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Geschätzter Bedarf, aktuelle Defizite und Forderungen der Umweltverbände

EU-Naturschutzfinanzierung

Abstracts

Die Umsetzung der EU-Naturschutzrichtlinien bildet das Fundament der Anstrengungen für Erhalt und Wiederherstellung der biologischen Vielfalt in Deutschland und der ganzen EU. Ein umfangreicher europaweiter „Fitness-Check“ der Richtlinien identifizierte in diesem Zusammenhang 2016 das Finanzierungsdefizit als wesentliche Ursache für unzureichende Fortschritte. Es fehlt insbesondere an Mitteln, um Landnutzern ökonomische Anreize für gezielte Naturschutzmaßnahmen zu bieten.

2018 wurde dieses Defizit von der Bundesregierung für Deutschland auf fast 1 Mrd. EUR jährlich beziffert. Für die EU-Ebene stellen Umweltverbände einem Bedarf von 20 Mrd. EUR eine gegenwärtige Mobilisierung aus EU- und nationalen sowie privaten Mitteln von geschätzt höchstens 2–3 Mrd. EUR gegenüber. Im vorliegenden Beitrag werden Ausprägung und Ursachen der Unterfinanzierung in Deutschland und auf EU-Ebene untersucht sowie wesentliche Forderungen zu deren Behebung vorgestellt. Hierbei spielen vor allem die rechtsverbindliche Zweckbindung von ausreichend Mitteln in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) eine Rolle, die derzeit für den Zeitraum 2021–2027 neu verhandelt wird. Außerdem müssen die Naturschutzverwaltung und ihre Planungsinstrumente auf allen Ebenen eine wesentlich größere Mitsprache bzw. Verbindlichkeit erhalten. Ein politischer Ausblick mit Bezug zum Vorschlag der Europäischen Kommission für die neue GAP analysiert mögliche Chancen für eine verbesserte EU-Naturschutzfinanzierung in der kommenden Förderperiode.

EU financing of nature conservation: assessed needs, current deficits, and policy asks of the environmental organisations

The implementation of the EU Nature Directives forms the basis of any efforts for the conservation and restoration of biological diversity in Germany and the whole EU. A comprehensive Fitness Check of the Directives in 2016 identified the lack of sufficient financing as a key reason for limited progress in this regard. In particular financial means are missing to create economic incentives for land users so they undertake targeted conservation measures.

In 2018 the German Federal Government quantified this financing deficit to almost one billion EUR annually for Germany. For the EU level environmental organisations estimate a need of 20 billion EUR annually as opposed to current financial mobilisation of maximum 2–3 billion EUR. This paper investigates aspects and underlying causes of this deficit in Germany and at EU level, as well as key recommendations to address it. Especially important is in this context future legally binding ring fencing of sufficient funding in the Common Agriculture Policy (CAP) that currently is under negotiation for the period 2021-2027. Another key element is a greater competence and binding role of the relevant conservation authorities and their planning tools at all levels. The paper concludes with a political outlook for chances of better EU nature financing in the next EU budget period. Hereby the European Commission’s proposals for the future CAP have been briefly analysed.

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<strong>Abb. 1: </strong>Öffentlichkeitsarbeit des NABU zur Agrarpolitik: 114 EUR kostet die GAP gegenwärtig pro EU-Bürger und Jahr. Nur ein kleiner Teil davon fließt in den Naturschutz. Public relations activities of NABU (German Nature and Biodiversity Conservation Union) referring to agricultural policy: currently the CAP amounts to 114 EUR per EU citizen and year.
Abb. 1: Öffentlichkeitsarbeit des NABU zur Agrarpolitik: 114 EUR kostet die GAP gegenwärtig pro EU-Bürger und Jahr. Nur ein kleiner Teil davon fließt in den Naturschutz. Public relations activities of NABU (German Nature and Biodiversity Conservation Union) referring to agricultural policy: currently the CAP amounts to 114 EUR per EU citizen and year.NABU
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1 Einleitung

In den Jahren 2014–2016 unterzog die Europäische Kommission den Rechtsrahmen der Europäischen Union (EU) für den Naturschutz, die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie, Richtlinie 92/43/EWG) und die Vogelschutzrichtline (Richtlinie 2009/147/EG) einem umfangreichen „Fitness-Check“. Gemäß den Vorgaben des Programms zur „Besseren Rechtsetzung“ der Kommission (REFIT) wurden Wirksamkeit, Effizienz, Kohärenz, Relevanz und EU-Mehrwert der Richtlinien in allen Mitgliedstaaten und auf europäischer Ebene überprüft. Das Ergebnis wurde am 7. Dezember 2016 vom Kollegium der EU-Kommissare verabschiedet und lautete im Kern: „Die EU-Naturschutzrichtlinien sind unverzichtbar für Europas Naturschutzpolitik“ (Europäische Kommission 2016). Neben der klaren Bestätigung der Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit der Richtlinien an sich identifizierte der Fitness-Check auch eine Reihe von Herausforderungen für deren bessere Umsetzung. Insbesondere wurde im zentralen Gutachten angemahnt, die Richtlinien könnten ihre Ziele nur bei einer erheblichen Verbesserung ihrer Finanzierung erreichen (Milieuet al. 2016). Dies bestätigten auch die darauf erfolgten Reaktionen des Europäischen Parlaments und des Umweltministerrats der EU.

Es muss in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen werden, dass sich die Umsetzungspflichten der EU-Naturschutzrichtlinien nicht nur auf Natura 2000 beziehen, sondern auch auf den flächendeckenden günstigen Erhaltungszustand von einer großen Zahl gelisteter Lebensraumtypen und Arten sowie auf einen angemessenen Erhaltungszustand sämtlicher wildlebender Vogelarten. Somit kann eine ausreichende Finanzierung der EU-Naturschutzrichtlinien einen großen Teil der Anstrengungen für die biologische Vielfalt in der EU abdecken.

Im Folgenden sollen Ausmaß und Ursachen des Finanzierungsdefizits im deutschen und europäischen Naturschutz untersucht werden. Im Anschluss werden die zentralen Forderungen der europäischen Umweltverbände, insbesondere des Naturschutzbunds Deutschland e.V. (NABU) und seines Dachverbands BirdLife Europe an den Mehrjährigen Finanzrahmen der EU 2021–2027 (MFR) sowie die für diesen Zeitraum ebenfalls zu reformierende Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) zusammengefasst. Dabei werden auch die inzwischen vorliegenden Kommissionsvorschläge für die GAP kurz evaluiert.

