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Nationalparks zwischen Naturschutz, Tourismus und lokaler Akzeptanz

Gestörte Heimat

Abstracts

Führen ungestörte Abläufe natürlicher Prozesse in Nationalparks zu einer Zerstörung von Kulturlandschaft und deren Wert für Erholung und Tourismus oder entsteht auf diesem Weg eine neue, „bessere“ Natur, deren Wert durch die Anwesenheit seltener Arten bezeugt wird? Die Geschichte des Nationalparks Bayerischer Wald zeigt, dass ein großflächiger Naturschutz zu lokalen Akzeptanzproblemen führen kann. Im Fokus stehen dabei insbesondere die landschaftlichen Auswirkungen natürlicher Störungen. Hier stellt sich die Frage, ob landschaftliche Veränderungen den Tourismus beeinflussen, denn die touristische Anziehungskraft von Nationalparks ist eines der Hauptargumente, mit denen Nationalparkverwaltungen ihren Beitrag zur Regionalentwicklung belegen.

Der Beitrag analysiert unterschiedliche landschaftsbezogene Bewertungen von Störungsereignissen im Nationalpark Bayerischer Wald und betrachtet dazu Leserbeiträge in Lokalzeitungen und sozialen Medien in Verbindung mit natur- und sozialwissenschaftlichen Forschungsergebnissen. Dabei legt eine sozialkonstruktivistische Perspektive auf die Bedeutung von Landschaft nahe, die Akzeptanzprobleme von Landschaftsveränderung in Schutzgebieten als lokales Phänomen zu behandeln, das aber bei Umsetzung einer passenden Kommunikationsstrategie in der Regel kein Problem für die Tourismuswirtschaft darstellt.

Troubled country – National parks versus conservation, tourism, and local acceptance

Does allowing the undisturbed flow of natural processes in national parks lead to the destruction of the cultural landscape and its value for recreation and tourism, or does it result in a new, "better" nature whose value is attested by the presence of rare species? The history of the Bavarian Forest National Park shows that extensive nature conservation can lead to local acceptance problems. In particular, the main focus is on the landscape effects of natural disturbances. This raises the question of whether landscape changes affect tourism, because the tourist appeal of national parks is one of the main arguments with which national park administrations substantiate their contribution to regional development.

This article analyses different landscape-related assessments of disturbance events in the Bavarian Forest National Park and considers reader contributions in local newspapers and social media in conjunction with natural and social scientific research results. A socio-constructivist perspective suggests the importance of landscape in treating the acceptance problems of landscape change in protected areas as a local phenomenon, but that does not usually represent a problem for the tourism industry when implementing a suitable communication strategy.

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Abb. 1: Nationalpark Bayerischer Wald. Ob wir Landschaft als „schön“ empfinden oder als „zerstört“, hängt von dem Wert ab, den wir ihren Elementen beimessen, etwa den abgestorbenen Bäumen nach einem Borkenkäferbefall und der nachfolgenden Sukzession.
Abb. 1: Nationalpark Bayerischer Wald. Ob wir Landschaft als „schön“ empfinden oder als „zerstört“, hängt von dem Wert ab, den wir ihren Elementen beimessen, etwa den abgestorbenen Bäumen nach einem Borkenkäferbefall und der nachfolgenden Sukzession.Thomas Michler
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1 Landschaften: Bitte nichts verändern!

Landschaftsveränderungen werden häufig mit der Begründung problematisiert, sie schadeten dem Tourismus. Dies ist etwa beim Rohstoffabbau (Artukovic´ et al. 2017) oder dem Ausbau von Windkraftanlagen der Fall (Aschenbrand & Grebe2018). Auch Kritiker des Nationalparks Bayerischer Wald beklagen eine „Zerstörung“ des Waldes durch Borkenkäfer mit negativen Auswirkungen für die Region und den Tourismus (Bürgerbewegung zum Schutz des Bayerischen Waldes 2017). Zwar teilen längst nicht alle Einheimischen die Positionen der Kritiker, wieLiebeckeet al. (2008) am Beispiel des Nationalparks Bayerischer Wald aufzeigen. Dennoch gelingt es den Protestierenden regelmäßig, erhebliche mediale Aufmerksamkeit zu erzeugen und auch in der kommunalen Politik Gehör zu finden. Dies zwingt betroffene Schutzgebietsverwaltungen, sich mit dem Thema zu beschäftigen.

