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Bericht aus Brüssel

Abschlussbericht zum „Fitness Check“ verzögert sich

Die Fertigstellung des Abschlussberichtes mit den fachlichen Ergebnissen des „Fitness Check“ der EU-Naturschutzrichtlinien (Vogelschutz- und Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie) hat sich nach Informationen der EU-Kommission verzögert; der Bericht soll voraussichtlich erst Ende März vorliegen. Zudem hat die EU-Kommission beschlossen, diesen Bericht nicht separat, sondern nur gemeinsam mit dem geplanten „Staff Working Document“ (SWD) zu veröffentlichen. Als Termin sind Ende Mai bis Anfang Juni im Gespräch, also wenige Wochen vor dem Umweltministerrat am 20. Juni und der „Amsterdam-Konferenz“ unter niederländischer Ratspräsidentschaft Ende Juni.

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Der bisher umfangreichste und längste „Fitness Check“, den die EU-Kommission je durchgeführt hat, neigt sich also seinem Ende entgegen. Ob und welche nicht rechtlichen oder rechtlichen Initiativen die EU-Kommission Ministerrat und Europäischem Parlament empfehlen wird, wird sich aber erst in der zweiten Jahreshälfte 2016 entscheiden. Somit bleibt etwas Zeit, im Rahmen des Berichts aus Brüssel noch einmal über eine zeitlich wie inhaltlich seltsame Form von Lobbyarbeit zu berichten:

Späte Lobbyarbeit

Am 22. Februar beschwerte sich das sogenannte „Aktionsbündnis Forum Natur“ (AFN) bei einer Veranstaltung in der Brüsseler Vertretung des Freistaates Bayern über mangelnde Beteiligungsmöglichkeiten. „Die bisherige Vorgehensweise der EU-Kommission“ habe „den direkt betroffenen Landnutzern und der Wirtschaft keinen Raum gegeben, ihre Erfahrungen mit der Umsetzung der Richtlinien in die Praxis … zu artikulieren“, hieß es bereits in der Einladung. Ein vom AFN in Auftrag gegebenes Gutachten fülle „diese Lücke“ und gebe „Denkanstöße für eine Anpassung der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie“, um das „bisher virtuelle Naturverständnis in der EU-Rechtssetzung an die Realitäten auf der Fläche heranzuführen“. Land- und Waldbesitzer, aber auch die Wirtschaft, so der Vorsitzende des „Forum“ und Präsident der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände (AGDW), Philipp Freiherr zu Guttenberg in seiner Eingangsrede, hätten viel zu wenig Chancen gehabt, in diesem Prozess ihre Forderungen nach stärkerer Berücksichtigung von Privatinteressen einzubringen.

Der Vertreter der EU-Kommission auf dem Podium wies diese Kritik mit Hinweis auf den bisher umfangreichsten Konsultationsprozess zurück, den es je bei einem Fitness Check gegeben habe. Sowohl die Industrie, etwa der BDI, der ebenfalls auf dem Podium vertreten war, als auch die Landnutzerverbände seien bereits im Frühjahr 2015 intensiv eingebunden worden, u.a. bei Gesprächen im Bundesumweltministerium und mit der EU-Kommission und ihren Beratern (Consultants). Der Vorsitzende des AFN ist (u.a.) einer der drei Vizepräsidenten des europä­ischen Waldbesitzerverbandes CEPF und daher oft in Brüssel – seine Beschwerde ist schon deshalb schwer nachvollziehbar. Ähnliches gilt für den BDI, der Insidern zufolge gute Kontakte zu den Spitzen der EU-Kommission hat.

Zweifelhaftes Gutachten

Noch befremdlicher ist das „Rechts- und naturwissenschaftliches Gutachten“ der Anwaltskanzlei Redeker Sellner Dahs und des Kölner Büro für Faunistik im Auftrag des AFN, das auf der Veranstaltung vorgestellt wurde. Befremdlich auch hier der Zeitpunkt, da die EU-Kommission alle Verbände (Stakeholder) bereits im Frühjahr 2015 um Einsendung von Studien, Gutachten, Literatur und anderen Unterlagen gebeten hatte, um sich ein Bild über die Wirksamkeit der Naturschutzrichtlinien machen und Vorschläge zur Verbesserung ihrer Umsetzung erarbeiten zu können, um die von den EU-Staats- und Regierungschefs bereits 2010 beschlossenen Ziele zum Schutz der biologischen Vielfalt bis 2020 zu erreichen. Befremdlich aber vor allem einige der Empfehlungen des Gutachtens, deren Konsequenz eine massive Schwächung der Schutzstandards bedeuten würde, die bisher von allen am Prozess Beteiligten abgelehnt wurde, auch vom BDI.

Neben der höheren Gewichtung von Eigentums- und Privatinteressen bei Eingriffen in Schutzgebiete des Natura-2000-Netzes wird vor allem eine massive Abschwächung des Vogelschutzes gefordert. Kerngedanke der Vogelschutzrichtlinie ist der Schutz der Vogelarten als gemeinsames euro­päisches Naturerbe. Insbesondere der Schutz von Zug­vögeln sei, so die EWG-Mitgliedstaaten bereits im 1. Umweltaktionsprogramm (UAP) 1973, ein „typisch plurinationales Problem, dessen Lösung internationale Initiative sowie Maßnahmen auf Gemeinschaftsebene erforderlich macht“.

Stummer Frühling?

Daher genießen alle europäischen Vogelarten, also beispielsweise auch Feldlerche, die Grasmücken, Rotkehlchen, Singdrossel und Wiesenpieper, EU-weiten Schutz vor Verfolgung. Nur bestimmte, in einem Anhang II der Vogelschutzrichtlinie aufgelistete Arten dürfen bejagt werden. Die Gutachter schlagen nun vor, nur noch bestimmte Arten dem EU-weiten Artenschutz zu unterstellen, analog Anhang IV der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie. Für Deutschland könnte sich dies auf die heute „planungsrelevanten“ Arten beziehen, für andere EU-Staaten aber bedeuten, dass alle weder in Anhang I noch in Anhang II gelisteten Arten im wahrsten Sinne des Worts „vogelfrei“ würden. Denn Rotkehlchen, Grasmücken und Singdrossel, aber auch andere Singvogelarten stellen in einigen südlichen EU-Staaten, etwa auf Zypern und Malta, immer noch beliebte „Delikatessen“ dar. Bislang können die Mitgliedstaaten, dank der EU-Vogelschutzrichtlinie, gegen diese illegale Jagd oder den Fang mit Leimruten und Lockvögeln vorgehen.

Würden die Vorstellungen des AFN und seiner Gutachter Gehör finden, könnte, mehr als 50 Jahre nach Rachel Carsons aufrüttelndem Buch, doch noch der „Stumme Frühling“ drohen!

Links zu den AFN-Aktivitäten:

http://www.forum-natur.de/aktuelles/

http://www.waldeigentuemer.de/naturschutz-funktioniert-nur-mit-landnutzern/

Kontakt

Claus Mayr ­arbeitet als Direktor für Europapolitik des NABU in Brüssel. Er berichtet in dieser Kolumne regelmäßig über wichtige euro­päische Entwicklungen.

Claus.Mayr@NABU.de

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