Die unglaubliche Geschichte des historischen Preesterholts (Kreis Schleswig-Flensburg) und zu ziehende Lehren
Das Preesterholt (Niederdeutsch für „Priesterwald“; in der Presse auch „Gintofter Wäldchen“) war eine zuletzt noch knapp 2 ha große Waldinsel bei Gintoft (Gemeinde Steinbergkirche, Kreis Schleswig-Flensburg). Im November 2017 ließ der Eigentümer den Wald abholzen. Vorausgegangen war eine erbitterte Auseinandersetzung mit Anwohnern und Behörden, die um den Erhalt des historischen Waldes kämpften. Als Grund für die Rodung gab der Eigentümer an, mehr Ackerfläche erhalten zu wollen. Kritiker vermuteten jedoch schon früh, dass der Wald der Errichtung von Windkraftanlagen im Wege stehen könnte, was jedoch durch die Behörden nicht offiziell bewiesen werden konnte.
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1 Vorgeschichte
Ein Alleinstellungsmerkmal des Preesterholts war seine einzigartige Insellage, die von Betrachtern immer wieder als besonders reizvoll beschrieben wurde (Abb. 1). Der Wald befand sich lange Zeit im Besitz der evangelischen Kirche, woher auch der Name rührt. Bereits in vorreformatorischer Zeit ist er als Kirchenwald von St. Martin von Steinberg nachgewiesen und im örtlichen Kirchspielarchiv seit 1538 archivalisch belegt. Erst 1982 kam das Preesterholt durch einen Flächentausch in Privatbesitz. Die Möglichkeit, dass der historische Wald durch die neue Besitzerfamilie einmal gerodet werden könnte, stand damals nicht im Raum.
Wie Augenzeugen aus der Vergangenheit berichteten, befanden sich in dem kleinen Wald zahlreiche Findlinge aus der letzten Kaltzeit, die darauf schließen lassen, dass der Standort noch nie zuvor beackert worden ist. Außerdem lag in dem Wald ein versumpfter Quellbereich. Demnach handelte es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um ein Primärwaldrelikt mit ungestörten Böden, wie es im Landesteil Schleswig äußerst selten ist. Naturschützer berichteten zudem, dass der Uhu, mehrere Fledermausarten und bedrohte Pflanzen, wie die Hohe Schlüsselblume und das Milzkraut, heimisch waren (Struss2017). Im Landschaftsplan war ein mesophytischer Laubmischwald mit Eschen-Erlen-Sumpfwald und Bachstaudenflur im Quellbereich vermerkt. Enthalten waren zudem zahlreiche alte Buchen, teils mit einem Durchmesser in Brusthöhe von über 40 cm (Struss2017).
2 Der Wald im Landesteil Schleswig
Der nördliche Landesteil Schleswig-Holsteins gehört zu den waldärmsten Regionen Deutschlands. Während die Bundeswaldinventur 2012 für die komplette Landesfläche immerhin 11,0 % ausweist, sind es im Landesteil Schleswig nahe der dänischen Grenze nur rund 5 %. In der kleinräumigen Jungmoränenlandschaft Angelns kommt dazu, dass die vorhandenen Wälder (meist im Privatbesitz; sogenannte Bauernwälder) in der Regel klein und stark zersplittert sind. Eine Vernetzung der betreffenden Biotope ist damit ohnehin schon problematisch. Zusätzlich hat sich die Verteilung der Wälder im 18. und 19. Jahrhundert erheblich verändert. Dies zeigen zahlreiche Flur- und Siedlungsnamen auf holz/ holt, -lund und -schau, die zwar auf Wälder hindeuten, aber im Offenland liegen.
Anderseits zeigen die meisten bestehenden Wälder Spuren früherer Beackerung, z.B. Knicks und Lesesteinhaufen. Nach einer noch für das 10. bis 15. Jahrhundert nachgewiesenen und auch durch Pollenspektren bestätigten dichten Bewaldung in weiten Teilen Schleswig-Holsteins folgte in der Zeit zwischen 1650 und 1800 mit ca. 4 % Waldanteil ein Tiefstand (Haase1983, Withold1998), den das Preesterholt als Eigentum der Kirche unbeschadet überlebte. Waldstandorte wie der betreffende, die noch nie zuvor beackert wurden und über ein über Jahrhunderte gewachsenes Waldökosystem verfügen, sind demnach in Schleswig-Holstein extrem selten. Sie müssten schon aus diesem Grund besonders schützenswert sein. Dazu kommen die ökologische Brückenfunktion kleiner Waldinseln im Rahmen des Biotopverbundes und das daraus resultierende einzigartige kleinstrukturierte Landschaftsbild, wie es typisch ist für Angeln.