2 Defizite in der aktuellen EU-Naturschutzfinanzierung

Aus dem Fitness-Check der Naturschutzrichtlinien ergibt sich im Finanzierungsbereich ein klarer Handlungsbedarf. Dieser wurde aber im anschließenden „Aktionsplan für Mensch, Natur und Wirtschaft“ der Kommission (Europäische Kommission 2017a) kaum aufgegriffen, mit der Begründung, dass dieser nicht den Verhandlungen der Mitgliedstaaten zum MFR 2021–2027 vorgreifen dürfe. Für viele Akteure, wie die deutschen Naturschutzverbände, aber auch das Bundesumweltministerium (BMU), stand jedoch fest, dass der spätestens seit 2007 verfolgte Ansatz einer freiwilligen Integration der Naturschutzfinanzierung in eine Reihe bestehender EU-Fonds gescheitert und eine grundlegende Reform dringend notwendig sei (BMUB 2015, BBNet al. 2016).

Bereits zu Beginn der EU-Förderperiode 2014–2020 hatte der NABU im Rahmen eines vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) mit Mitteln des BMU geförderten Projekts einen Überblick über die naturschutzrelevanten Förderprogramme der Bundesländer im Rahmen des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) erstellt (NABU 2016). Diese Programme können anhand einer Klassifizierung der Europäischen Kommission bestimmten Maßnahmen zugeordnet werden, die insbesondere für die Umsetzung des Schutzgebietsnetzes Natura 2000 erforderlich sind. Hierzu gehören zum Beispiel die Ausarbeitung und Aktualisierung von Managementplänen, Biotopgestaltungs- und Artenschutzvorhaben, Vertragsnaturschutz, Ackerbewirtschaftung und Umstellung von Acker auf extensive Grünlandbewirtschaftung sowie der Erhalt von Streuobstwiesen.

Der NABU veröffentlichte am 1. Juni 2015 ein Diskussionspapier mit Erfahrungen aus dieser Arbeit und stellte darin erstmals die Option eines eigenständigen „EU-Umweltfonds“ für die Naturschutzfinanzierung zur Diskussion (NABU2015). Auch in den folgenden Jahren begleitete der NABU gemeinsam mit seinen europäischen Partnerorganisationen die Umsetzung des ELER und anderer EU-Fonds in den Mitgliedstaaten der EU und bereitet dazu weitere Studien vor.

Insgesamt ergeben sich fünf Grundprobleme für die derzeitige EU-Naturschutzfinanzierung:

2.1 Unzureichende Mittelverfügbarkeit

Wie aus Analysen und Stellungnahmen der Europäischen Kommission (2016) und ihrer Gutachter (Gantioleret al. 2010), aus Berechnungen des Bundesamtes für Naturschutz (Horlitzet al. 2018) sowie aus Analysen des NABU (2015) hervorgeht, sind die „EU-Finanzierungsquellen mit dem größten Potenzial für den Naturschutz (ELER, LIFE), bzw. die naturschutzrelevanten Anteile derselben“ finanziell zu gering ausgestattet. Wie aus den nachfolgenden Punkten deutlich wird, reduziert sich das potenziell nutzbare Budget im Rahmen der Programmierung der Mitgliedstaaten weiter. Hinzu kommt nach Aussagen von Behördenvertretern das Problem, dass die personell unzureichend ausgestattete Verwaltung bei der Entwicklung und Vergabe sowie bei notwendigen Beratungsleistungen an die eigenen Grenzen stößt.

Die Unterfinanzierung äußert sich in verschiedener Weise: Besonders schnell erschöpfen sich die Fördermittel im Falle von Maßnahmen, die keine allzu hohe Änderung des Betriebsablaufes erfordern und auf vielen Flächen umsetzbar sind. Diese allerdings haben oft eher geringe Wirkung auf das eigentliche Naturschutzziel, können aber angesichts einer unzureichenden „Baseline-Gesetzgebung“ dennoch notwendig sein. Gar nicht erst nachgefragt werden meist diejenigen Maßnahmen, die nicht attraktiv genug ausgestattet sind. Hier ist vor allem die Problematik zu nennen, dass die flächenbezogene Agrarumweltförderung nicht einkommenswirksam ist, sondern nur Ertragsausfall und Mehraufwand ausgleichen darf. Die oft geforderte „Freiwilligkeit“ im Naturschutz endet damit dort, wo andere Nutzungsformen ökonomisch sinnvoller erscheinen. Gerade in Phasen steigender Markt- und Landpreise müssen die Förderprämien daher finanziell wesentlich besser ausgestattet sein, dies gilt in der Land- aber auch in der Forstwirtschaft (NABU 2014).

2.2 Keine politische Priorität für den Naturschutz

Bei der Programmierung der Maßnahmen in der laufenden Förderperiode besteht die Europäische Kommission insbesondere in der Regionalpolitik darauf, die Mittel auf möglichst wenige thematische Ziele zu konzentrieren. Gleichzeitig gibt sie jedoch keine Vorgaben, einen bestimmten Anteil der Mittel für den Naturschutz zu reservieren oder gar auf eine besondere Wirksamkeit der Maßnahmen zu achten. Die politische Priorität des Naturschutzes ist auf EU-Ebene und in den EU-Mitgliedstaaten in der Regel aber zu gering, um in dieser Situation zu befriedigenden Ergebnissen zu kommen. Die vehemente Ablehnung des Bundeslandwirtschaftsministeriums (TopAgrar Online 2017) sowie des Deutschen Bauernverbands (DBV2017) einer zusätzlichen Umschichtung von Mitteln aus der „Ersten“ in die „Zweite Säule“ der GAP zeigt dies deutlich. Sogar eine Minimalforderung des Bundesrates (Umschichtung von 6 % statt möglicher 15 %) wurde übergangen und es blieb bei den ursprünglich festgelegten 4,5 %. Der Grund für die Ablehnung einer stärkeren Umschichtung ist dabei wohl weniger darin zu sehen, dass der Bedarf im Naturschutz verneint wird, als vielmehr in der geringeren Einkommenswirksamkeit der Gelder in der „Zweiten“ verglichen mit der „Ersten Säule“. Außerdem würde sich der Kreis der Empfänger bei einer solchen Umschichtung einengen auf Betriebe, die konkrete (Naturschutz-)Leistungen für die Gesellschaft erbringen wollen und sich davon finanzielle Vorteile erhoffen. Viele intensiv wirtschaftende Betriebe, gerade in Gunststandorten, würden dagegen die bisher hochwillkommenen zusätzlich „mitgenommenen“ Flächenprämien verlieren. Das starke Übergewicht der Einkommensinteressen gegenüber dem Umweltschutz lässt zudem vermuten, dass ein flexiblerer EU-Rahmen, wie in die EU-Kommission nun plant, den Naturschutz noch weiter in die Defensive drängen würde.

