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Kurz Berichtet

Großschutzgebiete, Biodiversität und räumliche Planung

Ein Positionspapier aus der Akademie für Raumforschung und Landesplanung1

Zu Fragen einer Förderung der Biodiversität und nachhaltiger Landnutzung in Großschutzgebieten hat ein gleichnamiger Arbeitskreis2 der Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL) ein Positionspapier vorgelegt. Dieses wird nachfolgend im Originalwortlaut abgedruckt. Neben sieben Thesen fordert der Arbeitskreis als Fazit eine „Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe Großschutzgebiete“.

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1 Einleitung

Mit der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 ist Nachhaltigkeit zur globalen Leitidee geworden. Eine nachhaltige Entwicklung ist ganz besonders an die Erhaltung und gerechte Nutzung der biologischen Vielfalt gebunden. Als einer von 189 Vertragsstaaten des Übereinkommens zur biologischen Vielfalt hat sich hierzu auch Deutschland verpflichtet und dies 2007 in der „Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt“ (NBS) konkretisiert. Die NBS umfasst insgesamt 16 Aktionsfelder, in denen konkrete Visionen und Ziele verfolgt werden. Eine regelmäßige Erfolgskontrolle wird durch das Monitoring eines Sets geeigneter Indikatoren gewährleistet.

Unmittelbar vor dem 25-jährigen Jubiläum der Rio-Konferenz stellt sich die Frage, welche Fortschritte Deutschland im Hinblick auf eine nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt erreicht hat. Insbesondere nachhaltige Landnutzungssysteme sowie ein konsistentes und wirksames Schutzgebietssystem stehen dabei als zentrale Bausteine im Fokus. Die Großschutzgebietstypen Naturpark, Biosphärenreservat und Nationalpark sind neben den klassischen, überwiegend kleinflächigen Naturschutzgebieten zentrale Elemente dieses Schutzgebietssystems. Sie werden unter dem Begriff der Nationalen Naturlandschaften zusammengefasst.

Die Ausweisung und das Management von Großschutzgebieten ist in Deutschland laut Grundgesetz Aufgabe der Länder, der Bund besitzt hier nur eingeschränkte Einflussmöglichkeiten. Aus fachlich-wissenschaftlicher Sicht sind dennoch länderübergreifende Zielsetzungen und eine Strategieformulierung für ein kohärentes System von Großschutzgebieten und für deren effizientes Management sinnvoll und notwendig, um landesspezifische Bestrebungen in einen Gesamtzusammenhang zu stellen und die Arbeit der Bundesländer im Sinne bester Effizienz zu harmonisieren. Aus diesem Grund ist bereits 2005 die Dachmarke „Nationale Naturlandschaften“ entwickelt worden. Der Bund sollte sich hier besser positionieren und im Rahmen seiner Aufgaben und Zuständigkeiten durch deutlich höheren Ressourceneinsatz vermehrt Qualitätssicherung betreiben. Hierfür wird die Etablierung eines Nationalen Großschutzgebietsprogramms unbedingt als notwendig erachtet.

2 Positionen zu ­Großschutzgebieten

Vor dem dargestellten Hintergrund hat der ARL-Arbeitskreis Forderungen an Entscheidungsträger aus Politik und Planungspraxis für die zukünftige Entwicklung eines Systems von Großschutzgebieten formuliert:

2.1 Stellenwert in der räumlichen Planung stärken

Grundsätzlich sind formelle Instrumente (Ordnungsfunktion), aber auch informelle Instrumente (Entwicklungsfunktion) der räumlichen Planung gefordert, um den Stellenwert von Großschutzgebieten zu festigen.

