Sprunghafter Anstieg ist auf geringere Rückstrahlkraft des Planeten zurückzuführen
2023 verzeichnete die globale Durchschnittstemperatur mit einem Anstieg auf fast 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau einen neuen Höchstwert. Die Ursachen konnten allerdings nur teilweise durch menschengemachten Einflüsse, das Wetterphänomen El Niño sowie Naturereignissen begründet werden. Eine Lücke von etwa 0,2 °C konnte jedoch bisher nicht richtig erklärt werden. Ein Team um das Alfred-Wegener-Institut hat nun im Fachjournal „Science“ beschrieben, was die Ursache sein könnte: Unser Planet verliert sein Rückstrahlvermögen, weil ihm bestimmte Wolken fehlen.
von Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung/Redaktion erschienen am 10.12.2024„Die Frage nach der ‚Erklärungslücke‘ von 0,2 °C im Jahr 2023 ist aktuell eine der prominentesten Fragen der Klimaforschung“, so Dr. Helge Gößling, Hauptautor der Studie vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). Um diese Lücke zu schließen, haben die Klimamodellierer des AWI und des Europäischen Zentrums für mittelfristige Wettervorhersage (ECMWF) Satellitendaten der NASA sowie Reanalysedaten des ECMWF untersucht. Die Daten reichen teilweise bis ins Jahr 1940 zurück und ermöglichen eine detaillierte Analyse der Entwicklung des globalen Energiehaushalts und der Bewölkung in verschiedenen Höhen.
„Auffällig war, dass sowohl im Datensatz der NASA als auch vom ECMWF 2023 als das Jahr mit der niedrigsten planetaren Albedo hervorsticht“, sagt Co-Autor Dr. Thomas Rackow vom ECMWF. Die planetare Albedo beschreibt den Anteil der Sonneneinstrahlung, der nach jeglicher Wechselwirkung mit der Atmosphäre und der Erdoberfläche ins Weltall zurück reflektiert wird. „Wir konnten bereits in den letzten Jahren einen gewissen Rückgang erkennen. Die Daten legen nun nahe, dass die planetare Albedo 2023 so niedrig wie nie seit mindestens 1940 gewesen sein könnte.“ Das befeuert die globale Erwärmung und kann die bisher fehlenden 0,2 Grad Celsius erklären.
15 % des Rückgangs des planetaren Albedos lässt sich durch den Rückgang des Meereises in der Antarktis erklären. Maßgeblicher jedoch wirkt sich der Rückgang von niedrigen Wolken in nördlichen mittleren Breiten und in den Tropen aus. Dabei sticht der Atlantik besonders hervor, also genau jene Region, in der 2023 die ungewöhnlichsten Hitzerekorde beobachten wurden. Die Daten zeigen, dass die Wolkenbedeckung in niedrigen Höhen abgenommen hat, während sie in hohen und mittleren Höhen nur geringfügig, wenn überhaupt, zurückging.
Dass hauptsächlich niedrige und nicht etwa höhere Wolken hinter dem Albedo-Rückgang stecken, ist folgenreich. Wolken in allen Höhen reflektieren Sonnenlicht und haben so eine kühlende Wirkung. Wolken in hohen, kalten Luftschichten haben jedoch zusätzlich auch eine wärmende Wirkung, weil sie die Wärme, welche die Erdoberfläche abstrahlt, in der Atmosphäre halten. „Das entspricht im Grunde der Wirkung von Treibhausgasen“, erklärt Helge Gößling. Diese Wirkung fehle jedoch weitestgehend bei niedrigeren Wolken. „Gibt es weniger niedrigere Wolken, verlieren wir nur den Kühleffekt, es wird also wärmer.“
Was aber hat den Rückgang der niedrigen Wolken verursacht? Weniger menschenverursachte Aerosole in der Atmosphäre, insbesondere durch strengere Auflagen beim Schiffsdiesel, dürften dazu beigetragen haben. Als Kondensationskeime sind Aerosole maßgeblich an der Wolkenbildung beteiligt, zusätzlich reflektieren sie auch selbst das Sonnenlicht. Außerdem könnten natürliche Schwankungen und Ozean-Wechselwirkungen eine Rolle spielen. Helge Gößling hält es jedoch für unwahrscheinlich, dass diese Faktoren als Erklärung ausreichen und bringt einen dritten Mechanismus ins Spiel: Es ist die Erderwärmung selbst, die die niedrigen Wolken verschwinden lässt. „Sofern hinter dem Albedo-Rückgang eine verstärkende Rückkopplung zwischen Erderwärmung und Wolken steckt, wie auch einige Klimamodelle nahelegen, müssen wir mit einer recht starken zukünftigen Erwärmung rechnen“, betont er. „Wir könnten einer globalen Klimaerwärmung von über 1,5 °C bereits näher sein als bislang gedacht. Die verbleibenden Treibhausgasemissionen, die mit diesen Haltelinien des Paris-Abkommens verbunden sind, müssten entsprechend nach unten korrigiert werden, und Maßnahmen gegen die Folgen zu erwartender Wetterextreme würden noch dringlicher.“
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