2.3 Furcht vor Anlastungen macht gezielte Fördermaßnahmen unattraktiv

Zunehmende Kontrollanforderungen seitens der EU haben dazu geführt, dass gerade speziell auf Naturschutzziele ausgerichtete Fördermaßnahmen immer weniger von den Bundesländern bzw. Mitgliedstaaten programmiert werden. Manche Bundesländer entschieden sogar, sich ganz (Hamburg) oder teilweise (Bayern, Hessen) aus der ELER-Naturschutzförderung zurückzuziehen (NABU 2016). Besonders wirksame, weil gezielt auf bestimmte Arten und Lebensraumtypen ausgerichtete (auch als „dunkelgrün“ bezeichnete) Maßnahmen sind besonders unter Druck, da sie oft scheinbar oder tatsächlich größere Herausforderungen an Kontrollverfahren stellen. Dazu gehört zum Beispiel das Einhalten bestimmter Mahdzeitpunkte und -methoden zum Erhalt des artenreichen Grünlands (NABU 2013). Die hierbei oft zitierten Aussagen des Europäischen Rechnungshofes zur mangelnden Überprüfbarkeit würden hierbei nach Beobachtung des NABU (2015) aber auch gezielt von der Agrarverwaltung (auf EU- wie auf Landesebene) genutzt, um bestimmte Maßnahmen zu verhindern. Das tatsächliche oder vermutete Anlastungsrisiko wird hier stärker gewertet als die Interessen des Naturschutzes. Letztere können von den zuständigen Behörden oft nur unzureichend oder zu spät geltend gemacht werden, da diese, bis hin zur Generaldirektion Umwelt der Europäischen Kommission, zu wenig in die Verfahren einbezogen werden. Stattdessen werden zunehmend eher breit angelegte, „hellgrüne“ Maßnahmen bevorzugt, die mit geringeren Anforderungen viele Empfänger erreichen und leichter zu kontrollieren sind – obwohl gerade deren geringe Effekte für die Biodiversität wiederum vom Europäischen Rechnungshof kritisiert worden sind (ERH 2011).

2.4 Unzureichende Mitsprache der fachlich kompetenten Behörden und Verbände

In seinem Diskussionspapier von 2015 stellte der NABU fest: „Die Beteiligung von Umweltverwaltungen und Verbänden auf Ebene von EU, Bund und Ländern ist zwar inzwischen formell gestärkt worden, doch die für die Fonds federführend zuständigen Ressorts auf Seiten der EU-Kommission und der Mitgliedstaaten haben in vielen Fällen durch informelle Vorabsprachen und Ausgrenzung von beteiligten Naturschutzakteuren eine echte Integration unmöglich gemacht. So konnte in der aktuell zu Ende gehenden Programmierungsphase beobachtet werden, wie die Nutzung des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) für Naturschutzzwecke in der zuständigen Generaldirektion der EU-Kommission auf Arbeitsebene immer wieder blockiert wurde – unter Missachtung der rechtlichen Grundlage der Fonds-Verordnung und der politischen Vorgabe, die Biodiversität stärker in den EFRE zu integrieren. Die formal erst am Ende des Verfahrens vorgeschriebene Beteiligung der Generaldirektion Umwelt kam in vielen Fällen zu spät, um noch wesentliche Verbesserungen zu erreichen – zumal deren immer dramatischere personelle Unterbesetzung eine naturschutzfachlich sinnvolle Prüfung hunderter Programme unter dem enormen Zeitdruck kaum erlaubte (…). Auch auf Ebene der Mitgliedstaaten, einschließlich der deutschen Bundesländer, führten die geringeren Personalkapazitäten der Umweltressorts sowie die oft nur indirekte Beteiligung zu einer stark ungleichen Ausgangsposition in den komplexen Verfahren. In einigen Fällen konnte letztlich nur die Expertise und politischer Druck von Umweltverbänden eine völlige Vernachlässigung von Naturschutzbelangen in den Förderprogrammen verhindern. Die Verbände sind jedoch aus Kapazitätsgründen meist nicht in der Lage, sich dauerhaft in den für die EU-Fonds einberufenen Begleitausschüssen der Länder zu engagieren“ (NABU 2015).

2.5 Mangelhafte strategische Planung

Bis zur Veröffentlichung einer Kostenschätzung von 1,4 Mrd. EUR per annum (LANA 2016) lagen in Deutschland keine verlässlichen Zahlen zum Finanzbedarf der Umsetzung der EU-Naturschutzrichtlinien vor, auf Landesebene fehlen konkrete Angaben noch immer. Bis heute hat die Europäische Kommission von den Bundesländern auch keine strategische Prioritätensetzung im Bereich Natura 2000 erhalten (gemäß Art. 8 der FFH-Richtlinie). Der von der Bundesregierung bei der EU-Kommission hierzu eingereichte „Prioritäre Aktionsrahmen“ (Prioritized Action Framework, PAF), der zur naturschutzfachlichen Prüfung der EU-Förderprogramme der Länder genutzt werden sollte (BMUB 2013), war in dieser Hinsicht nicht brauchbar, da er ausschließlich auf Bundesebene aggregierte Angaben enthielt. Ohne ausreichende Datengrundlagen und Finanzierungsstrategien auf Landesebene dürfte der Naturschutz in der Konkurrenz um knapper werdende Haushaltsmittel weiter benachteiligt bleiben. Die Europäische Kommission stellte den Umweltministerien der Mitgliedstaaten Anfang 2018 ein aktualisiertes Format des PAF zu, mit der Aufforderung, dieses bis Ende 2018 zu vervollständigen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich gerade die Naturschutzverwaltungen der Bundesländer nur dann auf den Aufwand und das politische Risiko klarer finanzieller und inhaltlicher Festlegungen einlassen, wenn die „PAFs“ auch rechtlich in der künftigen GAP als verpflichtendes Planungsinstrument verankert sind. Dies wird jedoch frühestens 2019 klar werden, viele rechnen mit einem Abschluss der GAP-Verhandlungen sogar erst 2020 oder später.

