Naturschutzpolitik mit dem „Vogel des Jahres“
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Wir schreiben das Jahr 1970. In Europa wurde das erste Naturschutzjahr ausgerufen. Den Menschen war bewusst geworden, dass die Frösche, Orchideen, Eisvögel und Wanderfalken in ihrer Umgebung immer seltener zu sehen waren. Über 200.000 Aktionen für den Naturschutz fanden in diesem Jahr statt. Inzwischen gilt 1970 als das Geburtsjahr der modernen Umweltbewegung.
Auch in Deutschland organisierten sich die Naturschützer. Gerade hatte der Deutsche Bund für Vogel schutz (DBV) die vielen Einzelmitglieder und Gruppen in Landesverbänden unter dem Dach eines Bundesverbandes gesammelt. Die älteren Mitglieder sahen ihre Aufgabe darin, im Winter nützliche Singvögel zu schützen und Nistkästen – besonders für diese nützlichen Arten – aufzuhängen. Das aber war manchen jungen „Ornis“ allerdings zu wenig.
Eines Abends saßen im alten Forsthaus im Ludwigsburger Favoritepark vier dieser Ornis beieinander. Unter ihnen war auch der neugewählte NABU-Präsident Claus König. Es behagte den Ornithologen nicht, dass all die Vogelschutzgruppen so vor sich hin pusselten. Gewiss, sie alle versuchten, den Meisen, dem Steinkauz, der Schleiereule zu helfen. Aber jeder versorgte nur den „eigenen Garten“. Es fehlte die gemeinsame, verbindende Aufgabe.
Die Idee
Was, überlegten sie, können wir tun, bei dem alle gern mitmachen? Sie diskutierten, schlugen vor, verwarfen, ölten ihre heißgeredeten Kehlen mit einem guten Trollinger. Und auf einmal war sie da: die Idee vom „Vogel des Jahres“. Eine Art, die stellvertretend für alle Vögel auf den Rückgang aufmerksam machen sollte.
Wer der erste „Vogel des Jahres“ werden würde, lag auf der Hand: der Graureiher (1970). In den 70-er Jahren des letzten Jahrhunderts war sein Bestand im Ländle auf weniger als 300 Brutpaare geschrumpft. Und so wurde der Graureiher BadenWürttembergs erster „Vogel des Jahres“. Wikipedia bezeichnet diese Wahl heute als „regionalen Jahresvogel-Probelauf im Baden-Württembergischen Landesverband des NABU“.
Es wird offiziell
Die Idee gefiel den DBV-Leuten in anderen Bundesländern so gut, dass im Jahr darauf der Wanderfalke (1971) der Jahresvogel fast aller Westdeutschen wurde. Die Bayern machten damals noch nicht mit. Pestizide, Aushorstungen und Störungen durch Kletterer brachten die einheimische Population des Wanderfalken fast zum Erliegen. Dank Horstbewachung und DDT-Verbot ist der Bestand auf mehrere Hundert Paare angewachsen.
Das ist jetzt 50 Jahre her, seitdem verkündet der NABU, seit 1981 zusammen mit dem LBV (Landesbund für Vogelschutz in Bayern), stets einen „Vogel des Jahres“.
Symbolträchtig
Jahresvögel stehen meistens für Arten oder deren Lebensräume, die durch menschliche Tätigkeiten bedroht sind. Der „Vogel des Jahres“ soll für die Vogel schutzgruppen ein Anstoß sein, sich für die gewählte Art einzusetzen. Das muss nicht immer mit Schaufel oder Säge sein, das kann sich auch in Zeitungsartikeln oder Briefen an Politiker ausdrücken. Die Erfolge stellen sich auch nicht immer sofort ein. Zuweilen ist der „Vogel des Jahres“ die Initialzündung, sich nachhaltig um seinen Schutz zu bemühen.
