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BERICHT AUS BRÜSSEL

Rebhühner inmitten wichtiger EU-Entscheidungen

Liebe Leserinnen und Leser meiner Brüsseler Kolumne, wenn Sie diesen Text in der Hand halten, haben die Brüsseler Institutionen eine Reihe von Entscheidungen getroffen, die sich auf unsere Natur auswirken. So wird der Umweltrat sich zur Biodiversitätsstrategie geäußert und das Europaparlament über die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) abgestimmt haben. Unter anderem hiervon berichte ich, nachdem ich Sie vom NABU-Engagement für die Rebhühner in Brüssel informiert habe. Viel Spaß!
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Das Rebhuhn: Sein Bestand in Deutschland ist in den letzten 40 Jahren um 91 % zurückgegangen.
Das Rebhuhn: Sein Bestand in Deutschland ist in den letzten 40 Jahren um 91 % zurückgegangen.
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Kommissionsbeschwerde für Rebhuhnschutz

Am 2. Oktober hat der NABU eine offizielle Beschwerde an die EU-Kommission übermittelt. In dem 66 Seiten umfassenden Dokument versuchen wir am Beispiel des Rebhuhns darzulegen, dass Deutschland systematisch gegen unter anderem Art. 2 der EU-Vogelschutzrichtlinie verstößt. Bund und Länder sind aufgrund dieser Bestimmung verpflichtet, angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um einen guten Erhaltungszustand aller wildlebenden Vogelarten zu erreichen. Ein solcher ist beim Rebhuhn aber nicht gegeben. Seit 1980 sind die Bestände in Deutschland um etwa 91 % zurückgegangen.

In der Beschwerde legt der NABU dar (ohne dafür eine Beweislast zu tragen), dass dieser Rückgang auf unzureichende Schutzmaßnahmen Deutschlands zurückzuführen ist. Wissenschaftlich ist bekannt, welche Schutzmaßnahmen erforderlich wären. Das Rebhuhn ist ein typischer Feldvogel, der früher in allen Agrarlandschaften Deutschlands vorkam. Drei Millionen Paare dürften es in den 1950er-Jahren gewesen sein. Übrig geblieben ist ein kümmerlicher Rest zwischen 21.000 und 37.000 Paaren, etwa 1 % des damaligen Bestands. Wichtig für das Überleben von Rebhühnern sind ungemähte und ungespritzte Flächen, in denen die Weibchen gut versteckt vor Räubern wie Füchsen brüten können, und insektenreiche Blühflächen, auf denen die pro Gelege bis zu 20 Küken ausreichend Nahrung finden. Solche Flächen werden immer seltener. Daher reicht der heutige Bruterfolg der Hühnervögel nicht mehr aus, um den Bestand zu erhalten. Bereits heute setzen die Bundesländer erste spezifische Schutzmaßnahmen für das Rebhuhn um. Um damit alleine die Art zu retten, müssten diese aber auf einer mindestens zwanzigmal größeren Fläche umgesetzt werden.

Der NABU appelliert an Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner und ihre Kolleginnen und Kollegen in den Ländern, die Landwirtschaft nach dem Desaster im Düngerecht nicht sehenden Auges in ein weiteres Problem mit der EU-Justiz zu führen. Die im Oktober anstehenden Abstimmungen der Agrarminister und des Europaparlaments über die künftige Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) sowie die später darauf aufbauende Programmierung in Deutschland bieten die Chance, die Subventionspolitik so auszugestalten, dass Landwirte für naturverträgliches Wirtschaften honoriert werden. Gelingt dies nicht, muss Deutschland nationale Regelungen erlassen, ansonsten droht ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs.

Die auf Englisch verfasste Rebhuhn-Beschwerde steht auf der Internetseite des NABU zum Abruf zur Verfügung. Sie können sie unter Webcode NuL4061 abrufen.

Heißer Herbst für EU-Biodiversitäts-Entscheidungen

Ende Oktober standen bei den Brüsseler Institutionen verschiedene Entscheidungen an, die Auswirkungen auf unsere Biodiversität haben. Diese erfolgten zwar nach Redaktionsschluss, sodass ich Ihnen nicht alle Details nennen kann. Die Entscheidungen halte ich aber für so relevant, dass ich sie hier zumindest erwähnen möchte.

Am 23. Oktober hat der Umweltrat unter deutschem Vorsitz seine Schlussfolgerungen zur EU-Biodiversitätsstrategie verabschiedet. Nun sind Ratsschlussfolgerungen meist nicht die Texte mit den schärfsten Forderungen und der besten Lesbarkeit, manch einem verschließt sich gar der Sinn dieser diplomatischen Fingerübungen. Wichtig sind diese Ratsschlussfolgerungen aber insofern, als sie eine erste umfassende Reaktion der EU-Mitgliedstaaten auf die Kommissionsblaupause darstellen. Der NABU erwartet, dass die Mitgliedstaaten die EU-Strategie grundsätzlich mit der stärkst möglichen Reaktion begrüßen („endorsement"), und darüber hinaus auch einzelne Ziele der EU-Biodiversitätsstrategie willkommen heißen. Unabhängig von Detailkommentaren der Mitgliedstaaten verlässt die EU-Biodiversitätsstrategie damit die Sphäre der reinen Kommissionsmitteilung. Durch die Ratsschlussfolgerungen können die EU-Mitgliedstaaten auch im Folgeprozess daran erinnert werden, dass sie sich grundsätzlich hinter die einzelnen Verpflichtungen der EU-Biodiversitätsstrategie gestellt haben. Damit ist der Weg frei, die Folgemaßnahmen anzugehen, also in den entsprechenden Foren mit den Mitgliedstaaten zum Beispiel die Kriterien für die Definition der strengen Schutzgebiete zu erarbeiten oder auch Konsultation und Gesetzesfolgenabschätzung für die verbindlichen EU-Renaturierungsziele zu starten.