3 Zahlen zu Bedarf und Kostendeckung – Deutschland

Eine Arbeitsgruppe der Bund/Länderarbeitsgemeinschaft Naturschutz, Landschaftspflege und Erholung (LANA) legte im September 2016 eine Kostenschätzung für die Umsetzung der EU-Naturschutzrichtlinien in Deutschland vor – mit Ausnahme der Meeresgebiete (LANA 2016). Hierbei wurden zusätzlich zu den direkten Kosten für die Umsetzung von Natura 2000 auch die Durchführung von Maßnahmen hinzugerechnet, die für die flächendeckende Erreichung des „günstigen Erhaltungszustands“ der Arten und Lebensraumtypen von europäischer Bedeutung gemäß der beiden Richtlinien für nötig gehalten werden. Kosten für Monitoring und Verwaltung wurden einbezogen. Als Ergebnis wurden in der Summe Kosten von ca. 1,4 Mrd. EUR jährlich geschätzt.

Im Folgejahr wurde eine Studie veröffentlicht, in der diesem Bedarf der aktuell geplante Einsatz von ELER-Mitteln in Deutschland gegenübergestellt wird, ferner weitere an anderer Stelle geschätzte Mittelflüsse (Horlitzet al. 2018). Hierbei ergab sich, dass die EU-Fonds weniger als 30 % des Bedarfs abdecken, nämlich nur etwa 380 Mio. EUR pro Jahr. Davon machen ELER-Mittel 324 Mio. EUR, Regionalförderung 31 Mio. EUR, Fischereipolitik 3 Mio. EUR sowie das LIFE-Programm der EU-Kommission 21 Mio. EUR aus. Die genannten Zahlen schließen jeweils bereits die erforderlichen Eigenanteile und weitere Ergänzungen von Bund, Ländern, Stiftungen bzw. LIFE-Antragsstellern mit ein. Zusätzlich zu den EU-Fonds schätzt man, dass 157 Mio. EUR an Mitteln von Bund, Ländern und privaten Stiftungen in den Naturschutz investiert werden. Insgesamt ergibt sich daraus für Deutschland eine eklatante Unterfinanzierung des Naturschutzes von über 60 %. Gleichzeitig wird mit einem Wert von über 70 % bereits jetzt die große Abhängigkeit der Naturschutzfinanzierung vom EU-Haushalt deutlich.

In einer Antwort auf eine schriftliche Anfrage der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen bestätigte das Bundesumweltministerium im Namen der Bundesregierung die in Abb. 1 gezeigten Zahlen (BMU, 2018).

4 Zahlen zu Bedarf und Kostendeckung – EU-Ebene

Die letzte Schätzung des finanziellen Bedarfs des Natura-2000-Netzwerks unternahm die Europäische Kommission im Jahr 2010. In erster Linie basierend auf Angaben der Mitgliedstaaten schätzte man die jährlichen Kosten für Schutz und Pflege aller Natura-2000-Gebiete in allen EU-Staaten (ohne Kroatien) auf insgesamt 5,8 Mrd. Euro – diese Zahl betrug für Deutschland knapp 630 Millionen Euro jährlich (Gantioleret al. 2010).

Aufgrund der dargestellten deutlich nach oben korrigierten Kostenschätzung in Deutschland kann man auch von einem inzwischen erheblich höheren Bedarf in anderen Mitgliedstaaten ausgehen. Ursachen liegen in der Ausweitung der Schätzung auf die Verpflichtungen der Naturschutzrichtlinien in der Gesamtlandschaft, der allgemeinen Preissteigerung (insbesondere bezogen auf Bodenpreise) und in präziseren Daten. Dies wird auch durch die Einschätzung vieler nationaler Umweltverbände aus anderen Mitgliedstaaten unterstützt. In Ermangelung aktueller Studien nahm der Dachverband des NABU, BirdLife International, 2017 eine eigene Schätzung vor. In seinem Positionspapier zum Mehrjährigen Finanzrahmen der EU 2021–2027 mit dem Titel „For an EU budget serving nature and people“ (BirdLife International 2017a) beziffert BirdLife den Mittelbedarf auf jährlich bis zu 20 Mrd. EUR für die Umsetzung der EU-Naturschutzrichtlinien im terrestrischen Bereich der EU. Unter der Annahme, dass im EU-Schnitt etwa 75 % der Kosten aus dem EU-Budget beglichen werden sollten, ergibt sich damit eine Forderung an den EU-Haushalt von 15 Mrd. EUR jährlich.

Auch für die Kostendeckung existieren auf EU-Ebene keine genauen Zahlen. Dies liegt u. a. an einem sehr mangelhaften System der Erfassung von Biodiversitätsausgaben („biodiversity tracking“). Diese Mängel haben auchHorlitzet al.(2018) herausgearbeitet. Eine von der Europäischen Kommission beauftragte Studie (Gantioleret al. 2010) schätzte, dass in der Mitte der Förderperiode 2007–2013 nur 10–20 % des (damals geschätzten) Bedarfs von Natura 2000 durch EU-Mittel gedeckt waren, dies entspricht in absoluten Zahlen höchstens rund einer Milliarde EUR jährlich. Die im BirdLife-Netzwerk zusammengeschlossenen Verbände gehen aufgrund eigener Einschätzungen davon aus, dass im EU-Durchschnitt nationale und private Mittel ein deutlich geringeres Niveau als die EU-Mittel selbst erreichen, d. h. sehr konservativ gerechnet höchstens eine weitere Milliarde EUR pro Jahr.

