Das Kreuz mit der Biodiversität
„Ist das eine Zielart oder kann das weg?“ titelte vor Jahren ein Beitrag in Naturschutz und Landschaftsplanung (Romahn2012) und beleuchtete die Frage der Biodiversität unter verschiedenen Aspekten. Mit den nachstehenden Ausführungen wird versucht, dieses spannende Thema weiter zu vertiefen.
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Biodiversität ist ein Ergebnis des komplexen Zusammenspiels der Elemente des Systems Erde. Seit der Neolithischen Revolution hat die Menschheit die Natur in eine an der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse orientierte Symbiose gezwungen und so sehr stark überformt. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach der natürlichen Biodiversität. Zählt man den Menschen zur Natur, dann ist die bestehende die natürliche. Stellt man ihn neben die Natur, dann ist der Versuch, eine natürliche Biodiversität zu gestalten, gleichwohl problematisch, denn er unterwirft bei unzureichender Kenntnis der Komplexität des natürlichen Systems und dessen Entwicklung dieses weiterhin menschlichem Gestaltungsvermögen. Ein Ausweg aus dieser Dilemmasituation könnte der Rückzug des Menschen in artifizielle Ambienten sein bei gleichzeitiger Rücküberantwortung der Natur in ihre genetische Programmierung.
1 Mensch und Natur in Symbiose?
Ausgehend von der Neolithischen Revolution (zum BegriffChilde1970: 66) hat die Menschheit damit begonnen, ihre Umwelt so zu gestalten, dass sie eine möglichst tragfähige Grundlage für ihre Existenz darstellt. Wesentliches Element war und ist dabei die Feld- und Viehwirtschaft, die auf Äckern und Grünland stattfindet. Diese Nutzungsformen sind absolut widernatürlich und müssen regelmäßig unter Einsatz von Energie und Ressourcen gegen die natürliche Entwicklung aufrechterhalten werden (Haber2010: 57ff.). In ihrer Unnatürlichkeit folgen ihr Flora und Fauna, d.h. sie entwickeln sich in einer Symbiose mit dem Menschen. Diese Art der Bewirtschaftung wirkt sich durch Veränderung der Albedo der Erdoberfläche auch auf das Klima aus und verändert Bodenstruktur, -chemie, -flora und fauna durch Bearbeitung, Düngung und Pestizideinsatz. Nicht ortsgebundene Einflussfaktoren auf die Produktion, wie tierische Nahrungskonkurrenten, wurden und werden durch geeignete Maßnahmen eliminiert.
Die Modellierung des Ökosystems zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse endete nicht im agrarischen Bereich, sondern wurde und wird auch auf die Wälder übertragen.
Vor diesem Hintergrund leuchtet unmittelbar ein, dass sich eine Veränderung menschlichen Verhaltens, etwa der Übergang zur großflächigen Landwirtschaft, unmittelbar auf die Biodiversität auswirkt. Nicht zuletzt wegen dieser Wirkmächtigkeit menschlichen Handelns wird derzeit der Vorschlag diskutiert, unser Zeitalter Anthropozän zu nennen.
2 Ist die Dominanz der Menschheit eine Singularität in der Geschichte des Lebens?
Häufig begegnet man dem Hinweis, der vom Menschen verursachte Verlust an Biodiversität sei in der Geschichte des Lebens ohne Beispiel. Dies trifft jedoch, wenn überhaupt, nur auf die Dynamik dieser Entwicklung zu. So haben in langen Zeiträumen Cyanobakterien die Zusammensetzung der Erdatmosphäre buchstäblich auf den Kopf gestellt. Zählt man zu natürlichen Ereignissen auch Vulkanausbrüche oder Einschläge größerer Meteoriten, dann haben diese sich auch sehr kurzfristig auf Art und Umfang der Biodiversität ausgewirkt. Solche Vorgänge werden im Zusammenhang mit den großen Massenaussterben vermutet.
Häufig wird an dieser Stelle eingewandt, dass der Mensch im Gegensatz zu den vorstehend genannten Einflüssen Verantwortung für sein Handeln trägt. Dies trifft zumindest aus menschlicher Sicht zu. Der Frage, welche Gedanken hieran weiterführend geknüpft werden können, wird nachstehend nachgegangen.
