Müssen herkunftsunsichere Stieleichen in einem Auwald entfernt werden?
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Der Stadt Wetzlar wurde vom zuständigen Regierungspräsidium eine Aufforstungsgenehmigung zur Auwaldentwicklung im Landschaftsschutzgebiet „Auenverbund Lahn-Dill“ erteilt. Der Bescheid schloss unter anderem die naturschutzrechtliche Eingriffsgenehmigung nach § 17 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) und die Aufforstungsgenehmigung nach § 13 Hessisches Forstgesetz (HFG) mit ein. Als „Nebenbestimmung“ wurde dabei festgelegt, dass bei der Pflanzung nur autochthones Material aus der Region verwandt wird. Auf einer Fläche von circa 2,5 ha wurden daher 4.600 Stiel-Eichen der Herkunft „Westdeutsches Bergland“ und 1.200 Hain-/Weißbuchen vermischt angepflanzt. Im Rahmen einer amtlichen Überprüfung der Lieferung und Pflanzung von Forstpflanzen gemäß Forstvermehrungsgutgesetz (FoVG) wurde eine Stichprobenkontrolle an 30 Stiel-Eichen vorgenommen. Da die Probe zu etwa 20 % eine Beimischung von Pflanzen anderer Herkunft, vermutlich aus Süd- und Osteuropa, enthielt, ordnete das zuständige Regierungspräsidium die Entfernung aller 4.600 Stiel-Eichen und eine Neubepflanzung mit autochthonem Material an. Die Standorteignung der Pflanzen unsicherer Herkunft sei unbekannt und die Folgen für den Naturhaushalt nicht kalkulierbar. Mögliche Folgen einer nicht standortangepassten Pflanze bestünden von Kümmern oder Absterben der Pflanzen in nicht absehbaren Zeiträumen durch Nichteignung, bis hin zur Samenbildung in circa 70 Jahren und Verbreitung des ungeeigneten, nicht standortangepassten Pollens und infolgedessen Verbreitung genetischen Materials durch die Luft an andere Stellen. Auch eine Befruchtung und damit Weitergabe der nicht angepassten genetischen Information auf andere Stiel-Eichen und somit eine mögliche Beeinträchtigung autochthoner Population sei nicht auszuschließen.
Das VG Gießen entschied nun, dass der Bescheid rechtswidrig war, weil das Regierungspräsidium das ihm nach § 26 HWaldG zustehende Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe.
Dabei hatte das Gericht zunächst zu klären, ob die aufgeforstete Fläche überhaupt unter die Definition „Wald“ des Bundeswaldgesetzes (BWaldG) beziehungsweise des Hessischen Waldgesetzes (HWaldG) fällt. Wald ist demnach jede mit Forstpflanzen (Waldbäumen und Waldsträuchern) bestockte Grundfläche, einschließlich kahl geschlagener oder verlichteter Grundflächen, Waldwege, Waldeinteilungs- und Sicherungsstreifen, Waldblößen und Lichtungen, Waldwiesen, Wildäsungsplätze, Holzlagerplätze sowie weitere mit dem Wald verbundene und ihm dienende Flächen, § 2 Abs. 1 BWaldG. Alter, Entwicklungszustand, Vergesellschaftung und Aufbauformen der Bestockung sind dabei ohne Belang (BT-Drs. 7 / 889 S. 24, 25). Maßgeblich ist, ob die Ansammlung von Waldbäumen und Waldsträuchern einen flächenhaften Eindruck vermittelt. Solange der äußere Gesamteindruck eines entstehenden Waldes anzunehmen ist und die betreffenden Waldbäume nicht als Einzelexemplare in freier Landschaft zu betrachten sind, liegt entsprechend der Legaldefinition auch bei lichtem Bestand Wald vor. Die Dichte des Baumbestands, das Vorhandensein von Unterbewuchs (Unterholz) sowie eine geschlossene Kronendecke sind lediglich weitere nicht unerlässliche Indizien für einen Wald (so auch VG Frankfurt (Oder), Urt. v. 5.3.2019 – 5 K 632/17, Rdnr. 30, 31). Deshalb handelt es sich bei der streitgegenständlichen Fläche zweifelsohne um Wald i. S. d. § 2 Abs. 1 S. 1 HWaldG i. V. m. § 2 Abs. 1 BWaldG. Bei solch jungen Baumanlagen kann eine geschlossene Baumkrone nicht bestehen. Dies für die Anwendbarkeit des BWaldG dennoch zu fordern, würde dazu führen, dass für die Aufforstung eines (geplanten) Waldes die Voraussetzungen des § 10 BWaldG vorliegen müssten, bei den Jungpflanzen das BWaldG nicht anwendbar wäre und die Fläche erst nach langer Zeit, wenn eine geschlossene Baumkrone vorhanden ist, als Wald i. S. d. § 2 BWaldG angesehen werden könnte. Dies, so das Gericht, wäre sinnwidrig und würde eindeutig nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen, der das Alter der Bäume als unwesentliches Kriterium (BT-Drs. 7 / 889 S. 24, 25) betrachtet.
