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Editorial | Eckhard Jedicke

Motivierte Wahrnehmung: Warum auch Politik wissenschaftliche Fakten leugnet

Was geht da eigentlich gerade in der Politik ab? Ambitionierte Ziele für die Biodiversität einerseits, wie wir sie vor einem Monat erst an dieser Stelle aufgriffen, lassen Hoffnung auf eine Trendwende keimen. Blinde Pauschalablehnung andererseits holt auch Optimisten auf den Boden zurück.

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Denkbar knapp mit 44 zu 44 Stimmen lehnte der Umweltausschuss des EU-Parlaments soeben einen Antrag auf Zurückweisung des Nature Restoration Law (NRL) ab. Die EVP-Fraktion positionierte sich als Fürsprecherin einer angeblich überforderten Landwirtschaft. Die Zitterpartie geht weiter, da noch über Hunderte von Änderungsanträgen abzustimmen ist. Derweil sprechen sich über 800.000 Menschen unter dem Hashtag #RestoreNature für das NRL aus, ebenso über 200 Organisationen und mehr als 3.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Keine Chance gegen das eigene Weltbild

Warum haben die Wissenschaftsleugner offensichtlich Oberwasser bei Konservativen, Rechtspopulisten, Rechtsextremen und manchen Liberalen? Billiger Stimmenfang – ein Jahr vor der Europawahl – ist das eine. Aber es steckt mehr dahinter:Motivated rejection of science beschreibt die Psychologie das Phänomen. Stephan Lewandowsky und Klaus Oberauer, Psychologen in Bristol und Zürich, stellten mehrfach fest: Menschen neigen dazu, Erkenntnisse abzulehnen, die ihre Grundüberzeugungen oder ihr Weltbild bedrohen. Paradox ist dabei, dass ein höherer Bildungsgrad nicht unbedingt hilft, eher steigt der Grad der Polarisierung, die Begründung wird anspruchsvoller. Erhöhen lässt sich die Akzeptanz hingegen durch das Verstehen der Mechanismen, die einem wissenschaftlichen Ergebnis zugrundeliegen. Also doch eine Chance für die Bildung!

Kahlschlag im Artenschutzrecht

Erklärt das Phänomen der motivierten Wahrnehmung vielleicht den Kahlschlag des Artenschutzrechts im Namen der Energiewende durch das grün geführte Bundeswirtschaftsministerium? Dieses hat in einem Leitfaden zu § 6 Windenergieflächenbedarfsgesetz (WindBG) die Überforderung der Naturschutzbehörden festgezurrt: Sie müssen fast allein für die Einhaltung des Artenschutzes in den Energie-Vorrangebieten sorgen, weitgehend ohne aktuelle Daten und ausreichend Personal. Die Energieerzeuger zahlen einen Ablass (Ersatzgeld), aus dem Artenschutz unabhängig von den Eingriffen finanziert wird (weit weniger als ursprünglich vereinbart). Dafür wird die Chance vergeben, durch bewusste Standortwahl die Folgen für den Artenschutz zu mindern. Motivierte Wahrnehmung: Nichts darf das oberste Ziel des Klimaschutzes vermeintlich schmälern. Biodiversitätskrise? Kein Problem, regeln wir mit Geld. Dabei ist sich die Wissenschaft einiger denn je: Keine Krise kann isoliert für sich gelöst werden – gerade Klima- und Biodiversitätskrise erfordern gemeinsame Lösungsstrategien. Das zeigen im Heft beispielhaft verschiedene Ernährungsszenarien.

30% Schutzgebiete – ein Déjà-vu

Einem anderen ambitionierten Politikziel gehen wir mit dem 30 × 30-Ziel gemäß der Biodiversitätskonvention nach: 30 % Schutzgebiete bis zum Jahr 2030. Gut sechs Jahre bleiben noch zum Handeln. Aber niemand hat bisher einen Plan, wie das in der Praxis umgesetzt werden soll. Ein Déjà-vu: Bei der eiligen Umsetzung der FFH-Richtlinie war es genauso. Natura 2000 ist bis heute kein wirklich kohärentes, räumlich und populationsbiologisch fundiert hergeleitetes Schutzgebietssystem. Wird das 30 × 30-Ziel ebenso ein Stückwerk aus Restflächen und Umwidmung bereits bestehender, nicht ausreichend wirksamer Schutzgebiete? Ohne zu unken: Es wird so kommen!

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