3 Die Wirkungen der kulturellen (memetischen) Evolution
Von dem Moment an, als die Menschheit damit begann, sich durch Agrarwirtschaft von den ursprünglichen, geschlossenen, natürlichen Kreisläufen zu emanzipieren, setzte sie den ersten signifikanten Fußabdruck, nicht erst heute. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang die Befähigung der Menschen, sich durch den Einsatz extrasomatischer Energie und technischer Artefakte weit jenseits ihrer körperlichen Begrenzungen zu bewegen. Treiber dieser Entwicklung ist die kulturelle oder nachDawkins(1994), die memetische Evolution. Deren Dynamik ist im Vergleich zur genetisch basierten Evolution ungleich höher und beschleunigt sich weiterhin erheblich. Sie führt dazu, dass wesentlich mehr Menschen ernährt werden können, als das unmodellierte Ökosystem jemals zu tragen vermag. Und sie ermöglicht den Menschen, ihre Umwelt im Sinne der Gewährleistung für sie stabiler und auskömmlicher Verhältnisse zu gestalten (vgl. hierzuHarari2017). Alles dies geschieht unter einem gigantischen Energieeinsatz und Eingriff in die nicht-menschliche Natur (vgl. hierzuMcNeill2003: 30ff.).
Immer mehr Menschen erkennen, dass diese Entwicklung erhebliche Risiken birgt – vordergründig für die nicht-menschliche Natur, in die der Mensch derzeit kritisch bis über-kritisch eingreift. Zu Ende gedacht treffen die Risiken jedoch den Menschen selbst. In dem Fall, in dem die Leistungen der Natur zur Gewährleistung auskömmlicher Lebensbedingungen kollabieren, stirbt der Mensch. Die Natur wird sich danach ihrer genetischen Programmatik folgend weiter entwickeln, unabhängig davon, ob der Mensch tatsächlich ein sechstes Massensterben verursacht hat oder nicht. Dabei wird wiederum eine neue Ausprägung der Biodiversität entstehen.
4 Welche Artenvielfalt ist die richtige?
Die jeweils ausgeprägte Artenvielfalt ist ein Ergebnis der vielfältigen Beziehungen zwischen den Elementen des Systems Erde. Hierbei handelt es sich um ein dynamisches System. Seine unbelebten ebenso wie seine belebten Elemente befinden sich in stetiger, sich gegenseitig beeinflussender Entwicklung. Alleine dieser Umstand verunmöglicht die Festsetzung irgendeines Status als dauerhaft natürlich.
In diesem Zusammenhang besonders bedeutsam ist die Beurteilung der Wirkungen menschlichen Handelns. Betrachtet man den Menschen nun als integralen Bestandteil des natürlichen Systems, dann sind die Auswirkungen seines Handelns auf dieses ebenfalls natürlich. Sie wären nicht anders zu beurteilen wie die Auswirkungen beispielsweise der Existenz der Cyanobakterien oder der Dinosaurier.
Wenn die Menschheit sich daranmacht, eine bestimmte Biodiversität zur Norm zu erheben, dann gestaltet sie die Biodiversität in signifikant anderer Weise als alle anderen Elemente des natürlichen Systems zuvor, nämlich auf memetischer Grundlage. Dies hat, darüber sollte Klarheit bestehen, wenig mit der natürlichen Entwicklung der Biodiversität zu tun. Auch in diesem Fall wird nämlich, ähnlich wie bei der Agrarisierung, Natur menschlich überformt. Das Argument, natürliche Biodiversität herstellen zu wollen, hält einer Prüfung nicht stand. Dazu ist die Unkenntnis der Menschheit über die Komplexität des natürlichen Systems, sowohl was deren Elemente als auch die Beziehungen dieser untereinander angeht, zu groß. Ganz zu schweigen von der Unmöglichkeit, die diesem Zusammenspiel folgende künftige Entwicklung zu antizipieren. In Unkenntnis der systemaren Auswirkungen eines solchen Tuns wird durch menschliches Handeln lediglich, quasi gottgleich, ein bestimmter Zustand als natürlich geadelt.