In den regionalen Raumordnungsplänen können Vorrang-, Vorbehalts- und Eignungsgebiete als Instrumente der Flächenvorsorge räumlich konkret festgelegt werden, die stringente Aussagen zur möglichen Nutzung treffen. Hierdurch können naturschutzfachlich wichtige Ziele gestärkt werden, indem konfligierende Nutzungen ausgeschlossen werden. Die verbreiteten Vorbehaltsgebiete für Natur und Landschaft stellen Schutz und Entwicklung der Landschaft in den Vordergrund, sie verhindern oder erschweren baulich-technische Raumnutzungen, legen jedoch keine bodengebundene Bewirtschaftung fest. Außerdem werden sie als Vorgaben (Grundsätze der Raumordnung) für nachfolgende Ermessungsentscheidungen häufig „weggewogen“. Darum wird für eine neue, multifunktionale Kategorie Landschaftliches Vorranggebiet: Grundwasser-, Boden- und Biotopschutz – im Sinne eines proaktiven raumordnerischen Zieles – sowohl inner- als auch außerhalb von Großschutzgebieten plädiert (z.B. Konversionsflächen betreffend). Diese Vorranggebiete beziehen sich insbesondere auf eine extensive Landbewirtschaftung zur Sicherung des Grundwasserkörpers, zum Erosionsschutz, zur Erholungsvorsorge, zur Klimaökologie sowie zum Biotop- und Artenschutz. Es sollte auch erwogen werden, eine mögliche Schutzgebietsfestlegung als mögliche Festlegung zur Raumstruktur in § 8 Abs. 5 Nr. 2 ROG bereits hervorzuheben, vergleichbar mit der nach dieser Vorschrift möglichen Festlegung „Freiräume zur Gewährleistung des vorbeugenden Hochwasserschutzes“.

Die Bedeutung von Großschutzgebieten sollte sich in der Landes- und Regionalplanung deutlicher widerspiegeln, z.B. über die Konzentration von Eignungsgebieten für Windenergie außerhalb von Großschutzgebieten (mindestens für Nationalparke und Biosphärenreservate, für Naturparke ggf. regional differenziert) und speziell beim Infrastrukturausbau (z.B. Verkehr und Energie). Zielsetzungen der Großschutzgebiete sollten zudem über ihre Rolle als Träger öffentlicher Belange hinaus in der örtlichen Bauleitplanung mehr Gewicht bekommen, z.B. im Rahmen einer neu zu schaffenden Einvernehmensregelung für Nationalparke und Benehmensregelung für Biosphärenreservate und Naturparke.

Die Heterogenität der unterschiedlichen Ansätze des raumbezogenen Handelns erschwert regional abgestimmte Strategien insbesondere für ein Schutzgebietsmanagement: Zu den „klassischen“ Akteuren der Regional-, Kommunal- und Fachplanung kommen starke Akteure des Umwelt- und Naturschutzes, der Land- und Forstwirtschaft sowie der Tourismuswirtschaft hinzu. Regionalmarketing wird vielfach von den Ländern gefördert und oft in Kooperation mit regionalen Initiativen umgesetzt. Außerdem bestehen vielfältige Förderinitiativen mit ähnlicher Ausrichtung für ländliche Räume (z.B. LIFE, LEADER, ILEK, Konversionshilfen etc.), die jedoch selten vollständig zielkonform sind und in Teilen zu mehr Friktionen führen anstatt Synergien zu schaffen. Hier bedarf es dringend einer Harmonisierung der verschiedenen Fördermechanismen und Planungsansätze des Regionalmanagements.

Notwendige Grenzlinienvereinfachungen und Flächenarrondierungen stellen insbesondere für viele Nationalparke eine große Herausforderung dar. Zum einen sind einige Nationalparke in ihrer Flächenausdehnung zu klein, um bestimmte naturschutzfachliche Anforderungen (z.B. die Ermöglichung von Wanderungsbewegungen) erfüllen zu können. Zum anderen sind mehrere Nationalparke in Teilen fragmentiert und weisen wenig einheitliche, d.h. aus naturschutzfachlicher Sicht manchmal schlecht nachvollziehbare Außengrenzen auf. Hier können Instrumente der Bodenordnung (z.B. freiwilliger Flächentausch, beschleunigtes Zusammenlegungsverfahren) in Kombination mit der Klärung der Eigentumsverhältnisse Anwendung finden.

