Nur „unterstützte Migration“ von Bäumen erhält Klimaschutzfunktion europäischer Wälder
Eine aktuelle Studie unter Beteiligung des Thünen-Instituts kommt zu dem Ergebnis, dass Wälder künftig um Bäume aus anderen Regionen ergänzt werden müssen. Sonst verlieren sie wichtige Funktionen, die den Klimawandel aufhalten können. Die Studie erschien in „Nature Climate Change“.
von Thünen/Red erschienen am 01.08.2024Das internationale Forschungsteam, zu dem auch das Thünen-Institut für Waldökosysteme gehört, betont die entscheidende Rolle der „unterstützten Migration“. Dabei handelt es sich um eine Strategie der Waldbewirtschaftung, bei der Baumarten und Samenherkünfte auch aus entfernten Regionen ausgewählt werden, weil sie am besten an die künftigen Klimabedingungen angepasst sind.
Die Studie ist eine der umfangreichsten ihrer Art. Analysiert wurden Daten aus 587 forstlichen Herkunftsversuchen in ganz Europa, in denen Bäume aus 2.964 verschiedenen Samenherkünften wachsen.
Um zu prognostizieren, wie sich die Aufnahme von Kohlenstoff aus der Atmosphäre im Klimawandel für sieben wichtige Baumarten verändern wird, wenn für die Wahl von Baumarten und Samenherkünften verschiedene Aufforstungsstrategien umgesetzt werden, wurde anschließend in komplexen Modell-Simulationen berechnet.
Die Ergebnisse waren eindeutig: Der Klimawandel wird die Eignung verschiedener Baumarten in großen Teilen Europas verändern. In der Folge sollten die bisher oft genutzten Nadelbaumarten weniger, die widerstandsfähigeren Laubbaumarten vermehrt gesetzt werden. Die Studie weist jedoch sehr deutlich auf, dass dieser häufig schon eingesetzte einfache Artenwechsel kaum ausreichen wird. „Unsere Modelle zeigen, dass die Wirkung der europäischen Wälder als Kohlenstoffsenke bis zum Ende des Jahrhunderts erheblich abnehmen könnte, wenn bei der Wiederaufforstung nur auf lokales Saatgut aus der Region gesetzt wird“, sagt Debojyoti Chakraborty, Erstautor der Studie und Wissenschaftler am BFW. „Dies würde die Rolle der europäischen Wälder bei der Abschwächung des Klimawandels drastisch reduzieren.“
Heute gepflanzte Bäume müssen mit dem Klima in 100 Jahren zurechtkommen. Deshalb liegt eine Lösung in der sorgfältigen Auswahl von Saatgutquellen, die an die für den Pflanzort prognostizierten Klimabedingungen angepasst sind. Auch dann, wenn diese Quellen aus geografisch weit entfernten Regionen stammen, wie beispielsweise Tannen aus Kalabrien. Diese als „unterstützte Migration“ bezeichnete Strategie nutzt die genetische Vielfalt innerhalb der Baumarten. Deren Samen transportieren das über lange Zeiträume an unterschiedliche Klimaregionen angepasste Erbgut. Die Studienautorinnen und -autoren gehen davon aus, dass die Wälder Europas in Zukunft nur mit ergänzenden Herkünften aus anderen Regionen gut wachsen und weiterhin effektiv Kohlenstoff binden können.
„Unsere Ergebnisse zeigen das bemerkenswerte Potenzial von ‘unterstützter Migration’, um die Kohlenstoffaufnahmeleistung der europäischen Wälder angesichts des Klimawandels zu erhalten oder sogar zu erhöhen“, sagt Silvio Schüler, Leiter des Instituts für Waldwachstum, Waldbau und Genetik am BFW und Projektleiter der Studie. Mitautor Andreas Bolte, Leiter des Thünen-Instituts für Waldökosysteme, ergänzt: „Diese Ergebnisse müssen bei der Wiederbewaldung nach den großen Waldschäden in Deutschland und weiten Teilen Mitteleuropas seit 2018 genauso berücksichtigt werden wie beim dringenden Umbau risikobehafteter Waldbestände. Nur so können die Funktionen der Wälder beim Klimaschutz, als artenreicher Lebensraum und als Quelle der nachhaltigen Holzproduktion langfristig gesichert werden.“
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