Interview mit dem Ökologen und Buchautor Dr. Ernst Paul Dörfler
Vor dem Besuch bei Ernst Paul Dörfler muss ich mich erst einmal auf eine Terminsuche mit ihm einlassen, die nicht leicht ist, weil er seit einigen Wochen mit seinem Buch „Aufs Land“ zu Lesungen unterwegs ist und Absprachen trifft für Interviews und Gesprächsrunden.
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Dr. Ernst Paul Dörfler Christoph Kuhn
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Wir finden einen Tag Ende Oktober. Gut, dass es ein relativ milder, sonniger Tag ist, denn wir werden im Freien sein, sagt er mir am Telefon. Mit dem Zug geht es zur seinem Wohnort Steckby nächstgelegenen Bahnstation Zerbst. Von da aus 10 km mit dem Fahrrad über die Landstraße. Das Dorf liegt im Biosphärenreservat Mittelelbe, zählt 250 Seelen, hat eine Radfahrerkirche, eine Storchenmühle und mehrere Vereine. Auf die Frage nach Dr. Dörflers Haus wird mir mehrfach bereitwillig Auskunft gegeben. Der Ökochemiker und Buchautor ist prominent und offensichtlich geschätzt.
Zuerst führt er mich durch den Garten hinterm Haus. Hier stehen Apfel-, Pfirsich- und Feigenbäume, Sonnenblumen, Himbeer-, Andenbeeren- und Blaubeersträucher, Tomatenstauden. Bohnenpflanzen winden sich am Gestänge, Wein rankt an der Fassade. Am Boden wachsen Zucchini, sogar Wassermelonen, darunter roter Rettich und natürlich Möhren. Oder Kartoffeln, davon gibt es gleich welche zum Mittagsmahl. Für den Quark dazu sammeln wir Dill, Petersilie, Kerbel und mir bislang ganz unbekannte Kräuter. Wir schneiden Zwiebeln und Knoblauch.Der Gartentisch ist gedeckt, und wir reden beim Essen schon über das Landleben, wie‘s im Buch beschrieben ist und wie es der Autor selbst praktiziert. Sein Garten versorgt ihn, saisonbedingt, mit fast allen nötigen Nahrungsmitteln.
Wer das vorhergehende Buch „Nestwärme“ und die älteren vogelkundlichen Bücher von ihm kennt, wird erstaunt sein, dass es jetzt ums große Ganze geht: um die vielfältige und rasante Naturzerstörung in Stadt und Land und um Auswege aus der Klimakrise, der Monokultur und dem Konsumzwang.
Am 29. Juli war der im vergangenen Jahr Erdüberlastungstag; seitdem lebt die Menschheit selbstzerstörerisch von den Ressourcen, die den nächsten Generationen zustehen. Die Gründe sind komplex: Wachstumszwang, Überkonsum, verhängnisvolle Produktionsketten, falsche Preispolitik, Entfremdung von der Natur, Denaturierung der Landschaft …
Von der Landschaft, den Elbauen, kann ich mir beim gemeinsamen Spaziergang ein Bild machen. Im UNESCO-Biosphärenreservat soll Harmonie zwischen den Menschen und ihrer natürlichen Umgebung hergestellt werden – eine löbliche Absicht, deren Umsetzung immer wieder, zum Beispiel durch den Ausbau der Flussufer, behindert wird.
Dörfler beschäftigt sich nicht nur mit dem Einfordern staatlicher Aufgaben und mit dem Versagen der Politik. „Aufs Land“ richtet sich an alle – ein Titel ohne Ausrufezeichen. Es geht um Aufmerksamkeit und eine andere Blickrichtung, im Bestreben, das Aussterben des ländlichen Raums umzukehren, Fehlentwicklungen rückläufig zu machen, zu erkennen, was Wälder und biologische Vielfalt für das Lebensnotwendige bedeuten – für die Lebensmittel, die die Stadt verbraucht und „ökoparasitär“ nicht angemessen honoriert.
Letztlich postuliert Dörfler, dass der Mensch auf dem Land stressfreier und – auch seelisch – gesünder lebt. Dafür muss das Landleben attraktiver werden, zum Beispiel mit besserem öffentlichem Verkehr und leichterem Zugang zum Internet.
Jugendliche können bei Dörfler im Freiwilligen Ökologischen Jahr einen Workshop besuchen, wo sie erfahren, wie ein ökologisches Dorf beschaffen sein sollte, wie Biodiversität zu bewahren und der Boden agrargiftfrei und zum Tierwohl nachhaltiger zu bewirtschaften ist.
In dem teilweise sehr persönlichen Buch wird – global und regional – der Begriff Natur in Beziehung gesetzt zum Wohnen, zum Geld, zum Haustier, zum Müll, zur Kindheit, zur Arbeit, zur Psyche. Nicht zur Religion, zum Christentum – warum nicht? Er habe sich beschränken müssen, sagt Dörfler; es würde für ihn fast ein weiteres Buch bedeuten. Er sei Mitglied der Kirche, höre aber die Stimme Gottes eher in der Natur als im Gottesdienst. Liegt es an der besonderen DDR-Situation, dass vor Jahrzehnten Ökologie für die Kirche wichtiger war als heute, obwohl sich die Lage verschärft hat?
Die Thesen des Konziliaren Prozesses: „Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung“ werden immer dringlicher, aber nur selten oder kleinlaut vorgebracht. Beim tätigen Klimaschutz ist die Kirche nicht vorbildhaft, sagt Dörfler.
Aber: „Noch ist es nicht zu spät zum Handeln“, schreibt er. Das gilt für Einzelne, Paare, Familien, Wohngemeinschaften, Freundeskreise, Kommunen, Institutionen – für alle Verantwortlichen in der Gesellschaft.
Das Buch
Ernst Paul Dörfler: Aufs Land – Wege aus Klimakrise, Monokultur und Konsumzwang. Carl Hanser Verlag 2021. 351 Seiten. 22 €.
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