Umweltrecht und Klagemöglichkeiten als Bremsen? Nun geht's im „Deutschlandtempo“ in die Krisen
Jetzt also Deutschlandtempo, nach der Zeitenwende in Form von 100 Mrd. € für die Bundeswehr und dem Doppel-Wumms für die Milliardenhilfen in der Energiekrise des letzten Winters. Kanzler Olaf Scholz liebt manchmal markige Worthülsen.
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„Deutschlandtempo brauchen wir überall, wenn es um Entscheidungen des Staates, um Handlungen und Planungen geht“, erklärt er beim Deutschen Arbeitgebertag. Er wolle „unser Land schnell machen“. „Dieses Land erstickt in Langsamkeit von Großprojekten“, pflichtet ihm FDP-Fraktionschef Johannes Vogel bei. Das bedient ein Narrativ als kleinsten gemeinsamen Nenner: Überbordende Bürokratie ist das Übel allen Stillstands in Politik, Verwaltung und Gesellschaft. „In jeder Sitzungswoche wird in dieser Bundesregierung, in diesem Bundestag beschlossen, die Bürokratiekosten weiter nach oben zu treiben“, erregt sich CDU-Oppositionsführer Friedrich Merz. Jede Sitzungswoche sei eine „ernsthafte Bedrohung für dieses Land“.
Politik vereinfacht fahrlässig
Geradezu stereotyp wird in fahrlässiger Simplifizierung all das gebrandmarkt, was Zeit hinsichtlich Planungs- und Genehmigungsverfahren kostet. Seit Monaten schon ringen die Länder mit dem Bund um eigene Vorschläge für Planungs- und Genehmigungsbeschleunigungen. Beide Seiten sind sich im Prinzip einig, dass für Verkehrs-, Energie- und andere Infrastrukturprojekte Genehmigungsschritte verkürzt oder wegfallen sollen – etwa durch Einschränkungen für den Artenschutz und von Klagemöglichkeiten. Vorhaben sollen künftig als genehmigt gelten, wenn Behörden nicht innerhalb einer Frist entschieden haben. Kein Wort dazu, dass oft fehlendes Personal solchen Entscheidungsverzug bedingt – ein Problem des Fachkräftemangels. Kommt niemandem in den Sinn, dass solche Willkür Politik- und Staatsverdrossenheit fördert? Partizipation und Ko-Kreation sind das Gebot der Stunde, um akzeptierte Lösungen zu entwickeln und die Menschen mitzunehmen.
Grundpfeiler des Umweltrechts
Macht sich keiner Gedanken, wie durch eine erneute Beschneidung von Umweltprüfungen und Artenschutzrecht die ohnehin haushoch verfehlten Umwelt- und Nachhaltigkeitsziele erreicht werden sollen? O-Ton Kanzler Scholz bei der Jahreskonferenz des Rats für Nachhaltigkeit: „Die Zeit drängt“ für die globalen Ziele der Agenda für Nachhaltigkeit bis 2030 – und er konstatiert „weltweit eine neue Entschlossenheit, gemeinsam voranzukommen beim Erreichen der SDGs“. Eine Doppelzüngigkeit, wenn sich die Bundesregierung erst in die Reihe der Musterknaben für Nachhaltigkeit einreiht und am nächsten Tag „die Axt an Grundpfeiler des Umweltrechtsystems“ legt, wie der NABU formuliert. Der Vorschlag aus dem grünen Umweltministerium, Ersatzgeldzahlungen der Realkompensation gleichzustellen, setzt all dem noch einen obenauf. Jahrzehntelang aufgebautes Umweltrecht erodiert binnen weniger Monate dahin.
Die Komplexität überfordert
Erneut werden Populismus und Simplifizierung über einen intelligenten Umgang mit Komplexität siegen. Dabei liefern Wissenschaft und Praxiserfahrungen genügend Ideen, wie Bürokratie sinnvoll abgebaut und Planungen beschleunigt werden können, ohne die Umweltstandards und all die Biodiversitäts-, Klima- und Nachhaltigkeitsziele in die Tonne zu hauen. Wenn, dann doch bitte mit Ehrlichkeit: Unsere Zukunft ist uns egal, solange die Wirtschaft nicht brummt. Am 7. November, bei der nächsten Ministerpräsident:innen-Konferenz in Berlin, könnte der Deutschlandpakt besiegelt werden. Traurig!
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