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Im Dienst für Mensch und Umwelt

Ökosoziale Landwirtschaft am Beispiel der Alpen

Abstracts

Wir folgen der Hypothese, dass die Soziale Landwirtschaft, neben den sozialen Dienstleistungen, als „ökosozial“ auch dem Natur- und Ressourcenschutz dient und zum Erhalt einer multifunktionalen Kulturlandschaft beiträgt. In den Alpen werden die Landnutzung und die Landschaftsentwicklung vor dem Hintergrund des globalen Wandels und der sozioökonomischen Transformation vor besondere Herausforderungen gestellt. Die negativen Auswirkungen der Abwanderung der Landbevölkerung bei zunehmender Urbanisierung, Klimawandel und Ressourcenverbrauch erfordern innovative Strategien und soziale Veränderungen, um eine nachhaltige Entwicklung der Berggebiete zu ermöglichen. Basierend auf den drei Kriterien (1) ressourcenschonende Landbewirtschaftung, (2) Aktivitäten für den Umwelt- und Naturschutz und (3) Umweltbildung oder Bildung für nachhaltige Entwicklung werden Fallbeispiele von Betrieben untersucht, die sich in der Sozialen Landwirtschaft engagieren. Der regionale Fokus liegt auf Betrieben in den Regionen Südtirol-Trentino, Venetien, Friaul, Kärnten, Steiermark und Tirol, und damit in den Alpen und dem südlichen Voralpenland. In 22 Betrieben werden semi-strukturierte Interviews durchgeführt. Hierbei zeigt sich, dass bei allen Betrieben mindestens ein ökologisches Kriterium der ökosozialen Landwirtschaft umgesetzt wird. Wir leiten aus unseren Ergebnissen eine Best Practice der ökosozialen Landwirtschaft ab, die auch als beispielhaft für andere Bergregionen gelten kann. Serving people and the environment – eco-social agriculture using the example of the Alps

We follow the hypothesis that social agriculture is an eco-social is a strategy that, in addition to social benefits, also serves the protection of the environment and natural resources, as well as contributing to the preservation of a multifunctional cultural landscape. In the Alps, land use and landscape development are facing challenges in the context of global change and socio-economic transformation. The negative effects of rural emigration and the simultaneous increase of urbanization, climate change, and resource consumption call for innovative strategies and social changes in order to enable sustainable development of mountain areas. We analyzed case studies of initiatives engaged in social agriculture based on three ecological criteria, (1) sustainable land management, (2) activities regarding environmental and nature conservation, and (3) environmental education and education for sustainable development. The focus is on the regions of South Tyrol-Trentino, Veneto, Friuli, Carinthia, Styria, and Tyrol in the Alps and the southern Alpine foothills. Semi-structured interviews with managers were performed for 22 initiatives. The results show that all farms implemented at least one ecological criterion of eco-social agriculture. From the results, best practice initiatives of eco-social agriculture can be derived, which can also be considered as exemplary for other mountain regions.

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Abb. 1: Die Soziale Landwirtschaft verwendet vorwiegend biologisch-ökologische Anbaumethoden, wie hier am Beispiel der Sozialgenossenschaft Terre Altre im Fleimstal, Provinz Trient (Italien).
Abb. 1: Die Soziale Landwirtschaft verwendet vorwiegend biologisch-ökologische Anbaumethoden, wie hier am Beispiel der Sozialgenossenschaft Terre Altre im Fleimstal, Provinz Trient (Italien).Terre Altre cooperativa sociale agricola
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1 Einleitung

