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Diskussion

Zulässige Kahlschläge in der Forstgesetzgebung – noch zeitgemäß?

Norbert Panek ist Landschaftsplaner und setzt sich seit Jahren aktiv für eine nachhaltigere Forstwirtschaft ein. In seinem nachfolgenden Diskussionsbeitrag kritisiert er Kahlschläge und kahlschlagähnliche Auflichtungen geschlossener Waldbestände und fordert ein Totalverbot dieser Praktiken.
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 1 Kahlschläge heizen das Mikroklima an.
1 Kahlschläge heizen das Mikroklima an. Norbert Panek
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Kahlschläge im Wald schaffen freilandähnliche Verhältnisse und führen zum Verlust von wichtigen Waldschutzfunktionen. Durch Kahlschläge oder kahlschlagähnliche Auflichtungen zuvor geschlossener Baumbestände werden die mikroklimatischen Verhältnisse eines Waldstandorts extrem verändert, Waldböden sind einer verstärkten Sonneneinstrahlung und somit einer intensiven Erwärmung und Austrocknung ausgesetzt. Kahlschläge verstärken den Klimawandel.

Fehlende Baumkronenbedeckung verdrängt Wald-Arten

In Zeiten der Klimaerwärmung sollten waldbauliche Eingriffe daher vor allem darauf abzielen, Kronenbedeckungsdefizite möglichst zu unterbinden. Jedoch folgt die herkömmliche forstliche Bewirtschaftung in Großteilen Deutschlands immer noch einem modifizierten „Kahlschlag-Prinzip“, das starke Durchforstungen und starke Auflichtungen von Altbaumbeständen zulässt – wie zum Beispiel den üblicherweise praktizierten Schirmschlag bei der Buchen-Verjüngung.

Die Bedeutung einer kontinuierlichen Waldbedeckung für das Landschaftsklima wird durch Studien des Eberswalder Ökologie-Professors Pierre Ibisch untermauert. Naturwälder, das heißt: alte, geschlossene und holzvorratsreiche Wälder, sind im Vergleich zu genutzten, in der Regel vorratsärmeren Wäldern kühler und zudem stärker gegen Temperaturschwankungen gepuffert. Geschlossene Naturwälder können die Temperatur an heißen Tagen bis zu 10 °C herunterkühlen. Bei Hitzewellen liegen die Temperaturen in genutzten Wäldern für längere Zeit deutlich höher.

Die Holzbiomasse puffert die lokalen Oberflächentemperaturen. Dabei beeinflusst auch Totholz die Temperatur-Pufferung. Im Sommer kühlt das Totholz, im Winter „wärmt“ es.

Da Biomasse Wasser bindet, ist die Luftfeuchtigkeit in alten, vorratsreichen Wäldern höher. In wärmeren Perioden speichert Biomasse dort die Feuchtigkeit auch besser. In genutzten (gestörten) Wäldern sinkt die lokale Luftfeuchtigkeit bei höheren Temperaturen hingegen signifikant.

Das bedeutet also zusammenfassend: Biomasse beeinflusst das Mikroklima in Wäldern und darüber hinaus auch das Landschaftsklima, mildert Temperatur-Extreme ab, puffert Temperaturschwankungen.

Anthropogene Störungen durch Biomasse-Verluste, das heißt durch Verlust von energie-aufnehmenden Waldstrukturen, reduzieren das Puffervermögen und führen zu Ökosystem-Stress. Entscheidender Schlüsselfaktor ist das durch Biomasse gebundene Wasser. Auch verrottende Biomasse (Totholz) wirkt regulierend auf das Mikroklima.

Konsequenz: Jeglicher Verlust von Holzbiomasse, insbesondere durch Kahlschläge und kahlschlagähnliche Holzerntemaßnahmen sowie Räumungen sollte vermieden werden. Eine klima-angepasste forstliche Nutzung müsste die Biomassenverluste bei geschlossener Baumbedeckung nach dem „Dauerwald“-Prinzip so gering wie möglich halten.

Schweizer Forschungen verweisen bei mangelndem Schutz des „Waldinnenklimas“ durch fehlende Baumkronenbedeckung auf die mögliche Verdrängung waldtypischer Arten im Zuge der Klimaerwärmung und auf einen damit verbundenen Floren- und Faunenwandel.

