Mitgliedstaaten dominieren in Corona-Krise
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Grüne Konjunkturprogramme
Auch in einem anderen Bereich sind derzeit eher die EU-Mitgliedstaaten am Zug. In der Mai-Ausgabe hatte ich auf das Lobbying verschiedener Interessensgruppen gegen den „European Green Deal“ und dessen Einzelinitiativen hingewiesen. Dieses Partikular-Lobbying setzt sich derzeit bei der Debatte über „grüne Konjunkturprogramme“ fort. Finanzielle Unterstützung von Wirtschaftszweigen erfolgt bisher vor allem durch die Mitgliedstaaten, und muss sodann von der EU-Kommission beihilferechtlich genehmigt werden. Während Frankreich beispielsweise in dem entsprechenden Finanzpaket für das Luftfahrtunternehmen „Air France“ Klimaschutzvorgaben, etwa zur Reduktion von Kurzstreckenflügen, machte, wird Klimaschutz bei der Debatte um eine finanzielle Unterstützung der Lufthansa mit deutschen Steuerzahlergeldern leider wenig thematisiert. Aus NABU-Sicht sind finanzielle Konjunkturmaßnahmen in jedem Fall daran zu knüpfen, dass sie den dringend notwendigen Wandel in der Wirtschaftspolitik sozial gerecht, naturverträglich und krisensicher gestalten. Ein entsprechendes Forderungspapier des NABU findet sich unter NuL4061 .
Die EU-Kommission ist am Zug, was einen Vorschlag für einen EU-weiten „Recovery Fonds“ angeht. Nachdem die Staats- und Regierungschefs sich nicht auf „Corona-Bonds“ einigen konnten, hatten sie der EU-Kommission den Auftrag erteilt, einen neuen EU-Haushaltsvorschlag (MFR) vorzulegen, der auch einen sogenannten „Recovery Fonds“ umfasst. Unwahrscheinlich ist, dass sich die Struktur der bereits für den MFR vereinbarten Haushaltstitel grundlegend ändern wird – in einzelnen Bereichen wie Forschung oder Kohäsionspolitik dürften dennoch größere Anpassungen erfolgen. Die Veröffentlichung des Vorschlags ist für Ende Mai im Gespräch. Dann liegt der Ball wieder bei den Staats- und Regierungschefs. Diese hatten in den letzten Rats-Treffen bewiesen, dass sie gerade auch beim MFR das Tauziehen um nationale Interessen meisterhaft beherrschen.
EU-Biodiversitäts- und EU-Farm-to-Fork-Strategie erneut verschoben
Eigentlich sollte die EU-Kommission die beiden hier genannten Strategien am 29. April vorgestellt haben. Aber anstatt Sie nun auf den neuesten Stand bringen zu können, muss ich Sie nochmals vertrösten: Zuletzt hatte es ja vor allem von der Agrarlobby Querschüsse gegen die EU-Farm-to-Fork-Strategie gegeben. Am 29. April warteten wir nun alle vergebens auf das Pressebriefing der EU-Kommission. In der ersten Maiwoche wies dann immerhin die aktualisierte Tagesordnung der Kollegiumssitzungen den 20. Mai als Verkündungsdatum aus. Der Erste Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans bekräftigte am 7. Mai im Agrarausschuss des Europäischen Parlaments, dass auch die EU-Farm-to-Fork-Strategie am 20. Mai veröffentlicht werden solle (übrigens eine spannende Debatte auch über die Zukunft der Agrarpolitik, die Sie unter NuL4061 nachverfolgen können). Wenn Sie diesen Beitrag lesen, sollte die EU-Kommission also hoffentlich beide Strategien (die Teil des European Green Deals sind) veröffentlicht haben.
Großer Andrang bei Webinar zur Biodiversitätspolitik
Ursprünglich hatten die beiden grünen Europa-Abgeordneten Anna Deparnay-Grunenberg und Sven Giegold den Tag der Veröffentlichung der EU-Biodiversitätsstrategie ausgewählt, um mit Dirk Steffens und mir das Thema Biodiversität zu diskutieren. Trotz der Verzögerung seitens der EU-Kommission hielten wir am 29. April für das Webinar fest, und konnten uns einer großen Anteilnahme erfreuen: 1.000 Interessierte verfolgten die Debatte direkt im Webinar-System, hinzu kamen fast 5.000 Teilnehmer im Livestream. Unter NuL4061 lässt sich die Aufzeichnung nachverfolgen. Diese Anteilnahme ist ermutigend, denn sie zeigt das Interesse der Bürgerinnen und Bürger am Naturschutz. Mein Fazit lautete übrigens, dass eine ambitionierte EU-Biodiversitätsstrategie den Auftakt für ein Superjahr der Biodiversität bilden kann und muss, welches naturgemäß eher auf 2020/2021 fällt. Nur wenn die EU glaubwürdig voranschreitet, kann im Frühjahr 2021 ein ambitioniertes Abkommen auf globaler Ebene geschlossen werden. Hoffnung schöpfe ich daraus, dass die Corona-Krise uns hoffentlich lehrt, der Wissenschaft besser zuzuhören. Das Naturbewusstsein scheint dieser Tage bei den Bürgerinnen und Bürgern jedenfalls eher zu wachsen.
