Risiken mindern und Biodiversität fördern
Hochwasserereignisse haben im vergangenen Jahrhundert immer wieder zu Schäden im schweizerischen Steffisburg im Kanton Bern geführt: Die Zulg entwickelt hier enorme Kräfte. Derzeit arbeitet ein Projektteam daran, die Defizite beim Hochwasserschutz auszuräumen – und gleichzeitig die Durchgängigkeit für Fische und andere Lebewesen wieder herzustellen. Wir durften das Projekt kennenlernen.
von Julia Bächtle erschienen am 15.07.2025Unaufhaltsam schieben sich die Wassermassen talwärts – das Gewitter und der Starkregen, der Kilometer entfernt in den Bergen niederging, kommt nun auch in Steffisburg an. Braun vom aufgewirbelten Sand und Schlamm, ohrenbetäubend laut, mit zerstörerischer Kraft. Es ist nicht das Wasser allein, von dem Gefahr ausgeht. Mit der Wucht des Wassers wirbeln Äste, teilweise ganze Bäume, den sonst so beschaulichen Bachlauf hinab. Wenn sich dieses Schwemmholz an Brücken verklaust, können große Teile der Gemeinde geflutet werden – ein Szenario, das im Zuge des Klimawandels immer häufiger Realität werden könnte. Bereits im Jahr 2009 entstanden in Steffisburg deshalb erste Ideen, die Hochwassergefahren an der Zulg zu mindern. 2013 startete das Projekt schließlich in die Planungsphase.

„Der Hochwasserschutz ist zentrales Thema an der Zulg“, betont Mark van Egmond, Projektleiter der Gemeinde Steffisburg. Oberstes Ziel ist es deshalb seit Projektstart, den Hochwasserschutz für den Siedlungsraum zu verbessern und gleichzeitig die Längsvernetzung und damit die Artenvielfalt an der Zulg zu fördern – denn auch hier gibt es Nachholbedarf: Durch verschiedene Querbauwerke, allen voran die 4 m hohe Müllerschwelle, ist die Zulg für wandernde Fische nicht durchgängig. Außerdem leben an ihren Ufern zahlreiche seltene Arten – vom Frauenschuh an den steilen, schattigen Hängen der Schlucht, die die Zulg durchfließt, bis hin zu verschiedenen Amphibien- und Reptilienarten. „Die Geburtshelferkröten sind in der Schweiz stark unter Druck, und an der Zulg besonders, weil der Fluss sich mit jedem Hochwasser sehr stark verändert“, gibt Umweltbaubegleiter Martin Lutz ein Beispiel. Auch ihre Bedürfnisse sollen daher im Projekt berücksichtigt werden.

Neun Jahre dauert die Planung – besonders der Umbau der Müllerschwelle und die Problematik der Schwemmholzteppiche sind aufwendig. Von Anfang an wird die Bevölkerung in das Projekt eingebunden, inklusive eines Volksentscheides für die Finanzierung. „Es war uns sehr wichtig, hier das Verständnis der Bevölkerung zu wecken“, erklärt Mark van Egmond. „Einige Baumaßnahmen erscheinen auf den ersten Blick eher grobschlächtig, vor allem Eingriffe technischer Art im Naturraum.“
1Das Holz aufhalten
Damit bezieht sich van Egmond vor allem auf den ersten der insgesamt vier Bauabschnitte: die Holzrechen. Sie sollen das Holz, das die Zulg bei Hochwasser mit sich bringt, stoppen, bevor es in den Siedlungsbereich kommt. Gleichzeitig soll die Geschiebeführung des Bachs beibehalten werden – schließlich ist die Zulg einer der wichtigsten Geschiebelieferanten für die Aare, in die sie einige Kilometer hinter Steffisburg mündet. Die Lösung: Zwei Rechen aus massiven Metallröhren, tief im Fels verankert und mit Beton ausgegossen. Zwischen ihnen sind dicke Stahlseile gespannt, die das Schwemmholz effektiv stoppen. Buhnen lenken das Wasser auf die Rechen zu. Hervé Denys vom Ingenieurbüro Flussbau AG erklärt das Konzept: „Die beiden Rechen erstrecken sich nicht über die gesamte Gewässerbreite, da sonst eine Dammwirkung entstehen kann. Dann wäre eine extreme Eintiefung möglich – 10 m sind bei einem Hochwasserereignis absolut möglich.“
Neben den Rechen entstanden in diesem Bauabschnitt außerdem mehrere Ausgleichsflächen für Amphibien in Ufernähe – wie und ob die Geburtshelferkröten, Gelbbauchunken und Co. diese annehmen, werden die nächsten Jahre zeigen.
2Mehr Durchgängigkeit
Technisch noch aufwendiger als die Entwicklung des Rechens gestaltet sich der zweite der vier Bauabschnitte: die Müllerschwelle. Hier gilt es zum einen, mittels Absenkung der Schwelle und des Gerinnes die Abflusskapazität zu vergrößern und den Geschiebetransport zu gewährleisten und zum anderen, den Bereich fischdurchgängig zu gestalten. Und noch eine Herausforderung gilt es hier zu meistern: Vom Sandfang am linken Ufer der Zulg wird seit Jahrhunderten der Mühlebach gespeist, der verschiedene Gewerbe und Industriebetriebe mit Energie versorgte und an dem heute eine Schausägerei betrieben wird. Dieser Bach soll auch weiterhin gespeist werden – trotz der Sohlabtiefung. Auch dafür ist eine technische Lösung nötig – und zwar eine, die ohne Strom funktioniert.
Wasserbauingenieur Hervé Denys recherchiert nach möglichen Lösungen. An der Glatt, einem Zufluss des Rheins, wird er fündig: Die Technik, die hier für die Wiesenbewässerung eingesetzt wird, lässt sich auch an der Zulg adaptieren. „Die Voraussetzungen hier sind sogar noch besser, da der Absturz höher ist“, erklärt er. Was entsteht, ist eine technische Meisterleistung, die sich in den historischen Kontext der Wasserkraftnutzung einfügt: Ein Antriebsrad mit einem Durchmesser von 5,50 m treibt ein Schöpfrad an, das den Mühlebach speist. 100 l/Sekunde fördert das Rad problemlos, bei Bedarf sogar bis zu 200 l. Was simpel klingt, musste bis ins letzte Detail geplant werden. „Die Anlage erfordert sehr hohe Genauigkeit in Stahlbau und Betonwerken“, betont Mark van Egmond. „Da brauchte es eine hohe Anzahl von Projektbegeisterten und Enthusiasten!“