Bergökosysteme sind ein wichtiger Bestandteil der europäischen Kulturlandschaften in Bezug auf materielle und immaterielle Ressourcen und Dienstleistungen, die sie für die Gesellschaft bereitstellen. Zudem beherbergen sie aufgrund ihrer naturräumlichen und kulturellen Vielfalt eine hohe Biodiversität. Jahrtausende lang haben Menschen durch traditionelle Landnutzungssysteme die Alpenlandschaften modifiziert und dadurch deren biologische Vielfalt gefördert (vergleicheBätzing2015). Die Gletschermumie „Ötzi“ legt Zeugnis dieser langen Siedlungsgeschichte ab (Oeggl2009). Allerdings stehen heute viele Alpenlandschaften vor den großen Herausforderungen der Bevölkerungsentwicklung (etwa Überalterung, Abwanderung der jungen Generation in die Metropolenregionen), des ökonomischen Strukturwandels (zum Beispiel Intensivierung der Landnutzung in den Tallagen, globaler Wettbewerb) und der globalen Umweltveränderungen, beispielsweise Klimawandel, Biodiversitätsverlust, Ressourcenknappheit und Erosion (Spehnet al. 2010,Tasseret al. 2005,Zerbe2019).

Seit den 1950er-Jahren hat die Berglandwirtschaft in den Alpen durch Kommerzialisierung, technologischen Fortschritt und die Agrarpolitik der Europäischen Union einen starken strukturellen Wandel erfahren. Landwirtschaftliche Aktivitäten werden folglich von den steilen und wenig produktiven Berghängen auf fruchtbarere und leichter zugängliche Flächen verlegt (Hoffmannet al. 2010,Streifenederet al. 2007). Die Auswirkungen dieser landwirtschaftlichen Nutzungsänderung auf die Umwelt zeigen sich im Verlust der Biodiversität von der Art, über die Ökosysteme bis hin zur Landschaft, in der Eutrophierung von Böden sowie Grund- und Oberflächenwasser, in der Bodenerosion sowie im Verschwinden traditioneller Kulturlandschaftselemente und in der Homogenisierung der Landschaft (Egarter-Viglet al. 2016,Zerbe2019). Vor diesem Hintergrund muss jede Initiative, die auf ressourcenschonende Produktionsweisen und lokale Wirtschaftskreisläufe abzielt sowie auf den Kriterien der Nachhaltigkeit basiert, als potenziell zukunftsweisend begrüßt werden. Dies entspricht zudem auch den Zielen der im Jahre 1991 implementierten Alpenkonvention.

Neben einer Landwirtschaft, die sich an geschlossenen ökologischen Kreisläufen und an einer ressourcenschonenden Wirtschaftsweise orientiert, wie etwa der ökologischen beziehungsweise biologisch-dynamischen Landwirtschaft oder der Permakultur, sehen wir in der Sozialen Landwirtschaft das Potenzial, einen Beitrag im Sinne einer starken Nachhaltigkeit zu leisten (vergleicheOtt & Döring2008,Van Elsen & Götz2000). Wir folgen der Hypothese, dass die Soziale Landwirtschaft neben den sozialen Diensten auch einen Mehrwert für den Natur-, den Ressourcen- und den Kulturlandschaftsschutz erbringen kann und damit „ökosozial“ ist. Ausgehend von der Definition der Sozialen Landwirtschaft im Alpenraum, entwickeln wir ökologische Kriterien für eine ökosoziale Landwirtschaft und prüfen diese anhand von Fallbeispielen in den Alpen und dem Voralpenland. Zudem ermitteln wir die Rechtsformen und die involvierten Zielgruppen. Hieraus leiten wir Best-Practice-Beispiele der ökosozialen Landwirtschaft ab.

2 Was heißt Soziale Landwirtschaft?

Generell versteht man unter Sozialer Landwirtschaft, auch Green Care oder Care Farming genannt , alle landwirtschaftlichen Initiativen, die darauf abzielen, die Rehabilitation, Bildung, Gesundheit und Integration verschiedener Zielgruppen zu fördern; hierunter fallen auch pädagogische und pflegerische Dienstleistungen in ländlichen Gebieten, insbesondere für Kleinkinder und Senioren (Di Iacovo & O’Connor2009,Limbrunner & Van Elsen2013). Im weiteren Sinne gehören auch Initiativen der tiergestützten Therapie und Gartentherapie dazu. Historisch gesehen, haben Bauernhöfe schon immer landwirtschaftliche Arbeit als ein Instrument der Solidarität, der Selbsthilfe und der sozialen Inklusion eingesetzt, indem sie Familien- oder Gemeinschaftsmitglieder aller Generationen und zum Teil mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen im Hofalltag integriert und ihnen somit einen Platz in der Gesellschaft ermöglicht haben. Dementsprechend ist die Soziale Landwirtschaft ein traditionelles Konzept (Di Iacovo & O’Connor2009), welches heute unter anderen sozioökonomischen Rahmenbedingungen wiederbelebt beziehungsweise institutionalisiert wird.

