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ARTENSCHUTZ UND DIVERSITÄT

Updates zum Stand des Kommissionsleitfadens und der Biodiversitätsstrategie

Die März-Ausgabe der Brüssel-Kolumne liefert Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, Details zum aktuellen Stand der Überarbeitung des Artenschutz-Leitfadens der EU-Kommission. Dieser bezieht sich vor allem auf die Artikel 12 und 16 der FFH-Richtlinie, steht somit aber zumindest lose im Zusammenhang mit dem Schwerpunktthema dieses Heftes. Außerdem erhalten Sie ein Update zur Erarbeitung der EU-Biodiversitätsstrategie – diese steht kurz vor ihrer Verabschiedung. Einige Zeilen sind auch dem Thema „Infrastrukturprojektförderung“ durch die EU und weiteren aktuellen Brüsseler Themen der vom „Green Deal“ dominierten Winterwochen gewidmet.
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Die Vorgaben der EU-Vogelschutzrichtlinie werden im Kommissionsleitfaden nicht berücksichtigt.
Die Vorgaben der EU-Vogelschutzrichtlinie werden im Kommissionsleitfaden nicht berücksichtigt. Julia Schenkenberger
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Überarbeitung des Kommissionsleitfadens zum EU-Artenschutz

Nach dem Fitness Check der FFH- und Vogelschutzrichtlinie versprach die EU-Kommission, verschiedene Leitfäden zu aktualisieren. Hierzu gehörte neben dem Leitfaden zum Management von Natura 2000 auch jener zum FFH-Artenschutz (Download unter NuL4061 ). Nachdem die EU-Kommission ihre ersten Überarbeitungsentwurf im November 2018 vorgelegt und für Kommentare geöffnet hatte, erfolgte eine zweite Überarbeitungsrunde nach Veröffentlichung des EuGH-Urteils zur finnischen Wolfsjagd. Zwei Beiträge zu diesem Urteil finden Sie unter Webcode NuL4061. Bis Mitte Januar 2020 waren Interessenvertreter und Mitgliedstaaten aufgefordert, Anmerkungen einzusenden. Auch der NABU-Dachverband BirdLife – genau wie Interessenvertreter verschiedener Industriezweige – nutzte diese Gelegenheit für einige wenige Kommentare. Die Kommission plant nun, den überarbeiteten Leitfaden bis zum Frühjahr fertigzustellen und ihn nebst entsprechender Übersetzung bis zum Sommer zu veröffentlichen.

Was ist inhaltlich zu erwarten? Im Word-Format umfasst der Entwurf 75 Seiten Text, einschließlich der im Anhang behandelten Rechtsprechungsnachweise sind es 138 Seiten. Wie bisher handelt es sich um eine rechtsinterpretative Auslegungshilfe der Vorgaben des strikten Artenschutzes von Artikel 12 und 13 sowie der Ausnahmevoraussetzungen nach Artikel 16 der FFH-Richtlinie. Nicht abgedeckt sind damit (leider) die Vorgaben der EU-Vogelschutzrichtlinie. BirdLife Europe kommentierte dabei unter anderem zum Thema „gute fachliche Praxis“ und strenges Artenschutzrecht. Der NABU begrüßt, dass im Entwurf unter anderem der auch für den Wolf bedeutsame Ausnahmegrund des „ernsten Schadens“ dargestellt wird, vermisst aber eine weitergehende Konkretisierung, um tatsächlich Hilfe in der Genehmigungspraxis zu bieten. Ebenfalls begrüßt wird das neue Kapitel zu „Temporary Nature“, also temporärer Natur. Hier sollte empfohlen werden, über Ausnahmegenehmigungen im Vorwege mit entsprechender fachlicher Absicherung ein Win-win für Unternehmen und Natur zu erreichen.

EU-Biodiversitätsstrategie kurz vor Veröffentlichung

Der European Green Deal sieht die Veröffentlichung der EU-Biodiversitätsstrategie „bis März“ vor (siehe auch NuL4061). Ursprünglich hatte die EU-Kommission die Kollegiumssitzung am 26. Februar 2020 für die abschließende Debatte nebst Veröffentlichung gewählt. Bis zum 20. Januar 2020 lief eine Onlinekonsultation zur „Roadmap“ der künftigen EU-Biodiversitätsstrategie, am 21. Januar 2020 übermittelte die Generaldirektion Umwelt ihren Entwurf dann dem Generalsekretariat für die sogenannte „Interservice-Konsultation“. Wie der NABU erfuhr, wehrte sich aber vor allem die Generaldirektion Landwirtschaft gegen mehrere dort aufgeführte Ziele und Maßnahmen und das Generalsekretariat forderte von der Generaldirektion Umwelt Nachbesserungen sowie eine weitere wissenschaftliche Unterfütterung der Strategie. Diese Überarbeitung dürfte zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Beitrags erfolgt sein. Nachdem zwischenzeitlich die Kollegiumssitzung am 31. März 2020 für die Verabschiedung vorgesehen war, wurde diese zuletzt erneut korrigiert und um eine Woche vorverlegt. Wenn Sie dieses Heft in der Hand halten, dürfte die neue EU-Biodiversitätsstrategie daher kurz vor ihrer Veröffentlichung sein.

Derweil machte in Brüssel ein „Leak“ des ersten Entwurfs der Strategie die Runde. Auch der NABU konnte dieses einsehen. Aus Naturschutzsicht weisen viele der mit „Commitments“ überschriebenen Ziele der 23-seitigen Strategie in die richtige Richtung. Allerdings bleibt leider des Öfteren unklar, wie diese Ziele erreicht werden sollen, da es in dem jeweils folgenden Fließtext vielfach an der Auflistung konkreter (legislativer) Maßnahmen mangelt. Eine große Baustelle scheint außerdem weiterhin das Thema „Renaturierung“ – hier ist der Text bisher wenig überzeugend, mangelt es doch auch im Vergleich zur 2020-Strategie an einer klaren Zielbenennung nebst Zeitschiene.