2.2 Zuständigkeiten klarer regeln und administrative Strukturen harmoni­sieren

Ein Abgleich der Zuständigkeiten und administrativen Strukturen von Großschutzgebieten ist notwendig, um ein deutlich effektiveres Management der Gebiete zu ermöglichen. Dazu ist es erforderlich, dass wenigstens Nationalparke und idealerweise auch Biosphärenreservate die räumliche Zuständigkeit als Untere Naturschutz- und Jagdbehörden erhalten. Im Idealfall fungiert eine Biosphärenreservatsverwaltung zusätzlich als Genehmigungsbehörde für land- und forstwirtschaftliche Förderprogramme. Generell sollten alle Großschutzgebietsverwaltungen, vor allem Biosphärenreservate und Naturparke, personell so ausgestattet sein, dass sie ihre Rolle als Träger öffentlicher Belange bei allen raumwirksamen Planungen wahrnehmen können.

Ein einzurichtendes Modellvorhaben der Raumordnung (MORO) für Nationale Naturlandschaften kann die Qualifizierung von Zielen und Strategien für eine nachhaltige Entwicklung von Großschutzgebieten zusätzlich befördern. Hierdurch kann der Stellenwert von prozessorientierter und konkret akteursbezogener Planung in Schutzgebieten gefestigt werden. Ein Modellvorhaben Großschutzgebiete vermittelt die politische Relevanz des Themas und stärkt den Stellenwert des Natur- und Landschaftsschutzes in Deutschland insgesamt.

Eine Verbesserung der finanziellen und personellen Ressourcenausstattung ist zu erreichen, wenn die Verwaltungen von Großschutzgebieten mehr eigenständige Verantwortung zugewiesen bekommen. Durch den Einsatz geeigneter Strategien sind Großschutzgebiete dann nicht nur effizienter zu managen und besser zu organisieren, sondern im Idealfall wird auch eine breitere Akzeptanz in der Bevölkerung geschaffen. Eine eigenständige Verwaltung lässt sich durch das Instrument des Regionalmanagements etablieren.

Zudem kommt der Regionalplanung die entscheidende Rolle zu, die Ziele und Grundsätze der Raumordnung anhand der durch Verordnung bzw. Gesetz definierten spezifischen Ziele der Großschutzgebiete zu konkretisieren. Denn sie hat den Auftrag und die Möglichkeiten, alle Nutzungen und Ansprüche an den Raum überkommunal zu koordinieren. „Regionalmanagement“ verweist dabei auf einen diskursiven, nicht hierarchischen Ansatz, der die vermeintlich „starre“ (weil etabliert und in mancher Hinsicht konservative) Regionalplanung ergänzen kann. Governance-Prozesse, die zu einer Erreichung der Schutzgebietsziele beitragen können, sind ohne ein funktionierendes Regionalmanagement nicht denkbar.

2.3 Monitoring und Qualitätsmanagement sicherstellen

Zur Umsetzung der NBS ist eine konsequente Qualitätssicherung und -entwicklung der Großschutzgebiete erforderlich. Die verschiedenen Zielsetzungen von Großschutzgebieten sind rechtlich klar festgelegt und die im Bundesnaturschutzgesetz genannten Flächenschutzkategorien sind ausreichend. Die Ausweisung von Biosphärenreservaten ausschließlich nach Landesrecht ist hoch problematisch, da sie langfristig zu einer „Zweiklassengesellschaft“ führt, welche die international streng zertifizierten UNESCO-Biosphärenreservate in der Außendarstellung verwässert. Zudem ist bei den Bezeichnungen für diese Schutzgebietskategorie auf Einheitlichkeit zu achten, wie das aktuelle Beispiel der sprachlichen Variationen zeigt (z.B. Biosphärengebiet, Biosphärenregion): Dem internationalen Standard folgend, sollte zukünftig vom Gesetzgeber bundeseinheitlich von „UNESCO-Biosphärenreservat“ gesprochen werden.

Die Frage der Prädikatisierung von Landschaften durch Großschutzgebiete und des Zusammenhangs von Regionalentwicklung und Naturtourismus ist explizit festzuhalten: Qualitätsmanagement und -sicherung erfolgen nicht durch Masse, sondern durch mehr Klasse.

