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Kurz berichtet

Resolution zum Schutz der mitteleuropäischen Insektenfauna

Drastische Bestandseinbrüche bei Insekten in der Kulturlandschaft sind ein Warnsignal – darauf weisen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der 12. Hymenopterologen-Tagung hin, die im Oktober 2016 in Stuttgart stattfand. Versehen mit 77 Unterschriften, verabschiedeten die Fachleute für Hautflügler eine Resolution, die nachfolgend im Wortlaut abgedruckt ist.

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Seit einigen Jahren beobachten die Unterzeichnenden einen stetigen Rückgang der Insekten, und zwar sowohl auf der Ebene der Artenvielfalt als auch bei den Individuenzahlen. Diese persönlichen Erfahrungen werden durch wissenschaftliche Untersuchungen gestützt: So ist bereits über die Hälfte der Bienenarten Deutschlands im Bestand gefährdet und steht auf der Roten Liste (Westrich et al. 2011) und selbst bei weit verbreiteten und bislang häufigen Bienenarten sind drastische Bestandsrückgänge um über 95 % zu verzeichnen (Schwenninger & Scheuchl 2016). Erhebungen des Entomologischen Vereins Krefeld in Naturschutzgebieten von Nordrhein-Westfalen lassen befürchten, dass unsere Landschaften bereits in wenigen Jahren weitgehend insektenfrei sein werden (Deutscher Bundestag 2016). Schnelles Handeln ist daher geboten, wenn diese Entwicklung aufgehalten werden soll.

Das Verschwinden von Insekten wird ökonomische und ökologische Folgen haben: Der Wert der Bestäubungsleistungen von Kulturpflanzen durch Insekten und hier vor allem durch Honigbienen und Wildbienen liegt in Europa bei über 20 Mrd. € (Gallai et al. 2008). In Deutschland beträgt der ökonomische Wert der Bestäubungsleistungen nach Schätzungen der Landesanstalt für Bienenkunde an der ­Universität Hohenheim pro Jahr etwa 2,5 Mrd. € (Deutscher Bundestag 2014). Diese Schätzungen beziehen sich jedoch nur auf Kulturpflanzen. Der ökonomische Wert der Bestäubung von Wildpflanzen ist weitaus schwieriger zu kalkulieren, es ist aber davon auszugehen, dass dieser den ökonomischen Wert der Kulturpflanzen­bestäubung bei weitem übertrifft (Lebuhn et al. 2013). Der Wert der biologischen Kontrolle von Schadinsekten durch parasitische und räuberische Insekten und der Demineralisation von Stickstoff durch Invertebraten und Mikroorganismen wird für Anbaugebiete mit Leguminosen, Weizen und Hafer in Nordeuropa und Südeuropa mit jeweils zwischen 1,7–2,1 Mrd. US$ beziffert (Sandhu et al. 2015).

Auf ökologischer Ebene wird das Verschwinden der Insekten gravierende Folgen für andere Tiergruppen haben. Im Falle eines massenhaften Auftretens von Schadinsekten besteht die Gefahr, dass keine parasitischen Insekten als Gegenspieler mehr vorhanden sind. Bereits jetzt zeigen Untersuchungen deutliche, mit dem Vorhandensein von Pestiziden im Ober­flächenwasser korrelierte Popula­tions­abnahmen bei insektenfressenden Vogelarten, denen die Nahrungsgrundlage entzogen ist (Hallmann et al. 2014). Es droht ein zweiter „Stummer Frühling“ (Carson 1962).

Als Ursachen für diese Entwicklung ist neben dem Lebensraumverlust infolge Versiegelung, dem Klimawandel und dem Einfluss einwandernder Arten (Neozoen, Neophyten) in erster Linie die Intensivierung der Landwirtschaft durch Reduzierung der Strukturvielfalt der Landschaft, Überdüngung und der Einsatz von Pestiziden und hier vor allem von Neonicotinoiden zu nennen (Deutscher Bundestag 2016, EASAC 2015). Zahlreiche Forschungsergebnisse der letzten Jahre lassen keinen Zweifel daran, dass die aktuelle Form der Landwirtschaft zu einem massiven Rückgang der Artenvielfalt bei Tieren weltweit und speziell auch in Europa und Deutschland führt. Dieser Rückgang betrifft wirbellose Tierarten wie Insekten ebenso wie die Wirbeltiergruppen Vögel, Kriechtiere, Fische und Säugetiere. Diese Tatsachen sind der Politik sowohl auf nationaler wie auf EU-Ebene bekannt (Deutscher Bundestag 2016).

