Mehr Aufmerksamkeit für Bachbewohner
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„Wie sieht eigentlich das ideale Steinkrebsgewässer aus?“ Diese Frage drängt sich mir auf, als Michael Pfeiffer, sein Mitarbeiter Christian Günter und ich nahe Freiburg an einem naturnahen Bach stehen. Ich bin zwar Landschaftsplanerin, mein Fokus lag aber immer mehr bei den Pflanzen. Flusskrebse sind für mich außerhalb des Aquariums quasi unbekannte Wesen, die man nur vom Hörensagen kennt.
Damit bin ich nicht die Einzige, stellt Michael Pfeiffer fest. Das ist nicht als Vorwurf zu verstehen, schließlich haben die meisten von uns früher oder später im Studium oder im Beruf eine Vertiefungsrichtung gewählt. Allerdings, und darauf wird der Limnologe mich bei meinem Besuch mehr als nur einmal hinweisen, führt genau das immer wieder zu einem Problem: Gewässerökologische Aspekte werden bei der Maßnahmen an Gewässern zu selten berücksichtigt.
Kommen wir aber zurück an den Bach, an dessen Ufern wir stehen: Er ist prädestiniert für den Steinkrebs, da er hier flache Steine findet, unter die er sich tagsüber zurückziehen kann. Schwemmstoffe von angrenzenden Flächen oder gar organische und chemische Verschmutzungen gibt es hier nicht. Und, vor allem: Der Signalkrebs und damit die Krebspest, eine für den heimischen Krebs tödliche Pilzinfektion, hat es noch nicht hierhergeschafft.
Damit das so bleibt, müssen die Akteure am Gewässer Vorsicht walten lassen: Desinfektion ist das A und O. Bevor Christian Günter ins Wasser geht, zieht er deshalb vorher desinfizierte Gummistiefel an. Hände und Unterarme werden ebenfalls desinfiziert, genauso das Werkzeug. Er will heute den Steinkrebsbestand kontrollieren, denn vor kurzem wurde hier ein Brückenbauwerk über den Bach erneuert – Bauarbeiten, die für eine Steinkrebspopulation katastrophale Folgen haben könnten.
Schon beim zweiten Stein wird der junge Biologe fündig: ein Steinkrebsweibchen, etwa drei bis vier Jahre alt, mit wenigen Eiern an der Unterseite des Schwanzes. Sie wirkt absolut gesund und wehrt sich mit heftigem Zwicken gegen den unfreiwilligen Ortswechsel. Dass es dem Steinkrebs und seinen Artgenossen auch nach dem Brückenneubau so gut geht, ist nicht selbstverständlich. Krebse, obwohl sie als FFH-Anhang-Arten zu schützen sind, werden oft nicht ausreichend bei Arbeiten im und am Gewässer beachtet, kritisiert Pfeiffer. In diesem Fall hatten die Krebse Glück, da Pfeiffer und seine Mitarbeiter frühzeitig beraten konnten, die Stadtverwaltung und der Ingenieur ein offenes Ohr für die Ansprüche der Wasserbewohner hatten und die Baufirma Verständnis für die nötigen Schutzmaßnahmen im Bauverlauf.
„Oft geht das auch anders aus“, erzählt Michael Pfeiffer. „Dann gelangen schnell auch Zementschlämme ins Gewässer – tödlich für Fische und Krebse.“ Kleine unkoordinierte Eingriffe können so ganze Populationen auslöschen – auch noch kilometerweit flussabwärts. Die Fehler passieren aber nicht erst in der Ausführung. Das Problem liegt schon in der Planung, erklärt Pfeiffer. „Es müsste daher von vorneherein geprüft werden, welche Arten im Gewässer von einer Maßnahme betroffen sind. Nicht selten wäre eine gewässerökologische Begleitung mit Erfahrung im Umgang mit Fischen, Flusskrebsen, der Krebspest, geschützten Großmuscheln, aber auch mit Amphibien oder Libellen erforderlich.“ Genau das gibt es aber oft nicht. „Leider werden wir häufig zu spät dazu gerufen“, kritisiert Pfeiffer. „Bei unseren ‚Feuerwehreinsätzen‘ können wir dann allenfalls Schäden minimieren. Immer wieder kommt es sogar bei Renaturierungen zu Verlusten von aquatischen Arten.“ Ausgleichsmaßnahmen, die den Verlust von Lebensräumen, selbst für streng geschützte oder vom Aussterben bedrohte Arten kompensieren, sind leider noch Wunschdenken.
