Von Gebäudebrütern und Natur in der Stadt
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Den dicken Stamm der Eiche hinauf und hinab jagen sich die beiden Eichhörnchen. Über ihnen im Geäst zetert ein Eichelhäher, gestört vom Lärm seiner liebestollen pinselohrigen Nachbarn. Eine Etage tiefer, wo nachts Igel auf Nahrungssuche gehen, fliegen Wildbienen, Käfer und Schmetterlinge emsig von Blüte zu Blüte.
Wer dieses Idyll in einem Dorf am Rand der Schwäbischen Alb vermutet oder im dünn besiedelten Oldenburger Land, liegt falsch. Dieser Ort liegt mitten in der Großstadt, zwischen stark befahrenen Straßen und Tramschienen, zwischen Wohnkomplexen und repräsentativen Unternehmenszentralen.
Es ist diese Natur der Stadt, die zu schützen und zu entwickeln sich Kirsten Gulau zur Aufgabe gemacht hat. Sie hat Biologie studiert, doch die Abläufe im Reagenzglas, nur mit Momentaufnahmen unter dem Mikroskop, vermochten sie nicht zu fesseln. „Ich möchte die Abläufe von vorn bis hinten mitbekommen und sie begleiten!“, erklärt Gulau. Schließlich wählte sie die Schwerpunkte Verhaltensbiologie und Ökologie – die Grundlage für ihre spätere Arbeit.
Die Naturschutzarbeit, zu Beginn vor allem bei NGOs, entpuppte sich als das Richtige für die Biologin. Gulau begleitete und leitete verschiedene Projekte, und schließlich fand sie ihr Schlüsselprojekt: Sie stieß auf das Thema Artenschutz am Gebäude. Die Koexistenz von Mensch und Wildtieren im Siedlungsraum, die Anpassungsfähigkeit der Arten an anthropogen überformte Lebensräume, die Natur in der Stadt sollten Kirsten Gulaus Steckenpferd werden.
Schritt in die Selbstständigkeit
Dann endete das Projekt. Erst mal gut: „Ich entdecke gerne neue Dinge“, meint die Biologin. Doch die Gebäudebrüter ließen sie nicht mehr los. „Ich habe an der Stelle gemerkt, dass ich mit dem Thema Artenschutz am Gebäude, mit dem Artenschutz in der Stadt noch nicht fertig war. Da gibt es so viel Potenzial!“ Gulau wählte die für sie einzig richtige Option: den Schritt in die Selbstständigkeit.
Heute berät die Biologin Unternehmen, Immobilienwirtschaft und Architekten zu klimaangepassten und tierfreundlichen Gebäuden sowie zur naturnahen Gestaltung und Umgestaltung von Freiflächen. „Das Schöne am Thema ist, dass man es von großen, übergeordneten Konzepten bis zum einzelnen Quadratmeter anwenden kann“, meint sie. „Keine Fläche ist zu klein, um sie nicht für die Stadtnatur aufwerten zu können.“
Dementsprechend vielfältig ist auch ihr Kundenstamm. Er reicht vom kleinen Einzelhandelsgeschäft in der Innenstadt mit nur wenigen Quadratmetern Grün im Innenhof bis zu repräsentativen Firmenzentralen europaweit agierender Unternehmen. Meist sind schon Strukturen vorhanden, auf die Gulau aufbauen und die sie weiterentwickeln kann.