Seit März 2016 liegt ein Beschluss der Länderarbeitsgemeinschaft Naturschutz (LANA) vor, der die Implementierung und den kontinuierlichen Betrieb eines Integrativen Monitoring-Programmes für Nationalparke und Biosphärenreservate vorsieht. Dies wird ausdrücklich begrüßt, da nur dadurch eine dem jeweiligen Schutzgebietstyp gerecht werdende Qualität langfristig erfolgreich gesichert und den internationalen wie nationalen Berichtspflichten (z.B. im Rahmen der UN-Konvention für biologische Vielfalt) nachgekommen werden kann.

Dieses Monitoring muss harmonisierte Indikatoren nach einheitlichen Erhebungsstandards zu (1) Biodiversität, (2) Kulturlandschaftsvielfalt, (3) wirtschaftlicher und demografischer Situation, (4) Partizipation, (5) Bildung für Nachhaltige Entwicklung sowie (6) Regional Governance umfassen und stetig weiterentwickelt werden. Die Indikatoren sollten einerseits praktikabel und andererseits belastbar sein – also regional hinreichend tiefenscharf, aber bundesweit vergleichbar – und vor allem nach einheitlichem Standard erfasst werden. Ein fachlicher Austausch auf der Leitungs- sowie auf der Arbeitsebene über die Monitoring-Ergebnisse ist sowohl auf nationaler wie auf internationaler Ebene anzustreben. Für eine dementsprechende zusätzliche personelle und infrastrukturelle Ausstattung der Großschutzgebietsverwaltungen ist unbedingt Sorge zu ­tragen.

2.4 Neben klassischem Naturschutz mehr Prozessschutz und ­Naturdynamik zulassen

Aufgrund der langen Besiedlungsgeschichte, der hohen Bevölkerungsdichte und des ausgeprägten Infrastrukturnetzes, welche unsere ursprünglichen Landschaften vielfältig und fast ausnahmslos transformiert haben und die Arten- und Biotopvielfalt über Jahrtausende meist befördert haben, wird in Deutschland auf dem größten Teil der Fläche vorrangig (Kultur-)Landschaftspflege nach der Leitlinie „Schutz durch Nutzung“ betrieben. Wildpflanzen- oder Wildtierarten und über Generationen gezüchtete traditionelle Sorten bzw. Rassen von Kulturpflanzen und Zuchttieren sind hierbei gleichermaßen von Bedeutung.

Der Aufbau eines Netzes an „grüner Infrastruktur“ hilft, die räumlichen Voraussetzungen für eine dauerhafte Nutzung der vielfältigen Leistungen funktionierender Ökosysteme zu schaffen. Großschutzgebiete sind wesentliche Bestandteile der grünen Infrastruktur. Zu deren Vernetzung braucht es entsprechende Lebensraumkorridore (z.B. durch Grünachsen in strukturarmen Intensiv-Agrarlandschaften, u.a. in Form von Auen), welche die Konnektivität innerhalb und zwischen den Großschutzgebieten gewährleisten.

Förderprogramme dafür sollten sowohl auf die klassische Landschaftspflege (ohne Produktionsziel), aber auch auf eine extensive Landnutzung, die (Bio-)Produkte in der Region für die Region erzeugt, ausgerichtet sein. Hier ergeben sich Bezüge zum Regionalmanagement, das die Ökonomie und Nutzungsstruktur der Regionen etwa über regionale Vermarktungskonzepte beeinflussen und somit endogene Potenziale ländlicher Räume erschließen kann. Das Raumordnungsgesetz verpflichtet Planungsträger, den Raum beispielsweise über Sicherungs- und Entwicklungsaufgaben zu gestalten. Entwicklungsaspekte für Kulturlandschaften sind hierbei hervorzuheben. Wesentlich ist, dass Beeinträchtigungen des Naturhaushaltes auszugleichen sind und den Erfordernissen des Biotopverbundes Rechnung zu tragen ist. Klar liegt hier die Priorität auf dem Schutz und der Entwicklung von Natur, zunächst unabhängig von ihrer Inanspruchnahme.