EU-Agrarpolitik auf Abwegen
In der Mai-Ausgabe hatte ich das Stichwort „Übergangsverordnung“ im Zusammenhang mit der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) erwähnt. Am 28. April hat der Agrarausschuss des Europäischen Parlaments nun über die weitere EU-Agrarförderung der voraussichtlich nächsten zwei Jahre abgestimmt. Die Abstimmung wäre aus Naturschutzsicht eine Riesenchance gewesen. Anstatt die bisherige Förderung 1:1 zu verlängern, hätten bekannte Schwächen korrigiert werden können. So wäre aus der Übergangsverordnung tatsächlich ein Übergang in Richtung mehr Nachhaltigkeit geworden.
Stattdessen haben die Abgeordneten das bisherige Fördersystem der GAP ohne substanzielle Änderungen um bis zu zwei Jahre verlängert. Ausdrücklich abgelehnt wurden entsprechende Änderungsanträge für eine Verbesserung des bisherigen „Greenings“ der GAP. Auch das Verfahren ist kritisch zu sehen, denn der Agrarausschuss hat entschieden, direkt in Verhandlungen mit dem Agrarrat einzutreten (sogenannter Trilog), ohne den Bericht im Mai vom gesamten Plenum des Parlaments absegnen zu lassen.
Auch wenn die Corona-Krise die parlamentarische Arbeit sicherlich erschwert, sollte bei einer Entscheidung über jährlich fast 60 Mrd. € Steuergelder eine Plenar-Befassung möglich sein. Nachdem die Übergangsverordnung zwei Jahre gelten wird, kann auch nicht mehr von einer rein technischen Verlängerung gesprochen werden, sondern von einer politischen Entscheidung, die einen Großteil der kommenden Programmierungsperiode beeinflusst. Diese nun im Hauruck-Verfahren ohne entsprechende Diskussionen zu erzwingen, stärkt den Status quo, das heißt eine aus der Zeit gefallene Agrarpolitik.
Start der deutschen EU-Ratspräsidentschaft naht
Zum 1. Juli übernimmt Deutschland für sechs Monate den Vorsitz im Rat der Europäischen Union. In dieser Zeit kann die Bundesregierung besondere Akzente setzen und konkrete Initiativen starten, selbst wenn formal auch eine gewisse Mittlerrolle gilt. Zuletzt war bekannt geworden, dass die EU-Ratspräsidentschaft wegen der Corona-Krise organisatorisch besonderen Herausforderungen unterliegt, weil beispielsweise die Zahl der virtuellen Rats- und Ratsarbeitsgruppen-Treffen begrenzt ist (siehe diesen Spiegel-Artikel unter NuL4061).
Darüber hinaus gab es in den Medien Kritik am Programmentwurf der Bundesregierung – so enthalte er bezüglich des European Green Deals vor allem leere Floskeln, aber wenige konkrete Initiativen (siehe diesen Euractiv-Beitrag unter Webcode NuL4061 ). Der NABU wird sich selbst und über seine Dachverbände in die Debatten rund um die EU-Ratspräsidentschaft einbringen. Derzeit ist ein kurzes Forderungspapier in Erarbeitung, das die Bedeutung des European Green Deals betont. Ausführlichere Forderungen wurden gemeinsam mit dem deutschen Dachverband DNR erarbeitet – diese werden der Presse zeitnah vorgestellt. Ein Steckbrief des DNR zur EU-Ratspräsidentschaft findet sich bereits unter NuL4061 . Inhaltliche Forderungen werden zudem vom Brüsseler NABU-Dachverband EEB kommen. Darüber hinaus setzt sich der NABU für transparente und partizipative Prozesse bei der Organisation der Rats-Treffen ein. Inhaltlich dürfte vermutlich der für Oktober vorgesehene Umweltrat Schlussfolgerungen zur EU-Biodiversitätsstrategie erlassen. Ich werde Ihnen weiter berichten – bleiben Sie gesund!
Autor
Der Rechtsanwalt und Umweltrechtsexperte Raphael Weyland arbeitet seit 2015 für den NABU in Brüssel, unter anderem zum Thema EU-Naturschutzrecht. Raphael.Weyland@NABU.de
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