Nicht minder herausfordernd ist es, die Müllerschwelle für Fische passierbar zu machen. Das ist der Aufgabenbereich von Matthias Mende. „Wir haben zuerst eine Variantenanalyse durchgeführt“, erklärt er. In Betracht gezogen wurden Fischschleusen, konventionelle Schlitzpässe, verschiedene Anordnungen. Allerdings: Die herkömmlichen Aufstiegsanlagen passen nicht gut in den sehr beschränkten verfügbaren Platz. Nur eine der möglichen Varianten sticht heraus: der Mäanderfischpass Typ C. „Durch die C-förmige Anordnung der Becken kann dieser Fischpass deutlich steiler gestaltet werden“, erläutert Mende. Bei einer Fallhöhe von gerade einmal 18 cm pro Becken lässt sich eine Steigung von 20 % überwinden. Die Bauweise ist keineswegs neu. Bereits im Jahr 1998 entwickelt Hans Wilhelm Peters das System. Bis 2010 werden zirka 60 Bauwerke dieser Art in Deutschland errichtet. Allerdings fehlten bis vor kurzem hydraulische Nachweise für den Mäanderfischpass – vielleicht ein Grund dafür, dass er in den letzten Jahren verhältnismäßig selten zum Einsatz kam.
Dabei hat der Mäanderfischpass noch weitere Vorteile: Nicht nur kann er auf engem Raum errichtet werden, die Strömungslenkung ist für die aufsteigenden Fische sogar besser als die herkömmlicher Aufstiegsanlagen. „Das Wasser wird immer an den Wänden entlanggeführt“, erklärt Matthias Mende. „So entstehen turbulenzarme Strömungen. Die Fische können sich besser orientieren; außerdem gibt es in der Beckenmitte immer auch einen strömungsberuhigten Bereich, in dem sie sich ohne Anstrengung aufhalten können.“
3Bereits dieses Jahr könnten erste Fische den neuen Maänderpass durchwandern – sofern sie schon im Bereich bis zum nächsten Querbauwerk leben. Die Zulg ist nämlich auch nach Abschluss der Baumaßnahmen in Steffisburg noch nicht durchlässig. Die Perspektive ist jedoch gut: Auch im Bereich der Mündung und im Abschnitt auf dem Gemeindegebiet der Nachbargemeinde Heimberg laufen gerade die Planungen für die Wiederherstellung der Durchgängigkeit. In fünf bis zehn Jahren könnten so wieder Forellen von der Aare in das Quellgebiet der Zulg wandern.
Bis dahin bleibt einiges zu tun: In Bauabschnitt 3 wird bis 2026 das linksseitige Ufer der Zulg erhöht, um das Hochwasserrisiko bei den angrenzenden sensiblen Infrastrukturen zu mindern. Und in Bauabschnitt 4 muss ebenfalls noch an der Durchgängigkeit gearbeitet werden. Bis zum Frühling 2026 werden hier die bestehenden Betonschwellen umgebaut, sodass sie als Sohlenfixpunkte noch vorhanden sind, aber von Groppen und Forellen überwunden werden können.
- Projektlaufzeit: 2013–2026 (Umsetzung seit 2022)
- Projektleitung: Mark van Egmond
- Finanzierungsumfang: 14 Mio. CHF
- Finanzierung: Gemeinde Steffisburg (20 %), externe Fördermittel (80 %)
Gemeindeverwaltung Steffisburg – Abteilung Tiefbau
Mark van Egmond
Höchhusweg 5 – Postfach 168
CH – 3612 Steffisburg
+41(0)33 439 43 72
Mark.VanEgmond@steffisburg.ch
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