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Anmerkungen zu OVG Lüneburg, Urteile vom 26.3.2021, 4 KN 129/18 und 4 KN 139/18

Welche Anforderungen sind an Verordnungen zu stellen, die Natura-2000-Gebiete unter Schutz stellen?

Das OVG Lüneburg musste sich in zwei Fällen mit der Rechtmäßigkeit einer Landschaftsschutzgebietsverordnung befassen, mit der ein FFH-Gebiet unter Schutz gestellt wurde.
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 Die Festlegung von Nutzungsbeschränkungen, zum Beispiel für die Beweidung von Sandheiden, dient der Umsetzung des Verschlechterungsverbots nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL.
Die Festlegung von Nutzungsbeschränkungen, zum Beispiel für die Beweidung von Sandheiden, dient der Umsetzung des Verschlechterungsverbots nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL. Julia Schenkenberger
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Vogelschutz- und FFH-Gebiete bilden gemeinsam das europäische Schutzgebietsnetz „Natura 2000“. Gemäß § 32 Abs. 2 BNatSchG sind diese Gebiete zu „geschützten Teilen von Natur und Landschaft im Sinne des § 20 Absatz 2“ (also zum Beispiel als Natur- oder Landschaftsschutzgebiet) zu erklären. Die Verpflichtung ergibt sich aus den Vorgaben aus Art. 4 Abs. 4 FFH-RL sowie Art. 4 Abs. 1 und 2 V-RL. Eine Unterschutzstellung kann lediglich dann unterbleiben, wenn über andere Instrumente ein rechtlich gleichwertiger Schutz gewährleistet wird.

Die Schutzerklärung legt den Schutzzweck entsprechend den jeweiligen Erhaltungszielen des Natura-2000-Gebiets und die erforderlichen Gebietsbegrenzungen fest. Zudem müssen geeignete Gebote und Verbote sowie Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen festgelegt werden, die sicherstellen, dass den europarechtlichen Anforderungen des Art. 6 FFH-RL Rechnung getragen wird (§ 32 Abs. 3 BNatSchG). Während die Ge- und Verbote darauf ausgerichtet sind, eine Verschlechterung des Natura-2000-Gebiets wirksam zu verhindern, zielen die Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen darauf ab, die Natura-2000-Schutzgüter in einem günstigen Erhaltungszustand zu bewahren oder diesen gegebenenfalls wiederherzustellen.

Auch die streitgegenständliche Landschaftsschutzgebietsverordnung listet in § 2 Abs. 4 VO die Erhaltungsziele für die im Landschaftsschutzgebiet befindlichen Natura-2000-Schutzgüter auf. Zudem werden in § 3 Abs. 1 Satz 1 VO alle Handlungen, die den Charakter des Gebietes verändern oder dem besonderen Schutzzweck zuwiderlaufen, verboten. Welche Handlungen insbesondere untersagt sind, wird detailliert in § 3 Abs. 1 Satz 2 VO geregelt. Dazu gehören unter anderem die Aussetzung oder Ansiedlung nichtheimischer, gebietsfremder oder invasiver Tier- und Pflanzenarten (Nr. 10), die Beseitigung oder Beeinträchtigung von Landschaftselementen (Nr. 13), das Absenken des Grundwasserstandes und die Wasserentnahme aus oberirdischen Gewässern II. und III. Ordnung (Nr. 16), der Einsatz von Dünger und Pflanzenschutzmittel, Beweidung vor dem 1. Juni, danach mit Einschränkungen ausgenommen durch Schafe und/oder Ziegen, maschinelle Bodenbearbeitung sowie Über- oder Nachsaaten und Mahd vor dem 1. Juli auf Grünlandflächen, die in der Basiserfassung als maßgebliche Lebensraumtypen 2310 „Sandheiden mit Besenheide und Ginster auf Binnendünen“ und 2330 „Offene Grasflächen mit Silbergras und Straußgras auf Binnendünen“ kartiert wurden (Nr. 28a-d) sowie Nutzungsbeschränkungen für Waldflächen, die FFH-Lebensraumtypen darstellen. Von all diesen Verboten kann nach § 3 Abs. 2 VO in begründeten Einzelfällen eine Ausnahme erteilt werden, wobei dies allerdings an die Bedingung geknüpft ist, dass dadurch keine Beeinträchtigungen oder nachhaltige Störungen des Landschaftsschutzgebiets oder seiner für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteile entstehen.

