EU-Kommission mit Deutschland mehrfach unzufrieden
Der Schnee ist geschmolzen, die Sonnenstrahlen lassen die ersten Knospen sprießen, der Frühling naht auch in Brüssel. Die Mehrzahl der dieses Jahr anstehenden EU-Umweltschutz-Initiativen betrifft sicherlich den Klimaschutz. Unter dem Stichwort „fit for 55“ plant die EU-Kommission, zahlreiche Instrumente wie den Emissionshandel an das Treibhausgasreduktionsziel von „mindestens 55 %“ anzupassen. Aber auch sonst wird fleißig gewerkelt im „Berlaymont“-Gebäude beziehungsweise eher vom Brüsseler Zuhause aus. Ein breites Sammelsurium der geplanten naturschutzrelevanten Initiativen sowie einleitend zwei Verfahren des Europäischen Gerichtshofs behandle ich in dieser Ausgabe meiner Brüssel-Kolumne. Diese wurde letzten Monat übrigens von meinem hilfsbereiten NABU-Kollegen André Prescher übernommen. Wie immer: viel Spaß beim Lesen, und an der EU-Politik insgesamt!
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EuGH-Klage gegen Deutschland wegen Natura 2000
Auf das horizontale Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Deutschland wegen Nicht-Umsetzung der FFH-Richtlinie hatte ich verschiedentlich hingewiesen. Schon vor etwas mehr als einem Jahr schickte die EU-Kommission die sogenannte „mit Gründen versehene Stellungnahme“ an Deutschland. Das Aktenzeichen (Nr. 2014/2262) bestätigt, dass das Verfahren insgesamt bereits seit 2014 offiziell läuft. Offenbar riss nun der Geduldsfaden. Am 18. Februar verkündete die EU-Kommission, Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu erheben.
Aus der Pressemitteilung der EU-Kommission (siehe Webcode NuL4061 ) und dem Vorverfahren wird deutlich, dass es im Kern um drei Vorwürfe geht: um die fehlende rechtliche Sicherung, um zu unspezifische Erhaltungsziele für die insgesamt 4606 FFH-Gebiete in Deutschland, und darauf aufbauend um unzureichende Erhaltungs- beziehungsweise Management-Maßnahmen.
Aus NABU-Sicht ist vor allem der dritte Vorwurf relevant, denn wir müssen endlich ins umfassende Management der Schutzgebiete einsteigen (wobei anzuerkennen ist, dass vereinzelt Fortschritte erzielt wurden). Hier sind vor allem die Bundesländer am Zug. Der NABU kritisiert aber auch die Bundesregierung, denn diese ist für die marinen Schutzgebiete in der Ausschließlichen Wirtschaftszone originär zuständig, und auch hier sind die nötigen Erhaltungsmaßnahmen (Begrenzung Fischerei, Schifffahrt, etc.) bei weitem noch nicht getroffen. Außerdem müsste aus NABU-Sicht eine bessere Koordinierung durch den Bund stattfinden, um ein wirklich kohärentes Netzwerk Natura 2000 zu schaffen. Hierfür sollte der Bund auch über ein neues Modell der Naturschutzfinanzierung nachdenken.