Im besten Fall kann daraus ein fruchtbarer Diskurs entstehen. Häufig führen Auseinandersetzungen jedoch zu weitgehend unproduktiven Konflikten (vgl.Gerneret al. 2011), die auf eine persönliche Ebene getragen werden und zur emotionalen Belastung für die Beteiligten werden können.

Ausgangspunkt landschaftsbezogener Konflikte sind oftmals unterschiedliche Wertzuweisungen: Für Anwohner hat der Wald unter Umständen eine andere Bedeutung als für Naturschutzexperten, da beide Gruppen unterschiedliche Informationen heranziehen, um Bedeutung und Wert von Landschaft zu bemessen. Die verschiedenen Wertzuweisungen sollen im Folgenden mithilfe eines sozialkonstruktivistischen Ansatzes rekonstruiert werden. In diesem Sinne wird auch die Perspektive der Tourismuswirtschaft auf Landschaft skizziert. Es zeigt sich, dass die Bedeutung landschaftlicher Veränderungen für den Tourismus aus lokaler Perspektive tendenziell überschätzt wird. Daraus ergeben sich Handlungsempfehlungen für die touristische Positionierung von Schutzgebieten.

2 Was ist Landschaft?

Im Folgenden wird ein sozialkonstruktivistisches Verständnis von Landschaft eingeführt, da es besonders geeignet erscheint, verschiedene Perspektiven auf Landschaft zu differenzieren(Bruns & Kühne2013). Der Begriff „Landschaft“ bedeutet für die meisten Menschen so viel wie „schöne Natur“ (Hokema2013). Eine Landschaft wird dabei zumeist positivistisch oder essenzialistisch als real existierendes Objekt gedacht. Aus sozialkonstruktivistischer Perspektive wird Landschaft dagegen als soziales Konstrukt verstanden (Kühne2018). Diese Perspektive „negiert weder die Existenz physischer Gegenstände noch ihre Bedeutung für die Gesellschaft. Sie befasst sich vielmehr mit der Entstehung dieser Bedeutungen und der Art, wie der Mensch diese Bedeutungen kommuniziert“ (Kühne2018: S. 1–2). Landschaft ist aus sozialkonstruktivistischer Perspektive kein Objekt, welches sich anhand physischer Kriterien von seiner Umgebung abgrenzen ließe, sondern eine Art und Weise, eine räumliche Konstellation von Objekten zu betrachten und zu einer Einheit zusammenzuschauen (Cosgrove & Daniels1988). In der Folge ergibt sich die Möglichkeit, dass verschiedene Betrachter eine gegebene Objektkonstellation unterschiedlich bewerten, was beispielsweise herkömmliche Verfahren der Landschaftsbildbewertung an Grenzen stoßen lässt(Bruns & Kühne2013, Leibenath2014) (Abb. 1). Denn es hängt von dem jeweiligen Hintergrund und den leitenden landschaftlichen Idealvorstellungen ab, welche Objekte zu Landschaft „zusammengeschaut“ werden und welche Objektkonstellationen man als Landschaft bezeichnen kann (Kühne2018). Die betreffenden Objekte bilden dann in sozialkonstruktivistischer Terminologie die physische Grundlage von Landschaft. Landschaft ist dabei mehr als die Summe ihrer Teile, denn gerade das gemeinsame Auftreten verschiedener Objekte verleiht der Konstellation aus Sicht des Betrachters häufig eine besondere Bedeutung (Burckhardt2006). Die sozialkonstruktivistische Perspektive legt also folgende Einschätzung über den Wert von Landschaft nahe: Der Wert lässt sich weniger an Objekten (oder deren Veränderung) festmachen als vielmehr daran, wie Akteure, also z. B. Anwohner sowie Vertreter von Naturschutz oder Tourismuswirtschaft, diesen Wert bemessen. Wert ist grundsätzlich eine Zuschreibung, die Menschen im sozialen Miteinander aushandeln: Wertvoll ist das, was – aufgrund sozialer Konventionen – für wertvoll gehalten wird.