BirdLife geht weiterhin davon aus, dass sich im Zuge der letzten Haushalts- und Agrarreform und der folgenden Förderperiode 2014–2020 diese Mittel in der Summe kaum oder gar nicht erhöht haben. Daraus ergibt sich im günstigsten Fall, bezogen auf die genannte Kostenschätzung von 20 Mrd. EUR, eine derzeitige Kostendeckung von nur 10, maximal 15 %, für die gesamte EU, bzw. 2–3 Mrd. EUR, die europaweit derzeit für die Umsetzung der EU-Naturschutzrichtlinien ausgegeben werden dürften. Zusätzlich ist oftmals eine geringe Zielgenauigkeit bzw. Effizienz dieser Mittelausgaben zu erwarten, was das Finanzierungsdefizit weiter erhöht.

Zusammenfassend ist trotz erheblicher Unsicherheiten in der Abschätzung von Bedarf und Kostendeckung davon auszugehen, dass in Deutschland mindestens eine Verdreifachung, europaweit eine noch stärkere Erhöhung der verfügbaren Mittel notwendig ist, um die Naturschutzrichtlinien der EU auch nur annähernd ordnungsgemäß und erfolgreich umzusetzen. Angesichts der dramatischen Entwicklung der Biodiversität (u. a.Hallmannet al. 2017, CNRS/MNHN/UPMC 2018) und der damit verbundenen Risiken für Wirtschaft und Gesellschaft sowie mit Blick auf den geschätzten sozio-ökonomischen Nutzen eines intakten Natura-2000-Netzwerks von 200–300 Mrd. EUR jährlich (Europäische Kommission2011) erscheint die notwendige Mobilisierung bzw. Umschichtung von Finanzmitteln aus dem EU-Haushalt in einer Größenordnung von 15 Mrd. EUR jährlich jedoch verhältnismäßig. Zum Vergleich: Derzeit werden für das von vielen Experten, aber auch von der Europäischen Kommission selbst als für die Biodiversität weitgehend unwirksam bezeichnete „Greening“ der Gemeinsamen Agrarpolitik (Peeret al. 2017, Europäische Kommission 2017) in der laufenden Förderperiode etwa 12 Mrd. EUR jährlich aufgewendet.

5 Forderungen der europäischen Naturschutzverbände

Basierend auf den obenstehenden Erkenntnissen und Einschätzungen haben die europäischen Netzwerke der Naturschutzverbände sowie deutsche Verbände einen Forderungskatalog für die EU-Naturschutzfinanzierung im künftigen MFR 2021–2027 sowie die EU-Agrarpolitik im entsprechenden Zeitraum entwickelt. Hierbei waren der deutsche NABU und sein Netzwerk BirdLife Europe besondere Impulsgeber, weshalb die im Folgenden zusammengefassten Forderungen v. a. aus Papieren dieser Verbände stammen (u. a. BirdLife International 2017a, b; NABU 2017a, b) sowie aus gemeinsamen Papieren der wichtigsten deutschen Umweltverbände (BBNet al. 2016, DNR 2018).

5.1 Bündelung und Vereinfachung (EU-Naturschutzfonds)

Der „integrierte Ansatz“ der EU-Naturschutzfinanzierung ist aus Sicht der Naturschutzverbände, aber auch des Bundesumweltministeriums (BMUB 2015) gescheitert. Anstatt sich darauf zu verlassen, dass eine Vielzahl anderer Sektoren aus ihren jeweiligen Budgets „freiwillig“ einen Teil dem Naturschutz widmet, sollte man eine weitgehende Bündelung der Finanzierung in einem eigenständigen, von den deutschen Verbänden und der Bundesregierung als „EU-Naturschutzfonds“ bezeichneten Instrument anstreben. Dieser EU-Naturschutzfonds sollte nach Ansicht des NABU zumindest die Umsetzung der EU-Naturschutzrichtlinien an Land (einschließlich Offenland, Wälder, Binnengewässer und Siedlungsraum) „aus einer Hand“ finanzieren. Für die Programmierung und Auszahlung sollten je nach Praktikabilität und Entscheidung des Bundeslands bzw. Mitgliedstaates bestehende administrative Strukturen des ELER bzw. EFRE genutzt werden, um keine Parallelverwaltung entstehen zu lassen. Aus Sicht des NABU sollte dieser Fonds vorzugsweise innerhalb einer zu reformierenden EU-Agrarpolitik (GAP) angesiedelt werden, da die Empfänger der Förderung zum allergrößten Teil Landwirte und Waldbesitzer sind und der ELER-Fonds in den allermeisten EU-Staaten den weitaus größten Teil der Naturschutzfinanzierung abdeckt, so auch in Deutschland (vgl. Abb. 4). Dies ergibt sich auch durch die Vorschläge der Europäischen Kommission für den Mehrjährigen Finanzrahmen der EU 2021–2027 (MFR) vom 2. Mai 2018, die eine Neuschaffung eines Fonds außerhalb der GAP als sehr unwahrscheinlich erscheinen lassen (Europäische Kommission2018a).

5.2 Zweckbindung von Mitteln (15 Mrd. EUR jährlich im EU-Haushalt)

Für den EU-Naturschutzfonds bzw. ein äquivalentes Instrument anderen Namens, fordern die europäischen Naturschutznetzwerke BirdLife, EEB und WWF auf EU-Ebene rechtsverbindlich eine Festschreibung von mindestens 15 Mrd. EUR pro Jahr in der GAP. Die deutschen Verbände BUND, DNR, NABU und WWF fassen ihre Forderungen in folgender, bisher unveröffentlichter, Formulierung zusammen: „Aus dem EU-Haushalt müssen 15 Milliarden EUR jährlich für Erhalt und Wiederherstellung der Biodiversität zur Verfügung gestellt werden. Mit diesen Mitteln müssen Landnutzer einkommenswirksam für Naturschutzleistungen bezahlt werden. Nur so lässt sich auch die Umsetzung der EU-Naturschutzrichtlinien in Deutschland angemessen finanzieren und künftige Vertragsverletzungsverfahren vermeiden. Die Bundesregierung muss sich, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, für eine am Bedarf von Natura 2000 orientierte Erhöhung der EU-Naturschutzfinanzierung einsetzen, sowie für einen EU-Naturschutzfonds. Solange dieser nicht eigenständig und in ausreichender Höhe im Mehrjährigen Finanzrahmen der EU verankert werden kann, muss eine entsprechende Zweckbindung von Mitteln über die GAP erfolgen.“ Ergänzend müsse das kleine, aber hocheffiziente zentrale LIFE-Programm der EU-Kommission auf 1 % des EU-Gesamthaushalts aufgestockt werden, um jährlich mindestens 1 Mrd. EUR für innovative Naturschutzprojekte von gesamteuropäischer Bedeutung zur Verfügung zu stellen.

