Landschaftswerk Biel-Seeland
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Wie passen Landschaftspflege, ein Fahrradverleih und eine Kinderkleiderbörse zusammen? Was auf den ersten Blick etwas konzeptlos wirkt, bildet bei genauerem Hinsehen ein homogenes Ganzes: ein Unternehmen, das gleichermaßen der Landschaft wie den Menschen helfen will. Das ist das Landschaftswerk am Schweizer Bielersee.
Alles fing in den 1930ern an. Damals gründeten die Behörden der Anrainergemeinden des Sees einen Verein, um das Gewässer und die Landschaft um den Bielersee gemeinsam besser schützen zu können. Damit hatten sie auch Erfolg, die Zusammenarbeit erwies sich als positiv – bis sich etwa 50 Jahre später zwei große Problemfelder auftaten: das Waldsterben und die Umweltverschmutzung. Letztere äußerte sich vor allem im Rückgang der ehemals dichten, geschlossenen Schilfgürtel am Seeufer.
Doch was tun? Hier kommt Christoph Iseli ins Spiel. Der Forstingenieur führte seit den 80ern ein eigenes Unternehmen, und er erhielt vom Verein Netzwerk Bielersee den Auftrag, die Ursachen des Schilfrückgangs zu ergründen. Die Herausforderung dabei: Man wusste nur wenig über die ökologischen Zusammenhänge in Seen, und ingenieurbiologische Maßnahmen an stehenden Gewässern waren nur wenig erprobt. Iseli begann mit eigenen Beobachtungen, aufbauend auf dem Wissen, das er im Studium erworben hatte. Schließlich entwickelte er ein Schilfschutzkonzept für den See, mit dem Ziel, den Rückgang zu stoppen und die Entwicklung neuer Schilfgürtel zu fördern.
Ausgeführt wurden seine Handlungsvorschläge von den Zivilschutzeinheiten. Dann, 1993: Wirtschaftskrise. Die Arbeitslosenzahlen in der Schweiz stiegen signifikant. Der Verein reagierte und schwenkte um: Das „Arbeitswerk“ wurde gegründet – ein Beschäftigungsprogramm für die Arbeitslosen, die nun anstelle der Zivilschutzeinheiten unter Anleitung ökologische Arbeiten erledigten. Immer fachlich begleitend dabei sind: Christoph Iseli und sein Team.
Heute, knapp 30 Jahre später, hat sich einiges verändert: Aus dem Arbeitswerk wurde das Landschaftswerk, und statt der Arbeitslosenbeschäftigung steht heute die Integration von sozial Benachteiligten und Asylbewerbern im Fokus. „Die Arbeit gibt diesen Menschen mit einer festen Tagesstruktur Halt“, erklärt Iseli. „Die Identifizierung mit ihrer Arbeit gibt ihnen neue Selbstachtung.“ Überhaupt ist die Arbeit mit den Menschen einer der größten Antriebe für den Forstingenieur. „Der größte Erfolg ist, wenn sich die Projektmitarbeiter mit der Sinnhaftigkeit unseres Tuns identifizieren!“
Derzeit sind 65 Vollzeit-Programmplätze verfügbar. Da die meisten in Teilzeit arbeiten, können so über 100 Menschen gleichzeitig im Landschaftswerk einer gemeinnützigen Arbeit nachgehen. Und noch etwas hat sich verändert: Christoph Iseli ist nicht länger selbstständig. 2015 fusionierte sein Unternehmen mit dem Betrieb, den er mit aufgebaut hat. Iseli gestaltet ihn, als Teil der Geschäftsleitung, weiter aktiv mit.
Natürlich arbeitet nicht jeder Programmteilnehmer und jede Programmteilnehmerin in der Landschaftspflege. „Der Job ist körperlich sehr anstrengend“, erklärt Iseli. „Und die Leute müssen auch ganzjährig draußen sein.“ Das Landschaftswerk hat sein Portfolio deshalb erweitert – unter anderem um einen Fahrradverleih, einen Lieferdienst und eine Kinderkleiderbörse. Die Abteilungen koordinieren sich in regelmäßigen Sitzungen miteinander – in einem selbstverständlichen Sprachmix aus Französisch und Deutsch: Biel ist nämlich bilingual. „Letztendlich spricht jeder in der Sprache, die ihm lieber ist. Übersetzt wird nicht“, erzählt Iseli.
Die Landschaftsplanung und Landschaftspflege bleiben trotzdem eigenständige Abteilungen. Geleitet wird die Landschaftsplanung von Christoph Iseli, die Hierarchie im Team ist aber sehr flach. Schließlich ist man auch nur zu dritt: Neben Iseli ergänzen zwei Umweltingenieure, Lea Fluri und Björn Fuhrer, das Team. Während Iselis Spezialgebiet die Seeufer sind und Fuhrer der Artenspezialist ist, hat Fluri sich auf die ökologische Baubegleitung von Gewässerrevitalisierungsprojekten und die Umweltverträglichkeitsprüfung bei der Erweiterung von Kiesgruben spezialisiert. Meist arbeiten die drei jedoch als Team. „Hier darf jeder alles“, lacht Fluri. Bei größeren Aufträgen arbeiten die drei häufig mit anderen Unternehmen zusammen – als Partner, das ist für Iseli wichtig zu betonen. Die Zusammenarbeit mit Architekten, Bauingenieuren oder Artenspezialisten erfolgt immer gleichberechtigt, das hat sich bewährt.