Noch unmittelbarer auf die Natur auswirken dürften sich die Ende Oktober ebenfalls erfolgten Entscheidungen zur Agrarpolitik. Auf der Tagesordnung des Europäischen Parlaments für die Plenarwoche des 19.– 23. Oktobers steht jedenfalls die Abstimmung über die Verordnung der künftigen GAP, von der ich schon mehrfach berichtet hatte. Hier bemühen sich verschiedene NGO-Kolleginnen und -Kollegen, trotz der verfehlten Grundstruktur der zwei Säulen mit starkem Fokus auf ineffizient-umweltschädliche Direktzahlungen noch möglichst viel für die Natur herauszuholen. Aus NABU-Sicht unter anderem wichtig ist zum Beispiel eine möglichst große Abdeckung der Forderung nach 10 % nichtproduktiver Landschaftselemente über die sogenannte Konditionalität. Neben dem Europäischen Parlament wird sich auch der Agrarrat am 19.– 20. Oktober mit der GAP befasst haben, sowie möglicherweise auch mit der Farm-to-Fork-Strategie. Ergebnisse sind hier aber schwer vorherzusagen, sodass ich Sie auf spätere Kolumnen verweisen muss.

Zusätzlich bereichert wurde diese Oktober-Woche durch den „State of Nature“-Report: Jüngst hat die Europäische Umweltagentur EEA unter Rückgriff auf unter anderem die aufgrund von Art. 17 FFH-Richtlinie erhobenen Monitoring-Daten der Mitgliedstaaten nämlich diesen bedeutsamen Naturzustandsbericht aktualisiert. Die EU-Kommission stellte den Bericht im Rahmen der (virtuellen) EU Green Week sodann der Öffentlichkeit vor. Ob dieser alarmierende Weckruf an der GAP-Abstimmung etwas geändert hat, bleibt zu sehen.

Globales Biodiversitäts-Versprechen

Seit dem Verfassen meiner Oktober-Kolumne hat sich auch ein wenig auf der globalen Biodiversitäts-Ebene getan. Hiervon möchte ich ebenfalls kurz berichten, selbst wenn dies streng genommen nur am Rande mit der EU zu tun hat.

Am 15. September stellte das Sekretariat der Biodiversitätskonvention (CBD) den fünften „Globalen Biodiversitäts-Ausblick" (GBO5, zu finden unter NuL4061 ) vor. Dieser Bericht bewertet, inwieweit die Vertragsstaaten die AICHI-Ziele erfüllen. Leider muss die Analyse feststellen, dass keines der 20 Ziele erreicht ist, und dass nur bei 6 Zielen immerhin Teilerfolge erzielt werden konnten.

Am 28. September haben sich verschiedene Staats- und Regierungschefs mit dem „Leaders Pledge for Nature“ ( NuL4061 ) das Versprechen gegeben, mehr für den Schutz der Natur zu tun. Mit dabei waren auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der NABU begrüßte diese Selbstverpflichtung, die helfen kann, das Thema Biodiversität auf höchster politischer Ebene zu verankern. Wichtig ist aber auch, dass hehren Worten sodann Taten folgen.

Diese Selbstverpflichtung stand im Zusammenhang mit dem Biodiversitätsgipfel, der anlässlich der 75. UN-Generalversammlung in New York abgehalten wurde. Von diesem Gipfel, auf dem auch Angela Merkel einen kurzen Auftritt hatte, erhoffte sich der NABU vor allem Impulse für die Ausgestaltung des zukünftigen globalen Biodiversitätsabkommens, welches auf der CBD COP15 verabschiedet werden soll. Aus NABU-Sicht blieb der Gipfel hierfür aber leider viel zu vage – mehr dazu lesen Sie im NABU-Blog unter Webcode NuL4061 .

Wirtschaft goes Biodiversität

Zu guter Letzt noch der Hinweis auf einen auf Englisch und Deutsch vorliegenden Bericht, der das Thema Biodiversität auch mit wirtschaftlichen Aspekten verknüpft. Am 23. September hat der NABU gemeinsam mit der Strategieberatung Boston Consulting Group (BCG) eine Studie zur Bedeutung der Biodiversität und den Auswirkungen und Chancen von wirtschaftlichen Aktivitäten veröffentlicht (Download unter NuL4061 ). Diese kommt zu dem Ergebnis, dass über Ökosystemleistungen wie Bestäubung, Klimaregulierung oder die Bereitstellung fruchtbarer Böden die Biodiversität weltweit einen jährlichen Wert in Höhe von ungefähr dem zweifachen globalen Bruttoinlandsprodukt erbringt. Doch durch den immer schneller fortschreitenden Rückgang der Biodiversität geht dieser Wert jedes Jahr um mindestens 3 % – über sechs Billionen US-Dollar – zurück.

Autor

Der Rechtsanwalt und Umweltrechtsexperte Raphael Weyland arbeitet seit 2015 für den NABU in Brüssel, unter anderem zum Thema EU-Naturschutzrecht.

 

Dr. Raphael Weyland, NABU, Büroleiter Brüssel

Raphael.Weyland@NABU.de

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