5.3 Einkommenswirksamkeit

Je gezielter und anspruchsvoller die geförderten Maßnahmen sind, desto stärker sollten die Mittel aus dem EU-Naturschutzfonds einkommenswirksam werden, d. h. über den bisher angesetzten Ausgleich für Produktions- bzw. Gewinnausfälle hinausgehen. Im vorliegenden Vorschlag der EU-Kommission für die kommende GAP ist eine Einkommenswirksamkeit in den sogenannten Eco-Schemes, nicht aber in der Agrarumweltförderung der „Zweiten Säule“ vorgesehen. Eine wichtige Rolle spielt hierbei die Debatte über eine mögliche Unverträglichkeit einer sogenannten „Anreizkomponente“ mit den Regeln der Welthandelsorganisation. Dies wird inzwischen von vielen Akteuren jedoch für unproblematisch gehalten, wobei eine endgültige Klärung weiterhin aussteht. Es besteht jedoch in jedem Fall die Herausforderung, die Einkommenswirksamkeit eng an erzielte Ergebnisse zu binden, die über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehen. Sonst droht die Gefahr einer weiteren ineffizienten „Gießkannenförderung“ von Einkommen.

5.4 Interventionslogik, Ziele und Indikatoren

Im Rahmen der von der Europäischen Kommission verfolgten stärkeren Subsidiarität (Verantwortung und Flexibilität der Mitgliedstaaten) sowie der Betonung von Ergebnisorientierung („Budget of Results“) wird spätestens seit einer Mitteilung des EU-Agrarkommissars vom 29. November 2017 (Europäische Kommission 2017b) sowie der entsprechenden Gesetzesvorschläge vom 1. Juni 2018 (Europäische Kommission 2018b) über ein System von Zielen und Indikatoren in der neuen GAP diskutiert. Nach Ansicht der europäischen Naturschutzverbände müssen auf EU-Ebene Ziele und Indikatoren rechtsverbindlich so festgelegt werden, dass die Mitgliedstaaten weder eine (Ab-) Wahlmöglichkeit für die Naturschutzfinanzierung erhalten, noch die Zielorientierung der Maßnahmen verwässern können. In Form einer strikten Interventionslogik, die von der Generaldirektion Umwelt der Europäischen Kommission detailliert geprüft und genehmigt werden muss, sollten die Bundesländer bzw. Mitgliedstaaten verpflichtet werden darzulegen, auf welche Weise die gewählten Fördermaßnahmen zur Erreichung klar definierter Ziele als Teil der Umsetzung der EU-Naturschutzrichtlinien beitragen und wie Erfolge gemessen werden. Ebenso müsse dargestellt werden, welche Alternativen gewählt werden, falls auf EU-Förderung für ein bestimmtes Ziel verzichtet werden soll. Diese Anforderungen erscheinen auch aus finanzpolitischer Sicht notwendig, wenn weiterhin die Aufwendung von Steuergeldern in signifikantem Umfang für den Agrarbereich gerechtfertigt werden soll.

5.5 Kontrollen und Sanktionen

Wie viele andere auch plädieren die Naturschutzverbände für eine Vereinfachung von Regelwerken und Kontrollmechanismen. So müsse der Fokus von Kontrollen auf dem Aufdecken von systematischem Missbrauch von EU-Geldern liegen. Insbesondere die Regierungen und Verwaltungen der Mitgliedstaaten sollten streng daraufhin kontrolliert werden, ob sie die Gelder für die vereinbarten Ziele verwenden. Die Bürokratie-Entlastung sollte vor allem bei den Empfängern, z. B. den Landwirten, spürbar sein, nicht aber in „Blankoschecks“ für die Mitgliedstaaten resultieren.

Besonders wichtig ist nach Ansicht der Verbände eine Möglichkeit für die Europäische Kommission, gegenüber den Mitgliedstaaten GAP-Strategien und entsprechende Gelder wenn notwendig zunächst nur teilweise zu genehmigen bzw. auszuzahlen oder auch Gelder zurückzufordern. Bei Nichterreichung der zwischen Mitgliedstaat und Kommission vereinbarten Ziele müsse weitere Förderung von nachweislichen Korrekturen abhängig gemacht werden.

5.6 Einvernehmen der zuständigen Verwaltung und Partnerschaftsprinzip

Im Gegensatz zum jetzigen System sollte nach Ansicht der Naturschutzverbände die kompetente Fachverwaltung auf allen Ebenen und in allen Stufen des Verfahrens einbezogen und mit entsprechenden Prüfmöglichkeiten und Personalressourcen ausgestattet werden. Für den Naturschutz betrifft dies insbesondere die Generaldirektion Umwelt der EU-Kommission, deren Zustimmung für die Genehmigung von PAFs sowie der GAP-Strategien der Mitgliedstaaten ebenso Voraussetzung sein muss wie bei der regelmäßigen Überprüfung von Zielen, Indikatoren und Kontrollsystem der Mitgliedstaaten. Auf Ebene der Mitgliedstaaten müssen die Programme im Einvernehmen mit den Naturschutzbehörden (in Deutschland: von Bund und Ländern) entwickelt und mit der EU-Kommission verhandelt werden.

Im Sinne des Partnerschaftsprinzips der EU müssen dabei auch Natur- und Umweltverbände auf allen Ebenen beteiligt werden und (über „technische Hilfe“) mit ausreichenden Kapazitäten ausgestattet werden, um diese Beteiligungsrechte auch wahrnehmen zu können.

5.7 Ergänzende und flankierende Rolle anderer EU-Instrumente

Aus Sicht der Naturschutzverbände sollten andere EU-Fonds bzw. Programme die zentrale Finanzierungsrolle der GAP ergänzen: Jeweils mit jährlich etwa 1 Mrd. Euro ausgestattet, sollte das LIFE-Programm Naturschutzprojekte von besonderem europäischem Mehrwert finanzieren und ein Biodiversitätsbereich der Meeres- und Fischereipolitik sollte zur Förderung von Naturschutz in Meeren und an Küsten beitragen. Flankierend sollte die Regionalpolitik in die Wiederherstellung und Sicherung von Ökosystemdienstleistungen sowie in eine „Grüne Infrastruktur“ investieren. Hierfür wird ein den Transport- und Energienetzprogrammen der EU-Kommission ähnelndes TEN-G-Netzwerk gefordert (Trans-European Networks Green Infrastructure).