Beim Steinkauz (1972) stand bei den Bemühungen nicht nur der Vogel selbst im Brennpunkt. Es ging – besonders in Süddeutschland – auch um den Lebensraum Streuobstwiese. Inzwischen hat der Steinkauz dank der Arbeit der Eulenschützer in Hessen und Baden-Württemberg erheblich zugenommen.
Die Feldlerche (1989, 2019) wurde zum Lieblingsvogel vieler Gruppen. Für sie konnten die meisten Mitglieder unmittelbar wenig tun. Aber in Briefen und in Sprachbotschaften mahnten sie Politiker, sich für eine naturverträgliche Landwirtschaft einzusetzen. Als Symbolvogel für eine Wende in der Landwirtschaft ist die Feldlerche noch immer von Bedeutung.
Der Buntspecht (1997) wurde nicht gewählt, weil er bedroht ist. Er sollte zeigen, dass es wichtig ist, alte Bäume zu erhalten, weil der Buntspecht Nisthöhlen für andere Vögel bereitet. Die Ausweisung von Bannwäldern und Habitatbauminseln ist ein später Erfolg. Die Aktion Spechtbaum wirkt übrigens immer noch nach.
Den Kormoran (2010) zum ‚Vogel des Jahres’ zu küren, war gewagt. Er ist gewiss kein Vogel, für den die Herzen der Vogelfreunde besonders schnell schlagen. Er regte aber zu heftigen Diskussionen über grundsätzliche Fragen im Naturschutz an: Gestritten wurde nicht nur mit anderen Naturschützern, auch mit Fischern und Jägern.
Der Weißstorch (1984, 1994), Wappenvogel des NABU und zugleich deutscher Nationalvogel, hat lange warten müssen, ehe er es zum Jahresvogel schaffte. Dabei schrumpften seine Nahrungsräume Feuchtgebiete und Wiesen schon lange – noch bevor der Maisboom die letzten Wiesen vertrieb. Aber dann wurde er gleich zweimal gewählt.
Der LBV startete zusammen mit der Bayerischen Landesanstalt für Umweltschutz das ‚Artenhilfsprogramm Weißstorch’. An manchen Orten der Republik wurden Wiesen überstaut, Stationen eingerichtet, die verletzte Störche pflegten. Inzwischen sind einige Bereiche, aus denen die Störche verschwunden waren, wieder besiedelt.
Die Jahresvögel sind ein gutes Mittel, die politischen Forderungen von NABU und LBV zu transportieren. 50 Jahre „Vogel des Jahres“ ist ohne Zweifel eine Erfolgsgeschichte, nicht nur für den NABU, vor allem auch für die Vögel.
Bis 1981 gab es nur den von NABU und LBV gewählten Vogel des Jahres. Dann folgten ihm die „Blume des Jahres“, das „Amphib des Jahres“, das Insekt, der Baum und noch manches andere.
Der Lieblingsvogel der Deutschen
Bis zum 49. Jahresvogel ging es dem NABU fast immer darum, Menschen zu zeigen, welche Gefahren den Vögeln drohen, aber eben auch, was wir für ihren Schutz tun können.
Das hat sich beim 50. Jahresvogel geändert. Nicht die NABU-Gremien wählten 2020/21 den „Vogel des Jahres 2021“, sondern alle Bürger und Bürgerinnen hatten die Möglichkeit, ihren Lieblingsvogel zu wählen. Wie zu erwarten, wählten die Menschen keine bedrohte Art, sondern einen kleinen „Kuschelvogel“, das Rotkehlchen. Es ging bei der Wahl zum 50. Jahresvogel auch nicht so sehr darum, einer bedrohten Vogelart zu helfen – eher darum, im Netz viele Klicks zu bekommen, in vielen Medien zu erscheinen. Es ging darum, Aufmerksamkeit für den NABU zu wecken. Das ist gelungen. Die ursprüngliche Idee allerdings, die Gruppen an einer Aufgabe zu beteiligen, ist aus dem Blick geraten.
Dr. Klaus Ruge ist Biologe. Er gehört zu den Ornithologen, die den "Vogel des Jahres" ins Leben gerufen haben. klausruge@posteo.de
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