In zwei Normenkontrollverfahren wurde von Landnutzern, deren Bewirtschaftungsflächen im Landschaftsschutzgebiet liegen, die Rechtmäßigkeit der Schutzgebietsverordnung infrage gestellt. Die Antragsteller waren unter anderem der Auffassung, dass einige der in der Verordnung enthaltenen Verbote gegen höherrangiges Recht verstießen. Viele der festgelegten Bewirtschaftungseinschränkungen seien unverhältnismäßig und zum Teil auch zu unbestimmt.

Das OVG Lüneburg machte in seinen Urteilen zunächst deutlich, dass das unter Schutz gestellte Gebiet sowohl schutzwürdig als auch schutzbedürftig ist. Die Schutzwürdigkeit ergibt sich dabei insbesondere aus dem Vorhandensein von Lebensraumtypen des Anhangs I FFH-RL sowie Tier- und Pflanzenarten des Anhangs II FFH-RL, für deren Erhaltung besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen. Da eine Ausweisung als Landschaftsschutzgebiet ihren Zweck nur dann erfüllen kann, wenn sie vorbeugend auch mögliche Gefahren ausschließt, genügt es für die Annahme der Schutzbedürftigkeit, dass eine abstrakte Gefährdung gegeben ist. Im vorliegenden Fall war dies zu bejahen, weil ohne eine Unterschutzstellung das Landschaftsschutzgebiet mit seinen zahlreichen FFH-Lebensraumtypen durch eine uneingeschränkte forstwirtschaftliche, landwirtschaftliche oder jagdliche Nutzung sowie eine störende Freizeitnutzung gefährdet wäre.

Auch der überwiegende Teil der in der Schutzgebietsverordnung enthaltenen weitreichenden Verbote wurde vom OVG Lüneburg nicht beanstandet und als verhältnismäßig erachtet. Dass auch den Interessen von Grundeigentümern und sonstigen Nutzungsberechtigten Rechnung getragen worden sei, werde unter anderem an den differenzierten Verbots- und Freistellungsregelungen deutlich. Insbesondere die Bestimmungen zur Nutzung der Grünland- und Waldflächen ließen ein abgestuftes – auf die naturschutzfachliche Wertigkeit der einzelnen Teilflächen abgestimmtes – Schutzkonzept erkennen, welches die Interessen der Land- und Forstwirtschaft berücksichtige, so das Gericht. Auch an der Verhältnismäßigkeit der Verbote zweifelte das Gericht nicht, da es die in § 3 Abs. 2 VO enthaltene Ausnahmeregelung ermöglicht, mit Zustimmung der Naturschutzbehörden in begründeten Einzelfällen von den Bestimmungen und Verboten abzuweichen, wenn dadurch das Schutzgebiet oder „seine für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteile“ nicht beeinträchtigt werden. Das OVG hob lediglich drei Verbote auf, weil ihr Geltungsbereich nicht hinreichend bestimmt war. Erforderlich ist, dass der Geltungsbereich von Verboten in Schutzgebietsverordnungen anhand der Verordnung selbst einschließlich der zu ihr gehörenden Karten ermittelt werden kann. Dies war für die aufgehobenen Verbote nicht gewährleistet, weil sie nur anhand der sogenannten Basiserfassung zum FFH-Gebiet zu ermitteln gewesen wären. Die Basiserfassung ist jedoch nicht Bestandteil der Verordnung.

