Wie stark begünstigt ein Verlust der Artenvielfalt neue Infektionskrankheiten?
Forschende gehen davon aus, dass ein Verlust der Biodiversität – zum Beispiel durch menschliche Eingriffe in Ökosysteme – die Übertragung von Krankheitserregern zwischen Tier und Mensch, sogenannte Zoonosen, begünstigt. Doch wie groß ist dieser Effekt? Ihn genauer zu beziffern, ist das Ziel eines internationalen Forschungsteams unter Leitung der Charité – Universitätsmedizin Berlin im Projekt „Zoonosis Emergence across Degraded and Restored Forest Ecosystems” (ZOE). Die Ergebnisse sollen dabei helfen, ein erhöhtes Risiko für die Entstehung von Zoonosen frühzeitig erkennen zu können.
von Charité/Red erschienen am 18.01.2024„Wenn wir in Naturräume eingreifen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Tiere, die mit den neuen Umweltbedingungen besser zurechtkommen, sich stärker vermehren“, erklärt Prof. Jan Felix Drexler, Virologe an der Charité und Leiter des neuen Forschungsvorhabens. „Es gibt Hinweise, dass sich mit ihnen auch ihre Krankheitserreger vermehren, die potenziell für den Menschen gefährlich werden können“.
Die genauen Zusammenhänge zwischen Landnutzungsänderungen, dem Verlust der Biodiversität und dem Zoonose-Risiko sind noch immer unklar. Um sie besser zu verstehen, hat Jan Felix Drexler gemeinsam mit Prof. Nadja Kabisch, Landschaftsökologin an der Leibniz Universität Hannover und Ko-Koordinatorin des Projekts, ein interdisziplinäres Konsortium mit ausgewiesener Expertise in den Bereichen Geografie, Geobotanik, Ökologie, Virologie, Immunologie, Epidemiologie, Soziologie, Psychologie, Anthropologie und Wissensverbreitung versammelt.
Die Forschenden aus sieben europäischen und vier amerikanischen Ländern planen eine detaillierte Kartierung der Biodiversität in Waldgebieten, in die der Mensch unterschiedlich stark eingegriffen hat. Das Team wird dazu in Guatemala, Costa Rica, Slowenien und der Slowakei ursprüngliche Wälder sowie entwaldete und renaturierte Flächen untersuchen.
Um die jeweils vorherrschende Landnutzung und die Artenvielfalt zu ermitteln, sollen die Beschaffenheit der Landschaft sowie die Tier- und Pflanzenarten mithilfe von Satellitenaufnahmen und auch direkt vor Ort erfasst werden. Zusätzlich wollen die Wissenschaftler:innen bestimmen, wie viele potenziell gefährliche Mikroorganismen in dem Ökosystem zirkulieren, indem sie Nagetiere, Zecken und Mücken – als häufige Träger zoonotischer Erreger – mittels moderner Sequenziertechniken auf das Vorhandensein verschiedenster Bakterien und Viren testen.
Blutproben von in der Nähe lebenden Menschen werden Aufschluss darüber geben, wie viele dieser Erreger bereits übertragen wurden. Ergänzend zu den biomedizinischen Untersuchungen will das Forschungsteam auch systematische Befragungen durchführen: Wie erleben die Menschen in den Studiengebieten die Umweltveränderungen? Wie häufig treten Krankheiten auf, wie gehen sie mit dem Infektionsrisiko um?
Aus diesen Daten wollen die Forschenden statistische Modelle entwickeln. Sie sollen Aussagen darüber treffen, wie stark das Risiko zoonotischer Erkrankungen abhängig vom Grad der Landnutzungsänderungen und dem Verlust der Biodiversität steigt. Das Team erhofft sich außerdem Erkenntnisse zur Wirkung von Renaturierungsmaßnahmen. Die Ergebnisse sollen dabei helfen, das Risiko neuer Zoonosen direkt vor Ort zu erkennen und zu begrenzen – als Baustein zur Vermeidung künftiger Epidemien.
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