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EDITORIAL

Ökosystem-Ingenieure – ein neues Berufsbild?

Was ist der Job von Ökosystem-Ingenieuren? Sind das an der Hochschule ausgebildete Techniker, welche devastierte, beeinträchtigte Ökosysteme rekonstruieren? Folgt jetzt nach den Tümpel-Kampagnen der 1980er-Jahre eine neue Mode nach dem Motto „Wir bauen Ihnen ein neues Ökosystem“ – oder aber eine Neuinterpretation der „blühenden Landschaften“ im Osten Deutschlands posthum für Helmut Kohl?

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nul@jedicke.de Twitter: @EckhardJedicke www.nul-online.de
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Möglicherweise ist die Idee, ein neues Berufsbild von Renaturierungs-Spezialisten zu kreieren, ja gar nicht dumm. Zu groß sind die Verluste an naturnahen und halbnatürlichen Ökosystemen in Europa, um allein mit einem Herumdoktern an den immer karger werdenden Überbleibseln zu den notwendigen Erfolgen zu gelangen. Mehr und mehr wird deutlich, dass es zwingend aktive Maßnahmen zur Regeneration nachhaltig funktionsfähiger Ökosysteme braucht. Die Ziele der EU-Wasserrahmenrichtlinie machen es vor. Nur: Was dem Hochwasser an Gestaltungskräften innewohnt, fehlt in den meisten anderen Ökosystemen. Da braucht es mehr als nur den Baggerfahrer mit dem berühmten Händchen für die Revitalisierung der Gewässer.

Ressoucenvielfalt tut not

Doch darum geht es hier nicht. Bei Ökosystem-Ingenieuren handelt es sich um einen Anglizismus aus den ökologischen Wissenschaften: Dieecosystem engineers bezeichnen Tier- und Pflanzenarten, die aktiv oder passiv die Ressourcenverfügbarkeit in ihrem Lebensraum beeinflussen, diesen also aktiv gestalten. Der Biber ist das wohl bekannteste Beispiel hierfür, der Bäume fällt, Dämme baut, Fließgewässer aufstaut und die pflanzliche Sukzession beeinflusst.

In kleinerem Maßstab bewirken der Maulwurf und die Gelbe Wiesenameise im Grünland Bodenstörungen, indem sie Erdhaufen entstehen lassen, die im Vergleich zum umgebenden Grasland andersartige Strukturen bewirken (siehe Titelbild). Sie haben auf die Besiedlung mit Pflanzen und Tieren wesentliche Effekte. Den Kenntnisstand hierzu fasst eine breite Literaturanalyse in diesem Heft zusammen.

Derlei Betrachtungen sind nicht allein von akademischem Interesse. Sie sollten ebenso in Naturschutz und Landwirtschaft Gehör finden. Für Erdhaufen und Offenbodenstellen bleibt in der modernen Grünlandwirtschaft kein Platz mehr. Grünland wird im Frühjahr abgeschleppt oder gewalzt – für die Artenvielfalt im Grasland ebenso fatal wie das zunehmende Fehlen von Weidetieren in ganzen Landschaften. Denn auch sie sind durch Fraß, Tritt und Produktion von Dung Ökosystem-Ingenieure, die essenzielle Ressourcen bereitstellen.

Zweierlei Maß

Naturschutz und Landschaftsplanung setzen hier oft noch nicht die richtigen Prioritäten, sondern verpulvern durch überaus gewissenhafte Umsetzung des rechtlichen Rahmens ihre Kräfte. Ein reales Beispiel gefällig? Ein Umweltbaubegleiter weist die Arbeiter bei der Sanierung einer Stromleitung darauf hin, dass ein Schutzzaun um den Mastfuß richtig installiert sein muss, damit dort vorkommende Moorfrösche nicht versehentlich zertreten werden können. In diesem Moment fährt ein landwirtschaftlicher Schlepper auf dem umgebenden Grünland seine Bahnen und walzt dieses großflächig, um die Maulwurfshaufen zu beseitigen und aufgefroreren Boden zu schließen. Ungläubige Frage der Arbeiter: „Und da leben keine Moorfrösche?“ Da kann der beste Umweltbaubegleiter nur noch wortlos einpacken.

Solche Beispiele des Messens mit zweierlei Maß verschlechtern das öffentliche Ansehen des Naturschutzes ohne Not. Sie fördern Vorbehalte und die Abwertung von Engagement für den Schutz der Natur im Meinungsbild Außenstehender. Denn zur „Verballhornung“, zum Lächerlichmachen, neigen fachfremde Interessengruppen ohnehin gern, wie ein Hauptbeitrag am Beispiel des urbanen Naturschutzes analysiert. Es ist nicht gut, diesen Akteuren auch noch Wasser auf die Mühlen zu liefern.

„Blühende Landschaften“ in wahrem Sinne brauchen Ökosystem-Ingenieure – Tiere, welche Strukturvielfalt schaffen, und Menschen, die sich u.a. für die Schaffung der erforderlichen Rahmenbedingungen hierfür engagieren. Dazu gehört eine entsprechende Agrarpolitik ebenso wie das Wissen und Management einer angepassten Grünland-Bewirtschaftung. In jeder diese Perspektiven bleibt noch sehr viel zu tun …

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