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Umsetzung von Natura 2000 – wie fit ist Deutschland?

Zum NABUtalk hat der Naturschutzbund Deutschland am 27. September 2016 nach Berlin geladen. Unter der Überschrift „Umsetzung von Natura 2000 – wie fit ist Deutschland?“ schaute der Verband näher auf den Stand und die Perspektiven der Naturschutz-Richtlinien der EU.

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Die politischen Schlussfolgerungen des Fitness Checks der EU-Naturschutzrichtlinien verzögern sich weiter, die Kommission wird sich wohl erst am Jahresende dazu positionieren. Rein fachlich ist das Ergebnis der Überprüfung aber längst klar: Die Richtlinien sind „fit for purpose“, wie die öffentlich gewordene, von der EU beauftragte Fachstudie zeigt. Die Umsetzung in den Mitgliedstaaten wird in dem Gutachten hingegen massiv kritisiert: Fehlende Kriterien für den günstigen Erhaltungs­zustand, unzureichender Schutz der Gebiete vor Eingriffen, fehlende Managementpläne und ausbleibende oder ineffektive Managementmaßnahmen und unzureichende Finanzmittel sind nur einige der aufgelisteten Defizite. Parallel läuft weiterhin das im Frühjahr 2015 von der EU-Kommission eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik wegen zeitlicher Verzögerungen bei der rechtlichen Sicherung der Natura-2000-­Gebiete und bei der Festlegung von Manage­mentmaßnahmen.

Großer Handlungsbedarf

NABU-Präsident Olaf Tschimpke adressierte in seiner Begrüßung direkt die Verantwortlichkeit des Bundes, indem er die aktuell stattfindende, aus Naturschutzsicht unbefriedigende Ausweisung von Meeresschutzgebieten in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) in Nord- und Ostsee thematisierte, in der Fischereiinteressen bisher die Festlegung erforderlicher Schutzziele blockierten. Der Teamleiter Naturschutz des NABU, Till Hopf, rief in seiner Einführung die in der Fitnesscheck-Studie bilanzierten Umsetzungsdefizite in Erinnerung. 70% der Lebensraumtypen in einem ungünstigen Erhaltungszustand – wie im FFH-Bericht 2013 festgestellt – zeigten deutlich den weiterhin enormen Handlungsbedarf für die nächsten Jahre.

Frank Vassen aus der Generaldirektion Umwelt der EU-Kommission beleuchte die in der FFH-Richtlinie festgeschriebenen Vorgaben hinsichtlich der formalen Gebietssicherung und der Aufstellung von Maßnahmenplänen. Dabei stellte er den günstigen Erhaltungszustand als zentrales Kernziel der Richtlinie in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. Die Festlegung von gebietsbezogenen Erhaltungszielen sei essenziell für eine wirksame Umsetzung der Richtlinienvorgaben, die Qualität der Lebensräume umfasse dabei neben Funktionen und Strukturen auch quantitative Aspekte (z.B. die Flächenausdehnung eines betrachteten Lebensraumtyps). Der Weg zu einer wirksamen Gebietssicherung und einem erfolgreichen Management erfordere einen gewissen Aufwand, könne dann aber auch ein dauerhaft tragfähiges System ermöglichen.

Umsetzung in den Ländern

Besonders spannend für die Zuhörerschaft gestaltete sich die anschließende Vorstellung der unterschiedlichen Umsetzungswege von Niedersachsen und Baden-Württemberg, bei der jeweils Vertreter der Landesverwaltungen und der NABU-Landesverbände zu Wort kamen. Während sich der zuständige Abteilungsleiter im niedersächsischen Umweltministerium, Kay Nitsche, optimistisch zeigte, dass die Anforderungen der EU-Kommission an Gebietssicherung und Managementplanung bis zu den an die EU-Kommission gemeldeten Zieljahren Jahr 2018 beziehungsweise 2020 erreicht werden, wurde dies vom NABU-Landesvorsitzenden Holger Buschmann in seinem Kommentar klar in Frage gestellt. Während Nitsche auf die politische Zielvereinbarung des Landesumweltministeriums mit dem niedersächsischen Landkreistag zur Umsetzung, eine verbesserte Ressourcenausstattung und umfangreiche Arbeitshilfen auf der Habenseite verbuchte, erklärte Buschmann den lange Jahre verfolgten Ansatz des Vertragsnaturschutzes zur Erhaltung und Entwicklung der Gebiete für gescheitert.