3 Nationalpark Bayerischer Wald: Gestörte Heimat und der Wunsch nach dem grünen Wald

Werden Räume als Kulturlandschaften verstanden, so sind sie meist dadurch gekennzeichnet, dass Landschaftsveränderungen durch natürliche Störungen vom Menschen auf ein Minimum reduziert wurden. Zudem wird die heimatliche Umgebung grundsätzlich vor allem auf Basis von Vertrautheit positiv bewertet (Kühne2018). Landschaftliche Qualitäten der heimatlichen Wohnumgebung werden folglich selten hinterfragt, solange sie unverändert bleiben. Nationalparks stellen diesen Umgang mit Landschaft nun auf begrenzten Flächen infrage. Der Nationalpark Bayerischer Wald stand ab Mitte der 1980er Jahre vor der Herausforderung, einen Umgang mit natürlichen Störungsereignissen zu finden, da großflächige Windwürfe und Borkenkäferbefall auftraten. Bis 2012 starben durch diese natürlichen Prozesse über 6000 Hektar alter Fichtenbestände. Die Auseinandersetzung mit der einheimischen Bevölkerung über diese weithin sichtbare Veränderung der physischen Grundlagen von Landschaft führte bis zu einer Popularklage einer Bürgerinitiative vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof.

Die Landschaftsveränderungen wurden unter Bezugnahme auf abgestorbene Bäume medial etwa im Wochenmagazin Stern als „Baumfriedhof“ und „Todeszone“ (Metzner & Meffert1997) kritisiert. Die Kritik ging einher mit starkem Zweifel, dass dort jemals wieder Wald wachsen könne: „Gut möglich, daß dort, wo vor wenigen Jahren noch ein grünes Dach war, für immer eine Tundra zurückbleibt“ (Metzner & Meffert1997). Der damalige Bürgermeister der Gemeinde Mauth brachte seine Ablehnung 1989 folgendermaßen auf den Punkt: „Wenn der Wald stirbt, dann stirbt mit ihm meine Gemeinde“ (Bibelriether2017: 115). Natürliche Störungen werden folglich als „Zerstörung von Heimat“ abgelehnt (Müller2011). Einheimische Nationalparkgegner machen ihre landschaftliche Wertschätzung bzw. den Entzug ihrer Wertschätzung argumentativ vorwiegend an grünen, lebenden Bäumen fest. Ähnliche Bewertungen von Borkenkäferflächen durch Anwohner sind aus Nordamerika bekannt (Flint2006,McFarlaneet al. 2006).

Entsprechend ist die Wiederbewaldung der vom Borkenkäferbefall betroffenen Flächen von zentraler Bedeutung für die Wertschätzung des Nationalparks bei vielen Einheimischen. Dies zeigt sich exemplarisch an den Reaktionen auf einen reichweitenstarken und insofern erfolgreichen Facebook-Post der Nationalparkverwaltung. Der Post zeigt eine zeitreihenartige Gegenüberstellung zweier Fotografien (Abb. 2). Sie bilden einen der am häufigsten frequentierten Wanderwege im Nationalpark aus ähnlicher Perspektive ab: Während das Bild links aus dem Jahr 2006 eine weitgehend braune Fläche mit abgestorbenen silbergrauen Stämmen zeigt, ist rechts auf dem aktuelleren Bild vor allem junges Grün zu sehen. Die Gegenüberstellung soll also die Dynamik des Jungwuchses auf den sogenannten Totholzflächen demonstrieren.

Sowohl Touristen als auch viele Einheimische teilen in ihren Reaktionen auf diesen Post die Freude über den nachwachsenden und wiederergrünenden Wald (Abb. 3), wie folgende Kommentare beispielhaft aufzeigen:

  • „Toll. Wir gehen dort oft spazieren. Gestern noch Geisterwald, heute grüne Oase.“
  • „Sieht ja wieder gut aus. Wir kennen es, wie es 2006 aussah.“
  • „Gott sei Dank ist hier wieder neuer Wald entstanden.“
  • „Damals wollte keiner glauben, dass sich der Wald selber erholt.“
  • „Natur Natur sein lassen ... der richtige Weg!“

