Eindeutiges Votum des Europaparlaments: 592 gegen 52 Stimmen für die Erhaltung der EU-Naturschutzrichtlinien – jetzt muss EU-Umweltkommissar Vella „liefern“!
Das Plenum des Europaparlaments (EP) hat, wie im letzten „Bericht aus Brüssel“ angekündigt, am 2. Februar 2016 in Straßburg über den Initiativbericht zur biologischen Vielfalt (Demesmaeker-Bericht, A8-0003/2016) abgestimmt. Der Bericht wurde mit einer sehr großen Mehrheit von 592 Ja-Stimmen und damit etwa 85 % der anwesenden Abgeordneten (698 von insgesamt 751) angenommen. Lediglich 52 Abgeordnete stimmten mit „Nein“, 45 enthielten sich der Stimme.
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Somit hat sich nach dem Umweltministerrat am 16. Dezember 2015 (Naturschutz und Landschaftsplanung 48 (2), 34) mit dem EP auch das einzige EU-Organ, das aufgrund der Wahl durch die Bürgerinnen und Bürger demokratisch legitimiert ist, eindeutig gegen den Auftrag von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker an Umweltkommissar Vella ausgesprochen, eine „Modernisierung“ und „Zusammenlegung“ der Naturschutzrichtlinien zu prüfen.
Im Wesentlichen stimmten Vertreter der EU-feindlichen britischen UKIP (United Kingdom Independence Party) gegen den Bericht, die aber prinzipiell gegen alle EU-Bestimmungen votieren, da nach ihrer Auffassung die Mitgliedstaaten alles besser auf nationaler Ebene regeln können und sollten – obwohl gerade im Umwelt- und Naturschutz das Gegenteil offensichtlich ist. Wasser- und Luftverschmutzung machen genau so wenig an Grenzen halt wie wandernde Tierarten, deren erfolgreicher Schutz nur mit EU-weit einheitlichen Standards wie der Vogelschutz- und FFH-Richtlinie gelingen kann.
Zehn deutsche Gegenstimmen
Erfreulich ist, dass die anwesenden deutschen Europaabgeordneten ganz überwiegend für den Bericht stimmten, was nicht zuletzt dem Engagement des deutschen Co-Berichterstatters der EVP, Norbert Lins (CDU), sowie den beiden Koordinatoren der großen Fraktionen im EP-Umweltausschuss (ENVI) zu verdanken ist, Dr. Peter Liese (EVP bzw. CDU) und Matthias Groote (S&D bzw. SPD). Ausweislich des Protokolls der namentlichen Abstimmung stimmten lediglich drei Abgeordnete der AfD bzw. ALFA (Bernd Kölmel, Prof. Joachim Starbatty, Ulrike Trebesius), Martin Sonneborn als Vertreter von „Die Partei“ sowie je drei Abgeordnete von CDU (Burkhard Balz, Elmar Brok, Herbert Reul) und CSU (Albert Deß, Monika Hohlmeier, Dr. Angelika Niebler) gegen den Bericht.
Einige Abgeordnete, wie die polnische EP-Abgeordnete Jadwiga Winiewska (ECR) und der CDU-Abgeordnete Herbert Reul (NRW), verweigerten dem Bericht wegen Punkt 88 ihre Zustimmung, in dem auf Vorschlag der Grünen die Mitgliedstaaten zum Verbot von Fracking aufgefordert werden. Polen sei auf Fracking angewiesen, so Winiewska, weil es von russischen Importen unabhängig werden wolle; Schäden für die biologische Vielfalt und Natura-2000-Gebiete seien ihres Erachtens nicht zu befürchten. Auch Herbert Reul begründete sein „Nein“ auf Nachfrage des NABU-Landesverbands NRW damit, der Bericht enthalte zwar viele positive Punkte, er habe aber dagegen gestimmt, weil man sich seines Erachtens „die Option ‚Fracking‘ offen halten“ solle, gerade im Hinblick auf die weiter fortschreitende technologische Entwicklung.
Insgesamt ist der Bericht aber vor allem ein starkes Plädoyer gegen die Öffnung der Naturschutzrichtlinien und für deren bessere Umsetzung, etwa in den Punkten 2, 17 und vor allem 65, in dem es u.a. heißt: „... spricht sich gegen eine etwaige Überarbeitung der Naturschutzrichtlinien aus, da diese die Verwirklichung der Strategie für die biologische Vielfalt gefährden und zu lange andauernder Rechtsunsicherheit führen würde, (…) hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass der Schwerpunkt des momentan im Rahmen des REFIT-Programms durchgeführten Effizienztests der Naturschutzrichtlinien auf der Verbesserung der Umsetzung liegen sollte“.
Vella meidet klare Aussage
Der Abstimmung ging am Vorabend eine Diskussion der Parlamentarier mit EU-Umweltkommissar Karmenu Vella voraus. Während die Abgeordneten sich auch in ihren Wortbeiträgen am 1. Februar sehr deutlich für mehr Engagement zum Erhalt der biologischen Vielfalt und insbesondere gegen eine Öffnung der EU-Naturschutzrichtlinien aussprachen, vermied Umweltkommissar Vella trotz mehrfacher Aufforderung durch die Europaabgeordneten eindeutige Aussagen für die Erhaltung der Richtlinien.
Die sozialdemokratische Abgeordnete und Co-Berichterstatterin ihrer Fraktion, Karin Kadenbach aus Österreich, brachte es auf den Punkt, als sie Vella aufforderte, endlich auf die besorgten Bürgerinnen und Bürger zu hören. „Die Bevölkerung steht hinter uns!“, so Kadenbach, und appellierte an Vella, Vorschläge für eine bessere Umsetzung der Naturschutzrichtlinien und eine bessere Kontrolle der Umsetzung in den Mitgliedstaaten vorzulegen.
Doch Vella ließ sich alle Optionen offen. Er würdigte zwar ebenfalls das Ergebnis der öffentlichen Konsultation, bei der sich im Sommer 2015 über 520 000 Teilnehmer und damit etwa 94 % für den Erhalt und die bessere Umsetzung der Richtlinien ausgesprochen hatten (Naturschutz und Landschaftsplanung 47 (10), 302). Er versprach, dass sich die Kommission intensiv mit den Beschlüssen des EP und des Umweltministerrates befassen werde.
Politik- statt Sachentscheidung
Doch ein klares Bekenntnis zur Erhaltung der Richtlinien umging Vella u.a. mit dem Argument, dass es nicht nur um seine Position gehe, sondern dass die Kommission ihre Empfehlungen zum weiteren Schicksal der Naturschutzrichtlinien „später im Jahr“ als Kollegialorgan aller 27 Kommissarinnen und Kommissare verabschieden werde. Im Klartext bedeutet dies: Die Entscheidung der EU-Kommission nach Abschluss des „Fitness Checks“ wird eine politische Entscheidung sein, keine fachliche. So bleibt offen, ob sie in ihrem für das zweite Quartal geplanten „Staff Working Document“ Vorschläge zur besseren Umsetzung empfehlen wird – oder doch im Sinne von Kommissionspräsident Juncker und seinem obersten Vizepräsidenten Frans Timmermans eine Öffnung und „Modernisierung“ der Naturschutzrichtlinien.
Link zum Demesmaeker-Bericht (deutsche Version):
Link zum namentlichen Abstimmungsergebnis am 2. Februar 2016:
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