One-Man-Show für das Artenwissen
In Zeiten von Klimawandel und Artensterben rückt das Thema Umweltbildung immer weiter in den Vordergrund. Zur gleichen Zeit gerät Artenwissen in Vergessenheit, sowohl beim Fachpersonal als auch bei Laien. Jürgen Feder hat es sich auf die Fahnen geschrieben, einen Beitrag zur Wissensverbreitung zu leisten und Menschen für die Flora zu begeistern.
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Höxter im Frühjahr 2013. Der große Hörsaal ist voller junger Menschen, der Lärmpegel steht ihrer Anzahl in nichts nach. Vorn, am Rednerpult, ein Mann, den die Gespräche der Studierenden nicht zu stören scheinen – obwohl ihm sicherlich bewusst ist, dass er gerade Gesprächsthema Nummer eins ist. Lässig steht er da, schlank, wettergegerbt, für die Jahreszeit erstaunlich braun gebrannt, sodass seine stahlblauen Augen noch intensiver wirken. Falls er nervös ist, verbirgt er das geschickt.
Und dann legt Jürgen Feder los. Einmal im Redefluss, lässt er sich kaum stoppen. Er sprüht förmlich vor Begeisterung, als er den Studierenden die Pflanzenwelt erklärt. Sein Publikum ist überrascht – so viel Enthusiasmus ist es nicht gewohnt. Und doch zieht Feder es in seinen Bann, wie er da steht, das Gesagte mit dem ganzen Körper unterstreicht, mit Pflanzen und Sätzen um sich wirft.
Doch der Extrembotaniker braucht kein großes Publikum, um sich für die artenreiche Flora zu begeistern. Sechs Jahre später, es ist Mitte Mai, sitzt er in seinem geparkten Skoda – fahrbarer Untersatz und Zweitwohnung zugleich – irgendwo im verschneiten Allgäu. Feder telefoniert. Am anderen Ende der Leitung eine junge Journalistin, die damals in Höxter studiert und seine Gastvorlesung miterlebt hat. Und selbst bei diesem Gespräch springt der Funke über. Der gebürtige Flensburger gerät wieder in Redefluss, schwärmt von den Arten, die er trotz Eis und Schnee entdeckt hat.
Frühe Prägung
Feder lebt seinen Beruf. Dabei ist seine Berufswahl kein reiner Zufall. Der Vater ist Gartenbauingenieur, schleppte Jürgen und seine Geschwister schon in frühester Kindheit raus ins Grüne. Die Begeisterung für die Arten kam da wie von selbst. „Selbstverständlich ist das aber nicht“, meint Feder. „Ich bin der Einzige von uns, der sich für Botanik entschieden hat. Mein Bruder zum Beispiel ist Zahn-Feinmechaniker geworden.“ Feder dagegen strebte seinem Vater nach, machte nach dem Abitur zuerst eine Lehre im Garten- und Landschaftsbau, studierte anschließend in Hannover Landespflege. Schon da wurde sein Talent in Sachen Artenkenntnis überdeutlich. Er trieb seine Prägung für die Flora schnell auf die Spitze, wie er selbst sagt. „Ich habe da schon die Professoren berichtigt oder ergänzt, was sie nicht wussten“, erinnert er sich. Das kam nicht bei jedem gut an, aber Jürgen Feder hat ein dickes Fell und seine Botschaft war ihm einfach zu wichtig, um zu schweigen. „Es fehlt einfach so viel an Artenkenntnis!“, ereifert er sich und ist wieder voll in seinem Element. „Die Leute kennen keine Arten mehr! Das ist fürchterlich!“
Es lag auf der Hand, dass die Bestimmung von Pflanzenarten auch das berufliche Leben des Landespflegers prägen sollte. „Für die Planung eigne ich mich nicht, ich kann nicht zeichnen“, gibt Feder lachend zu. Stattdessen arbeitete er nach dem Studium Werkverträge ab, führte umfangreiche Biotopkartierungen durch, vor allem in Niedersachsen. „So hab ich das in Wert gesetzt, was ich gesehen habe“, beschreibt er seine Arbeit. Dabei erweiterte er stetig sein Artenwissen – und war immer wieder geschockt, wie schlecht die Artenkenntnis bei Verantwortlichen in Büros und Behörden war. Da muss sich etwas ändern, das war ihm bald klar. Er veröffentlichte Dutzende Aufsätze über Arten und die Verbreitung derselben, unter anderem als Verleger der „Bremer Botanischen Briefe“. Bis heute dürften es fast 800 Veröffentlichungen sein.