Wenig Naturschutz bei EU-Energie-Infrastrukturprojekten

Nach derzeitiger Ankündigung stimmt das EU-Parlament in den kommenden Wochen über die vierte Liste der wichtigsten transeuropäischen Energieinfrastrukturprojekte ab (Projects of Common Interest, PCI). Über 100 Projekte aus den Bereichen Strom, Gas und Erdöl und den Themenschwerpunkten intelligente Netze, Stromautobahnen und grenzüberschreitendes Kohlendioxidnetz könnten durch diesen Status profitieren. Nehmen die Parlamentarier die Liste an, bekommen die Projekte eine Planungsbeschleunigung, gestraffte Umweltprüfungen und möglicherweise finanzielle Mittel der EU. Es sind wichtige länderübergreifende Projekte auf der Liste. Knapp die Hälfte der geplanten Projekte widerspricht jedoch den Naturschutz- und Klimaschutzzielen der EU. Der NABU fordert, den privilegierten PCI-Status nur an Projekte zu vergeben, die in Einklang mit Klima und Naturschutz stehen und Schutzgebiete als Standort ausschließen.

So enthält die von der Kommission veröffentlichte vierte PCI-Liste unter anderem das Vorhaben zum Bau von künstlichen Inseln in der Nordsee, bekannt als „North Sea Wind Power Hub“. Dieses Projekt will künstliche Inseln für ein Windenergieverteilkreuz in der Nordsee schaffen, die den Ausbau von Offshorewindkraft ermöglichen. Der Ausbau von erneuerbaren Energien ist zu begrüßen, denn sie können einen wesentlichen Beitrag zur Minderung unseres CO2-Ausstoßes leisten. Problematisch wird es, wenn der Natur durch falsche Standorte und fehlende Berücksichtigung von EU-Umweltrecht unnötig geschadet wird. Fallstudien des Hub-Konsortiums zufolge befinden sich mögliche und kostengünstige Standorte in Natura-2000-Gebieten, unter anderem auf der Doggerbank. Aus NABU-Sicht müssen alle Natura-2000-Gebiete für das Projekt ohne Ausnahme ausgeschlossen werden. Wird dort gebaut, hätte das erhebliche Auswirkungen auf Seevögel, geschützte Meeressäuger und Lebensräume am Meeresboden, die sich aktuell in einem ökologisch bedenklichen Zustand befinden.

EU-Waldstrategie, „Farm to Fork“ und MFR

Am 4. und 5. Februar 2020 fand in Brüssel eine große internationale Waldkonferenz statt. Die Kommissions-Website dazu finden Sie unter NuL4061 . Geladen hatte – nachdem zum Ende der letzten Kommissionszeit die Generaldirektion Landwirtschaft am Zug war – die Generaldirektion Umwelt. Die Veranstaltung war gut besucht und wurde vor dem Berlaymont-Gebäude am Dienstag von Protesten von Umweltschützern begleitet, den Waldschutz ernst zu nehmen. Sinn der Veranstaltung war ein erster inhaltlicher Austausch im Vorfeld der EU-Biodiversitäts- und vor allem Waldstrategie, die im European Green Deal für den Herbst angekündigt ist. Die Teilnehmer machten klar, dass nicht nur die Waldnutzung, sondern auch der Schutz von alten Naturwäldern wichtig ist. Die EU-Kommission wurde aufgefordert, Natura 2000 in den rumänischen Wäldern besser durchzusetzen. Auch Klimaschutzaspekte von Wäldern und das Thema Renaturierung kamen zur Sprache.

Eine weitere Einzelinitiative des European Green Deal ist die „Farm to Fork“-Strategie. Die Federführung liegt kommissionsseitig bei der Gesundheitskommissarin Kyriakides. Laut Zeitplan des European Green Deal soll die Strategie noch im Frühjahr 2020 veröffentlicht werden. Aus Umweltverbandssicht sollte die Strategie neben Maßnahmen zur Pestizidreduktion unter anderem auch Maßnahmen zur Reduktion des Konsums von Fleisch- und Milchprodukten enthalten.

Die Debatte über den Mehrjährigen Finanzrahmen der EU (MFR, siehe auch NuL4061) ist leider immer noch nicht wirklich am European Green Deal ausgerichtet. Am 20. Februar 2020 fand auf Einladung des neuen Ratspräsidenten Charles Michel ein Sondergipfel zum langjährigen EU-Haushalt statt. Im Vorfeld war aus den Mitgliedstaaten vor allem ein altbekanntes Geschacher um die Höhe des eigenen Beitrags sowie nationaler Einzelinteressen zu hören, nicht jedoch insgesamt über die Zukunftsfähigkeit dieses wichtigen Finanzierungsinstruments. Aus NABU-Sicht mangelt es vor allem an einer eigenständigen Naturschutzfinanzierung, um Landnutzer und Naturschützer für dauerhafte Naturschutzmaßnahmen beispielsweise in Natura-2000-Gebieten zu entlohnen. Gleichzeitig fließt zu viel Geld in ineffiziente, unfaire und umweltschädliche Agrarsubventionen. Ob es am 20. Februar 2020 bereits zu einer Einigung der Staats- und Regierungschefs kam, ist zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels unklar.

Autor

Der Rechtsanwalt und Umweltrechtsexperte Raphael Weyland arbeitet seit 2015 für den NABU in Brüssel, unter anderem zum Thema EU-Naturschutzrecht.

 

Dr. Raphael Weyland, NABU, Büroleiter Brüssel

Raphael.Weyland@NABU.de

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