Heute sind die Träger der Sozialen Landwirtschaft multifunktionale land- und/oder forstwirtschaftliche oder gartenbauliche Betriebe, Sozialgenossenschaften, Vereine oder von der öffentlichen Hand getragene Einrichtungen, die es Menschen mit besonderen Bedürfnissen ermöglichen, mittels einer Beschäftigung mit Pflanzen, Tieren und der Natur die eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten einzubringen und durch kollektives Zusammenarbeiten handwerkliche und soziale Kompetenzen zu erlangen oder einen Genesungsprozess zu unterstützen. Der Mehrwert der Sozialen Landwirtschaft liegt demnach nicht nur in der Erzeugung von Arbeitsplätzen, in der landwirtschaftlichen Produktion oder im Bereitstellen gesundheitlicher Dienstleistungen, sondern insbesondere in der sozialen Inklusion, der Vorsorge, der Bildung und der Erhöhung der Lebensqualität (Di Iacovo & O’Connor2009,Wiesingeret al. 2013).

Auf europäischer Ebene entstanden bereits in den Jahren 2006 bis 2009 Netzwerke der Sozialen Landwirtschaft, wie zum Beispiel das SoFar-Projekt, dass die sieben EU-Länder Belgien (Flandern), Deutschland, Frankreich, Irland, Italien, Niederlande und Slowenien vereinte (Di Iacovo & O’Connor2009). Zur gleichen Zeit entwickelten sich Netzwerke auf nationaler Ebene, wie beispielsweise die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Soziale Landwirtschaft (DASoL;Limbrunner & Van Elsen2013). Auf politischer Ebene gilt Italien mit einer entsprechenden Gesetzgebung zur Sozialen Landwirtschaft, welche Interventionsbereiche und die Rolle der involvierten Betriebe regelt (vergleiche Tab. 1), als Vorreiter staatlicher Organisation der Sozialen Landwirtschaft (RRN 2017).

3 Methode

3.1 Untersuchungsgebiet und Auswahl der Fallbeispiele

Im Rahmen eines Forschungsprojekts an der Freien Universität Bozen wurden Fallbeispiele in den Alpen und den südlichen Voralpen in Italien und Österreich und insbesondere in den Berggebieten der Regionen Trentino-Südtirol, Friaul, Venetien, Tirol, Steiermark und Kärnten untersucht. Bei den Fallbeispielen handelt es sich um landwirtschaftliche Betriebe, Sozialgenossenschaften, öffentliche Einrichtungen oder sonstige Projekte, die landwirtschaftliche Aktivitäten für therapeutische, pädagogische, pflegerische oder soziale Zwecke einsetzen. Generell zeichnet sich die Landwirtschaft in den Berglagen des Untersuchungsgebiets durch einen hohen Anteil an Grünlandwirtschaft und Tierhaltung auf den Almen aus. In den Tälern hingegen überwiegen intensive, stark mechanisierte Sonder- und Dauerkulturen, wie etwa die Apfelkulturen und der Weinbau in Südtirol. Tab. 1 stellt Daten zur Sozialen Landwirtschaft in den untersuchten Regionen im Überblick dar. Zu beachten ist hierbei, dass die Zahlen der Initiativen in Italien nur ungefähre Werte sind, da im Gegensatz zu Österreich (Wiesingeret al. 2013) bislang noch keine regionale oder nationale Gesamterhebung in diesem Sektor durchgeführt worden ist.

3.2 Kriterien für eine ökosoziale Landwirtschaft und Fallanalyse

Unsere Studie umfasst (1) eine Literaturrecherche, die den gegenwärtigen Forschungsstand zu den ökologischen Aspekten der Sozialen Landwirtschaft in Europa untersucht, und (2) eine Analyse von Fallbeispielen mittels halbstrukturierten Interviews mit den Betriebsleitern. Um die Betriebe, die Soziale Landwirtschaft praktizieren, im Hinblick auf deren Dienste für Natur und Umwelt zu bewerten, wurden drei Kriterien eingeführt, die in Tab. 2 differenziert und erläutert werden.