Das Material dazu sammelt er in seiner Freizeit, denn die verbringt der 59-Jährige, der heute in Bremen lebt, fast ausschließlich unter freiem Himmel. „Ich bin ein Spürhund“, sagt er über sich. „Wo ich etwas sehe, halte ich an. Ich habe das Auto noch gar nicht richtig abgeschlossen, schon bin ich begeistert!“ Da werden auch schon mal Halteverbote und „Betreten verboten“-Schilder ignoriert oder Zäune überklettert. Wenn es etwas zu entdecken gibt, gibt es für Feder kein Halten mehr.
Der große Durchbruch
Die Chance, auch im großen Maßstab etwas zu bewegen, ergab sich eher durch Zufall. Der NDR suchte im Sommer 2012 Protagonisten für die Sendung NaturNah – für einen Beitrag über das Leben entlang von Autobahnen. Eingeladen wurden der Fledermausexperte Cornelius Hemmer, der Jäger und Förster Matthias Steinhöfel – und eben Jürgen Feder. Feders überschwängliche Begeisterung im krassen Kontrast zu der ruhigen, sachlichen Stimme des Sprechers: Das bleibt in Erinnerung. Und das nicht nur bei den Zuschauern. Auch Stefan Raab wurde auf ihn aufmerksam und lud ihn in die Sendung TV total ein. Drei Wochen nach der Erstausstrahlung im NDR wurde aus Jürgen Feder der Extrembotaniker. Er erlangte plötzlich einen unerwarteten Bekanntheitsgrad.
Inzwischen war der Bremer in fast allen Sendern zu sehen. Seine Prominenz nutzt er aus, denn er hat ein Ziel: Menschen für die Pflanzen zu begeistern. „Die Artenkenntnis ist eine Katastrophe. Das Wissen muss doch vermittelt werden! Aber Nichtwissen ist heute ja Einstellungsmerkmal!“, ereifert sich Feder. Also hat er es sich zur Lebensaufgabe gemacht, Laien wie Experten in Artenkenntnis zu schulen – natürlich nicht durch dröge Vorträge, sondern mit seiner ganz eigenen Art, durch die Brille des extrovertierten Extrembotanikers.
Neue Einkommensquellen
Heute verdient er seine Brötchen mit drei Säulen: mit Fernsehauftritten, Büchern und Exkursionen. Fast jedes Wochenende können Interessierte ihn begleiten. Fünf oder mehr Stunden überschwemmt er dann die Exkursionsteilnehmer mit einer nicht enden wollenden Informationsflut, dass hinterher die Köpfe rauchen. „Vieles haben die gleich wieder vergessen“, meint er. „Aber das ist nicht schlimm! Es gibt immer zehn, 20 Arten, an die erinnern die sich! Damit habe ich schon etwas erreicht!“
So auch an einem Samstag in Immendingen, nahe der Donauversickerung. Gegen 11 Uhr trudeln die Exkursionsteilnehmer ein. Manche allein, manche in kleinen Gruppen. Eine Dame kommt extra aus der Schweiz, andere sind aus Stuttgart und Offenburg angereist. Die älteren sind durch seine Bücher auf ihn aufmerksam geworden, die jüngeren durch seine Auftritte bei TV total – er hat einfach Kultstatus. Auch Feder selbst ist schon da. Er ist bereits seit Stunden auf den Beinen, hat das ganze Gebiet erkundet. „Da finde ich dann schon so viel, das kann ich in den paar Stunden gar nicht vermitteln!“ Das hat er schon im Vorfeld angekündigt. Und die Teilnehmer sollen nicht enttäuscht werden.