Eigendynamik zuzulassen und damit einen Beitrag zur Erfüllung des 2-%-Ziels der NBS im Hinblick auf die Entstehung sekundärer Wildnis zu leisten, ist als segregativ ausgerichtete Maßnahme insbesondere auf den Typus des Nationalparks zugeschnitten. Darüber hinaus ist auf eine harmonisierte Umsetzung des 5-%-Ziels für Wälder mit natürlicher Entwicklung (gesamte Waldfläche) bzw. des 10-%-Ziels im öffentlichen Wald zu achten. Wichtig ist die Berücksichtigung internationaler Naturschutzstandards beim Thema „Wildnis“. Hier fehlt in Deutschland die Ursprünglichkeit und ausreichende Größe, wie sie die Weltnaturschutzorganisation (IUCN) in ihren Kategorien Ia („Strict Nature Reserve“) und Ib („Wilderness Area“) definiert. Daher kann es streng genommen nur „Wild Areas“ nach der Definition der europäischen Wild Europe Initiative (WEI) geben, deren Ausweisung als Wildnisentwicklungsgebiete gedacht ist. Wesentlich sind konkrete Standards für die Anerkennung z.B. von Wäldern mit natürlicher Entwicklung als Wildnisentwicklungsgebiete.

Prinzipiell sollte bei der Umsetzung der Wildnisstrategie der „SLOSS“-Ansatz („single large or several small“) in adaptierter Form verfolgt werden: Neben Nationalparks als einzelnen großen Gebieten sind eine große Zahl an kleineren Arealen (z.B. Naturwaldzellen und Cluster-Kernzonen in Biosphärenreservaten, die wenigstens 50 ha umfassen) unbedingt parallel auszuweisen. Denn letztere können wichtige Trittsteinbiotope darstellen. Landes- und Regionalplanung können hingegen die „Single large-areas“ durch landes- und regionalplanerische Ansätze wie beispielsweise großräumig übergreifende Freiräume und Freiraumschutz als Vorranggebiete für Naturschutz und Landschaftspflege schützen und mitgestalten. Diesem Ziel dient auch die in Punkt 1 aufgestellte Forderung nach Landschaftlichen Vorranggebieten. Die Vorranggebiete als Ziele der Raumordnung, und daher verbindlich festgelegt, sollen proaktiv ausgewiesen werden – die bisher in diesem Zusammenhang ausgewiesenen Vorbehaltsgebiete unterliegen oft dem „Wegwägen“.

2.5 Bundesweit einheitlich zonieren

Eine Zonierungsreglung sollte bundesweit einheitlich umgesetzt werden, um dadurch Mindeststandards für das Management der Flächen zu erreichen. Alle Großschutzgebietskategorien bedürfen eines kohärenten Zonierungssystems, das im Falle von Nationalparken und Biosphärenreservaten drei Intensitätsstufen des Schutzes und bei Naturparken zwei Stufen stringent zu differenzieren hat:

Das homogene System von Kern-, Puffer- und Entwicklungszonen für die Biosphärenreservate in Deutschland aufgrund der Vorgaben der UNESCO und der Arbeit des „Man and Biosphere“-Nationalkomitees ist vorbildlich. Es existieren aber Probleme bei der Umsetzung der vorgeschriebenen Mindestgröße der Kernzone (3 % Flächenanteil) und deren Pufferung nach außen (nicht überall wird der o. g. Anteil erreicht und nicht jede Kernzone ist vollständig von einer Pufferzone umgeben).

Bei den Nationalparken besteht dringender Handlungsbedarf, da weder die Anzahl der Zonen noch deren Benennung einheitlich ist. Die drei Zonen sollten bei Ausweisung Naturdynamik-, Entwicklungs- und Pflegezone heißen. Bislang sind die Naturdynamikzonen-Anteile der deutschen Nationalparke insgesamt noch zu gering und müssen sukzessive zulasten der Entwicklungszonen erweitert werden. Langfristig dürfen lediglich eine Naturdynamik- und Pflegezone in einem Nationalpark vorhanden sein, um der Zielsetzung gerecht zu werden.

In Naturparken sollte standardmäßig eine Ruhezone (nach dem Vorbild von Rheinland-Pfalz) einheitlich im Sinne eines bestimmten Mindestanteils an der jeweiligen Fläche eingerichtet werden. Diese ist nicht in dem Maße von Infrastrukturtrassen und technischen Einrichtungen geprägt wie die restliche Naturparkfläche; manche Bundesländer verfügen bereits über eine solche Regelung. Sie soll der Naturerholung der Menschen dienen und auch den Naturtourismus fördern.