Für die Literaturrecherche im Internet wurden die Suchbegriffe „Soziale Landwirtschaft“ und „ Green Care “ in Kombination mit „biologischem Landbau“, „Umweltbildung“, „Umweltschutz“, „Biodiversität“ und „(Kultur-)Landschaft“ verwendet, um Studien beziehungsweise Informationen zu der Verknüpfung der Sozialen Landwirtschaft mit dem Natur-, Ressourcen- und Kulturlandschaftsschutz zu erfassen. Die analysierte Literatur umfasst deutsch-, englisch- und italienischsprachige Quellen, die im Zeitraum 2006 bis 2018 publiziert wurden. Ebenfalls durch eine Internetrecherche sowie durch die Befragung von Experten der Landwirtschaft wurden 22 Betriebe der Sozialen Landwirtschaft im Untersuchungsgebiet ausgewählt. Für die Auswahl der Betriebe wurden die österreichische Plattform „ARGE Green Care – Wo Menschen aufblühen“ (2019) und die beiden italienischen Online-Foren „Forum Nazionale Agricoltura Sociale“ (2019) und „Fondazione Campagna Amica – Coldiretti“ (2019) konsultiert.

Mit den Akteuren in den ausgewählten Betrieben, meist den Betriebsleitern, wurden halbstrukturierte Interviews durchgeführt, entweder telefonisch oder im Rahmen einer Ortsbegehung. Die angesprochenen Fragenkomplexe umfassten Daten zum Betrieb oder zur Initiative (zum Beispiel Beginn der Initiative, Rechtsform und Flächengröße), die spezifischen Tätigkeiten oder Angebote der Sozialen Landwirtschaft (zum Beispiel Zielsetzung, Angebote für Schulklassen, Therapieformen) und die drei ökologischen Kriterien (vergleiche Tab. 2). Neben diesen Fragenkomplexen wurden offene Gespräche geführt, um von den Betrieben oder Initiativen mehr über ihre spezifischen Erfahrungen, Motivation, Hürden und Potenziale zu erfahren. Aus den 22 Initiativen wurden zwei Best-Practice-Beispiele identifiziert, die alle unsere definierten Kriterien einer ökosozialen Landwirtschaft erfüllen. Diese beiden Initiativen werden hier kurz vorgestellt.

4 Ergebnisse

4.1 Ökosoziale Landwirtschaft in Europa

Bisher sind, mit 26 von uns ermittelten, erst wenige Studien zur Sozialen Landwirtschaft verfügbar, die auch ökologische Kriterien oder Aktivitäten im Umwelt- und Naturschutz miteinbeziehen. Nach unserer Recherche konzentriert sich der Großteil der Publikationen auf die therapeutische Wirksamkeit von Green Care (Garcia-Llorenteet al. 2018). Tab. 3 gibt einen Überblick über die Ergebnisse der Literaturrecherche. Studien aus ganz Europa zeigen, dass die Mehrzahl der Betriebe oder Initiativen der Sozialen Landwirtschaft ökologischen Landbau praktiziert.

4.2 Fallbeispiele der ökosozialen Landwirtschaft im Untersuchungsgebiet

Tab. 4 gibt einen Überblick über die von uns untersuchten 22 Fallbeispiele ökosozialer Landwirtschaft im Untersuchungsgebiet im Alpenraum und dem südlichen Voralpenland. Hierbei werden die Betriebsformen spezifiziert, die Zielgruppen identifiziert und der Bezug zur ökosozialen Landwirtschaft anhand der drei ökologischen Kriterien (Tab. 2) hergestellt. Im Mittel sind die Initiativen circa 12 Jahre alt. Die Hälfte der Initiativen sind als eher kleine (< 30 Klienten pro Jahr), die andere Hälfte als eher größere Betriebe mit bis zu 100 Klienten pro Jahr zu bezeichnen. 13 Betriebe sind ökologisch oder biologisch-dynamisch zertifiziert (Abb. 1). Acht Betriebe bewirtschaften vormals aufgelassene Agrarflächen (Abb. 2) und neun Betriebe bauen über 40 Nutzpflanzen, darunter alte Kultursorten an. Hinzu kommt die Imkerei, die wir bei fünf Initiativen ermittelt haben. Charakteristisch für einige Initiativen ist der Vertrieb direkt ab Hof (Hofläden).