Los geht’s im Autokorso zu einem kleinen Waldparkplatz. Kaum ausgestiegen, begeistert sich Feder schon – für den schmalen Grünstreifen zwischen Parkplatz und Straße. „Über so einen Streifen freuen wir uns, selbst wenn hier jetzt noch gar keine Raketen wachsen!“ Und dann gibt es kein Halten mehr. Feder springt vom Persischen Ehrenpreis zum Attich, vom Alpen-Ziest zur Mandelblättrigen Wolfsmilch. Er weiß zu fast jeder Pflanze eine Geschichte zu erzählen, ist ob der baden-württembergischen Artenvielfalt völlig aus dem Häuschen.
Fast zwei Stunden später geht es dann zur nächsten Station, dem Auwald an der Donauversickerung. Feder führt den Korso wieder an – und hält den Verkehr auf. Wenn er etwas sieht am Straßenrand, stoppt er mitten auf der Straße, steigt aus und kümmert sich nicht um die fassungslosen Blicke der anderen Verkehrsteilnehmer. Endlich am Ziel angekommen, wartet der Extrembotaniker kaum ab, dass alle ausgestiegen sind, sondern redet sofort weiter. Immer auch in Interaktion mit den Teilnehmern, die er auch gerne mal auf die Schippe nimmt. Trockene Vorträge sind seine Welt nicht, ein bisschen schwarzer Humor gehört dazu.
Inzwischen sind die angekündigten drei Stunden der Exkursion längst vorbei. Feder juckt das nicht, er hat noch so viel zu zeigen. Weiter geht ' s an die Hänge über der Versickerung zu Habichtskräutern und Kreuzblümchen. Er entdeckt Mücken-Händelwurz und Kreuz-Enzian, versteht es, seinen Zuhörern die Besonderheiten jeder einzelnen Art zu vermitteln. Auch die Vegetation der Trockenstandorte begeistert ihn – was war auch anderes zu erwarten.
Schließlich, nach etwa sechs Stunden, erreicht die Exkursion ihr Ende. Locker 100 Arten hat Feder heute vorgestellt, wahrscheinlich sogar mehr. Er wirkt nicht im Mindesten erschöpft, ganz im Gegensatz zu seinen Begleitern. Am zurückgelegten Weg kann es nicht liegen – keine fünf Kilometer Strecke sind wir gelaufen. „Meine Exkursionen sind was für Fußkranke“, witzelt Feder. „Für Leute mit Holzbein, mit Raucherlunge.“
Viele begleiten Feder auch mehrfach bei seinen Exkursionen. Sozusagen sein ganz persönlicher Fanclub. Diesen Bekanntheitsgrad verdankt er den Medien, die ihn mit seiner extrovertierten Art für sich entdeckt haben. Denn Selbstvermarktung ist für ihn ein Fremdwort. „Marketing liegt mir total nicht“, gesteht Feder freimütig ein. „Ich mache das, weil es mir Spaß macht. Bestimmt könnte man da noch viel mehr machen.“ Besonders viel verdient er dabei nicht, aber er braucht nicht viel zum Leben. Für ihn steht nun einmal eindeutig die Pflanzenwelt im Fokus, das ist in seiner kompletten Medienpräsenz kaum zu übersehen. „Ich bin ein Aufklärer, ein Finder, ein Schnüffler!“ Und einmal auf eine Pflanzenfährte losgelassen, ist er nicht mehr zu bremsen. Feder kann jahrelang nach einer bestimmten Art suchen, bis er sie dann endlich entdeckt. Aber er begeistert sich ebenso für häufige Arten, gerade für Überlebenskünstler in der Stadt. Jede Pflanze scheint sein ganz persönlicher Topf voll Gold am Ende des Regenbogens zu sein.
Philosophie
„Ich folge meiner Nase, ich folge meinem Bauch, ich folge meiner Intuition. Es gibt so viel zu entdecken, das begeistert mich einfach! Und ich will andere mit dieser Begeisterung anstecken.“
Betriebsdaten
• Gründung:2013
• Gesellschaftsform:selbstständig
• Mitarbeiter:keine
Weitere Infos
... und Filme finden Sie unter Webcode NuL4816 und auf Youtube:
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