Auftraggeber sind meist die Gemeinden. Ihnen fehlen oft die ökologischen Kenntnisse, deshalb beauftragen sie das Landschaftswerk beispielsweise mit der Ausarbeitung von Jahrespflegeprogrammen. Außerdem stehen kantonale Naturschutzfachstellen wie auch private Steinbruchbetriebe auf der Kundenliste der Landschaftsplaner. In direkter Konkurrenz zu anderen Unternehmen steht das Unternehmen dabei nur bedingt: Als gemeinnützige Organisation ist das Landschaftswerk auf Tätigkeiten mit öffentlichen Zwecken ausgerichtet. Iseli hat dabei einen ganz eigenen Blick auf das Marktgeschehen. „Jeder Betrieb ist einzigartig“, meint er. „Wichtig ist zu erkennen, dass für die Planung und Umsetzung von größeren Projekten kein Unternehmen über alle nötigen Kompetenzen alleine verfügt. Gerade in der Ökologie, in der alles mit allem zusammenhängt, funktionieren wir als Teil eines Ganzen.“
Das Team generiert auch eigene Arbeitsinhalte: Seit fast 20 Jahren arbeitet Iseli unter anderem mit der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne und der Berner Fachhochschule an Forschungsprojekten zur Seeuferdynamik. „Wir wussten damals, dass wir sehr wenig wissen“, meint der Forstingenieur rückblickend. „Inzwischen haben wir viel über die ökologischen Zusammenhänge und den Wellenschlag gelernt.“ Die Forschungsergebnisse publiziert Iseli, wenn Zeit dazu bleibt: Erst kürzlich hat er eine Hilfestellung für die Revitalisierung von Seeufern veröffentlicht – sie fußt auf den Erfolgen bei der Revitalisierung des Bielersees. Diese Publikationen in seiner Freizeit sind dem Planer wichtig: „Nur durch wissenschaftlichen Austausch entsteht Erkenntnisgewinn!“
Doch die Zukunft ist ungewiss: Der Klimawandel ist die unbekannte Variable, die sich wesentlich auf die Arbeit der drei Landschaftsplaner auswirken wird. „Wir erleben gerade – besonders nach den letzten Trockenjahren – dass neue Herausforderungen auf unsere Arbeit zukommen“, stellt Lea Fluri fest. Das bezieht sich auf die Pflege der Schutzwälder, die in der Schweiz von größter Bedeutung sind, genauso wie auf die Fließgewässer, die Seen und die Amphibienschutzprojekte des Landschaftswerks.
Auch sonst ist die Zukunft nicht in Stein gemeißelt. Vor allem die politische Lage im Land prägt die Arbeit im Natur- und Landschaftsschutz. „Es ist ein ständiger Daseinskampf“, meint Iseli. „Man predigt immer wieder das Gleiche, doch die Räder der Behörden drehen langsam und die Stellung und Wichtigkeit der Ökologie werden immer wieder in Frage gestellt.“
Hinzu kommt: In zwei Jahren wird Christoph Iseli pensioniert. Sein riesiger Wissensschatz steht dem Büro dann nicht mehr vollumfänglich zur Verfügung. Schon jetzt überlegt das Team, wie die Neustrukturierung dann aussehen kann. Die Vision derzeit: Zurück zu den Wurzeln, die in der Landschaftsökologie liegen, und mehr eigene Projekte entwickeln, um die ökologischen Zusammenhänge im Seeland weiter zu stärken. Ob es wirklich so kommt? Die Planer sind sich nicht sicher, zu viele Faktoren lassen sich heute nicht abschätzen. Klar ist aber: Sie werden sich auf die neue Situation einlassen. Christoph Iseli bringt es auf den Punkt: „Change-Management ist angesagt!“
- Gesellschaftsform: AG
- Gründung: 1993 als Projekt des Verrein Netzwerk Bielersee, Überführung in Aktiengesellschaft 2007
- Mitarbeiter: 23, davon 3 Landschaftsplaner, 9 Landschaftspfleger. Zusätzlich jährlich ca. 250 Programmteilnehmer
- Aufgabenfelder: Ökologische Landschaftspflege, Landschaftsplanung, Kleiderbörse, Fahrradverleih, Hauslieferdienst
Landschaftswerk Biel-Seeland AG
Mattenstrasse 133
CH-2501 Biel
+41 (0)32 328 11 33
„Wir müssen und können nicht alles selbst wissen. Deshalb arbeiten wir mit anderen zusammen als gleichwertige Partner. Wir verstehen uns als Betrieb, der öffentliche Leistungen erbringt und wollen die regionale Identität fördern.“.
Autoren
Lea Fluri schloss erst eine Ausbildung als Primarlehrerin ab, bevor sie ein Bachelorstudium in Life Sciences an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften absolvierte. Seit 2015 arbeitet sie im Landschaftswerk Biel-Seeland, wo sie unter anderem Projekte in den Bereichen Amphibienförderung, Revitalisierung und Pflege von Fließgewässern und Umweltverträglichkeitsberichte bearbeitet.
Björn Fuhrer, in Erstausbildung Kartograf, absolvierte anschließend ein Bachelorstudium in Life Sciences an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und arbeitet seit 2018 als Mitarbeiter im Landschaftswerk Biel-Seeland. Er befasst sich mit der Pflege, Aufwertung und Renaturierung von Seeufern, Fließgewässern, Waldrändern sowie Feucht- und Trockenwiesen.
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