Wenn man einer vom Menschen unbeeinflussten „natürlichen“ Biodiversität Raum verschaffen will, muss man dagegen den Menschen aus dem natürlichen System nehmen. Erst dann kann sich das natürliche System, seiner genetischen Programmatik folgend und befreit von memetischen Einflüssen, entwickeln. Es leuchtet unmittelbar ein, dass eine solche Zäsur nur auf einer langen Zeitachse erfolgen kann. Angesichts der großen Probleme zwischen Mensch und Natur muss diese Entwicklung jedoch rasch eingeleitet werden. Die Voraussetzungen hierfür sind in der Zeit der großen Transformation im Entstehen.
5 Der memetische Pfad
Der Fußabdruck der Menschheit wird immer größer werden. Diese Entwicklung ist angesichts des anhaltenden Bevölkerungswachstums sowie mehrerer Milliarden Menschen, die in den Schwellenländern nach mehr Wohlstand greifen, nicht umzukehren – schon gar nicht durch Versuche, den ökologischen Fußabdruck in den reichen Ländern im bestehenden Paradigma zu verkleinern. Eine neue Strategie, vergleichbar der des Auszugs aus den Regenwäldern, ist erforderlich.
Der zentrale Ort der memetischen Evolution ist die urbane Verdichtung (vgl. hierzuBolz2014). In den Städten können hochwirksame Stoffkreisläufe und Energiekaskaden organisiert werden. Kurze Wege in allen Lebenslagen erhöhen die Effizienz und Effektivität der technischen und sozialen Infrastruktur.
Die Entlastung des außerstädtischen Raums kann durch wirksame Freizeitangebote im artifiziellen Raum erfolgen. Neben den klassischen Angeboten in Freizeitparks, Sportstudios etc. werden virtuelle Erlebnisräume zunehmend an Bedeutung gewinnen. Die Reduktion agrarischer Landnutzung kann durch Erhöhung der Flächenproduktivität, auch auf dem Wege der Gentechnik, sowie den Umstieg auf künstlich hergestellte Nahrungsmittel erfolgen. Auf diese Weise kann Zug um Zug mehr Fläche der natürlichen Entwicklung anheimgegeben werden.
6 Ausblick
Die Ressourcen zur Gewährleistung einer nachhaltigen Entwicklung innerhalb einer Volkswirtschaft sind begrenzt. Sie können nicht beliebig erweitert werden. Daher ist es erforderlich, sie dort einzusetzen, wo sie die größten Grenzerträge für die nachhaltige Entwicklung generieren. Im herrschenden Paradigma zur Erhaltung einer nach menschlichen Vorstellungen natürlichen Biodiversität werden erhebliche Ressourcen gebunden. Dabei ist fraglich, ob damit das Beziehungsgeflecht zwischen Mensch und Natur tragfähiger gestaltet werden kann. Im Gegensatz dazu erscheint zielführender, dass sich der Mensch weiter aus dem natürlichen Beziehungsgeflecht zunehmend löst und somit Raum für natürliche Entwicklung, befreit von memetischen Einflüssen, schafft. Dies erfordert erhebliche Investition in die urbanen Verdichtungen, um diese zukunftsorientiert lebenswert zu gestalten.
Literatur
Bolz, H.R. (2014): Der memetische Pfad. BoD, Norderstedt.
Childe, V.G. (1970): Man makes himself. C.A. Watts & Co. Ltd., London/Glasgow.
Dawkins, R. (1994): Das egoistische Gen. Spektrum, Heidelberg, Berlin, Oxford.
Haber, W. (2010): Die unbequemen Wahrheiten der Ökologie. oekom, München.
Harari, Y.N. (2017): Homo Deus. C.H. Beck, München.
McNeill, J.R. (2003): Blue Planet. Campus, München.
Romahn, K. (2012): „Ist das eine Zielart oder kann das weg?“ – Plädoyer für mehr Nachdenken über Werte im Naturschutz. Naturschutz und Landschaftsplanung 44 (2), 51-55.
Kontakt
Dr. Hermann R. Bolz , Lambrecht (Pfalz), Direktor der Zentralstelle der Forstverwaltung Rheinland-Pfalz, Neustadt a.d.W.
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