Kommunikation als Schlüssel
Das wichtigste Handwerkszeug dabei: Kommunikation. „Meist besteht schon eine gewisse Grundbereitschaft der Auftraggeber, etwas für mehr Naturnähe zu tun“, meint Gulau. Die Gründe sind unterschiedlich, reichen von der Imageverbesserung bis hin zu der tiefen Überzeugung, einen positiven Beitrag zum Umweltschutz leisten zu können. „Meine Aufgabe ist dann zuerst, auszuloten, was der Auftraggeber wirklich möchte.“
Manchmal sind es nur kleine Veränderungen, die die Biologin anregt. Manchmal darf sie aber auch aus dem Vollen schöpfen. Natürlich freut sich Kirsten Gulau, wenn sie sich beim Entwickeln ihrer Konzepte voll austoben darf. Doch sie ist auch nicht traurig, wenn sie nur im Kleinen Neues bewirken kann – jeder Quadratmeter zählt, schafft Raum für Arten und trägt zu einem angenehmen Stadtklima bei. Außerdem hat Gulau festgestellt: Gerade mit kleinen Maßnahmen lassen sich manche Menschen sehr gut an die Natur heranführen. „Das Verständnis lässt sich besser vermitteln, wenn man den niedrigschwelligen Ansatz wählt“, erklärt sie. „Dann fangen die Ideen meist von alleine an zu sprudeln.“
Konzepte nach Maß
Die Auftraggeber erhalten von Gulau dann maßgeschneiderte Konzepte und Skizzen. Jede Arbeit ist anders. „Man muss alles standortabhängig betrachten“, betont sie. „Zuerst einmal muss ich wissen: Welche Arten kommen überhaupt vor? Bei welchen erscheint eine Zuwanderung von außerhalb realistisch? Da gibt es keine pauschalen Lösungen!“ Dazu betrachtet sie nicht nur die Freifläche selbst, sondern bezieht auch die Umgebung mit ein. Gibt es Parks und öffentliche Grünflächen? Welche Infrastruktur herrscht vor? Welche Arten kommen in der Umgebung vor?
Diese Potenziale gilt es, durch die Gestaltung der vorhandenen Strukturen zu nutzen. Das bedeutet aber nicht, dass die vorhandene Vegetation samt und sonders weichen muss. Vielmehr wählt die Biologin einen sanften Ansatz der Weiterentwicklung. „Ich achte darauf, was bereits vorhanden ist und was man sinnvoll nutzen kann“, erklärt Kirsten Gulau. „Manchmal ist es auch besser, nicht zu gestalten“, ergänzt sie. „Nicht jede Brache muss immer direkt überplant werden.“
Kompromiss gesucht!
Gleichzeitig ist jedes Konzept ein Kompromiss: Die Natur ist schließlich nicht der einzige Nutzer, und die Interessen der Auftraggeber sind weiter gefasst. Der Mensch darf bei aller Naturnähe nicht aus dem Fokus geraten, denn die Freiräume sollen auch Aufenthaltsqualität bieten. Als Begegnungsstätte, als Erholungsraum, vor allem aber als Naturerfahrungsraum. Gerne ergänzt Gulau ihre Skizzen deshalb auch um kleine Infotafeln, über die sie kleine Informationshappen anbietet. Ihre Idee dahinter: „Je mehr die Menschen lernen, desto mehr erfreuen sie sich an der Natur!“ Außerdem lassen sich so leicht Berührungsängste gegenüber dem vermeintlich Fremden abbauen.
Die Arbeit der Biologin endet nur selten mit einem Konzept. Oft kommen die Auftraggeber immer wieder auf die „Stadtnaturentwicklerin“ zu. Die Optimierung von Gebäuden und Freiflächen wird so zum Prozess, den Gulau begleiten darf – inzwischen in ganz Deutschland. Außerdem übernimmt sie auf Wunsch auch die Öffentlichkeitsarbeit für die Unternehmen und kommuniziert über die Artenschutzmaßnahmen an Presse und die interessierte Öffentlichkeit.
Kommunikation ist Kirsten Gulau übrigens nicht nur ein Anliegen gegenüber ihren Auftraggebern: Sie sucht auch die Vernetzung zu anderen Disziplinen, beispielsweise zur Architektur. Denn der Bedarf ist groß. „In allen Großstädten sind moderne Bürokomplexe mit flächigen Glasfassaden zu finden“, nennt sie als Beispiel. „Vogelschlag ist hier ein riesiges Problem, das nicht unterschätzt werden darf.“ Ihre Kritik: Im Studienplan der Architekten ist Artenschutz maximal eine Randerscheinung. Deshalb gibt sie Seminare, um ihr Wissen zu teilen und neue Anknüpfungspunkte zu schaffen. Seit einigen Jahren zählt sie beispielsweise zum festen Bestandteil des Lehrgangsprogramms der Architektenkammer Niedersachsen.