4.3 Best Practice der ökosozialen Landwirtschaft

Auf der Grundlage unserer untersuchten Fallbeispiele konnten wir die folgenden zwei Betriebe als Best-Practice-Beispiele einer ökosozialen Landwirtschaft identifizieren:

Landwirtschaftliche Genossenschaft der friaulischen Täler und Dolomiten

Diese Genossenschaft wurde im Februar 2017 gegründet (Tab. 4), mit dem Ziel, gemeinsam mit landwirtschaftlichen Betrieben, Behörden und Bewohnern aus 19 Gemeinden der Provinz Pordenone in Norditalien, lokale Produktionsressourcen, Kompetenzen und Netzwerke neu zu organisieren, um wirtschaftliche und soziale Innovation und damit die Regionalentwicklung anzuregen. Die Genossenschaft fördert die Arbeitsintegration von Menschen mit verschiedenen Beeinträchtigungen oder mit Migrationshintergrund, indem sie die Möglichkeit erhalten, in den 25 Mitgliedsbetrieben ein Praktikum zu absolvieren. Die Genossenschaft selbst besitzt eine Herde von ca. 500 Schafen für die Fleisch- und Milchproduktion. Mit der Schafhaltung konnten ca. 70 ha aufgelassener Almweiden einschließlich einer alten Käserei reaktiviert und damit die Verbuschung und Wiederbewaldung der Almen zurückgedrängt werden. Zudem plant die Genossenschaft, alte Hirtenwege dem Tourismus zu öffnen und somit Menschen für die Berglandwirtschaft und die Bedeutung der Beweidung zum Erhalt der traditionellen Kulturlandschaft zu sensibilisieren.

Landwirtschaftliche Sozialgenossenschaft Terre Altre

Die Sozialgenossenschaft, im Val di Fiemme der norditalienischen Provinz Trient gelegen, wurde 2013 gegründet (Tab. 4). Sie verbindet Aktivitäten der traditionellen, biologisch-dynamischen Berglandwirtschaft mit einer Vielfalt an sozialen und pädagogischen Tätigkeiten. Die sozialen Angebote reichen von Programmen der Arbeitsintegration, von Schulgärten und Kinderbetreuungen in den Sommermonaten über lokale Veranstaltungen, Märkte und Konzerte bis hin zu Exkursionen in einem nahegelegenen Naturschutzgebiet. Mit der Unterstützung der alteingesessenen Bevölkerung wurde eine Liste von lokalen traditionellen Nutzpflanzen zusammengestellt, die in der Vergangenheit zur Subsistenz der lokalen Bevölkerung beitrugen. Auf den Flächen von Terre Altre wachsen heute mehr als 60 heimische Kulturpflanzen, die zu medizinischen Zwecken, als Faserpflanzen oder in der Färberei eingesetzt werden. Zu den autochthonen Nutzpflanzen zählen der „Fleimstaler Weizen“ ( Triticum aestivum L.), der „Fleimstaler Mais“ ( Zea mays L. ), die „Gerste von Capriana“ ( Hordeum vulgare L.) und der „Altraier Roggen“ ( Secale cereale L.).

5 Diskussion

Die untersuchten Fallbeispiele, die in der Sozialen Landwirtschaft tätig sind und nach unseren ökologischen Kriterien (Tab. 2) als „ökosozial“ bezeichnet werden können, zeigen eine breite Spanne an Aktivitäten, die vom Erhalt alter Nutzpflanzen oder Tierrassen im Rahmen der ökologischen oder biologisch-dynamischen Landwirtschaft über die Umweltbildung für Schulen oder Veranstaltungen zur gesunden Ernährung bis hin zu konkreten Maßnahmen der Ökosystemrenaturierung (vergleicheZerbe2019) und Landschaftspflege, wie zum Beispiel Baumpflanzungen oder Beweidung, reichen.