Die Kritik bezüglich der gebietsspezifischen Erhaltungsziele ist vor allem rechtlicher Natur. Es ist müßig, sich dazu nun zu positionieren, denn dies dürfte jetzt das mit Letztentscheidungskompetenz ausgestattete Gremium erledigen. Den in der Pressearbeit des BMU mitschwingenden Vorwurf, hier würde die EU-Kommission dem Naturschutz einen Bärendienst erweisen, lässt der NABU indes nicht gelten. Wer dem Naturschutz einen Bärendienst erweist, sind Bund und Länder, die es mehr als zehn Jahre nach Ablauf der Richtlinienfrist und sieben Jahre nach Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens nicht geschafft haben, die Vorwürfe auszuräumen. Außerdem gilt naturschutzfachlich schon, dass die Erhaltungsziele möglichst genau sein müssen, um mit konkreten Erhaltungsmaßnahmen darauf aufbauen zu können. Und schließlich offenbaren vage Schutzgebiets-(Mantel-)Verordnungen und unverbindliche Managementpläne auch, dass das bisher von den meisten Bundesländern gewählte Konstrukt eben nicht reicht, um konkrete Schutzmaßnahmen loszutreten. Der NABU hofft, dass das drohende EuGH-Urteil Ansporn für Bund und Länder ist, grundlegende Änderungen bezüglich Organisation und Finanzierung anzustoßen und eine Management-Offensive zu starten. Diese zahlt in jedem Fall sowohl auf den dritten Vorwurf der EU-Kommission als auch auf den Schutz der Biodiversität ein!
EuGH-Urteil zum Artenschutz der Vogelschutzrichtlinie und Forstwirtschaft
Am 4. März hat der EuGH in einer schwedischen Vorlagesache (C-473/19 und C-474/19) mit Bezug zum Artenschutzrecht entschieden ( NuL4061 ). Dabei ging es vor allem um die Frage, ob die artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände der EU-Vogelschutzrichtlinie für alle Vogelarten gelten. Ein schwedischer Forstwirtschaftsplan sah nämlich nur die Prüfung bezüglich in ihrer Population bereits gefährdeter Arten vor. Der NABU hatte vor allem deswegen gespannt auf das Urteil gewartet, weil Generalanwältin Kokott in ihrer Stellungnahme von der bisherigen Schutzansicht abgewichen war. Der EuGH stellte aber klar, dass sich am Regime des Artenschutzes der Vogelschutzrichtlinie nichts ändert, und die forstwirtschaftliche Praxis in Schweden gegen EU-Recht verstößt.
Der NABU begrüßt das Urteil, denn es folgt der bisherigen Linie und vermeidet die Entstehung von neuer Rechtsunsicherheit. Das Urteil bestätigt die in Deutschland übliche Interpretation der Artenschutzvorschriften der Vogelschutzrichtlinie, auch in Bezug auf Windenergie. Demnach muss für jede Vogelart geprüft werden, ob es für Individuen einer Art ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko gibt. Dies ist lediglich bei sogenannten windenergiesensiblen Arten regelmäßig erwartbar. Das Urteil erspart in dieser Hinsicht die Diskussion, welche der windenergiesensiblen Arten ungefährdet sind und sich auch durch Windenergie nicht in ihrem Erhaltungszustand verschlechtern können und daher vielleicht nicht berücksichtigt werden müssten.
Eine relevante Erleichterung (so denn man unterstellt, dass es nicht zumutbare Erschwernisse durch das für sich ja naturschutzfachlich berechtigte Artenschutzrecht gibt) für den Ausbau der Windenergie in Deutschland wäre auch bei einem anderslautenden Urteil nicht zu erwarten gewesen. Wichtig ist, dass es auch nach diesem Urteil dabei bleibt, dass Populationsbetrachtungen erst bei der Prüfung der im Artenschutzrecht vorgesehenen Ausnahmegenehmigung zum Tragen kommen und eben nicht bereits zuvor bei der Prüfung des individuenbezogenen Tötungsrisikos im Zuge der Regelgenehmigung. Insofern dürfte das Urteil derartigen Debatten in Deutschland einen Riegel vorschieben. Das Urteil ändert nichts daran, dass auch weiterhin Ausnahmen von den artenschutzrechtlichen Tötungsverboten möglich sind.