Die Verpflichtung zur Unterschutzstellung besteht grundsätzlich für alle Natura-2000-Gebiete. Nach der Rechtsprechung des EuGH (so bereits Urt. v. 2.8.1993 – C-355/90) müssen die Schutzgebietserklärungen sowohl hinsichtlich der Abgrenzung des Gebiets als auch in der rechtlichen Ausgestaltung des Schutzes hinreichend präzise sein. Die Erklärung muss die notwendigen Schutzmaßnahmen zum Erhalt des Gebiets und zu dessen Unterhaltung sowie gegebenenfalls zur Wiederherstellung genau festlegen (EuGH, Urt. v. 27.2.2003 – C- 415/01). Dies bedeutet auch, dass die in der Schutzgebietsverordnung enthaltenen Ge- und Verbote so ausgestaltet sein müssen, dass sie dem in Art. 6 Abs. 2 FFH-RL festgelegten Verschlechterungsverbot ausreichend Rechnung tragen. Tätigkeiten einschließlich der land- und forstwirtschaftlichen Bodennutzung, die sich negativ auf die Schutzgüter des Natura 2000-Gebiets auswirken könnten, sind daher präventiv zu verbieten (EuGH, Urt. v. 13.12.2007 – C418/04). Sie dürfen nur dann zugelassen und durchgeführt werden, wenn eine Überprüfung ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen des Schutzgebiets ergeben hat. Die hier streitgegenständliche Landschaftschutzgebietsverordnung setzt diese Anforderungen durch die Festlegung zahlreicher präventiver Verbote um, die unter einen Erlaubnisvorbehalt gestellt sind. Das OVG Lüneburg hat die Verhältnismäßigkeit einer solchen Vorgehensweise bestätigt. Vorteil einer derart umfangreichen und detaillierten „Verbotsliste“ ist, dass es für die Grundeigentümer sowie die sonstigen Nutzungsberechtigten klar erkennbar ist, welche Einschränkungen der Verordnungsgeber als potenziell nicht mit dem Schutzzweck des Gebiets vereinbar ansieht. Erfolgt die Nutzung in dem vorgegebenen Rahmen, so kann sie ohne das Erfordernis einer Verträglichkeitsprüfung durchgeführt werden, da die entsprechenden Handlungen letztlich bei der Aufstellung dieser Verbote bereits einer „vorgezogenen Verträglichkeitsprüfung“ unterworfen wurden.

Beinhalten die Schutzgebietsverordnungen dagegen keine oder nur unzureichend auf die im Gebiet vorhandenen Natura-2000-Schutzgüter ausgerichtete Verbote, so müssen die vorgesehenen Nutzungen immer dann auf ihre „Natura-2000-Verträglichkeit“ hin geprüft werden, wenn Beeinträchtigungen nicht offensichtlich ausgeschlossen werden können. Das Gleiche gilt für die Vielzahl von Natura-2000-Gebieten, für die (immer noch) keine entsprechende Ausweisung als nationales Schutzgebiet vorgenommen wurde. Und auch in Bezug auf die hier vorgestellten Urteile ist festzuhalten, dass die Nutzungen, die durch die vom OVG Lüneburg für nichtig erklärten Verbote beschränkt werden sollten, nun nicht mehr in den Genuss einer „vorgezogenen Verträglichkeitsprüfung“ kommen und daher ggf. auf ihre Verträglichkeit zu prüfen sind.

Näheres hierzu regelt § 34 Abs. 6 BNatSchG, welcher alle Projekte, für die andere Rechtsvorschriften keine Genehmigung oder Anzeige bei einer Behörde verlangen und die nicht durch eine Behörde durchgeführt werden, einer subsidiären Anzeigepflicht unterwirft. Da auch land- und forstwirtschaftliche Bodennutzungen derartige Projekte darstellen, sind sie vor ihrer Durchführung der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde anzuzeigen. Trifft die Behörde innerhalb eines Monats nach Eingang der Anzeige keine Entscheidung, kann mit der Durchführung des Projekts begonnen werden. Wird mit der Durchführung eines Projekts ohne die erforderliche Anzeige begonnen, kann die Behörde die vorläufige Einstellung anordnen. Die Anzeigepflicht besteht auch dann, wenn Land- oder Forstwirtschaft nach den Regeln der guten fachlichen Praxis durchgeführt werden. Da diese Regeln sehr allgemein gehalten sind, lassen sie nämlich weder gebiets- noch schutzgutbezogene Rückschlüsse auf die Verträglichkeit der Bewirtschaftung mit den Erhaltungszielen eines Natura-2000-Gebiets zu.

Autoren

Ass. jur. Jochen Schumacher und Dipl.-Biol. Anke Schumacher arbeiten am Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen. Das Institut ist interdisziplinär orientiert und befasst sich insbesondere mit Fragestellungen, die sowohl naturschutzfachlich-ökologische Aspekte als auch (umwelt- und naturschutz-)rechtliche Problemstellungen aufweisen.

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