European Green Deal verlangt Tempo bei Detailarbeit
Kernelemente der zukünftigen EU-Biodiversitätsstrategie festzurren
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In der November-Ausgabe meiner Brüssel-Kolumne gebe ich anknüpfend an den Oktober-Beitrag ein Update zur Debatte über die zukünftige EU-Biodiversitätsstrategie und die Anhörungen der designierten EU-Kommissare. Außerdem weise ich auf ein aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Wolfsjagd in Finnland hin.
Inzwischen scheint der Zeitplan für die Erarbeitung der künftigen EU-Biodiversitätsstrategie etwas klarer. Ursprünglich hatte die EU-Kommission vorgesehen, im Herbst 2019 eine öffentliche Konsultation zur noch laufenden EU-Biodiversitätsstrategie zu machen. Erst danach sollte im Jahr 2020 mit der Detailarbeit der neuen Strategie gestartet werden. Nun zeigt sich, dass die künftige EU-Biodiversitätsstrategie Teil des geplanten „European Green Deals“ sein soll, der innerhalb der ersten 100 Tage der neuen EU-Kommission verabschiedet wird. Nach jetziger Lesart bedeutet dies zwar nicht unbedingt, dass die neue Strategie in allen ihren Details in den nächsten Monaten ausformuliert sein muss. Trotzdem erhöht sich der Zeitdruck für alle Akteure, zumindest die wichtigsten Kernelemente in den nächsten Wochen zu formulieren, um diese in das Regelungspaket hineinzubekommen.
Aus diesem Grund befasste sich zum Beispiel die „Coordination Group on Biodiversity and Nature“ der EU-Kommission (CGBN), eine von der Generaldirektion Umwelt einberufene Arbeitsgruppe von Vertretern der Mitgliedstaaten und verschiedenen Interessenvertretern, am 26. und 27. September mit dem Thema. Die Generaldirektion Umwelt rief die Teilnehmer auf, ihre Ideen bis zum 10. Oktober einzusenden. Auch das von der finnischen EU-Ratspräsidentschaft organisierte „Nature Directors Meeting“ diskutierte am 3. und 4. Oktober in Helsinki mögliche Elemente der künftigen EU-Biodiversitätsstrategie. Auf Rückfrage stellte die EU-Kommission zum Beispiel beim Beaulieu-Café zum „European Green Deal“ am 10. Oktober klar, dass die künftige Strategie auch gesetzliche Elemente enthalten könne, wenn dies notwendig sei, um die ambitionierten Ziele zu erreichen.
Was nun Umweltverbände wie der NABU fordern: Zwar muss das Rad nicht komplett neu erfunden werden, denn grundsätzlich war und ist die noch laufende EU-Biodiversitätsstrategie (Strategie nebst Halbzeitbewertung unterNuL4061 ) nicht schlecht. Allerdings mangelte es an einer Verbindlichkeit der Ziele, weswegen viele etwa zum „Mainstreaming“ in die Landwirtschaft, zur Wiederherstellung von Ökosystemen oder zur „Grünen Infrastruktur“ nicht erreicht wurden und werden. Dies ist beispielsweise der Bewertung der Strategie durch BirdLife Europe (NuL4061 ) zu entnehmen. Die zukünftige EU-Biodiversitätsstrategie muss daher zum einen messbare und verbindliche Ziele bekommen. Zum anderen muss sie auch die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse wie etwa den IPBES-Bericht widerspiegeln, der einen dringenden transformativen Wandel fordert. Und schließlich sollte sie eine bessere Verknüpfung mit anderen Umweltthemen und insbesondere der Klimakrise herstellen. Auch wenn für das übergeordnete Ziel durchaus das Jahr 2050 in den Blick genommen werden kann, müssen sich konkrete Maßnahmen der künftigen Strategie am Jahr 2030 ausrichten. Ansonsten drohen die Maßnahmen auf die lange Bank geschoben zu werden.
Was die einzelnen (Unter-)Ziele betrifft, wird es wie schon jetzt unter anderem die Forderung nach Vollzug der bestehenden Naturschutzgesetzgebung geben. Eine Schwerpunktforderung betrifft „Nature Restoration“, also die Wiederherstellung zerstörter Lebensräume und Habitate. Hier schlagen verschiedene Umweltverbände vor, ähnlich wie in der Erneuerbare-Energien-Richtlinie verbindliche Zielvorgaben für die Mitgliedstaaten auf EU-Ebene zu verankern. Das Ambitionsniveau kann sich an der bisherigen Strategie orientieren Umweltverbände schlagen 15 Prozent der EU-Landesfläche vor. Mitgliedstaaten müssten vor allem die auch für den Klimaschutz relevanten Moore und Feuchtgebiete, Grünland und unberührte Wälder in den Blick nehmen.
Klar ist, dass die Zielvorgabe unabhängig von der rechtlichen Verpflichtung der EU-Naturschutzrichtlinien bestehen muss dies heißt nicht, dass die wiederherzustellenden Habitate alle außerhalb von Natura 2000 zu liegen haben. Als messbares Ziel für die Meeresgebiete schlagen die Umweltverbände einen gewissen Anteil an nutzungsfreien Zonen vor. Außerdem muss die künftige EU-Biodiversitätsstrategie den Bereich Produktion und Konsum von Lebensmitteln in den Blick nehmen. Um Biodiversität in der landwirtschaftlichen Kulisse wiederherzustellen, wird von Wissenschaftlern und Umweltverbänden eine nutzungsfreie Mindestfläche von 10 Prozent jedes Betriebs als nötig erachtet. Auch für die weiteren Bereiche etwa Handel, invasive Arten oder Naturschutzfinanzierung muss die künftige Strategie ambitionierter und verbindlicher werden.