Der Grund? Fehlendes Wissen, aber leider auch Ignoranz, so Pfeiffers Erfahrung. „Es gibt wahrscheinlich keinen Beruf, wo so viele Leute mit Halbwissen mitreden“, moniert er. „Nur selten sind in den vielen zuständigen Behörden, bei Landschaftsarchitekten, Ingenieurbüros oder bei Landschaftspflegern und Baufirmen Menschen mit Erfahrung in diesem Bereich zu finden“, meint Pfeiffer „Wir machen das ja jetzt schon einige Jahre und wir weisen auch immer wieder auf dieselben Fehler hin.“
„Durch das Nichtbeachten der aquatischen Arten wird es im Nachhinein aber nicht nur tödlich für die Tiere, sondern oft auch noch teurer“, betont er. „Die Gesetze müssen eingehalten werden. Es geht hier ganz real um den unwiederbringlichen Verlust von Biodiversität – bis hin zum Aussterben von Arten!“ Der Limnologe setzt sich deshalb gemeinsam mit seinem Team weit über die Aufträge, mit denen sich das Büro finanziert, für Muscheln und Krebse ein. Pfeiffer und sein Team haben beispielsweise über Jahre Daten über die baden-württembergischen Vorkommen von heimischen Flusskrebsen und Großmuscheln zusammengetragen. Mitarbeiter Magnus Leschner aktualisiert zur Zeit die Verbreitungskarte der Bachmuschel in Baden-Württemberg, denn vor ein paar Tagen tauchte mal wieder „von den Verfahrensbeteiligten ganz unerwartet“ die streng geschützte Art bei einer Renaturierung auf und die Expertise von gobio zum Umgang mit der Situation ist gefragt.
Aber das Team kartiert nicht nur die noch verbliebenen Bestände dieser einst weit verbreiteten Art, sondern erforscht sie auch: Gerade untersuchen sie, unter welchen Bedingungen die in Freiburg unmittelbar vom Aussterben bedrohte Bachmuschel wiederangesiedelt werden kann. Dabei kombinieren sie Artenwissen mit handwerklichem Geschick – eine Kombination, bei der das Büro auch von Mitarbeiter Marco Haupt profitiert: Er ist eigentlich Landschaftsgärtner, aber auch leidenschaftlicher Amphibienexperte und hat sich selbst mit viel Eigenengagement in die Materie eingearbeitet. Für das Projekt hat er einen „muschelausbruchsicheren“ Korb gebaut, mit dem das Team nun erst einmal untersucht, ob die Tiere am neuen ausgewählten Standort überleben können.
„Die vielen Freilandarbeiten an den großen und kleinen Gewässern des Landes bringen uns einen stetigen Erkenntnisgewinn“, meint Pfeiffer – und das seit über 20 Jahren. Schon seine Diplomarbeit schrieb er über Muscheln und war bereits während des Studiums für die in Freiburg ansässigen Limnologen tätig, bis er schließlich, unterstützt von seiner Frau Sanna Mrkwiczka und mit partnerschaftlicher Rückendeckung von seinem Kollegen Benjamin Schmieder, ein eigenes Büro gründete.
Auftraggeber sind vor allem verschiedene Referate der Regierungspräsidien und Landratsämter, Kommunen, Planungsbüros, (Bau-)Unternehmen, die Landesanstalt für Umwelt in Baden-Württemberg (LUBW) und die Fischereiforschungsstelle (FFS), aber auch Privatpersonen, Vereine und Verbände, vor allem Landschaftserhaltungsverbände. Gobio sieht sich als Bindeglied zwischen Fischerei, Naturschutz und Wasserwirtschaft.
Neben Fischbestandsaufnahmen, Voruntersuchungen (Kartierungen), Bestimmung der Gewässergüte (Makrozoobenthos) und Schadensgutachten, gibt es immer wieder sehr spezielle Projekte zum Schutz von einheimischen Muscheln und Flusskrebsen, bei denen das Fachwissen bereits bei den Planungen gefragt ist.
Mit der Zeit wurden die Aufträge größer und vor allem mehr, bis das Büro schließlich den ersten Mitarbeiter einstellte. Mittlerweile arbeiten neben Michael Pfeiffer noch vier weitere Menschen im Büro. Dazu kommen in den Sommermonaten auch freie Mitarbeiter (teilweise im Büro ausgebildet), wenn es beispielsweise um größere Befischungen oder umfangreiche Kartierungen geht.