Die Bilder haben jedoch noch weitere Bedeutungsebenen, sie symbolisieren für einige Kommentator(inne)n die Überlegenheit der „Natur“ gegenüber dem Menschen. Diese halten eine als natürlich bewertete Waldveränderung für wertvoller als eine Entwicklung, die auf menschliche Eingriffe zurückgeführt wird, wie folgender Kommentar zum Ausdruck bringt: „Und das was da nachwächst ist weit schöner und resistenter und spannender und echter, als das, was davor dort wuchs“ (Facebook-Fanseite Nationalpark Bayerischer Wald 2016). Jedoch erregt der Fokus auf das schiere Nachwachsen des Waldes auch Widerspruch. Ein Kommunalpolitiker kommentiert den Facebook-Post folgendermaßen: „Die Nationalparkverwaltung brüstet sich ganz offiziell damit, dass nach der völligen, absichtlich zugelassenen Zerstörung ganzer Landstriche an Bayerischem Wald wieder Wald nachwächst. […] Es war jedem klar, dass irgendwann Wald nachwächst. Nur: Hätte all das sein müssen?“ (Facebook-Fanseite Nationalpark Bayerischer Wald 2016). Diese Ansicht, der zufolge sich der Wert einer Waldlandschaft nicht allein an nachwachsenden Bäumen bemessen lässt, findet Parallelen in der Sichtweise des Naturschutzes.

4 Die Perspektive des Naturschutzes

Im Expertendiskurs des Naturschutzes gilt „Biodiversität“ als Wertmaßstab für räumliche Kategorien, wie Landschaften, Ökosysteme oder Naturräume(Beudertet al. 2015,Lehnertet al. 2013, Nationalpark Bayerischer Wald 2015). Auf Grundlage der Biodiversität im Allgemeinen und dem Vorkommen von seltenen Arten im Speziellen wird Wert zugeschrieben, der umso höher ausfällt, je seltener die entdeckten Arten und je indikativer sie für andere typische Arten eines Ökosystems sind (Indikatorarten). Die Diagnostizierung eines ökologischen oder naturschutzfachlichen Wertes führt dann zu Wertschätzung der betreffenden physischen Grundlagen von Landschaft. Insbesondere durch seine Auflichtung der ursprünglich dichten Fichtenwälder, auf die viele seltene Arten positiv reagiert haben, konnte der Borkenkäfer so von einer „Plage“ zur „Schlüsselart des Nationalparks“ (Mülleret al. 2008) umgedeutet werden. Auf Basis dieses Wissens erfolgte nun eine Bewertung der Flächen, die sich von der Wertzuschreibung mit Bezug auf eine Wiederbewaldung bewusst abgrenzt: „In der Diskussion um die Totholzflächen hört man häufig erfreute Stimmen über den nachwachsenden Wald. Eine solche Begeisterung gegenüber üppiger Naturverjüngung entspringt aber eher forstlichen und ökonomischen Holzproduktionsgefühlen“ (Müller & Simonis2011: 8). Den „waldsteppenartigen Totholzflächen“ (ebd.) mangele es an gesellschaftlicher Akzeptanz: „Bis heute fehlt es bei vielen Menschen an Akzeptanz oder ästhetischem Empfinden für Naturdynamik“ (ebd.). Gründe dafür werden u. a. in der Kultur und Mentalität von Förstern und anderen Landnutzern gesehen, welche die Gesundheit des Waldes mit der Gesundheit der Bäume gleichsetzten.

Eine Pressemitteilung des Nationalparks verdeutlicht die landschaftsbezogene Wertzuschreibung mit Verweis auf seltene Arten: „Sensationeller Pilzfund im Nationalpark Bayerischer Wald: Pilzkundler […] haben erneut Fruchtkörper der Rundsporigen Nadelholz-Scheinlorchel (Pseudorhizina sphaerospora ) aufgespürt. […] Die Pilzart steht auf der Roten Liste der gefährdeten Großpilze und gilt deutschlandweit als extrem selten […]. Dies unterstreicht generell den hohen Wert des Nationalparks Bayerischer Wald als Refugium für bedrohte Lebewesen“ (Nationalpark Bayerischer Wald 2009) (Abb. 4). Auch der Nachweis eines seltenen Totholzkäfers, „so unscheinbar [er] […] dem Laien auch erscheinen mag“, lässt für die Waldökologen der Forschungsabteilung des Nationalparks den Schluss zu, dass der Nationalpark Bayerischer Wald „jetzt auf Platz 1 auf der Rangliste von Bayerns ökologisch wertvollsten Waldgebieten“ (Nationalpark Bayerischer Wald 2015) steht.