Die aufgrund der zweigliedrigen Verwaltungsstruktur in Niedersachsen erfolgende Zuständigkeit der Kommunen für die Schutzgebietsverordnungen machte er als weiteres zentrales Problem bei der Umsetzung aus. Die inhaltliche Qualität der Verordnungen variiere dadurch zu stark, politische Einflussnahmen auf kommunalpolitischer Ebene erschwerten den Prozess zusätzlich. Einzig positiver Effekt dieser kommunalen Zuständigkeit sei die Tatsache, so Buschmann, dass sich nun auch die Lokalpolitik notgedrungen mit dem sonst eher unliebsamen Thema Natura 2000 beschäftigen müsse. Tatsächlich sah auch Nitsche die von seiner Behörde auszuübende Fachaufsicht über 52 Landkreise als eine besondere Herausforderung an. Einig waren sich beide Akteure zudem darin, dass die Versäumnisse vergangener Jahren nun zu einem enormen Nachholbedarf führten und die kommunale Zuständigkeit gerade bei kreisübergreifenden Natura-2000-Gebieten nicht unwesentliche Reibungsverluste hervorrufen könne.

Helmuth Zelesny legte als Vertreter des baden-württembergischen Umweltministeriums den Schwerpunkt auf die Maßnahmenumsetzung in seinem Bundesland und brach eine Lanze für den Vorrang der Freiwilligkeit, an dem das Land weiterhin bei der Umsetzung festhielte. Hoheitliche Maßnahmen wie z.B. Wiederherstellungsanordnungen müssten aber immer dann zur Anwendung kommen, wenn der freiwillige Ansatz nicht funktioniere. Eine besondere Verantwortung bestünde für das artenreiche Grünland, weshalb das Land verschiedene Förderlinien aufgelegt habe, um insbesondere ELER- und Haushaltsmittel in die angewandte Landschaftspflege zu lenken. Zudem setze man auf eine Ökologisierung der Flurneuordnung, obgleich noch einige Jahre notwendig seien, um den Paradigmenwechsel weg von der klassischen Flurbereinigung flächendeckend auf der kommunalen Ebene zu vollziehen.

Markus Röhl, stellvertretender Vorsitzender des NABU Baden-Württemberg, hob in seinem Kommentar die Bedeutung von Natura 2000 für früher weniger beachtete Lebensraumtypen wie etwa Buchenwälder und Mähwiesen heraus. Die Umsetzung sei tatsächlich schleppend verlaufen, das nun zunehmende Tempo führe inzwischen aber zu einem Mangel an Fachpersonal im Land. Zeitlich parallel etablierte, inhaltlich gegenläufige Anreize wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz hätten jedoch dafür gesorgt, dass insbesondere im Offenland bisher keine Trendwende für Natura 2000 herbeigeführt werden konnte. Flächenverluste seien dabei weiterhin das Hauptproblem; logische Folge dieser negativen Tendenzen sei deshalb auch die Zunahme von Wiederherstellungsanordnungen. Gleichzeitig führten aber gerade diese Verpflichtungen zu erheblichen Konflikten mit der Landwirtschaft. Jenseits von direkten finanziellen Anreizen zur angepassten Bewirtschaftung historisch entstandener Kulturbiotope müsste die Landwirtschaft deshalb auch bei der Entwicklung ökonomischer Perspektiven beispielsweise hinsichtlich der Aufwuchsverwertung von extensiv gepflegten Mähwiesen unterstützt werden.

Finanzierungsfragen elementar

In der anschließenden Podiumsdiskussion unter Moderation von Julia Vismann erörterten dann neben Holger Buschmann, Frank Vassen und Helmuth Zelesny auch Inka Gnittke (Referatsleiterin Gebietsschutz und Natura 2000 im Bundesumweltministerium) und Prof. Klaus Werk (stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbandes Beruflicher Naturschutz) die Frage, wie fit Deutschland tatsächlich bei der Umsetzung von Natura 2000 ist. Ihre Bilanz: Das eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren habe tatsächlich dazu geführt, die Bemühungen für eine Umsetzung der FFH-Richtlinie zu intensivieren. Gleichwohl sei der Zeitdruck ambivalent – während er auf der einen Seite für die notwendige politische Aufmerksamkeit sorge, würde er von Interessenvertretern andererseits gern dazu instrumentalisiert, weniger strenge Schutzziele einzufordern. Die aktuell laufende formale Sicherung der FFH-Gebiete mit anschließender Managementplanung sei jedoch nur der erste Schritt, die richtige Arbeit beginne dann ab 2020 mit der Umsetzung der festgesetzten Erhaltungs- und insbesondere auch Entwicklungsmaßnahmen.

Weitgehend einig waren sich Referenten und Diskutanten darin, dass die Finanzierungsfrage sowie die Etablierung tragfähiger Strukturen in der ausführenden Verwaltung elementar für die zukünftige erfolgreiche Umsetzung der Naturschutzrichtlinien und des Schutzgebietsnetzwerks Natura 2000 sind. Damit unterstrichen sie noch einmal jene Schlussfolgerungen, die bereits die Naturschutzverbände in einem Forderungspapier anlässlich des Deutschen Naturschutztages Mitte September in Magdeburg gezogen hatten. Insbesondere dieser Aspekt einer angemessenen Ressourcenausstattung dürfte die Diskussion der nächsten Monate maßgeblich bestimmen.

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