Anhörungen der designierten EU-Kommissare lassen nach vorn blicken
Vom 30. September bis zum 8. Oktober fanden die Anhörungen („Hearings“) der designierten EU-Kommissarinnen und Kommissare statt. Die Anhörungen der Nachfolger der vom Europaparlament abgelehnten Kandidaten standen beim Verfassen dieses Beitrags noch aus. Sie finden die Antworten der Kandidaten auf die schriftlich vorgelegten Fragen der MdEPs unter WebcodeNuL4061 . Besonders relevant aus Umweltsicht waren die Anhörungen der Kandidaten für den Umwelt- und Agrarbereich sowie des Vizepräsidenten Frans Timmermans.
Der designierte EU-Kommissar für Umwelt und Ozeane, Virginijus Sinkevic ius, hatte obgleich erst 28 Jahre alt und bisher nicht im Umweltbereich tätig insgesamt einen starken Auftritt. Er gab ein klares Bekenntnis zu verstärkter Durchsetzung des bestehenden EU-Umweltrechts ab. Bezüglich des Themas Naturschutz betonte er, dass es wichtig sei, die Landwirtschaft nachhaltiger zu machen und die fehlende Naturschutzfinanzierung anzugehen. Fragen von Abgeordneten zum Thema Wolf oder Kormoran parierte er souverän.
Der designierte EU-Kommissar für Landwirtschaft aus Polen, Janusz Wojciechowski, hatte einen holprigeren Start. Sein Auftritt vor dem Agrarausschuss war schwach, sodass die Abgeordneten ihn ein zweites Mal zur Anhörung einbestellten. In seiner Rede gab er Umwelt- und Klimaprobleme im Landwirtschaftsbereich zu und bekräftigte, an der Qualität der Mittelverwendung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) arbeiten zu wollen. Er stellte sich hinter den GAP-Vorschlag seines Vorgängers Phil Hogan und versprach, dessen grüne Elemente zu verteidigen. Details, wie dies aussehen soll, gab er nicht preis. Konservative Abgeordnete wollten den Kandidaten vermutlich auch wegen seiner vereinzelt kritischen Äußerungen in Bezug auf industrielle Landwirtschaft absägen. Umweltverbände stellten sich hinter den Kandidaten, da sie wenig Hoffnung auf eine grünere Alternative aus Polen hatten.
Spannend war auch die Anhörung des designierten Exekutiv-Vizepräsidenten Frans Timmermans, dem nicht ganz unbekannten Niederländer. Ihm kommt die Rolle zu, die Arbeit unter anderem der beiden vorgenannten Kommissare zu steuern und zu koordinieren. Daneben untersteht im die Generaldirektion Klima unmittelbar. Insgesamt zeichnete er in seiner Rede eine starke Vision eines nachhaltigeren Europas. Allerdings wurde er trotz entsprechender Nachfragen nicht wirklich konkret, wie er den transformativen Wandel angehen möchte. In Bezug auf Biodiversität verkündete er, unter anderem auf Wiederaufforstung setzen zu wollen eine Idee, die bei Umweltverbänden die Befürchtung von Monokulturplantagen weckt. In Bezug auf Biokraftstoffe zeigte er sich eher kritisch. Auch machte er deutlich, dass ihm die negativen Folgen der GAP und die Schieflage der Lebensmittelbepreisung bewusst sind an den GAP-Subventionen möchte er trotzdem festhalten. In Bezug auf das von Umweltverbänden wegen der damit einhergehenden Deregulierung kritisierte „One in, one out“-Prinzip stellte er klar, dass er wenig Spielraum sehe, bestehende Gesetze aufzuheben; die EU habe bereits eine „Better Regulation“-Agenda, insgesamt brauche es eher höhere denn niedrigere Umweltstandards.
Urteil des EuGH zur Wolfsjagd in Finnland
Am 10. Oktober hat der EuGH das lange erwartete Urteil in Sachen finnischer Wolfsjagd vorgelegt (Rechtssache C-674/17, siehe WebcodeNuL4061 ). Eine ausführliche Bewertung auch im Hinblick auf die geplante Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes steht zwar noch aus, doch die ersten Reaktionen der Umweltverbände (NuL4061 ) sind optimistisch, bestätigt das Urteil doch die strengen Artenschutzvorgaben der FFH-Richtlinie.
Dem Fall lag eine Erlaubnis der finnischen Umweltbehörde zugrunde, die Jagd auf sieben Wölfe zu erlauben. Die finnische „Association for Nature Conservation“ sah hierin einen Verstoß gegen Art. 16 FFH-Richtlinie. Der EuGH hat klargestellt, dass die Ausnahmen insgesamt die Erreichung der Ziele der FFH-Richtlinie nicht gefährden dürfen. Außerdem betont das Gericht die Bedeutung der Richtlinienvorgabe, nach anderweitigen zufriedenstellenden Lösungen zu suchen, bevor auf die Ausnahme zurückgegriffen wird. Im konkreten Fall nimmt der EuGH daher an, dass die Bejagung gegen die FFH-Richtlinie verstoße. Aus NABU-Sicht lehnt sich die Bundesregierung mit ihrem geplanten „Lex Lupus“ daher weit aus dem Fenster, da es an anderweitigen Lösungsversuchen wie Herdenschutz im Gesetz mangelt, und auch nicht sichergestellt wird, dass eine Gefährdung des Erreichens eines günstigen Erhaltungszustands der geschützten Art ausgeschlossen ist.
Autor
Der Rechtsanwalt und Umweltrechtsexperte Raphael Weyland arbeitet seit 2015 für den NABU in Brüssel, unter anderem zum Thema EU-Naturschutzrecht.
Dr. Raphael Weyland, NABU, Büroleiter Brüssel
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