EU-Kommission kritisiert Entwurf des nationalen Wiederaufbauplans Deutschlands
Letztes Jahr hatte sich die EU nicht nur auf den langjährigen EU-Haushalt (MFR) geeinigt, sondern auch auf den Corona-Wiederaufbaufonds (Aufbau- und Resilienz-Instrument, RRF). Aus diesem soll Deutschland etwa 23 Mrd. € allein als Zuschüsse erhalten. Diese Gelder sollen Zukunftsinvestitionen sein und sind deswegen an gewisse Kriterien geknüpft, unter anderem Klima- und Naturschutz. Die Bundesregierung hat im Dezember 2020 ihren Entwurf des Deutschen Aufbau- und Resilienzplans (DARP) vorgestellt und befindet sich nun im Dialog mit der EU-Kommission. Der Plan soll bis Ende April finalisiert werden. Wie dem NABU zu Ohren gekommen ist, kritisierte die EU-Kommission den Entwurf offenbar, da er zu wenig auf die EU-Kriterien eingehe. Sowohl den Prozess zur Erstellung dieses Planentwurfs als auch dessen Inhalt sehen Umweltverbände wie der NABU kritisch. Sie hatten sich daher Ende Februar mit einem offenen Brief ( NuL4061 ) an die Bundesregierung gewandt und Nachbesserungen gefordert. Bisher sieht der Planentwurf beispielsweise keine Ausgaben für Biodiversität vor. Der NABU schlägt unter anderem vor, einen Teil der Gelder für Renaturierung zu nutzen.
Der nationale GAP-Strategieplan nimmt Fahrt auf, aber nicht in Richtung Naturschutz
Das Endspiel um die Umsetzung der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) in Deutschland hat begonnen – zumindest wenn es nach der Bundesregierung geht. Sie will, dass der sogenannte Nationale Strategieplan (NSP), also die Regeln für die milliardenschwere Agrarförderung der Jahre 2023-2027 in Deutschland noch vor der Bundestagswahl festgezurrt werden. Dazu müssen bis Juni rund zehn verschiedene Gesetze und Verordnungen durch Bundestag und Bundesrat gebracht werden, obwohl frühestens im Mai die Rahmengesetze der EU feststehen werden und erst im Juni die von Angela Merkel einberufene Zukunftskommission Landwirtschaft ihre Empfehlungen veröffentlichen wird. Als NABU sehen wir diese Eile sehr kritisch, immerhin geht es um Weichenstellungen, die die Art unserer Landnutzung für das neue Jahrzehnt entscheidend prägen werden.
Eckpunkte stellte Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner am 1. März vor. Der NABU hat diese in einem Blogbeitrag bewertet ( NuL4061 ) und wird sich auch als Verband am Verfahren beteiligen. Wir fordern unter anderem mindestens fünf Prozent nicht-produktive Flächenanteile verpflichtend über die Konditionalität, mindestens weitere 5 % nicht-produktive Flächenanteile über Ökoregelungen und eine Umschichtung von mindestens 20 % ab 2023 von der Ersten in die Zweite Säule.
Abschließend noch der Hinweis, dass derzeit viele öffentliche EU-Konsultationen zu naturschutzrelevanten Themen laufen – auch dies übrigens ein Zeichen, dass die EU-Kommission die verschiedenen Initiativen des European Green Deals umzusetzen versucht. Gerade beendet ist die Konsultation zur Novelle der Erneuerbaren Energien-Richtlinie; hier hatten Verbände unter dem Motto „stop fake renewables“ vor allem gegen die Privilegierung der Verbrennung von Biomasse aus Wäldern mobilisiert ( NuL4061 ). Noch bis 5. April läuft die Konsultation zu den verbindlichen EU-Renaturierungszielen; auch hierfür bieten EU-NGOs eine vereinfachte Teilnahmemöglichkeit an ( NuL4061 ). Und schließlich läuft noch bis 19. April die Konsultation zur EU-Waldstrategie.
Autor
Der Rechtsanwalt und Umweltrechtsexperte Raphael Weyland arbeitet seit 2015 für den NABU in Brüssel, unter anderem zum Thema EU-Naturschutzrecht.
Dr. Raphael Weyland, NABU, Büroleiter Brüssel
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