Ein hoher Anteil der untersuchten Fallbeispiele (> 80 %) betreibt ökologischen Landbau. Diese Verknüpfung von Sozialer Landwirtschaft mit ökologischen Wirtschaftsweisen zeigt sich auch in anderen europäischen Regionen. Beispielsweise produziert in Italien (AIAB2007)und Katalonien in Nordspanien (Guiradoet al. 2017)ein Großteil der SL-Betriebe nach biologisch-ökologischen Prinzipien, aber auch in Österreich (Wiesingeret al. 2013)und Deutschland (Limbrunner & Van Elsen2013)liegt der Anteil an ökologisch wirtschaftenden SL-Betrieben deutlich über dem nationalen Durchschnitt.Dies betrifft auch Maßnahmen der Landschaftspflege, wie etwa die Anpflanzung von Hecken und Sträuchern zur Erhöhung der Strukturvielfalt in der Kulturlandschaft (Jaenichen & Van Elsen2010, Van Elsen2014). Ähnliche Ergebnisse hinsichtlich des Erhalts autochthoner Nutztiere und -pflanzen, wie in unserem Untersuchungsgebiet ermittelt (Tab. 4), zeigen sich auch in Polen und Bulgarien mit dem Erhalt und der Vermehrung von alten Apfelsorten und der Aufzucht traditioneller Nutztierrassen (Latkowska2015, Todorova & Ikova2014).

Vergleicht man die Rechtsformen dieser Strukturen (zum Beispiel landwirtschaftliche Betriebe, Sozialgenossenschaften) untereinander, so zeigen sich Unterschiede in der Realisierung der ökologischen Kriterien (Abb. 3).

Am aktivsten hinsichtlich unserer Kriterien für eine ökosoziale Landwirtschaft erweisen sich landwirtschaftliche Betriebe, gefolgt von Sozialgenossenschaften und anderen Rechtsformen. Die landwirtschaftlichen Betriebe bestehen in vielen Fällen schon seit langer Zeit (> 30 Jahre) und können neben dem ökologischen Landbau und den sozialen Diensten noch zusätzliche Tätigkeiten im Naturschutz und der Umweltbildung in ihren Betriebsalltag aufnehmen. Zudem verfügen die Betriebe über die entsprechenden Ressourcen, wie etwa landwirtschaftliche Maschinen. Neu gegründete Sozialgenossenschaften und andere Rechtsformen müssen sich hingegen erst die landwirtschaftlichen Ressourcen aneignen. Solche Strukturen, die bereits zehn Jahre und älter sind, setzen auch Maßnahmen des Natur- und Kulturlandschaftsschutzes um. Einige Sozialgenossenschaften und andere Rechtsformen fokussieren auf die Integration von benachteiligten Menschen und weniger auf die Umweltbildung.

Mit den drei ökologischen Kriterien, die die untersuchten Betriebe oder Initiativen der Sozialen Landwirtschaft als ökosozial ausweisen, wird der unmittelbare Bezug zu den drei Säulen der Nachhaltigkeit hergestellt, das heißt der Gleichwertigkeit von wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit (vergleicheOtt & Döring2008).Ökosoziale Landwirtschaft zeichnet sich damit durch die nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen und das Angebot sozialer Dienstleistungen aus (Elsenet al. 2015). Mit modernen und multifunktionalen Ansätzen, wie beispielsweise der interkulturellen urbanen Landwirtschaft im Siedlungsbereich, hat sich die ökosoziale Landwirtschaft auch in einer urbanen Umwelt etabliert (Elsen2011).