Die Unterzeichnenden erkennen an, dass zu einer modernen Landwirtschaft auch Maßnahmen zur Optimierung des Ertrages und zur Reduzierung von Schadorganismen gehören. Die momentane Entwicklung steht aber im Widerspruch zum Grundgesetz Art. 20a, in dem es heißt: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“ Wir sehen also die Herausforderung darin, eine moderne Landwirtschaft zu ent­wickeln, die auf Nachhaltigkeit angelegt ist und insbesondere die Artenvielfalt nicht gefährdet.

Angesichts der drastischen Bestandsrückgänge bei Insekten und insbesondere von Wildbienen verabschieden die Teilnehmer der 12. Hymenopterologen-Tagung in Stuttgart folgende Forderungen:

1. Wir fordern ein vollständiges Verbot von Neonicotinoiden, mindestens aber ein vollständiges, ausnahmsloses Moratorium für ihren Einsatz bis zum wissenschaftlich sauberen Nachweis ihrer Umweltverträglichkeit, daraus resultierend:

– verstärkte Forschung im Freiland und im Labor hinsichtlich der Auswirkung auf Wildbienen und andere, insbesondere blütenbesuchende Insekten;

– Rückstandsanalysen von Neonicotinoiden in Böden und Grundwasser zur Ermittlung der Belastung für Insekten;

– Rückstandsanalysen von Neonicotinoiden in Belegexemplaren von Insekten aus wissenschaftlichen Sammlungen vor Beginn und nach Einsatz von Neonicotinoiden (fundierte „Baseline“)

Begründung: Die bislang vorliegenden Untersuchungen, welche auf die negativen Auswirkungen von Neonicotinoiden hinweisen, wurde vor allem mit Honigbienen und Erdhummeln, neuerdings auch Mauer­bienen durchgeführt (Goulson 2013). Die Mehrzahl der solitären, überwiegend boden­nistenden Bienenarten sowie andere Insektenarten wurde hierbei bis dato nicht berücksichtigt. Dabei zeigt die Forschung der letzten Jahre, dass die Honigbiene, vermutlich aufgrund ihrer staatenbildenden Lebensweise, eine größere Resistenz gegen Pestizide wie Neonicotinoide aufweist und daher Wildbienen mit höherer Wahrscheinlichkeit von einer Insektizid­exposition negativ betroffen sind (Desneux et al. 2007).

2. Erhöhung der Strukturvielfalt in der Kulturlandschaft, z.B. durch Etablierung eines Blüten-Managements:

– an den Ansprüchen von blütenbesuchenden Insekten ausgerichtete Pflege von Grünland;

– Entwicklung spezieller Nahrungshabitate mit standorttypischen Wildkräuter­saaten regionaler Herkunft und ausgewählten Kulturpflanzen („Wildbienenweiden“) (Oppermann et al. 2013);

– Verzicht auf konkurrenzstarke fremdländische Pflanzen wie z.B. Phacelia in Saatgut für Blühmischungen.

Begründung: Es besteht ein extremer Mangel an geeigneten blühenden Wildkräutern, die Landschaft wird zunehmend von Gräsern dominiert. Dabei zeigen Forschungsergebnisse der letzten Jahre, dass bereits vergleichsweise kleine, extensiv oder gar nicht bewirtschaftete Ackerrandstrukturen eine erhebliche positive Auswirkung auf die Artenvielfalt haben können und zu einer Reduzierung von Schädlingen durch die Förderung parasitischer und räuberischer Gegenspieler führen.

3. Einführung eines Langzeit-Monitorings von Insekten auf repräsentativen Flächen in Deutschland.

Begründung: Das gegenwärtige Insektensterben hat sich über viele Jahre entwickelt, wurde aufgrund fehlender Untersuchungen aber erst in den letzten Jahren bemerkt und hat nun ein alarmierendes Ausmaß erreicht. Um die Wirkung von Gegenmaßnahmen zu evaluieren und zukünftig vergleichbare Entwicklungen rechtzeitig erkennen und verhindern zu können, ist ein langfristig angelegtes Monitoring von Insektenarten notwendig. Damit kann auch die Wirkung von ökosystemaren Leistungen wie das Bestäuberpotenzial und die biologische Schädlingsbekämpfung besser evaluiert werden. Dieses Monitoring ist von Experten unter Anwendung bestandsschonender Erfassungsmethoden, insbesondere bei Wildbienen, durchzuführen. Methodenbedingte Effekte, wie sie bei langjährigen Fallenfängen auftreten können, müssen minimiert werden.

4. Änderung der Bundesartenschutzverordnung:

– Einführung eines strengeren Schutzstatus für hochgradig gefährdete Insektenarten wie Wildbienen, entsprechend den Gefährdungskategorien der Roten Liste Deutschlands (RL 0, 1, 2, R und G).