2.6 Ökosystemleistungen von Großschutzgebieten stärker für räumliche Planung und ­Kommunikation nutzen

Das Konzept der Ökosystemleistungen sollte daraufhin überprüft werden, ob es als neuer Naturschutzansatz in die räumliche Planung einfließen kann. Denn es erweitert die Darstellung von Wechselwirkungen von Natur und Landschaft sowie menschlichem Wohlergehen und könnte, z.B. im Kontext der Umweltverträglichkeitsprüfung, wertvoll sein. Durch quantitative, auch (jedoch nicht allein) ökonomische Bewertungen von Ökosystemleistungen (z.B. Trinkwasserbereitstellung) kann die gesellschaftliche Bedeutung von Großschutzgebieten stärker unterstrichen werden.

Das muss nach außen viel deutlicher als bisher kommuniziert werden. Eine wichtige Grundlage solcher Kommunikationsprozesse bildet die 2005 eingeleitete Entwicklung der Dachmarke „Nationale Naturlandschaften“ für Großschutzgebiete, die vielfache Ökosystemleistungen (z.B. Erholungsnutzung) erbringen. Denn Großschutzgebiete haben nicht nur eine hohe naturschutzfachliche Bedeutung im Kontext einer Region, sondern sie wirken im Idealfall räumlich und inhaltlich weit darüber hinaus. Festgestellt werden muss, dass sich die Dachmarke „Nationale Naturlandschaften“ bislang zumeist auf die Kommunikation des Images konzentriert. Künftig ist ein inhaltlicher Markenentwicklungsprozess, der seinen Ausgangspunkt in der Identitätsbildung der einzelnen Großschutzgebiete und den darin haupt- und ehrenamtlich Wirkenden finden muss, dringend notwendig. Nur so kann die hohe Wertigkeit der Dachmarke „Nationale Naturlandschaften“ im Sinne einer Imagebildung im Kontext von erbrachten Ökosystemleistungen tatsächlich zum Ausdruck kommen.

2.7 Neue Strategien für den Umgang mit aktuellen Herausforderungen wie demografischen Veränderungen und dem Klimawandel sowie Bodenspekulation entwickeln

Der demografische Wandel wirkt wenigstens in zweierlei Hinsicht in Großschutzgebieten, positiv wie negativ.

Einerseits gibt es Räume, die zukünftig, noch stärker als derzeit, kontinuierlich an Bevölkerung verlieren werden. Dort muss zur Sicherung der regionalen Daseinsvorsorge über innovative Konzepte zum gebietsweisen Rückzug aus der Fläche nachgedacht werden. Als Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität umfasst der diesbezügliche raumordnerische Beitrag mehr als infrastrukturelle Aspekte und kann zusätzlich für mehr Prozessschutz-Flächen zur Förderung der Naturdynamik- und Kernzonen in Nationalparken und Biosphärenreservaten sorgen. In diesem Zusammenhang wird ausdrücklich begrüßt, dass die „Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und Küstenschutz“ künftig mit einer stärkeren Gewichtung der ländlichen Entwicklung mit dem Schwerpunkt Naturschutz weiterentwickelt werden soll.

Andererseits scheiden absehbar im Zuge der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU immer mehr Menschen aus der kleinbetrieblichen Landwirtschaft aus. Dies kann die Intensivierung der Landwirtschaft weiter fördern, indem durch häufig außerhalb der Region Ortsansässige Bodenspekulation mit Blick auf freiwerdende Pachtflächen betrieben wird. Dies führt zu einer immer stärker agrarindustriell geprägten Landschaft – auch in den Puffer- und Entwicklungszonen der Biosphärenreservate sowie in den Naturparken – und hat gravierende negative Nebeneffekte, wie z.B. Artenverlust, Schädigung von Bodenfunktionen, uniforme Landschaftsbilder und abnehmende Trinkwasserqualität, zur Folge. Dem ist viel stärker als bisher entgegenzuwirken.