Zusammenfassend lässt sich eine ökosoziale Landwirtschaft mit den folgenden Grundprinzipien charakterisieren; werden alle diese Grundprinzipien umgesetzt, so handelt es sich um Best Practice (vergleiche Abschnitt 4.3):

1. Ein verantwortungsvoller und nachhaltiger Umgang mit den natürlichen Ressourcen, die Förderung ökologischer Wirtschaftsweisen und die Realisierung von Maßnahmen zum Erhalt oder zur Wiederherstellung der biologischen Vielfalt und einer multifunktionalen Kulturlandschaft;

2. eine Verknüpfung von gesellschaftlichen Erfordernissen benachteiligter ländlicher und städtischer Gebiete, etwa sozialen Inklusionsprozessen, Umweltbildung sowie Therapie- und Betreuungsangeboten für Menschen mit besonderen Bedürfnissen mit hierzu maßgeschneiderten Aktivitäten der Landwirtschaft unter fairen und sozialverträglichen Arbeitsbedingungen;

3. eine aktive Interaktion und Kooperation auf lokal-regionaler Ebene mit der Bevölkerung, mit Institutionen, Betrieben und sozialen Netzwerken zur Förderung des Gemeinschaftsgefühls und der lokalen Ökonomie.

Ökosoziale Initiativen fördern Wertschöpfungsketten, einen zukunftsfähigen Lebensstil und ein symbiotisches Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Damit erzeugt die ökosoziale Landwirtschaft eine Synergie zwischen den sozialen Diensten und dem Dienst für den Natur-, Umwelt- und Kulturlandschaftsschutz (Tab. 5). Ökologisch wirtschaftende Betriebe eignen sich besonders für die Integration von meist landwirtschaftsfremden Personen, da die Produktionsverfahren (zum Beispiel Verzicht auf Pestizide) auch sichere Arbeitsbedingungen bieten (AIAB 2007,Limbrunner & Van Elsen2013).

Während sich die ökologische Wirtschaftsweise und Umweltbildung in der Sozialen Landwirtschaft schon seit langem etabliert haben (AIAB 2007,Kalisch & Van Elsen2009), bestehen noch erhebliche Potenziale zur Erweiterung der Aufgabenfelder des Naturschutzes, der Ökosystemrenaturierung und der Pflege beziehungsweise des Managements traditioneller Kulturlandschaften. So bemühen sich einige der Initiativen um die Wiederherstellung traditioneller Nutzungsformen des Offenlandes auf aufgelassenen landwirtschaftlichen Nutzflächen (vergleicheGuggenbergeret al. 2014) oder um den Erhalt alter Kultursorten oder Nutztierrassen. Gerade in den Bergregionen der Alpen, die von Abwanderung und Auflassung der Nutzungen betroffen sind (Streifenederet al. 2007), kann die ökosoziale Landwirtschaft zu einer Revitalisierung nicht nur der traditionellen Kulturlandschaft, sondern auch sozialer Gemeinschaften beitragen.

Mit der Imkerei können Betriebe der Sozialen Landwirtschaft Therapieformen einsetzen, die die soziale Lebensweise der Bienen gewinnbringend nutzen (Bellucci & Lucci2010, D’angeli2016). Dieser Aspekt erlangt zudem Bedeutung durch den mittlerweile gut dokumentierten und besorgniserregenden Rückgang der Insekten beziehungsweise Bestäuber in Mitteleuropa (Hallmannet al. 2017,Seiboldet al. 2019). Eine Umfrage unter 225 Initiativen der Sozialen Landwirtschaft in Italien ergab, dass mehr als 20 % Imkerei einsetzen (RRN,2011).

Damit der praktische Natur- und Umweltschutz verstärkt in den Kompetenzbereich der Sozialen Landwirtschaft übergehen kann, sind sozial- und umweltpolitische Rahmen- und Förderbedingungen zu schaffen. Lokal-regionale Institutionen oder Verwaltungen, wie zum Beispiel Naturschutz- oder Schutzgebietsverwaltungen, Umweltschutzverbände, Bauernorganisationen und Sozialbetriebe müssen hierbei in einen Austausch treten, gefördert durch entsprechende politische Initiativen. Die Europäische Union bietet eine breite Palette an Fördermitteln etwa im Rahmen des LIFE-Programms für Umwelt-, Natur- und Klimaschutzprojekte (European Commission2019) des „Europäischen Fonds für regionale Entwicklung“ (EFRE), des Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) und des „Europäischen Sozialfonds“ (ESF) (RRN 2017).