Begründung: Obwohl bisher viele Insektenarten wie z.B. auch Wildbienen besonders geschützt sind, werden ihre Populationen bei Eingriffsplanungen kaum berücksichtigt. Ein strenger Schutz würde eine obligatorische Prüfung von betreffenden Rote-Liste-Arten sowie die Einleitung vorgezogener Ausgleichsmaßnahmen ermöglichen.

Literatur

Carson, R. (1962): Silent Spring. Boston/New York.

Desneux, N. Decourtye, A., Delpuech, J.-M. (2007): The sublethal effects of pesticides on beneficial arthropods. Annu. Rev. Entomol. 52, 81-106.

Deutscher Bundestag (2014): Neuere Forschungsergebnisse zur Gefährdung von Bestäuberinsekten, Vögeln und weiterer Organismen durch systemische Pestizidwirkstoffe (insbesondere Neonicotinoide) und der sich daraus ergebende Handlungsbedarf für Regulierung und Forschung. Drucksache 18/2531 vom 12.09.2014.

– (2016): Protokoll des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, 73. Sitzung am 13.01.2016. Thema: Ursachen und Auswirkungen des Biodiversitätsverlustes bei Insekten.

EASAC (European Academies Science Advisory Council, 2015): Ecosystem services, agriculture and neonicotinoids. EASAC policy report 26; German National Academy of Sciences Leopoldina.

Gallai, N., Sallesc, J.-M., Settele, J., Vaissière, B.E. (2008): Economic valuation of the vulnerability of world agriculture confronted with pollinator decline. Ecological Economics 68, 810-821.

Goulson, D. (2013): An overview of the environmental risks posed by neonicotinoid insecticides. J. Appl. Ecol. 50, 977-987.

Hallmann, C.A., Foppen, R.P., van Turnhout, C.A., de Kroon, H., Jongejans, E. (2014): Declines in insectivorous birds are associated with high neonicotinoid concentrations. Nature 511, 341-344.

Lebuhn, G., Droege, S., Connor, E.F., Gemmil-Herren, B., Potts, S.G., Minckley, R.L., Griswold, T., Jean, R., Kula, E., Roubik, D.W., Cane, J., Wright, K.W., Frankie, G., Parker, F. (2013): Detecting insect pollinator declines on regional and global scales. Conservation Biology 27(1), 113-120.

Oppermann, R., Haider, M., Kronenbitter, J., Schwenninger, H.-R., Tornier, I. (2013): Blühflächen in der Agrarlandschaft – Untersuchungen zu Blühmischungen, Honigbienen, Wildbienen und zur praktischen Umsetzung. Gesamtbericht zu wissenschaftlichen Begleituntersuchungen im Rahmen des Projekts Syngenta Bienenweide, 191 Seiten. http://www.ifab-mannheim.de/Gesamtbericht%20Syngenta-19nov2013.pdf (19.11.2016).

Rundlöf, M., Andersson, G.K.S., Bommarco, R., Fries, I., Hederström, V., Herbertsson, L., Jonsson, O., Klatt, B.K., Pedersen, T.R., Yourstone, J., Smith, H.G. (2015): Seed coating with a neonicotinoid insecticide negatively affects wild bees. Nature 521(7550), 77-80.

Sandhu, H., Wratten, S., Constanza, R., Pretty, J., Porter, J.R., Reganold, J. (2015): Significance and value of non-traded ecosystem services on farmland. PeerJ 3:e762. DOI: 10.7717/peerj.76.

Schwenninger, H.R., Scheuchl, E. (2016): Rückgang von Wildbienen, mögliche Ursachen und Gegenmaßnahmen (Hymenoptera, Anthophila). Mitt. Ent. Ver. Stuttgart 51 (1), 21-23.

Uhl, P., Franke, L.A., Rehberg, C., Wollmann, C., Stahlschmidt, P., Jeker, L., Brühl, C.A. (2016): Interspecific sensitivity of bees towards dimethoate and implications for environmental risk assessment. Scientific Reports 6, 34439, 1-7, DOI: 10.1038/srep34439.

Westrich, P., Frommer, U., Mandery, K., Riemann, H., Ruhnke, H., Saure, C., Voith, J. (2011): Rote Liste und Gesamtartenliste der Bienen (Hymenoptera, Apidae) Deutschlands (5. Fassung Februar 2011). Naturschutz und Biologische Vielfalt 70 (3), 373-416.

Woodcock, B.A., Isaac, N.J.B., Bullock, J.M., Roy, D.B., Garthwaite, D.G., Crowe, A.,Pywell, R.F. (2016): Impacts of neonicotinoid use on long-term population changes in wild bees in England. Nature Communications 7, 12459, 1-8.

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