3 Das Ende des Waldes
Am 01. August 2016 genehmigte die Untere Forstbehörde in Schleswig im Einvernehmen mit der Unteren Naturschutzbehörde die Umwandlung des Waldes in Ackerfläche. Grundlage dafür war ein Gutachten, das der Waldeigentümer eingereicht hatte und das sich später als falsch bzw. nicht vollständig erwies (Flensburger Tageblatt, 31.08.2017;Struss2017). Nach Protesten und erheblichen Zweifeln an den naturschutzrechtlichen Voraussetzungen veranlasste das zuständige Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung des Landes Schleswig-Holstein (MELUR) in Kiel eine Prüfung durch die zuständigen Behörden.
Das Ergebnis war, dass die Genehmigung in Hinblick auf natur- und artenschutzrechtliche Belange rechtswidrig erteilt wurde. Daraufhin nahm die Forstbehörde die Genehmigung zurück, wogegen der Waldbesitzer Widerspruch einlegte. Vor einer erneuten Prüfung wurde jedoch aus dem Preesterholt nahezu der komplette alte Baumbestand entfernt sowie „Kies, Rohre und Betonteile“ (mutmaßlich zur Entwässerung) an den Waldrand geliefert (Struss2017). Beobachter sprachen von einer „aggressiven Durchforstung“ (Struss2017).
Um den kleinen Wald entbrannte ein erbitterter Kampf. Selten hat der drohende Verlust eines wertvollen Biotops in der örtlichen Lokalpresse eine derartige Rolle gespielt. Zudem organisierten Bürger in Steinbergkirche eine Protestkundgebung mit hunderten Teilnehmern gegen die drohende Abholzung des Waldes. Einem Naturschützer, der sich offenbar selbst ein Bild machen wollte und dazu widerrechtlich das um das Waldstück herumliegende Grundstück des Eigentümers betreten haben soll, wurde eine Unterlassungsklage angedroht. Zudem soll der Wald sogar zeitweise videoüberwacht worden sein. Die örtlichen und landesweiten Naturschutzverbände, der Landesnaturschutzbeauftragte u.a. setzten sich für den Erhalt ein.
Dennoch hatte der Widerspruch des Eigentümers schlussendlich Erfolg und die Rodungsgenehmigung blieb bestehen. Versuche, die Entscheidung über das zuständige Verwaltungsgericht zu stoppen, scheiterten. Im November 2017 erfolgte die Rodung des kleinen Waldes, die nur wenige Tage dauerte. Lediglich im Ostbereich musste der Eigentümer einen kleinen Teil um den Quellbach herum stehen lassen (Abb. 2).
Insider mit Hintergrundwissen vermuteten bereits sehr früh, dass der Wald einer unter Umständen geplanten Errichtung von Windenergieanlagen im Wege stehen könnte. Zuvor hatte die Landesplanung Windkraftanlagen an diesem Standort ausgeschlossen, da eine Mindestfreifläche von 15 ha nicht gegeben war (Flensburger Tageblatt vom 31.12.2017). Denn eine aufwändige Waldrodung und eine in etwa dreimal so große Aufforstung als Ausgleich an anderer Stelle zugunsten einer vergleichsweise geringen Ertragssteigerung auf der Gesamtfläche wären mit Sicherheit nicht wirtschaftlich, wie Kritiker vermuteten.
4 Auswirkungen und Fazit
Lücken in der Naturschutzgesetzgebung machen Dinge möglich, die man nicht für möglich gehalten hätte. So ist es in Schleswig-Holstein legal, Wälder von unter 2 ha Größe „umzuwandeln“. Unter anderem vor diesem Hintergrund hat der Kieler Landtag auf Antrag des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW) eine Anhörung zu einer Novellierung des Landeswaldgesetzes angesetzt, um derartige Waldvernichtungen in Zukunft zu verhindern.
