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Interview mit Tanja Straka und Ingo Kowarik

Arten-Einerlei?

Je jünger die Menschen, desto weniger sind sie in der Lage, selbst häufige Tier- und Pflanzenarten zu erkennen. Gleichermaßen sinkt ihre Verbundenheit zur Natur und die Bereitschaft, sich für die Natur einzusetzen. Das ist ein wesentliches Ergebnis einer Studie, die kürzlich in „Ambio“ erschien. Darin wurde unter Leitung von Prof. Dr. Tanja Straka und Prof. Dr. Ingo Kowarik erstmals systematisch untersucht, wie sich Jugendliche sowie junge und ältere Erwachsene hinsichtlich ihres Naturkontakts, der Artenkenntnis, der Naturverbundenheit und der Bereitschaft, sich für die Natur einzusetzen, unterscheiden. Wir haben mit den Studienleitenden gesprochen.

von Julia Bächtle erschienen am 29.07.2025
Selbst häufige Arten wie das Rotkehlchen kennen viele Menschen nicht mehr. © Julia Bächtle
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Zur Person
Prof. Dr. Tanja Straka
ist Gastprofessorin für den Lehrstuhl der Stadtökologie an der Freien Universität Berlin. Ihre Leidenschaft ist es, ökologische Forschung mit sozialwissenschaftlichen Theorien zu verbinden. tanja.straka@fu-berlin.de
Zur Person
Prof. Dr. Ingo Kowarik
hat 1999–2021 das Fachgebiet für Ökosystemkunde/Pflanzenökologie an der Technischen Universität Berlin geleitet. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Stadtökologie, Naturschutz und Neobiota. kowarik@tu-berlin.de
Redaktion: Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, war ich in meiner Schulklasse die Einzige, die sich für Fauna und Flora interessiert hat und schon im Teenageralter zahlreiche Arten kannte. Das war vor 20 Jahren. Hat sich die Situation seither noch verschlimmert? Ingo Kowarik: Wir wissen aus vielen Untersuchungen, dass die Kenntnisse über die Natur speziell auch bei jüngeren Leuten immer mehr abgenommen haben. Früher waren die Kenntnisse größer, offensichtlich gab es auch mehr Kontakt zur Natur als heute. Tanja Straka: Wir erleben quasi eine „Generational Amnesia“: Das Wissen nimmt von Generation zu Generation ab. Geprägt haben diesen Begriff Forschende aus England, diese Entwicklung war auch in unserer Studie erkennbar. Redaktion: Welche Faktoren tragen Ihrer Meinung nach am stärksten zu diesem Wissensverlust bei? Ingo Kowarik: Die Gründe kennen wir nicht im Einzelnen, aber es ist zu vermuten, dass früher auch die Lehrer mehr Tier- und Pflanzenarten kannten und Artenwissen stärker weitergeben konnten, ebenso wie Erwachsene in der Familie. Und heute, auch aufgrund veränderter Lebensstile, sieht es halt ganz anders aus, selbst wenn Jugendliche und Kinder draußen sind. Sie beschäftigen sich tendenziell mit anderen Sachen als die Generationen vor ihnen. Tanja Straka: Hinzu kommt das Shifting-Base-Line-Syndrom: Wenn Arten zurückgehen und wir sie kaum noch sehen, verlieren wir nicht nur die Möglichkeit, sie kennenzulernen, auch unser Empfinden dafür, was schützenswert ist passt sich an. So kann eine artenarme Umgebung zur Norm werden. Ingo Kowarik: Ein weiterer Aspekt ist fehlende Umweltgerechtigkeit: Viele Kinder, Jugendliche oder auch Erwachsene haben in dicht bebauten Stadtvierteln keinen Zugang zu artenreichen Flächen.
Wo Blüten fehlen, sind Schmetterlinge wie das Tagpfauenauge (
<i>Aglais io</i>
) selten.
Wo Blüten fehlen, sind Schmetterlinge wie das Tagpfauenauge ( Aglais io ) selten. © Julia Bächtle
Redaktion: Welche langfristigen Folgen könnte dieser Trend für den Naturschutz und die Landschaftsplanung haben? Tanja Straka: Wir wollten mit unserer Studie herausfinden, wie Artenkenntnis und Naturverbundenheit mit der Bereitschaft zusammenhängen, sich für den Naturschutz einzusetzen. Wir haben einen Zusammenhang festgestellt zwischen hoher Artenkenntnis und einer höheren Naturverbundenheit und wiederum mit einer höheren Absicht, sich für die Natur einzusetzen. Der Verlust an Artenkenntnis kann daher auch den Rückhalt für Naturschutz gefährden. Redaktion: Kurz zusammengefasst im altbekannten Satz „Man kann nur schützen, was man kennt“? Tanja Straka: Genau, aber erweitert um die emotionale Komponente. Die emotionale Verbundenheit mit der Natur ist neben Artenkenntnis ein wichtiger Bestandteil für die Bereitschaft, sich für die Natur einzusetzen. Das konnten wir in unserer Studie noch bestätigen. Redaktion: Welche Maßnahmen wären aus Ihrer Sicht notwendig, um dem Rückgang der Artenkenntnis entgegenzuwirken und eine stärkere Naturverbundenheit in der Gesellschaft zu verankern? Ingo Kowarik: Die Artenkenntnis, die Naturverbundenheit und die Bereitschaft, sich für die Natur einzusetzen, waren in unserer Studie bei Jugendlichen geringer als bei älteren Teilnehmenden. Das ist bedauerlich. Es gibt jedoch auch ein ermutigendes