Dank und Förderhinweis

Wir danken den 22 Betrieben und Initiativen der Sozialen Landwirtschaft für ihre Kooperationsbereitschaft. Das interdisziplinäre Forschungsprojekt „Unlocking the potential of social agriculture in South Tyrol (UPAS)“ unter der Leitung von Prof. Susanne Elsen (Fakultät für Bildungswissenschaften) wird aus internen Forschungsmitteln der Freien Universität Bozen gefördert.

Literatur

Aus Umfangsgründen steht das ausführliche Literaturverzeichnis unter Webcode NuL2231 zur Verfügung.

Fazit für die Praxis

  • Aufgabenfelder des Natur-, Umwelt- und Ressourcenschutzes können im Rahmen der Sozialen Landwirtschaft synergistisch erschlossen und damit zur ökosozialen Landwirtschaft werden.
  • Ökosoziale Landwirtschaft fördert sowohl eine soziale als auch ökologische Diversifizierung und schafft Arbeitsplätze, insbesondere in peripheren, von Nutzungsaufgabe betroffenen Bergregionen.
  • Neben den bestehenden Zielen der Sozialen Landwirtschaft generiert die ökosoziale Landwirtschaft einen zusätzlichen sozialen Mehrwert.
  • In der ökosozialen Landwirtschaft können Förderprogramme für das Angebot sozialer Dienste mit denen des Natur-, Umwelt- und Kulturlandschaftsschutzes verknüpft werden.
  • Die Imkerei besitzt einen besonderen Stellenwert in der ökosozialen Landwirtschaft, da sie einerseits das soziale Leben der Bienen zu therapeutischen Zwecken nutzt und andererseits zum Erhalt der für die Landwirtschaft unabdingbaren Bestäuber beiträgt.
  • Initiativen der ökosozialen Landwirtschaft können zur Ökosystemrenaturierung, zum Erhalt alter Kultursorten und Nutztierrassen und zur Wiederbelebung der traditionellen, kleinstrukturierten europäischen Kulturlandschaft beitragen, was im Einklang mit nationalen und internationalen Vereinbarungen und Konventionen steht (zum Beispiel Alpenkonvention).

Kontakt

Sara Nicli M.Sc. arbeitet als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Naturwissenschaften und Technik an der Freien Universität Bozen in Südtirol. Sie hat an der BOKU Wien Landschaftsplanung und an der Uni Bozen Umweltmanagement in Bergregionen studiert. Seit September 2018 wirkt sie am UPAS Projekt mit.

> sara.nicli@unibz.it

Dr. Sergio Angeli leitet die Arbeitsgruppe der Allgemeinen und Angewandten Entomologie an der Freien Universität Bozen. Seine Forschungsgebiete umfassen Agrar- und Forstentomologie, Semiochemikalien, Insektenaufzucht und flüchtige organische Verbindungen (GC-MS). Weiter erforscht er die Auswirkungen von Umweltverschmutzung und Pestiziden auf die Gesundheit der Bienen. Das Ziel seiner Forschungstätigkeit ist es, neue Bekämpfungsstrategien für Schädlinge mit geringer Umweltbelastung zu finden. Er hat circa 100 Artikel veröffentlicht, davon 40 in begutachteten Fachzeitschriften.

> sergio.angeli@unibz.it

Prof. Dr. Stefan Zerbe leitet die ArbeitsgruppeInterdisziplinäre Landschaftsökologie an der Freien Universität Bozen. Er hat seinen Lehr- und Forschungsschwerpunkt in der Renaturierungsökologie. Zur Wiederherstellung beziehungsweise Entwicklung von nachhaltigen Landnutzungssystemen und zu den wissenschaftlichen Grundlagen des Natur-, Umwelt- und Ressourcenschutzes werden von ihm weltweit Projekte unter Einbeziehung der lokalen Akteure durchgeführt. Neben mehr als 250 wissenschaftlichen Publikationen hat er ein interdisziplinäres Fachbuch zur Ökosystemrenaturierung verfasst, welches 2019 beim Springer-Verlag erschienen ist.

> stefan.zerbe@unibz.it

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