie Umgang mit Tieren haben“, berichtet er sichtlich fasziniert. „In einem Sekundenbruchteil spiegelt mich das Tier, ohne mich zu bewerten. Diese Selbstwirksamkeitserfahrung ist unglaublich.“

Unter Schafen

Heute jedoch begleiten nur Fritz, der altdeutsche Hütehund, und ich Günther Czerkus zu seinen Schafen. Sofort wird klar: Die Tiere erkennen ihren Schäfer. Alle sind ein eingespieltes Team. Fritz kennt seine Aufgaben ganz genau und die Kommunikation zwischen den beiden braucht nur wenige Worte. Und auch die Schafe scheinen ihn ganz genau zu verstehen – nur die Journalistin mit der großen Kamera sorgt für leichte Irritation bei einigen Tieren. Sie machen zuerst einen Bogen um mich, als Czerkus mit ihnen aus dem Nachtpferch heraus auf die Weidefläche zieht. Ich bin ihnen dankbar – schließlich hätten sie mich auch umrennen können, wie ich da mitten in ihrem Weg mit meiner Kamera auf dem Boden kauere.

Doch schließlich, nach wenigen Minuten schon, haben sich die ersten Tiere an meine Anwesenheit gewöhnt. Vielleicht strahle ich jetzt auch eine ruhigere Energie aus – jedenfalls beginnen die ersten vorwitzigen Tiere, mir die Grashalme zwischen den Schuhen wegzuzupfen. Ich denke mal, damit bin ich in die Herde aufgenommen.

Betriebsdaten

  • Gründung: 1986
  • Tiere: 500 Schafe, 2 Hütehunde
  • Flächen: 110 ha Sommerweideflächen und Winterweidepflege für die Nachbarbauern
  • Biotoptypen: Naturschutzgebiete mit Halbtrocken- und Trockenrasen, Wasserschutzgebiete

Philosophie

Wir sind nicht auf der Welt, um am Fenster zu sitzen und zu sehen, wer vorbeiläuft. Ich fühle mich in der Natur, in dem Geschehen um mich herum, aufgehoben. Ich bin Teil davon, ziehe sehr viel Kraft daraus, werde getragen von diesem Gefühl. Da möchte ich meinen Teil zu diesem Ganzen beitragen und etwas zurückgeben.

 

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