Ergebnis: Der Pfad von der Artenkenntnis über die Naturverbundenheit zur Bereitschaft, sich für die Natur einzusetzen, ist über alle Altersgruppen noch intakt. Da kann man andocken, indem man sich dafür einsetzt, dass jüngere Leute eben mehr Kenntnisse und auch emotionale Beziehungen zur Natur aufbauen. Redaktion: Welche Weichenstellungen braucht es, um diesen Pfad wieder zu intensivieren? Ingo Kowarik: Das eine ist: Es muss ausreichend biologische Vielfalt in der Lebensumwelt der Menschen vorhanden sein. Das ist gerade in der Zeit sich verdichtender Städte und Wohnungsnot ganz wichtig. Wir brauchen Biodiversität auch dort, wo die Menschen leben, lernen oder arbeiten. Das zweite ist, dass im Biologieunterricht, in den Schulen, aber vielleicht auch schon im Kindergarten und später auch in der universitären Ausbildung, Biodiversität häufig nur relativ abstrakt vorkommt. Die Artenkenntnis und das Erleben von Tieren und Pflanzen bleiben dabei oft auf der Strecke. Aber es gelingt nur, Menschen an die Natur heranzuführen, wenn sie Pflanzen anfassen und an ihnen riechen und schnuppern und sie draußen wiedererkennen. Das ist so ungemein wichtig. Das muss man stärken in allen Curricula. Und das ist, glaube ich, wirklich eine Herausforderung, weil es oft als nicht hypermodern gilt. Aber Naturwissen und Naturerleben sind essenziell für den gesellschaftlichen Rückhalt für die Erhaltung der Natur – heute wie morgen. Und schließlich können auch Veranstaltungen wie der „Lange Tag der StadtNatur“ in Berlin und anderen Städten Menschen wieder an die Biodiversität heranführen. Redaktion: Welche Rolle könnten Schulen und Universitäten spielen, um das Interesse an der Natur und die Artenkenntnis wieder zu fördern? Ingo Kowarik: Neben der Familie haben Ausbildungseinrichtungen eine entscheidende Rolle. Aus der Uni weiß ich aber, dass an vielen Standorten Artenkenntniskurse infrage gestellt werden. Die gelten oft als altbacken, als verzichtbar. Das sehe ich völlig anders. Und wir haben an der TU Berlin immer darauf geachtet, dass Bestimmungsübungen und Geländeübungen verpflichtend bleiben, obwohl das viel Lehrkapazität bindet. Und es gibt sie natürlich auch noch: Junge Leute, die sich „freiwillig“ mit Tieren und Pflanzen beschäftigen. Das finde ich klasse. Allerdings gilt häufig: Was man nicht machen muss, ist vielleicht nicht so wichtig. Insofern ist eine Mischung freiwilliger Elemente mit verpflichtenden Komponenten in der Ausbildung sinnvoll, in Schulen wie Universitäten. Damit Biodiversität in den Curricula stärker zum Strahlen kommt, brauchen wir natürlich auch mehr taxonomische Expertise in der Schullehrerausbildung. Tanja Straka: Wichtig ist dabei der richtige Zugang, der bei den jungen Menschen geschaffen werden muss – nicht nur Naturverbundenheit zu fördern, sondern auch das Gegenteil ernst nehmen: Natur nicht zu kennen, kann auch mögliche Ängste mit ihr fördern. Beispielsweise wenn ich nichts über Fledermäuse weiß, aber Fledermäuse in meinem Dachboden habe, kann dies manche Menschen nervös machen – gerade auch nach der Corona-Pandemie. Das Wissen über Arten und ihr Verhalten kann hierbei wiederum bei dem Umgang mit den Arten helfen. Redaktion: Kann auch die Landschaftsplanung und Landschaftsarchitektur einen Beitrag leisten? Tanja Straka: Wir haben am Ende unserer Studie diskutiert, wie man Grünflächen auch gestalten könnte, dass sie sowohl das Lernen als auch diese Verbindung mit der Natur fördern können. Es gibt bereits spannende Ansätze wie „Cues to Care for Nature“. Das sind kürzere Anleitungen, wie man mit der Natur in Kontakt treten kann. Einfach mal bewusst, achtsam, aufmerksam in der Natur sein. Welche Schmetterlinge siehst du vielleicht? Welche Vögel hörst du singen? Was riechst du? Also einfach darauf hinzuweisen, die Sinne zu schärfen, wenn man in der Natur ist, um diese emotionale Komponente zu stärken und das mit dem Lernen über Arten verbinden. Dann könnten Grünflächen sehr vorteilhaft sein, sowohl das Lernen als auch das Emotionale zu fördern. Ingo Kowarik: Natürlich sollte Biodiversität in Freiraumentwürfen und Pflegekonzepten eine größere Rolle spielen. Auch bei der Anpassung von Städten an den Klimawandel sollte Biodiversität immer mitgedacht werden. Wir leben ja in der „UN Decade of Restoration“ und haben uns verpflichtet, stärker zu renaturieren – überall, auch in Städten. Dort kann beispielsweise artenreiches Grünland an vielen Stellen wiederhergestellt werden. Wenn wir verlorene Biodiversität örtlich zurückholen, steigt auch die Chance, dass nachwachsende Generationen Naturerfahrungen neu gewinnen können. Das ist die soziale Dimension von Renaturierungen. Redaktion: Ich danke Ihnen für Ihre Sichtweisen!
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