Für den „kleinen“ Kahlschlag zwischendurch

Rein rechtlich gilt zwar bundesweit nach offizieller Lesart ein „Kahlschlagverbot“, jedoch handelt es sich in vielen Fällen lediglich um ein „Vermeidungsgebot“, das noch zusätzlich durch Ausnahmeregelungen „aufgeweicht“ wird. Die meisten Landesforstgesetze lassen immer noch Kahlschläge in der Größenordnung bis zu 2 ha zu. In Niedersachsen (§ 12 NWaldG) sind Kahlschläge auf Flächen über einem Hektar anzeigepflichtig, im Saarland sogar schon Flächen ab 0,3 ha (§ 12 LWaldG). Größere Flächen ab 2 ha unterliegen in den anderen Ländern in der Regel einem Genehmigungsverfahren. In Thüringen (§ 24) bedürfen ausnahmslos alle Kahlschläge einer vorherigen Genehmigung durch die untere Forstbehörde. Nur in einigen Landesgesetzen (zum Beispiel in Thüringen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt) sind konkrete Versagungsgründe definiert (Bodenschutz, Beeinträchtigung des Wasserhaushalts, der Erholungsfunktion etc.).

In einigen Forstgesetzen werden zudem auch kahlschlagähnliche Hiebmaßnahmen als Kahlschläge definiert, wenn der Holzvorrat auf weniger als 40 % des Normalvorrats abgesenkt wird. Allein in Schleswig-Holstein sind nach § 5 Absatz 3 Kahlschläge explizit verboten, jedoch sind auch hier Ausnahmen (§ 7) möglich, insbesondere, wenn „überwiegende öffentliche Interessen“ gegeben sind und ein Waldfolgebestand mit „standortheimischen“ Baumarten gewährleistet ist. Ausnahmen sind generell in allen Bundesländern bei der Beseitigung von Sturmschäden und bei Schädlingsbefall (Borkenkäfer) zugelassen.

Totalverbot gefordert

Insgesamt ist also festzustellen, dass in den Bundesländern (Ausnahme mit gewissen Abstrichen: Schleswig-Holstein) kein streng ausgelegtes Kahlschlag-Verbot existiert. Die Festlegung von genehmigungspflichtigen Kahlschlag-Mindestgrößen (in der Regel 2 ha) und Ausnahmeregelungen weichen die Verbote auf. Eine Beteiligung von Naturschutzbehörden bei etwaigen Genehmigungsverfahren ist erkennbar nicht geregelt. Der aktuell dokumentierte Fall eines knapp 30 ha großen, zeitlich „gestaffelten“ Buchen-Kahlschlags im Hochsauerland (Nordrhein-Westfalen) macht deutlich, wie einfach die bestehenden gesetzlichen Vorgaben unterlaufen werden können. Nicht zuletzt in Zeiten des Klimawandels wäre eine kahlschlagfreie, klima-angepasste Dauer-Waldbewirtschaftung das Gebot der Stunde. Dass Eingriffe wie im Hochsauerland im 21. Jahrhundert noch sanktionsfrei möglich sind, unterstreicht überdeutlich die Wirkungslosigkeit der bestehenden Gesetzgebung.

Konsequenz: Der Gesetzgeber ist vor dem Hintergrund der Klimaerwärmung aufgefordert, endlich ein striktes, bundesweit gültiges Totalverbot der wirtschaftsbedingten Kahlstellung von Waldflächen einzuführen. Zudem müssten umgehend steuernde Instrumente eingeführt werden, die die wie ein Kahlschlag wirkende Komplett-Räumung von Schadholzflächen verhindern. Dies könnten zum Beispiel Förderprogramme sein, die den Nutzungsentgang finanziell ausgleichen. Mittelfristig müssten außerdem alle Altersklassenbestände sukzessive in eine dauerwaldartige Einzelstamm-Nutzung überführt werden, um auf längere Sicht holzvorratsreiche, altersgemischte, das heißt: im Endeffekt strukturreiche und durchgehend geschlossene Waldbestände zu entwickeln – genau die zielführende Strategie, um der zunehmenden Klimaerwärmung zu begegnen. Die derzeit etablierte Forstpolitik propagiert das genaue Gegenteil.Panek

Literatur

  • Ibisch, P. (2019): Bemerkungen zu Waldökologie und Klimawandel, zur aktuellen Situation des Waldes in Deutschland und zum Umgang mit der Waldkrise in Deutschland, Stellungnahme zur Anhörung im Ausschuss für Enährung u. Landwirtschaft des Dtsch. Bundestages, Ausschussdrucksache 19 (10) 280-A.
  • Ibisch, P., & Blumröder, J. (2020): Für einen ökosystembasierten Umgang mit der Waldkrise, Ländlicher Raum 71 (02): 28–30.
  • Panek, N. (2020): „Waldumbau“ der dritten Art – Beispiel „Hoher Knochen“ (Hochsauerland): Dokument zur widerrechtlichen Zerstörung eines Altbuchenbestands, Korbach.
  • Zellweger, F., DeFenne, P., Lenoir, J., et al. (2020): Forest microclimate dynamics drive plant responses to warming, ScienceMag., https://science.sciencemag.org/lookup/doi/10.1126/science.aba6880

 

Kontakt

Dipl.-Ing. Norbert Panek

norbertpanek@gmx.de

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