Die landschaftliche Deutung der Nationalparkverwaltung, die mit dem Argument seltener Arten zu einer Neubewertung der Totholzflächen führte, ist durchaus innovativ. Jedoch ist fraglich, ob sie zur Akzeptanzsteigerung des Nationalparks unter Einheimischen beitragen konnte, denn als Ergebnis eines Expertendiskurses ist sie für Außenstehende unter Umständen schwer nachvollziehbar. Die naturschutzfachliche Wertzuweisung (etwa die Wertschätzung eines ungestörten Ablaufs natürlicher Prozesse) basiert zudem auf Setzungen, die zwar unter Naturschützern Gültigkeit beanspruchen können (Hupke2015) und die in nationalen Gesetzen (BNatSchG) sowie internationalen Richtlinien (IUCN) fixiert sind, die jedoch nicht unbedingt dem Landschaftsverständnis anderer sozialer Milieus entsprechen. Tatsächlich ironisieren einheimische Kritiker des Nationalparks diese Wertzuschreibung: „Ist es nicht fantastisch, was der Nationalpark Bayerischer Wald für die Region so lebenswichtige Raritäten beherbergt? […] um an erster Stelle in der Rangliste der ökologisch besonders wertvollen Wälder in Bayern zu stehen, brauchten nur knapp 10 000 Hektar Wald in Totholzflächen verwandelt werden. Forscherherz, was brauchst du mehr?“ (Leserbrief Bayerwald Bote 2015). Ein weiterer Kommentator tritt aggressiver auf: „Sucht eure Lorcheln und scannt eure Artenvielfalt wo ihr wollt, aber nicht mehr bei uns im Bayerischen Wald!“ (Leserbrief Bayerwald Bote 2009). Naturwissenschaftliche Erkenntnisse über die Existenz seltener Arten werden hier zwar nicht bestritten, führten bei den Kritikern aber auch nicht zur Akzeptanz des Nationalparks. Hier zeigen sich Unterschiede in der Anschlussfähigkeit verschiedener Informationen: Der Verweis auf seltene Arten ist geeignet, beim naturwissenschaftlich interessierten Publikum positiv aufgenommen zu werden. Kritiker mit verfestigter negativer Einstellung zum Nationalpark vermag er dagegen nicht umzustimmen, da zugrundeliegende Wertzuweisungen (etwa die Höherbewertung von seltenen Arten als Repräsentanten der Biodiversität im Vergleich zu grünen Bäumen) nicht geteilt werden. Grundsätzlich agierte der Nationalpark im Hinblick auf eine Steigerung der Akzeptanz sehr erfolgreich. Die größten Erfolge erzielte er bislang dort, wo er sich auf verbreitete landschaftliche Präferenzen einließ und die unter Einheimischen und Besuchern positiv gedeutete Wiederbewaldung in den Fokus der eigenen Öffentlichkeitsarbeit rückte. Natürlich sollten Funde seltener Arten auch weiterhin kommuniziert werden. Jedoch gilt es zu beachten, dass diese Informationen in Verbindung mit den erfolgten landschaftlichen Veränderungen gedeutet werden und dass sie die Kritiker des Nationalparks vor eine schwierige Aufgabe stellen: nämlich die eigenen landschaftlichen Präferenzen und die zugrundeliegenden Werturteile zu hinterfragen.

5 Touristische Landschaften

Da Gegner von Schutzgebieten deren positive Wirkung für die Region infrage stellten, reagierten Schutzgebietsverwaltungen und Wissenschaft in der Vergangenheit u. a. mit Studien, die mit Verweis auf Besucherzahlen (vgl.Allexet al. 2016) und regionalökonomische Effekte von Schutzgebieten (vgl.Mayer & Job2014) deren Beitrag zur Regionalentwicklung belegen. Neben empirischen Ergebnissen aus Besucherbefragungen sprechen auch allgemeine Mechanismen des Tourismusmarketings dafür, dass Landschaftsveränderungen in Schutzgebieten in ihrer Wirkung auf die Tourismuswirtschaft aus der jeweils lokalen Perspektive tendenziell überbewertet werden. Diese Mechanismen sollen im Folgenden genauer beleuchtet werden.

