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Das Phänomen der pluralistischen Ignoranz

Ist eine gefühlte Minderheit die Mehrheit für Ressourcenschutz?

Biodiversitätskrisen wie die anderen globalen Krisen bilden das Ergebnis der Summe einer großen Zahl von Treibern. Zwei Beispiele nehmen wir in der vorliegenden Ausgabe in den Fokus: Die Bremsenfallen auf Pferdekoppeln und Reiterhöfen fangen beileibe nicht nur Bremsen. Im Gegenteil, sie können einen Beifang von mehr als 95 % verursachen. Angesichts von 1,3 Millionen Pferden in Deutschland könnte das eine bisher unbeachtete Mitursache des Insektensterbens sein. Beispiel zwei: Bahn-Gleisschotter bietet vielen Reptilien einen willkommenen Sekundärlebensraum. Pro Kilometer Strecke konnten teilweise mehr als 1.000 Mauereidechsen gefangen werden, Hunderte Zauneidechsen und Blindschleichen, zig Schlangen. Was aber, wenn die Gleisbetten saniert und der Schotterkörper ausgetauscht oder gereinigt wird? Im Widerspruch zu manchen Leitfäden ist das ein starker Gefährdungsfaktor für die vielfach europarechtlich relevanten Reptilienarten.

von Eckhard Jedicke erschienen am 01.06.2025
© privat
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Erosion der Umweltziele

Viele kleinere Gefährdungstreiber wären vielleicht noch ausgleichbar, wenn die politischen Entscheidungen im Großen Positives bewirken würden. Aber hier wird gerade ganz massiv der Rückwärtsgang eingelegt. „Unnötige bürokratische Belastungen“ anzuprangern, häufig bar jeder differenzierten Sachkenntnis, ist gerade erschreckend salonfähig. Beispiel Brüssel: Die Europäische Kommission hat ihr GAP-Vereinfachungspaket 2.0 vorgestellt, um den Verwaltungsaufwand der Agrarförderung zu reduzieren. Geradezu doppelzüngig betont die Kommission, die Umwelt- und Sozialstandards nicht abzusenken, um zugleich zuzulassen, dass die Dauergrünlandflächen statt bisher „nur“ um 5 % künftig um 10 % gegenüber dem Referenzjahr 2018 schwinden dürfen. Das macht nach erstem Überschlag in Europa 125 Mio. Tonnen zusätzliche CO2-Freisetzung. Wurde nicht gerade erst bekannt, dass die Treibhausgasemissionen im Landnutzungssektor Deutschlands um 65 Mio. t über dem Zielwert 2030 liegen (siehe vergangene Ausgabe unserer Zeitschrift)? Das und weitere Vorschläge bedeuten eine handfeste Erosion der wenigen wirksamen Umweltziele der GAP.

Analysiert man den Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung, droht nach diesem Muster weiteres Unheil. Nicht zuletzt die massiven Bauernproteste haben die beabsichtigte Wirkung nicht verfehlt: In vorauseilendem Gehorsam startet ein Kahlschlag an den zaghaften Ansätzen einer umweltgerechten Entwicklung. Der Bauernverband stößt nach und ruft gerade im Saarland zu einer Demonstration gegen die EU-Wiederherstellungsverordnung auf. In dasselbe Horn tuten verschiedene Landwirtschaftsminister.

Make Science great again

Unter dem Hashtag „Make science great again“, dem politischen Slogan Donald Trumps entlehnt, beginnt gerade die Wissenschaft (hier und da) aufzustehen. Da mag man auch den politisch Handelnden in Deutschland und Europa zurufen: Hört doch auf die Evidenz der Fakten und nicht das Geschrei der simplifizierenden Lobbyisten und der Populisten! Hört auf die schweigende Mehrheit. Die Psychologie hat das als „pluralistische Ignoranz“ beschrieben: Man hat den Eindruck, in der Minderheit zu sein, wenn man tatsächlich in der Mehrheit ist. 69 % der Menschen weltweit wären bereit, einen Teil ihres Einkommens für den Klimaschutz herzugeben – schätzen den Anteil ihrer Mitmenschen, die ihnen gleichtäten, aber nur auf 43 %. Ist es abwegig zu glauben, dass in Deutschland und Europa die Unterstützung für den Schutz der essenziellen Ressourcen Klima, Boden, Wasser und Biodiversität ähnlich ausfällt? Das Umweltbundesamt untermauert diese These mit der Umweltbewusstseinsstudie 2025, wenn auch mit sinkenden Zahlen.

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