Das erwähnte Gutachten im Auftrag des Waldbesitzers wurde von einem renommierten Hamburger Landschaftsplanungsbüro verfasst, was ein kritisches Bild auf die Qualitätsstandards der angewandten Landschaftsplanung und die Umsetzung der Aufsichtspflicht durch die zuständigen Behörden wirft. Das BNatSchG definiert die einzelnen Schutzgüter im Rahmen der Landschaftsplanung. Landschaftsbild und Boden sind darin dem Arten- und Biotopschutz gleichgestellt – eine Tatsache, die in der Praxis stark vernachlässigt wird. Ob das Landschaftsbild durch einen Eingriff erheblich verändert und ob ein nicht wieder herstellbares Bodenrelikt zerstört wird, ist damit sehr wohl von erheblicher Bedeutung, selbst wenn keine schützenswerten Arten von einem Eingriff betroffen gewesen wären, was aber ebenso der Fall war.
Bei den Aktivisten vor Ort, die für die Erhaltung des Waldes gekämpft haben, hinterließ die augenscheinliche Ohnmacht der Behörden eine große Frustration und teils eine regelrechte Aversion gegen die Institutionen selbst (vgl.Struss2017). Hinzu kam die Hilflosigkeit gegenüber der Justiz im weitesten Sinne, die es oft nicht versteht, klare Sachverhalte angemessen klar für den Bürger darzustellen. So forderte ein Bürger sogar den schleswig-holsteinischen Umweltminister Robert Habeck (Grüne) zum Rücktritt auf, weil er sich nach seiner Meinung nicht genügend für den Erhalt des Waldes engagiert hätte.
Unzählige Bürger und zahlreiche Leserbriefschreiber in den Zeitungen zeigten ihr Entsetzen, dass etwas Derartiges heute noch in Deutschland möglich ist. Die Autoren fordern daher eine vollkommene Gleichstellung der Nutzungsaspekte Holzwirtschaft, Erholung und ökologische Funktion in der Waldgesetzgebung. Alte, über Jahrhunderte gewachsene Waldökosysteme mit Archivböden dürfen in keinem Fall vernichtet werden, da bei solchen Eingriffen ein adäquater Ausgleich schlichtweg nicht möglich ist.
Im Januar 2018 wurde bekannt, dass das zuständige Umwelt- und Landwirtschaftsministerium in Schleswig-Holstein Konsequenzen aus dem Fall gezogen hat. Neu ist der Erlass „Genehmigung von Waldumwandlungen nach § 9 LWaldG, Durchführung der Interessenabwägung“. Es handelt sich dabei um „eine innerbehördliche verbindliche Weisung“, wie die Unteren Forstbehörden zukünftig bei Entscheidungen über derartige Anträge vorzugehen haben (Flensburger Tageblatt vom 16.01. 2018). Dabei geht es insbesondere um den Schutz von Wäldern in waldarmen Regionen und an historischen Waldstandorten. Die Inhalte des Erlasses sollten schleunigst in ein verändertes Landeswaldgesetz eingebracht werden. Dann wäre der Tod des kleinen Preesterholts zumindest nicht ganz umsonst gewesen.
Literatur/Quellen
Flensburger Tageblatt vom 14.11.2017, 31.12.2017 und 16.01.2018. Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag, Flensburg.
Haase, W. (1983): Abriß der Wald- und Forstgeschichte Schleswig-Holsteins im letzten Jahrtausend. Schr. Naturwiss. Ver. Schleswig-Holstein 53, 83-124.
Landschaftsplan Steinbergkirche (Kreis Schleswig-Flensburg).
Kirchspielarchiv Steinberg (Kreis Schleswig-Flensburg).
Struss, D.(2017): Lehrstück für zweifelhafte Naturschutzpraxis. Waldfrevel in Ostangeln. Betrifft: Natur 3/2017, 14-15.
Withold, J. (1998): Studien zur jüngeren postglazialen Vegetations- und Siedlungsgeschichte im östlichen Schleswig-Holstein. Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie 45, Kiel.
Kontakt
PD Dr. Christian Stolz , Europa-Universität Flensburg, Abteilung für Biologie und ihre Didaktik, Physische Geographie, Flensburg
> christian.stolz@uni-flensburg.de
Prof.Dr. Wolfgang Riedel , Universität Rostock, Agrar- und Umweltwissenschaftliche Fakultät, Rostock
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