6 Ausblick: Eine bessere EU-Naturschutzfinanzierung nach 2020?

Gegenwärtig sind die Ergebnisse des politischen Verhandlungsprozesses zum künftigen MFR und zur GAP nicht absehbar. Noch weniger können Aussagen über den Ablauf und etwaigen Erfolg der folgenden Programmierung der EU-Fonds auf Ebene von Mitgliedstaaten bzw. deren Regionen (Bundesländer) getroffen werden. Letztere hängen nicht nur vom rechtlichen Rahmen, sondern auch vom jeweiligen politischen Willen der Region ab: Bereits im derzeitigen System bestehen weitreichende Möglichkeiten für eine effektivere Naturschutzfinanzierung, die jedoch von den Bundesländern bzw. Mitgliedstaaten meist nicht genutzt oder sogar aktiv unterlaufen werden. Künftig werden diese Spielräume voraussichtlich noch größer werden. Daher lassen sich hier lediglich Indizien aufzeigen, die dafür bzw. dagegen sprechen, dass sich die EU-Naturschutzfinanzierung nach 2020 verbessern könnte. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die seit 1. Juni 2018 vorliegenden Legislativvorschläge zur GAP (Europäische Kommission 2018b) gerichtet.

6.1 Politischer Kontext und die Verhandlungen über den EU-Haushalt 2021–2027

Die öffentliche Aufmerksamkeit für die Zusammenhänge zwischen Landwirtschaft, Agrarpolitik und dem Verlust der Artenvielfalt ist spätestens seit Veröffentlichung der „Krefelder Insektenstudie“ (Hallmannet al. 2017) in Deutschland und anderen Mitgliedstaaten der EU besonders hoch, nach Ansicht vieler Beobachter höher als während der letzten EU-Haushalts- und GAP-Reform. Ebenso hat sich die Datenlage über den sich weiter verschlechternden Zustand von Umwelt und Artenvielfalt verbessert. Gleichzeitig belegt eine immer größere Zahl von Studien, Gutachten (u. a.Feindtet al. 2018) und Berichten des Europäischen Rechnungshofs den dringenden Handlungsbedarf gerade im Bereich der GAP in Bezug auf ökologische, aber auch sozio-ökonomische Zielsetzungen.

Die verstärkte gesellschaftliche Debatte hat sich auch im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung niedergeschlagen, wo u. a. der Einsatz für eine „Neujustierung der GAP“ sowie eine verbesserte EU-Naturschutzfinanzierung vereinbart wurde (Deutsche Bundesregierung 2018a). Im „Eckpunktepapier zum Aktionsplan Insektenschutz der Bundesregierung“ heißt es zudem: „Die Bundesregierung wird sich bei den Verhandlungen zum künftigen Mehrjährigen Finanzrahmen der EU (MFR) post-2020 dafür einsetzen, die EU-Naturschutzfinanzierung zu verbessern. Bei der Ausgestaltung der kommenden EU-Förderperiode soll ein Beitrag zum Insektenschutz durch geeignete Fördertatbestände und Kriterien berücksichtigt werden. In diesem Rahmen muss die Landwirtschaft künftig auch einen größeren Beitrag zur Bewältigung der Herausforderungen bei Klima- und Umweltschutz sowie beim Erhalt der Biodiversität leisten. Vor diesem Hintergrund soll die GAP die Leistungen der Landwirtschaft zum Schutz der Umwelt, der Biodiversität, des Klimas und der natürlichen Ressourcen besser honorieren“ (Deutsche Bundesregierung 2018b).

Auch im Rahmen der Verhandlungen über den künftigen Mehrjährigen Finanzrahmen der EU (MFR 2021–2027) ergeben sich Indizien, die eine Verbesserung der Naturschutzfinanzierung bewirken könnten. Aufgrund des Haushaltsdrucks, der auf den Brexit und neue Herausforderungen für die EU einerseits, aber auch auf die EU-skeptischen Stimmung in den „Nettozahlerstaaten“ andererseits, zurückgeht, ist mit einer stärkeren Debatte über die Effizienz der künftigen GAP zu rechnen, als bei vergangenen Reformrunden. Bisherige, vergleichsweise progressive Stellungnahmen von Regierungsvertretern wichtiger Mitgliedstaaten wie den Niederlanden und Frankreichs, weisen zumindest auf eine Aufweichung der klassischen Positionen hin. Da die MFR-Debatte im Rahmen der EU-Haushaltsverhandlungen auf Regierungschefebene geführt wird, lässt sich ein etwas geringerer Einfluss der Agrarressorts erwarten.

Der MFR-Vorschlag der EU-Kommission vom 2. Mai 2018 (Europäische Kommission 2018a) wurde allerdings von den Naturschutzverbänden scharf kritisiert, wegen des Fehlens verbindlicher Budgets für den Naturschutz sowie für die überproportionale Kürzung der sogenannten „Zweiten Säule“ der GAP (NABU 2018a). Es ist zu vermuten, dass aus Sicht der EU-Kommission die Zustimmung und Einigung der Mitgliedstaaten noch vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2019 absolute Priorität vor Erwägungen zu Nachhaltigkeit und Effizienz der Mittelverwendung hat.

Der MFR-Vorschlag enthält immerhin eine leichten Erhöhung des Budgets für das LIFE-Programm, was jedoch weiterhin nur einen kleinen Bruchteil des Bedarfes ausmacht und im Gegenteil sogar die Gesamtförderung mindern könnte – etwa wenn versucht wird, mit dem Verweis auf LIFE die Verantwortung der GAP für die Naturschutzfinanzierung zu schmälern.

Das Europäische Parlament, das bei den Fondsverordnungen „auf Augenhöhe“ mit den Mitgliedstaaten verhandelt, verlangt in seiner Stellungnahme „Der nächste MFR: Vorbereitung des Standpunkts des Parlaments zum MFR nach 2020“ vom 14. März 2018, „dass die einschlägigen Projekte, etwa LIFE+, angemessen finanziert werden und ihre Mittelausstattung verdoppelt wird, und dass Mittel speziell für die biologische Vielfalt und die Verwaltung des Netzes Natura 2000 vorgesehen werden“ (Europäisches Parlament 2018).