Der Klimawandel stellt eine weitere Herausforderung für die Ökosysteme und Landschaften der Großschutzgebiete dar. Auch wenn in diesem Fall die regionalen Steuerungsmöglichkeiten eingeschränkt sind, sollte bereits frühzeitig über Strategien und Maßnahmen zu deren Bewältigung und damit über das zukünftige Bild der Großschutzgebiete nachgedacht werden. Beispielhaft sei hier die im Jahr 2011 verabschiedete Dresdner Erklärung zu Biosphärenreservaten und Klimawandel angeführt, in der Biosphärenreservate als Modellregionen für eine Anpassung an die Folgen des Klimawandels benannt werden. Hierbei sind funktionierende Biotopverbundsysteme als „grüne Infrastruktur“ unter Einbeziehung von großräumig agierenden Weidetieren ein unverzichtbarer Baustein.

3 Fazit: Eine „Gemeinschafts­aufgabe Großschutzgebiete“ ist unabdingbar

Der ARL-Arbeitskreis „Biodiversität und nachhaltige Landnutzung in Großschutzgebieten“ fordert in Sachen Großschutzgebiete mit Nachdruck eine eigenständige Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe. Er begrüßt in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Initiative des Bundesumweltministeriums für einen gemeinsam von Bund und Ländern getragenen „Nationalen Aktionsplan Schutzgebiete“ mit dem Ziel, ein gut funktionierendes Managementsystem für alle Schutzgebiete bis 2020 zu realisieren. Der Bund würde mit einer Gemeinschaftsaufgabe als Förderer von Großschutzgebieten gestärkt und könnte diesbezüglich eine viel bessere finanzielle und personelle Ressourcenausstattung gewährleisten. Der jetzige, lückenhafte Zustand des Netzes an Großschutzgebieten, z.B. im Bereich der Aue- und Moorlandschaften oder von Mischwäldern der Schichtstufenlandschaften, ist durch neu auszuweisende, zusammenhängende Areale mit entsprechend großem Naturschutzpotenzial zu einem konsistenten und repräsentativen bundesweiten Schutzgebietssystem zu entwickeln. Die Rolle der Raumordnung ist dabei u.a., geeignete Flächen – wie derzeit noch als Truppenübungsplätze genutzte militärische Liegenschaften, die absehbar zu Konversionsprojekten werden – als „Landschaftliche Vorranggebiete“ für die Raumfunktion Naturschutz planerisch zu sichern. Neben den bereits existierenden Großschutzgebieten sind auch große halbstaatliche und private Naturschutzflächen (z.B. Flächen des „Nationalen Naturerbes“) in das Programm zu integrieren. Denn diese fungieren als wichtige Trittsteinbiotope in der Normallandschaft außerhalb von Großschutzgebieten.

1 veröffentlicht als Positionspapier aus der ARL 107 unter CC-Lizenz BY-ND 3.0 Deutschland. Aus Umfangsgründen um die Literaturhinweise auf in Vorbereitung befindliche Beiträge in Raumforschung und Raumordnung 74 (6) gekürzt.

2 Mitglieder des Arbeitskreises: Prof. Dr. Stefan Heiland, Technische Universität Berlin; Prof. Dr. Eckhard Jedicke, Hochschule Geisenheim University; Prof. Dr. Hubert Job, Julius-Maximilians-Universität Würzburg (Leiter des Arbeitskreises); Dr. Peter Meyer, Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt, Göttingen; Prof. Dr. Birte Nienaber, Université du Luxembourg, Esch-Belval (Luxemburg); Prof. Dr. Tobias Plieninger, University of Copenhagen, Kopenhagen (Dänemark); Dr. Marco Pütz, Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, Zürich- Birmensdorf (Schweiz); Dr. Sven Rannow, Nationalparkamt Müritz, Hohenzieritz; Dr. Eick von Ruschkowski, Naturschutzbund Deutschland, Berlin; Dr. Barbara Warner, Akademie für Raumforschung und Landesplanung, Hannover; Dr. Manuel Woltering, Julius-Maximilians-Universität Würzburg (Geschäftsführer)

Kontakt

Dr. Barbara Warner, Leiterin Wissenschaftliches Referat III „Natürliche Ressourcen, Umwelt, Ökologie“, Akademie für Raumforschung und Landesplanung, Hannover

> warner@arl-net.de> http://www.arl-net.de

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