Für die Tourismuswirtschaft sind stereotype Vorstellungen von Landschaft besonders wichtig, da sie es erlauben, komplexe Gebilde wie Regionen oder ganze Staaten auf eine einzige Aussage zu verdichten und somit als Produkt zu positionieren. Derartige stereotype landschaftliche Vorstellungen sind etwa der „paradiesische“, von Palmen gesäumte Strand oder das Zusammenspiel von schroffen Berggipfeln, lieblichen Almen und malerischen, traditionellen Bergdörfern. Auch vom Wald existieren stereotype Vorstellungen. Weit verbreitet ist die Vorstellung vom grünen Märchenwald mit uralten Baumriesen, die als Symbole der Weisheit und der Dauerhaftigkeit der Natur interpretiert werden (Schama1996). Diese stereotype Vorstellung vom Wald ist nicht nur aus Märchen und Filmen bekannt, sie wird derzeit z. B. auch erfolgreich von „Deutschlands berühmtestem Förster“ (Bild Zeitung 2017) Peter Wohlleben in seinen Büchern bedient. Stereotype Vorstellungen von Regionen oder Landschaften machen bisher unbekannte Orte durch Verwendung bekannter Motive für die Rezipienten der Tourismuswerbung anschlussfähig und lassen im Kontext des Tourismus Orte, die man noch nicht aus eigener Anschauung kennt, vertraut erscheinen (Aschenbrand2017).

Wenn Touristen also mit stereotypen Ideallandschaften zum Reisen motiviert werden, stellt sich die Frage, ob nicht Enttäuschung eintritt, sollten ihre Vorstellungen auf einer Reise nicht oder nicht vollständig erfüllt werden. Hier zeigt sich, dass Touristen schlicht daran gewöhnt sind, dass nicht alle Erwartungen erfüllt werden (Aschenbrand2017). Sie gehen routiniert mit Unerwartetem um. Für die Zufriedenheit von Touristen ist entscheidend, dass einige Erwartungen zu einigen Zeitpunkten der Reise erfüllt werden. Besonders lokale Veränderungen der physischen Grundlagen von Landschaft sind für Touristen in der Regel unproblematisch, da sie in den seltensten Fällen das Geschehen in ihren Reisezielen verfolgen. Touristen sind daher viel weniger sensibel für eine negative Deutung von Veränderungsprozessen als Einheimische, weil ihnen diese in der Regel nicht bewusst sind. Das Gesehene wird stattdessen als Selbstverständlichkeit betrachtet und bleibt als solche weitgehend unhinterfragt. Das gilt auch für die durch Borkenkäfer verursachte Veränderung eines Waldes. Sie bleibt für Touristen weitgehend unproblematisch (Müller & Job2009) und wirft höchstens Fragen über ihre Ursachen und Folgen auf, was für die Umweltbildung von Schutzgebieten als gute Ausgangsbedingung betrachtet werden kann. Zudem gelten Nationalparks im naturbezogenen Tourismus als Indikatoren für intakte Natur und werden von Reiseveranstaltern entsprechend beworben.

6 Fazit: Unterschiedliche Perspektiven auf den Wald

Es lassen sich also mindestens drei verschiedene Formen der Wertzuschreibung unterscheiden. Während der Wert physischer Grundlagen von Landschaft aus Sicht des Naturschutzes auf Größen wie Biodiversität und Habitatstrukturen basiert, ist für den Tourismus die Anschlussfähigkeit an bekannte landschaftliche Stereotype entscheidend (Aschenbrand2017,Urry2002 [1990]; s. auch Tab. 1). Von Seiten der Anwohner werden landschaftliche Veränderungsprozesse tendenziell kritisiert, vor allem, wenn das Gefühl entsteht, nicht in die Aushandlungsprozesse, die zur Veränderung führten, eingebunden gewesen zu sein und keinen individuellen Vorteil aus der Veränderung zu ziehen (Tab. 1).

Weltweit stehen Schutzgebiete vor der Herausforderung, Anwohner einzubeziehen, wieWatsonet al. (2014) herausstellen. Die Nationalparkverwaltung Bayerischer Wald stellte sich dieser Herausforderung in mehrfacher Hinsicht: Man erkannte die Bedeutung der landschaftlichen Vorstellung vom „intakten grünen Wald“ und fokussierte kommunikativ auf die Wiederbewaldung, die zum Schwerpunkt der Informations- und Öffentlichkeitsarbeit wurde. Konsequenterweise forderte der bayerische Umweltminister Schnappauf nach dem Orkan Kyrill 2007: „Oberstes Ziel ist es, den Nationalpark so grün wie möglich zu erhalten“ (Nationalpark Bayerischer Wald 2007: 3).

