Modellierte Zukunft: Ecopath, Ecosim & Ecospace
Im vorliegenden Heft diskutieren Bernotat et al. unter dem Titel „Bewertung der Erheblichkeit in der FFH-VP – Fachkonventionen oder Ecopath-Ökosystemmodell?“ (S. 215-221) den Beitrag von Sarah Fretzer und Stefan Möckel in Naturschutz und Landschaftsplanung 47 (4), S. 117-124. Die Erstautorin antwortet auf die Replik.
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Von Sarah Fretzer
Die Zweifel an den Fachkonventionen bleiben bestehen, denn die Kritikpunkte konnten von Bernotat et al. nicht widerlegt werden. Hier drei Beispiele:
(1) Die Kritik an der falschen Definition und Anwendung von Fachbegriffen, z.B. „Population“, war von Bernotat et al. „nicht nachvollziehbar, spielt im Zusammenhang mit dem Gebietsschutz aber auch keine wesentliche Rolle, da der Bezugsgegenstand für die FFH-VP jedenfalls primär das Gebiet mit seinen Gebietsbeständen ist und nicht biologisch definierte Populationen.“ Der Begriff „Gebietsbestände“ ist biologisch nicht definiert. Handelt es sich um eine Gruppe von Individuen der gleichen Art innerhalb eines Gebiets? – Das wäre laut Fachliteratur eine Population. Bernotat et al. widerlegen die Kritik nicht, dass Fachbegriffe wissenschaftlich fragwürdig verwendet wurden. Das Argument von Bernotat et al., „dass die rechtlichen Prüfnormen nicht unmittelbar auf Begriffe und Konzepte der wissenschaftlichen Ökologie zurückgreifen und eine 1:1-Übertragung daher nicht bzw. nicht voll umfänglich möglich ist“, lässt Fragen zu den rechtlichen Prüfnormen aufkommen: Wenn ökologische Fachbegriffe verwendet werden, sollten diese dann nicht besser einen wissenschaftlich nachvollziehbaren Bezug bzw. eine 1:1-Übertragung haben?
(2) Die Fachkonventionen beruhen nachweislich auf einem wissenschaftlichen bzw. fachlichen Diskurs und das steht hier: „Insoweit stellt auch die Ausrichtung auf die vorgenannten Werte selbst eine Fachkonvention dar, da sich die Werte nicht ausschließlich aus wissenschaftlich exakt begründbaren Kriterien ableiten lassen, sondern – wie angesprochen – Ergebnis eines fachlichen Diskurses sind“ (S. 80 in Lambrecht & Trautner 2007). Der Diskurs bzw. der mehrjährige Abstimmungsprozess ist für Außenstehende schwer wissenschaftlich nachzuvollziehen. Nach wissenschaftlichen Standards müssen Ergebnisse reproduzierbar und nachvollziehbar sein – und das ist bei den Fachkonventionen offensichtlich nicht der Fall.
(3) Die wissenschaftlichen Fragen, z.B. zu den Orientierungswerten und deren Proportionalität, konnten von Bernotat et al. „nicht allein naturwissenschaftlich oder aus der Ökologie heraus beantwortet werden“. Wie kann das sein? Sollte eine FFH-Verträglichkeitsprüfung nicht naturwissenschaftlich nachvollziehbar und begründet sein?
Es bestehen im Ergebnis also weiterhin wissenschaftliche Zweifel und die Anforderungen des EuGH sind somit nicht erfüllt.
Bernotat et al. „wird deutlich, dass die Autoren (Fretzer & Möckel) wohl nicht erkannt haben, dass die Frage der Bewertung der Erheblichkeit von Beeinträchtigungen in der FFH-VP – wie auch in anderen Prüfnormen – nie nur eine fachliche bzw. naturwissenschaftliche, sondern immer auch eine normative Komponente beinhaltet“. Der EuGH hat in stetiger Rechtsprechung entschieden, dass die zuständigen Behörden „unter Berücksichtigung der besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse Gewissheit darüber erlangt haben, dass sich der Plan oder das Projekt nicht dauerhaft nachteilig auf das betreffende Gebiet auswirkt“ (s. Fretzer & Möckel, S. 118). Der EuGH bezieht sich klar auf die beste Wissenschaft und nicht auf eine „normative Komponente“. Die Rechtslage ist hier eindeutig.