Auch zur Forschung hat die Biologin kürzlich einen Bogen gespannt: Für ein Monitoringprojekt hat Kirsten Gulau eine Kooperation mit dem Hamburger Centrum für Naturkunde (CeNak) und einem ihrer Kunden, der Signal Iduna Gruppe, initiiert. „Ich liebe einfach die interdisziplinäre Zusammenarbeit“, schwärmt Gulau. „Besonders, wenn ich damit noch Gutes für die heimische Artenvielfalt bewirken kann.“ Gemeinsam mit dem wissenschaftlichen Mitarbeiter, Dr. Martin Kubiak, vom CeNak untersucht die Biologin in diesem Jahr die Insektenvielfalt auf Gründächern in der Hamburger Innenstadt. „Die Kenntnisse darüber sind in Deutschland noch ziemlich rar. Daher freue ich mich sehr, dass wir hier mit unserer Untersuchung Aufschlüsse darüber bekommen können, ob sich begrünte Dachflächen als Ausgleichsmaßnahmen in hochverdichteten Städten eignen und wie sie dafür bestenfalls optimiert werden sollten“, berichtet Gulau. Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses von Gulau und Kubiak stehen verschiedene Artengruppen der Insekten, wie Zweiflügler, Hautflügler und phytophage, also Pflanzen fressende, Käfer.
Diese Vernetzungsstrategie lebt Gulau übrigens nicht nur bei ihren Beratungen und Projekten: Ihr Büro ist in einer Bürogemeinschaft in Hamburg angesiedelt. In dem umgebauten alten Gebäude finden verschiedenste Menschen zueinander: Architekten und Biologen, Journalisten, Grafiker und viele andere mehr. Eine bunte Gemeinschaft vieler „Einzelkämpfer“ – auch wenn die Biologin nicht ausschließt, irgendwann auch einmal Mitarbeiter einzustellen. Konkrete Pläne dafür hat sie aber bisher nicht. „Ich bin froh und dankbar, dass ich meiner Leidenschaft nachgehen kann“, meint sie. Die Bürogemeinschaft nennt sich selbst übrigens „Stadtveränderer“ – und dieser Begriff steht übergeordnet für Gulaus Vision: Der Natur in der Stadt mehr Raum geben.
- Gründung: 7/2017
- Gesellschaftsform: Einzelunternehmen
- Inhaberin: Kirsten Gulau
- Mitarbeiter: 1
- Auftraggeber: 55 % Gewerbe, 25 % NGOs & Architektenkammern, 10 % Immobilienwirtschaft, 5 % öffentliche Hand, 5 % kirchliche Träger
- Tätigkeitsfelder: 25 % Kartierungen, 75 % Beratung, Konzept, Öffentlichkeitsarbeit
„STADTNATURENTWICKLUNG verbindet Wohn- und Lebensqualität mit dem Schutz von Klima und heimischen Arten im urbanen Raum. Mit der gezielten Planung von Natur in der Stadt wird das harmonische Zusammenleben von Mensch-Tier-Pflanze aktiv gesteuert. Somit entsteht mit den Beratungen und Konzeptionen von STADTNATURENTWICKLUNG ein Mehrwert für die biologische Vielfalt und für die Menschen in der Stadt, die als integrativer Bestandteil von Stadtnatur verstanden werden.“
STADTNATURENTWICKLUNG
c/o Bürogemeinschaft Stadtveränderer
Hammer Steindamm 62, 20535 Hamburg
Tel. +49 (0)40 32045845
Mail: gulau@stadtnaturentwicklung.de
www.stadtnaturentwicklung.de
Kirsten Gulau ist Biologin. Mit ihrem Unternehmen Stadtnaturentwicklung berät sie Unternehmen bei der Förderung von Biodiversität auf Freiflächen und Gebäuden.
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