6.2 Legislativvorschläge für die Gemeinsame Agrarpolitik nach 2020

In den vorliegenden Legislativvorschlägen der EU-Kommission für die Gemeinsame Agrarpolitik 2021–2027 (Europäische Kommission 2018b) wird der Anspruch auf höhere Ambitionen im Bereich des Umwelt- und Naturschutzes erhoben. Der Schutz der Biodiversität erhält folgerichtig auch ein eigenes spezifisches Ziel ( Beitrag zum Schutz der Biodiversität, Verbesserung von Ökosystemleistungen und Erhaltung von Lebensräumen und Landschaften ; Art.6 (1f)). Vor dem Start der Verhandlungen zwischen Mitgliedstaaten und Europäischem Parlament, durch die noch erhebliche Veränderungen zu erwarten sind, gibt es bereits eine Reihe von Analysen (u. a.BirdLife Europe2018,NABU2018b undMatthews2018). Kurz zusammengefasst sehen diese die Möglichkeit einer wesentlich verbesserten Naturschutzfinanzierung – allerdings nur für den Fall, dass dies die jeweiligen Mitgliedstaaten bzw. Bundesländer in ihrer strategischen Programmierung so festschreiben. Ist deren politischer Wille oder administrative Kapazität unzureichend, dann ist mit einer mindestens ebenso schlechten Finanzierungssituation wie in der laufenden Förderperiode zu rechnen. Ebenso kommt es auf den Nachdruck seitens der Europäischen Kommission bei der Einforderung entsprechender Leistungen an. Die Erfahrungen aus der Programmierungsphase der laufenden Förderperiode lassen die Naturschutzverbände hier jedoch Schlimmstes befürchten. Die Verbände fordern daher insbesondere verpflichtende Mindestbudgets für die Naturschutzfinanzierung in beiden Säulen sowie einen rechtsverbindlichen Status für die Prioritären Aktionsrahmen (PAFs), so dass GAP-Strategien, die den Naturschutzstrategien des Mitgliedstaats bzw. Bundeslands widersprechen, nicht genehmigt werden dürfen.

Ob rein quantitativ mehr Mittel für den Naturschutz bereit stehen werden ist aus obenstehenden Gründen nicht vorherzusagen. Es böte sich eine Verwendung der bisherigen „Greening“-Mittel an, die allein bereits etwa 12 Mrd. EUR jährlich betragen und für die Biodiversität im Wesentlichen wirkungslos geblieben sind. Zusammen mit den Agrarumweltmitteln der gegenwärtigen Zweiten Säule wäre somit ausreichend Finanzierung vorhanden. In ihrem Vorschlag verweigert sich die Kommission allerdings der Festlegung von Mindestbudgets für den Naturschutz. Sollte es in den Verhandlungen nicht doch noch dazu kommen, so dürfte ein deutlicher Rückschritt unvermeidbar sein. Daran würden selbst die vorgeschlagenen anspruchsvolleren Grundanforderungen der GAP wenig ändern, wie auch der Vorschlag, dass Einkommensstützung in sogenannten „benachteiligten Gebieten“ künftig nicht mehr als Umweltförderung in der Zweiten Säule angerechnet werden kann.

Sollten die erforderlichen Fortschritte bei der EU-Naturschutzfinanzierung ausbleiben, drohen weitere massive Biodiversitätsverluste mit unabsehbaren Folgen auch für die Produktionsgrundlagen und die Akzeptanz der Landwirtschaft selbst. Zudem wird sich die Umsetzung des Naturschutzes in Ermangelung von ökonomischen Anreizen wieder mehr auf ordnungsrechtliche Instrumente verlagern und zu einer Zunahme von Gerichts- und Vertragsverletzungsverfahren führen, da die rechtlichen Verpflichtungen der EU-Naturschutzrichtlinien in den Mitgliedstaaten bestehen bleiben.

Literatur

Aus Umfangsgründen steht das ausführliche Literaturverzeichnis unter www.nul-online.de (Webcode 2231) zur Verfügung.

Fazit für die Praxis

  • Künftige GAP, EU-Ebene: Rechtsverbindliche Zweckbindung von insgesamt 15 Mrd. EUR jährlich für Maßnahmen zu Erhalt und Wiederherstellung der Biodiversität – sowohl in Form von einkommenswirksamen Anreizen als auch als Investitionshilfen, sowohl innerhalb der geplanten „Eco-Schemes“, als auch in einer noch wesentlich zu stärkenden „Zweiten Säule“.
  • Künftiger EU-Haushalt: Aufstockung des LIFE-Programms im Rahmen der EU-Haushaltsverhandlungen auf 1 % des Gesamtbudgets, so dass jährlich 1 Mrd. EUR für Biodiversitätsprojekte zur Verfügung stehen.
  • Ebene von EU, Bund und Ländern: Entwicklung klarer Naturschutzprioritäten und Finanzierungsstrategien auf Bundeslandebene („PAF“), maßgebliche Einbeziehung der Naturschutzfachbehörden von Ländern, Bund und EU-Kommission in die Entwicklung, Genehmigung und Umsetzung der nationalen GAP-Strategien.
  • Bund und Länder: Maximale Ausnutzung der von der EU gewährten Spielräume für die gezielte Naturschutzförderung, insbesondere bei der Umschichtung von der „Ersten“ auf die „Zweite Säule“, die bereits in der laufenden GAP noch von 4,5 auf 15 % erhöht werden könnte.

Kontakt

Konstantin Kreiser studierte Geographie in Heidelberg, Sankt Petersburg und Berlin, Schwerpunkt Naturschutz in Transformationsländern. 2003 Publikation einer Analyse kasachischer Naturschutzorganisationen. Arbeitsaufenthalte bei der Europäischen Kommission und beim Baltic Environment Forum in Riga. Von 2004 bis 2009 in Brüssel als Referent, später Leiter EU-Politik bei BirdLife International. Seit 2010 beim NABU-Bundesverband, heute als Stellvertretender Fachbereichsleiter Naturschutz- und Umweltpolitik.

Konstantin.Kreiser@NABU.de

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