Projekte bearbeitet das Büro meist als Team. Es gibt zwar einen Projektverantwortlichen, aber durch mindestens ein Vieraugenprinzip werden Fehler minimiert und Gutachten standardisiert. Diese Qualitätssicherung ist für Michael Pfeiffer wichtig: Die Arbeit seines Büros soll fachlich absolut verlässlich sein, nicht zuletzt auch den schützenswerten Arten zuliebe: „Wir sind nahezu die einzigen Lobbyisten für die Bachmuschel im Land“, betont er.
Wenn die Belange für die aquatischen Arten mal wieder nicht ausreichend beachtet werden, scheut der Chef deshalb auch eine heftigere Auseinandersetzung nicht – mit Behörden ebenso wie Planern und Baufirmen. Dass er sich dabei mitunter unbeliebt macht und sogar Aufträge verliert, nimmt er in Kauf. „Es muss ein Umdenken stattfinden“, betont er. „Die Situation für sehr viele aquatische Arten ist sehr kritisch und wenn wir in Baden-Württemberg so weitermachen, verlieren wir in den kommenden Jahren viele weitere Populationen.“ Um aber das Aussterben von Schlammpeitzger, Bachmuschel oder der einheimischen Flusskrebse zu verhindern, dafür kämpft er bereitwillig. Rückschläge werden mit einer gehörigen Portion Sarkasmus und schwarzem Humor verarbeitet.
Und die Hartnäckigkeit zahlt sich aus: Mit einigen Personen in Behörden oder Planungsbüros arbeitet gobio seit Jahren sehr eng und erfolgreich zusammen, auch zeichnet sich durch den Generationenwechsel allmählich ein Wandel ab. Für Pfeiffer geht es allerdings viel zu langsam. Er fordert daher Erhebungen, die sich an den Gewässersystemen und nicht an Schutzgebietsgrenzen oder zufälligen Maßnahmenstandorten orientieren sowie verpflichtende Schulungen für Behördenmitarbeiter, Vereine oder ökologische Baubegleiter.
Vor allem aber sind Voruntersuchungen (insbesondere auch hinsichtlich der besonders schützenswerten Arten) bei Eingriffen in limnische Systeme unerlässlich. Dabei geht es nicht nur um die Beachtung der bestehenden Gesetze, sondern auch darum etwas für die aquatischen Arten „herauszuholen“. Obendrein werden wichtige Daten gewonnen.
Betriebsdaten
- Name: gobio – Büro für limnologische Gutachten
- Gründung: 2003
- Gesellschaftsform: Freiberufler
- Mitarbeitende: 4, davon 2 Biologen, 1 Landschaftsgärtner und 1 Geologin
- Schwerpunkte: Aquatischer Artenschutz, Fischereibiologie, Flusskrebse, Großmuscheln, Allgemeine Gewässerökologie, Makrozoobenthos (Gewässergüte), Zooplankton.
Infos
Der Lebenszyklus von Bachmuscheln Die Bachmuschel ist bei der Vermehrung auf bestimmte Fische (Wirtsfische) angewiesen. Die Weibchen der Bachmuschel strudeln zur Fortpflanzungszeit die Spermien der Männchen ein, sodass die im Kiemengewebe liegenden Eier befruchtet werden. Die daraus schlüpfenden Larven, die sogenannten Glochidien, werden nach wenigen Wochen ins Wasser abgegeben. Um zu überleben, müssen die Glochidien sich innerhalb kurzer Zeit an den Kiemen eines Wirtsfisches festsetzen, wo sich die Larve zur winzigen Jungmuschel entwickelt. Nach etwa vier Wochen löst sich die wenige Millimeter große Muschel dann von den Kiemen, fällt vom Fisch ab und gräbt sich im durchströmten Gewässersubstrat ein. Hier ernährt sie sich durch Filtrieren des Wassers und trägt somit wesentlich zur Selbstreinigung eines Gewässers bei. Erst mir zwei bis drei Jahren kommen die Tiere wieder näher an die Sedimentoberfläche. Aber auch dann sind sie kaum zu sehen, nur ihre Atemöffnungen sind zu erahnen. Mit drei bis vier Jahren sind die Muscheln schließlich geschlechtsreif. Durch die Wirtsfische kann sich die sonst eher wenig mobile Muschel im Gewässer verbreiten.Kontakt
- gobio
- Dipl.-Biol. Michael Pfeiffer
- Weißerlenstr. 2
- 79108 Freiburg-Hochdorf
- Tel. 0761/88881750
- E-Mail: pfeiffer@gobio-online.de
- www.gobio-online.de

Michael Pfeiffer hat in Freiburg Limnologie studiert und sich 2003 mit dem Büro gobio selbstständig gemacht. Sein Fokus liegt vor allem auf dem Schutz heimischer Muscheln und Krebse.
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