Obstwiesen: Die Frage der Pflege
Da ich mich schon seit Jahrzehnten in Theorie und Praxis mit Obstwiesen beschäftige, habe ich mich gefreut, dass zu diesem Thema in NuL ein Beitrag erscheint (siehe WebcodeNuL4535 ). Zudem ist es zu begrüßen, wenn in einem Artikel dezidiert eine eigene Meinung vertreten wird, auch und gerade, wenn sie von der herrschenden Meinung abweicht. Und vor allem ist es notwendig, dass Teile der Obstwiesenpflege infrage gestellt werden, denn die üblichen Vorgehensweisen sorgen zumeist nicht für einen befriedigenden Fruchtertrag, stabile Äste, ein hohes Baumalter und für eine ungehinderte Unternutzung.
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Am Beispiel der Unternutzung zeigt sich die Misere der meisten Obstwiesen. Die engen Reihenabstände und die unangepasste Grundstruktur der Baumkronen erschweren oder verhindern eine landwirtschaftliche Unternutzung. Die Entstehung der Hochstammkultur ist wesentlich mit dem Wunsch nach Nutzung des Unterwuchses verbunden. Ohne Unternutzung wird ihr eine wichtige Grundlage und in vielen Fällen die Existenzberechtigung entzogen. Allein dieses Beispiel zeigt, dass die Kultur von Obstwiesen sehr oft nicht als ein System ausgelegt ist, bei dem die Teile so aufeinander abgestimmt sind, dass das Ganze gut funktioniert.
Innovationen im Obstbau
Im Obstbau gab es in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Zeit der Innovation, von der auch der Anbau auf großkronigen Bäumen profitierte. Diese Innovation wurde getragen durch Personen wie Walter Poenicke, Hans Spreng oder Fritz Kobel. Der Plantagenobstbau ist seit den 1950er-Jahren gekennzeichnet durch eine starke und ständige Veränderung der Anbauverfahren, was unter anderem zu einer enormen Steigerung des Fruchtertrags geführt hat. Dagegen erfolgte im Hochstammobstbau ab dieser Zeit eine Rückwendung hin zum Weltbild des 18. und 19. Jahrhunderts. So sind die meisten aktuellen Bücher zum Schnitt der Garten- und Streuobstbäume stark bestimmt von den Vorstellungen, wie sie am Ende des 19. Jahrhunderts von Nicolas Gaucher und anderen verbreitet wurden.
Wer beim Baumschnitt die gängigen Methoden und Techniken anwendet, die bis heute in fast allen Büchern und Kursen gelehrt werden, wird selbst bei einer groben Überprüfung feststellen, dass die gewünschten und versprochenen Wirkungen sehr oft nicht eintreten. Vor allem wird meistens ein Ziel auf Kosten anderer Ziele erreicht. In der Regel stellt sich der Erfolg in dem Maße ein, wie man sich von den „offiziellen“ Vorgaben löst und das eigene Handeln an der einzelnen Pflanze und den Zielen orientiert statt an den etablierten Lehrmeinungen.
Daher kann ich nachvollziehen, dass Herr Sandt Bedenken gegenüber den üblichen Annahmen hat. Wenn er sagt, dass in Obstbaumbeständen ohne oder mit minimalem Baumschnitt die Pflegeziele wie gute Vitalität und lange Lebensdauer der Bäume erreicht werden können, dann nimmt er mit dieser Verallgemeinerung die Gegenposition zu den verbreiteten Annahmen ein. Doch wenn eine bestehende Annahme falsch ist, muss deshalb nicht das Gegenteil richtig sein.
Wie in den meisten Fällen sollte man hier differenzieren. Wenn eine Aussage bei bestimmten Sorten bei Walnuss und Süßkirsche zutrifft, braucht diese nicht für alle Obstarten und -sorten zu gelten. Nur weil an manchen Standorten Bäume der Sorte ’Bohnapfel’ (triploid, starke Neigung zu Alternanz) schon 30 Jahre ohne Pflege überleben und Früchte liefern, darf man nicht davon ausgehen, dass dies auch für diploide und kaum alternierende Sorten wie ’Prinz Albrecht’ gilt. Gerade fruchtbare Apfelbäume mit diploiden Sorten und einer mäßigen oder schwachen natürlichen Wuchskraft bleiben langfristig nicht ohne Förderung der internen Konkurrenzverminderung und des Energiehaushalts vital, weil sonst die durch Energieumwandlung (Assimilation) gewonnene Energie auf Dauer nicht zum guten Gedeihen ausreicht.