Gemäß § 26 HWaldG kann die obere Forstbehörde die erforderlichen Anordnungen treffen, um eine ordnungsgemäße Bewirtschaftung des Waldes sicherzustellen, wenn die Besitzerin oder der Besitzer eines Privat- oder Körperschaftswaldes gegen die ihr oder ihm durch dieses Gesetz auferlegten Pflichten verstößt. Mit der Anpflanzung von nicht herkunftssicheren Stiel-Eichen hat die Stadt als Waldbesitzerin gegen ihre Pflichten aus § 3 HWaldG verstoßen, wonach Wald „nach forstlichen und landespflegerischen Grundsätzen ordnungsgemäß, nachhaltig, planmäßig und fachkundig zu bewirtschaften“ ist. Dies verlangt auch nach § 4 Abs. 2 Nr. 4 HWaldG standortgerechte Baumarten auszuwählen und geeignetes Saat- und Pflanzgut zu verwenden. Entsprechend enthielt der Genehmigungsbescheid die Auflage, darauf zu achten, dass für die Auwaldentwicklung nur autochthones Material aus der Region verwendet wird.
Durch die Anpflanzung zum Teil herkunftsunsicherer Herkünfte erfolgte die Forstwirtschaft nicht ordnungsgemäß und verstößt gegen die Nebenbestimmung der Aufforstungsgenehmigung sowie mangels Genehmigung gegen § 3 Abs. 2 der Landschaftsschutzgebietsverordnung. Dabei spielt es rechtlich keine Rolle, dass die Stadt Wetzlar als Waldbesitzerin bei der Baumschule StielEichen der Herkunft „Westdeutsches Bergland“ und damit autochthones Material bestellt hatte; ein Verschulden der Baumschule oder etwaiger Zulieferer ist nur im Rahmen eines etwaigen Zivilprozesses relevant.
Allerdings hat das Regierungspräsidium das ihm nach § 26 HWaldG zustehende Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt, da eine Entfernung aller 4.600 neu gepflanzten Stiel-Eichen nicht verhältnismäßig wäre, urteilte das VG Gießen.
Als milderes, gleichermaßen geeignetes Mittel genügt es, wenn ausschließlich die nicht herkunftssicheren Pflanzen entfernt und durch herkunftssichere Stiel-Eichen ersetzt werden. Zwar würden hierbei höhere Kosten entstehen, gleichzeitig bedeutete dies jedoch einen kleineren Eingriff in die Natur und in die Entscheidungsfreiheit der waldbesitzenden Stadt. Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Eingriff in die Natur durch die Entfernung sämtlicher Eichen immens wäre. Die Entfernung sämtlicher Stieleichen wäre nur mit großem Gerät, beispielsweise durch Mulchen, möglich, wodurch nicht nur die voraussichtlich circa 900 herkunftsunsicheren Stieleichen, sondern alle 4.600 Stiel-Eichen, 1.200 Buchen und der in diesem Bereich angewachsene natürliche Strauch- und Baumbewuchs sowie ein Teil der an den Rändern der Auwaldfläche von der Klägerin angepflanzten Sträucher zerstört würden. Auch die in dem Auwald angesiedelten Tiere, welche unter Umständen besonderem Schutz unterliegen, würden beeinträchtigt. Die Entfernung des jungen Auwalds würde zudem dem Schutz des BNatSchG zuwiderlaufen, da nach § 21 Abs. 5 S. 1 BNatSchG Auen zu erhalten sind und nach § 28 Abs. 1 Nr. 2 Hessisches Ausführungsgesetz zum Bundesnaturschutzgesetz (HAGBNatSchG) i. V. m. § 30 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 BNatSchG Handlungen verboten sind, die zu einer Zerstörung oder einer sonstigen erheblichen Beeinträchtigung des Auwalds führen können. Auch der Sinn und Zweck des § 5 Abs. 3 S. 1 BNatSchG wären verfehlt, da hiernach bei der forstlichen Nutzung des Waldes das Ziel zu verfolgen ist, naturnahe Wälder aufzubauen und diese ohne Kahlschläge nachhaltig zu bewirtschaften. Durch das Mulchen des Gebiets würde ein Kahlschlag des Auwalds vorliegen. Weiterhin würde durch die Entfernung sämtlicher Pflanzen in dem Gebiet die Unterschutzstellung durch die LSVO unterlaufen.
Aufgrund des weitreichenden Eingriffs in die Natur, welche nach Art. 20a GG besonders geschützt werden soll, überwiege der Naturschutz, so das Gericht. Dies rechtfertige, die einzelnen, nicht herkunftssicheren Bäume durch Genanalyse jedes einzelnen Baumes ausfindig zu machen, obwohl dies zu erheblichen, bis zu sechsmal oder siebenmal höheren Kosten führen könne als das Mulchen der gesamten Fläche. Auch die Stadt Wetzlar spricht sich für die Beseitigung nur einzelner Bäume aus, obwohl ihr die höheren Kosten bewusst sind.
Hierbei ist unbeachtlich, dass die Genanalyse und Entfernung nur der herkunftsunsicheren Bäume aufgrund der hohen zu erwartenden Kosten gegebenenfalls nicht angemessen ist, weil die Prüfung der Angemessenheit strikt von der Prüfung der Erforderlichkeit zu trennen ist. Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung ist eine Abwägung der Eingriffsintensität mit der Wertigkeit des verfolgten Zwecks vorzunehmen, während im Rahmen der Erforderlichkeit das Vorhandensein milderer, gleichermaßen geeigneter Mittel untersucht wird.
Autoren
Ass. jur. Jochen Schumacher und Dipl.-Biol. Anke Schumacher arbeiten am Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen. Das Institut ist interdisziplinär orientiert und befasst sich insbesondere mit Fragestellungen, die sowohl naturschutzfachlich-ökologische Aspekte als auch (umwelt- und naturschutz-)rechtliche Problemstellungen aufweisen.
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