Nur nicht aufgeben – große Probleme erfordern engagierte Menschen
Schwindelerregend, dramatisch, entmutigend … – die immer neuen Analysen und Berichte zur Situation von Natur und Umwelt können mit vielen Adjektiven charakterisiert werden. Mut machen sie kaum, im Gegenteil: Die dritte Fassung der Roten Liste gefährdeter Biotope Deutschlands belegt eine Gefährdung von knapp zwei Drittel der 863 Biotoptypen (Seite 204). Gleichfalls das Bundesamt für Naturschutz publizierte erstmals einen Agrar-Report, der das Versagen der Agrarpolitik für den Schutz der Biodiversität belegt (Seite 208). Das Bundeskabinett verabschiedete einen Stickstoff-Bericht und wies auf ein lange vernachlässigtes, für alle Umweltmedien umso gravierenderes Umweltproblem hin (Seite 188).
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Insektensterben als Impuls?
Die immer weniger durch tote Insekten verschmutze Windschutzscheibe am Auto führt auch dem „normalen“ Menschen im Alltag buchstäblich vor Augen, wie es um Natur und Umwelt bestellt ist. Dieser Hinweis auf das Insektensterben ist auch von Nicht-Insidern mehr und mehr zu hören. Das macht Hoffnung, steigt doch so möglicherweise die Handlungsbereitschaft der Gesamtbevölkerung, der Verwaltungen und der Politik: im persönlichen Verhalten, in der Steuerung von Landnutzungen und Eingriffen, mit politischen Weichenstellungen.
„Extensivierung“ lautet da häufig die pauschale Forderung mit Blick auf die Landwirtschaft. So ganz allgemein trifft das in den meisten Fällen auch zu – aber der Teufel steckt im Detail. Die möglichen Lösungswege sind komplex, nur etwas weniger zu düngen und spritzen allein wirkt nicht ausreichend. Intelligente und auch hoch technisierte Ideen sind gefragt. „Agrarsysteme der Zukunft“ lautete kürzlich eine Ausschreibung des Bundesforschungsministeriums. Bleibt zu hoffen, dass die kommenden Forschungsprojekte umfassende Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt stellen.
Aber es gibt auch die andere Seite der Schere, wie der erste Hauptbeitrag in diesem Heft zeigt:zu extensive Nutzung im Grünland. Naturschutz in der Agrarlandschaft zielt auf Strukturen und Biodiversität ab, die sich über Jahrhunderte durch Landnutzung etabliert hat. Auch im 18. und 19. Jahrhundert, als ein Maximum an Biodiversität entwickelt war, war Landnutzung teilweise mit Übernutzung verknüpft. Zwergstrauchheiden, an Holz und Streu ausgeräumte Wälder und mageres, kurz gefressenes Grünland, weitgehend frei von Gehölzen, sind Beispiele hierfür.
Neuntöter braucht Intensivierung
Der Neuntöter ist ein Brutvogel reich strukturierter, offener bis halb offener Landschaften. Er brütet in Hecken und ähnlichen Gehölzen, die tief beastet sind. So steht es in ornithologischen Büchern und Steckbriefen über die Art, die in Anhang 1 der EU-Vogelschutzrichtlinie gelistet ist. Also auch hier Extensivierung der Landnutzung als Mittel der Wahl, flankiert durch Maßnahmen, um die räumliche Struktur anzureichern?
Weit gefehlt: Zumindest in Extensivlandschaften der Mittelgebirge, geprägt durch Grünland, leidet der Neuntöter – wie andere Arten auch – unter zu extensiver Beweidung und zu vielen Gehölzen. Ab Seite 181 lässt sich nachlesen, dass intensivierte Beweidung und eine recht massive Teilrodung von Gehölzen eine wesentliche Steigerung der Bestandsdichte auslöst. Nicht die Zahl an Nist- und Ansitzplätzen, sondern die Verfüg- und Erreichbarkeit der Nahrung auf kurzrasigen und teils offenen Bodenflächen (wie Viehpfaden) scheint der limitierende Faktor zu sein.
Die Moral der Geschicht? Extensivierung im Grünland führt vielfach zur Dominanz konkurrenzkräftiger Gräser, zu Streuakkumulation und langfristig zur Verbuschung. Hier ist eine nachhaltige Intensivierung möglich, ja nötig – nicht durch Düngung, aber durch mehr Weidetiere. Genau das versucht auch ein soeben gestartetes EU-Life-Projekt in der hessischen Rhön, u.a. mit dem Neuntöter als Zielart. Anders im Intensivgrünland: Dort führt an Extensivierung kein Weg vorbei.
Bestehende Lehrmeinungen gilt es immer wieder kritisch zu hinterfragen. Das tun auch die weiteren Hauptbeiträge: in Bezug auf die „charakteristischen Arten“ als vernachlässigtes Bewertungsinstrument der FFH-Richtlinie und zur Plausibilisierung von Naturbeobachtungen aus Citizen-Science-Daten, die häufig als unpräzise und unbrauchbar abgeurteilt werden.
Also bitte nicht frustriert aufgeben, große Probleme brauchen engagierte Menschen mit ambitionierten Visionen und Zielen!
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