Nutzung von Obstwiesen
Die Obstwiesenkultur beruht auf einer Mehrfachnutzung. Die Holznutzung und vor allem die Unternutzung als Wiese, Weide oder Acker sowie die Fruchtnutzung sind Kennzeichen dieser Kultur. Die vom Autor erwähnte Einstreugewinnung gehörte niemals dazu ( Rösler 2003). Neben der Selbstversorgung war die landwirtschaftliche Nutzung zur Erwirtschaftung eines Gewinns die entscheidende Grundlage, auf der die Obstwiesenkultur beruhte. Dies galt bereits im 16. Jahrhundert und früher ( Hofmann 2014). Wenn Herr Sandt nun sagt, dass man in Obstwiesen auf Ansprüche hinsichtlich der Menge und Qualität der Früchte verzichten kann, dann wird damit die wirtschaftliche Fruchtnutzung infrage gestellt. Wer sich mit Produktion und Vermarktung befasst, weiß, wie wichtig eine große Menge und gute Qualität für die Wirtschaftlichkeit sind. Dies gilt selbst dann, wenn man von der Tafelobstproduktion absieht und nur das Verwertungsobst betrachtet.
Keine Pflege ohne Erfolgskontrolle
Die bisherigen Methoden in Obstwiesen bestehen im Wesentlichen in der Ausrichtung des Baumschnitts auf eine ideale oder festgelegte Form bei Baum oder Ästen. Häufig wird zusätzlich eine kräftige Düngung empfohlen, da Mineralstoffmangel oft als Ursache der schlechten Vitalität vermutet wird. Dennoch ist die mangelnde Funktion der Kultur unübersehbar. Die Gründe werden überwiegend darin gesehen, dass man die bisherigen Methoden nicht intensiv genug anwendet.
Doch können wir uns ein „Weiter so“ bei Obstwiesen leisten? Alle eigenen Erfahrungen und durchgeführten Erfolgskontrollen und Überprüfungen zeigen mir, dass die traditionellen Vorgehensweisen zumeist nicht zum Erfolg führen. Sie können nicht zum Erfolg führen, da die hinter den traditionellen Verfahren stehenden Lehrmeinungen und theoretischen Annahmen nicht dazu beitragen, ein tieferes Verständnis für die Pflanze zu gewinnen, im Gegenteil.
Eine Erfolgskontrolle ist aus meiner Sicht unverzichtbar, um die Wirksamkeit des Handelns zu überprüfen. Zudem ist sie eine wesentliche Voraussetzung für ein zielorientiertes Vorgehen. Durch die Zielorientierung braucht das Erreichen von Zielen nicht mehr wie bisher an eine festgelegte Form oder an bestimmte Handlungen gebunden zu werden. Schon allein dieses Loslösen sorgt für eine Vervielfachung der Handlungsmöglichkeiten. Damit können die Handlungen auf die Ziele der Nutzer ausgerichtet und an Pflanze und Umwelt angepasst werden. Und die Kultur lässt sich so verändern, dass sie die ihr zugedachten Funktionen erfüllen kann.
Seit etwa 70 Jahren gibt es in der Obstwiesenkultur keine nennenswerte Veränderung in der Methodik und im theoretischen Hintergrund. Der grundlegende Wandel bei den Naturwissenschaften seit den 1950er-Jahren wurde nicht wahrgenommen. Wenn man jedoch die veralteten theoretischen Annahmen aussortiert und stattdessen die Erkenntnisse der modernen Biologie und der Systemtheorie einbezieht, kann man leichter Vorgehensweisen auswählen und entwickeln, die besser an die Pflanzen angepasst sind. Das bessere Angepasstsein erhöht die Effektivität und Effizienz der Maßnahmen.
Mit diesen Veränderungen im theoretischen Hintergrund und in der Methodik besteht die große Chance, dass die Obstwiesen und ihre Kultur für die Zukunft erhalten bleiben.
Alternanz
Der Begriff bezeichnet den Wechsel zwischen hohem und geringem oder fehlendem Fruchtertrag.
Autor
Gerhard Weyers, 60, ist mit seiner kleinen Firma als Naturschützer, Landschafts-, Baum- und Gartenpfleger am westlichen Bodensee praktisch tätig. Die berufliche Tätigkeit und die Bewirtschaftung von ca. 5 ha Obstwiesen ermöglichen ihm eine Vielzahl an Beobachtungen und erleichtern ein Nachdenken über Theorien in der Obstbaumpflege. Die Vereinbarkeit von Naturschutz und Landbewirtschaftung ist für ihn seit Langem ein zentrales Thema.
gerhardweyers @aol.com
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