Gefordert waren zudem Mechanismen zur Realisierung eines partizipativen Managements von Schutzgebieten, denn innovative Ideen werden vor allem von denen mitgetragen und gegen Kritik verteidigt, die das Gefühl haben, an der Entwicklung der Idee beteiligt gewesen zu sein. Auch hierfür liefert der Nationalpark Bayerischer Wald instruktive Beispiele wie etwa das Waldführerprogramm und das Nationalpark-Partner-Programm. Beide Programme ermöglichen Einheimischen eine Mitgestaltung und Mitwirkung am Projekt Nationalpark und sind daher geeignet, die Akzeptanz des Nationalparks zukünftig weiter zu steigern.

Wenn Nationalparks Kommunikationsmaßnahmen entwerfen, die auf touristische Wirkung zielen, sich also im Bereich des Tourismusmarketings bewegen, dann sollten sie sich mit der touristischen Perspektive auf Landschaft auseinandersetzen. Sie können sich natürlich entscheiden, eigene und von gängigen Stereotypen abweichende Darstellungen von Landschaft zu kommunizieren. Dabei sollten sie sich aber bewusst machen, dass sie als Experten Landschaft aus der Expertenlogik ihrer beruflichen Sozialisation heraus konstruieren, die unter Umständen nicht für alle potenziellen Besucher nachvollziehbar ist, da sie in der Regel auf jahrelanger Auseinandersetzung mit Themen entwickelt werden. Eigene Ideen werden anschlussfähiger je mehr sie mit vertrauten landschaftlichen Stereotypen spielen und deren Bedeutung reflektieren (Abb. 5). Im Tourismus haben Nationalparks zudem eine kaum beschränkte Deutungshoheit darüber, was als intakte Natur zu gelten hat. Sie könnten von dieser Autorität selbstbewusst Gebrauch machen.

Landschaftliche Veränderungen betreffend lässt sich kein Zielkonflikt zwischen aktuellem Nationalparkmanagement und Tourismus feststellen. Die Veränderung physischer Grundlagen von Landschaft ist insofern meist weniger wichtig für die Tourismuswirtschaft, als eine interne Perspektive (Heimatlogik) vermuten lässt, so dass die touristische Attraktivität von Nationalparks auch durch zukünftige landschaftliche Veränderungen voraussichtlich nicht verringert werden wird.

Literatur

Aus Umfangsgründen steht das ausführliche Literaturverzeichnis unter www.nul-online.de (Webcode 2231) zur Verfügung.

Fazit für die Praxis

  • Lokaler und überregionaler Diskurs über Schutzgebiete können analytisch getrennt werden.
  • Lokal geht es darum, kein Gefühl der Fremdbestimmung bei den Anwohnern aufkommen zu lassen. Bei der Einbeziehung der lokalen Bevölkerung sollten verfestigte landschaftliche Ideale berücksichtigt werden.
  • Überregional räumen Medien Schutzgebieten die Deutungshoheit über Naturzusammenhänge ein. Sie können definieren, was als intakte Natur gelten kann.
  • Stereotype Vorstellungen von Landschaft sind besonders für die Tourismuswerbung von zentraler Bedeutung.
  • Schutzgebiete sollten diese in der touristischen Kommunikation bedienen und erst vor Ort die potenziell problematischen Aspekte erklären.

Kontakt

Dr. Erik Aschenbrand leitet seit 2018 den Fachbereich Nord des Biosphärenreservats Mittelelbe. Zuvor war er Geschäftsführer des Naturparks Reinhardswald und Mitarbeiter im Nationalpark Bayerischer Wald. Studium der Geographie in Marburg und Passau, Promotion in Tübingen.

> erik.aschenbrand@gmx.de

Thomas Michler arbeitet seit 2007 im Nationalpark Bayerischer Wald im Bereich Umweltbildung. Dort ist er für das regionale Kooperationsprojekt „Nationalpark-Schulen“ sowie für die Ausbildung von ehrenamtlichen Waldführern zuständig. Studium der Sozialen Arbeit in Koblenz.

> thomas.michler@npv-bw.bayern.de

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