Es gab aufgrund meiner begrenzten finanziellen Mittel keine Möglichkeit, die Aussagekraft der Fachkonventionen an einem konkreten Fall zu untersuchen, und so blieb nur das fiktive Fallbeispiel von Lambrecht & Trautner. Die Input-Daten des Modells sind nicht frei aus der Luft gegriffen, sondern basieren zu einem großen Teil auf dem FFH-Gebiet Schönbuche, wo eine gute Datenlage frei verfügbar war. Die Modell-Berechnungen sind transparent, nachprüfbar und für jeden einsehbar ( http://www.ecopath.org ). Die Methode wurde u.a. in den besten Wissenschaftsmagazinen Nature und Science veröffentlicht und wird international im Management bereits eingesetzt. Für Bernotat et al. sind „die Transparenz und Nachvollbarziehbarkeit von Bewertungsverfahren von besonderer Relevanz“ und somit sind Ökosystemmodelle doch perfekt für die Planung in Deutschland geeignet.
Das Ecopath-Modell ist nicht geeignet, eine FFH-VP durchzuführen (siehe Fretzer & Möckel). Ecopath wurde im Artikel verwendet, um die Auswirkungen eines Flächenverlustes zu analysieren und diese mit den Fachkonventionen zu vergleichen. Für die vom EuGH geforderten „besten wissenschaftlichen Erkenntnisse“ müssen zusätzlich die zeitliche (Ecosim) und räumliche (Ecospace) Entwicklung des Ökosystems sowie alle Wirkfaktoren kumulativ im Modell untersucht werden (s. hierzu voraussichtlich in Heft 9 ein Beitrag „Vorstellung einer ökosystemaren FFH-Verträglichkeitsprüfung“).
Es soll das Konzept der FFH-Arten und -Lebensraumtypen nicht durch einen neuen Ansatz der Ökosystembewertung ersetzt, sondern erweitert werden.
Die Arten und Lebensräume sind die Grundlagen für das gesamte Natura-2000-Regelwerk von der Gebietsmeldung über Berichtspflicht und Monitoring bis hin zur Bewertung des Erhaltungszustands und auch der FFH-Verträglichkeit. Ökosystemmodelle können nicht nur alle diese Punkte des Natura-2000-Regelwerks auf höchstem wissenschaftlichem Niveau verwirklichen, sondern können auch die Ökosystemdienstleistungen quantifizieren, den Artenschutz voranbringen und die Planung optimieren. Hierzu hat die Verfasserin „Das Natura-2000Rettungspaket“ entwickelt und beim BfN als Ideenskizze zur Förderung eingereicht (siehe http://www.cuvierenvironmental.com/natura.html ). Warum untersuchen wir nicht mit einem Pilotprojekt, was diese Methode für den Naturschutz und die Planungspraxis leisten kann? Im Rahmen dieses Projekts könnte man auch die Untersuchung des fiktiven Fallbeispiels auf ein Natura-2000-Gebiet übertragen und dann anhand der exakten Daten vor Ort die Fachkonventionen und das Ökosystemmodell miteinander vergleichen. Diese Untersuchung würde klar zeigen, ob die Zweifel an den Fachkonventionen berechtigt sind, und damit endgültig Rechtssicherheit schaffen.
Es ist die Aufgabe der FFH-VP, erhebliche Beeinträchtigungen zu identifizieren, damit Schäden in Natura-2000-Gebieten vermieden werden. Im deutschen FFH-Bericht 2013 waren nur 28 % der Lebensraumtypen und lediglich 25 % der Arten in einem guten Zustand. Wie erfolgreich sind die Fachkonventionen also wirklich? Wäre es für den Natur- und Artenschutz nicht besser, neue, effektivere Wege zu gehen, auch in der Planungspraxis? Warum folgen wir nicht dem EuGH und nutzen die beste Wissenschaft?
Wo ein Wille ist, ist auch ein nachgewiesen effektiver Weg: Ecopath, Ecosim & Ecospace.
Anschrift der Verfasserin: Dr. Sarah Fretzer, CEC+ER Cuvier Environmental Consulting + Ecosystem Research, Kleine Loge 5, D-27721 Ritterhude, E-Mail sarah.fretzer@cuvierenvironmental.com.
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