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Tagungen

Artenschutz am Haus – Pflicht und Kür

Artenschutz am Haus ist ein Projekt des Landkreises Tübingen, gefördert durch die Stiftung Naturschutzfonds Baden-Württemberg mit Mitteln der Glücksspirale, das 2014 gestartet wurde und bis März 2016 läuft. Schwerpunkte sind Öffentlichkeitsarbeit, konkrete Beratung z.B. von Bauherren und Architekten sowie die Weiterentwicklung fachlichen Informationsmaterials. Das Projekt beschränkt sich auf Tierarten und hat gebäudebewohnende Arten im Fokus, soll aber auch weitere für Tierarten wichtige Aspekte im Siedlungsbereich ansprechen. Auch um die weitere Entwicklung dämmmittel­optimierter Nisthilfen für Gebäudebrüter (Vögel, Fledermäuse) bemüht sich das Projekt. Im Projekt erarbeitete Materialien werden zum größeren Teil über die Webseite http://www.artenschutz-am-haus.de öffentlich zugänglich gemacht. Der erste Workshop fand in Tübingen statt, über den hier berichtet wird.

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Ein Projekt-Workshop im Landkreis Tübingen

Von Jürgen Trautner, Jennifer Theobald und Marion Zobel

Informationen vermitteln

Einleitend wurden in drei Vorträgen Ziele und Hintergründe des Projekts, fachliche und rechtliche Rahmenbedingungen des Artenschutzes im Siedlungsbereich sowie die regelmäßig im Landkreis Tübingen betroffenen Arten und entsprechend bedeutsame Strukturen vorgestellt (Dr. Marion Zobel, Jürgen Trautner, Johannes Mayer).

Rechtliche Regelungen, die bezüglich einiger Artengruppen auf europarechtliche Vorgaben zurückgehen, erfordern eine Berücksichtigung des Artenschutzes als Pflichtaufgabe. Auch eine fachliche Notwendigkeit ist zu erkennen, insbesondere da bestimmte Vogel- und Fledermausarten in der heutigen Situation auf Ge­bäudestrukturen als Lebensraumbestandteile angewiesen sind bzw. dort Vorkommens-Schwerpunkte zeigen. Entscheidende Strukturen sind häufig bei Umbau und/oder Sanierung von Gebäuden betroffen. Hier ist ein extrem heterogener und oft geringer Informationsstand u.a. bei Bauherren, Architekten und Handwerkern zu vermerken. Darüber hinaus bieten sich im Siedlungsbereich – sowohl im öffentlichen wie auch im privaten Raum –, aber auch unabhängig von Einzelvorhaben, zahlreiche Möglichkeiten zur aktiven freiwilligen Verbesserung der Lebensraumsituation von Tierarten. Wichtig ist es, mögliche Akteure bei dieser „Kür“ zu unterstützen.

Die Siedlungsfauna rekrutiert sich entsprechend der strukturellen Ausstattung von Siedlungsflächen aus zahlreichen Lebensraumtypen. So finden sich hier Arten (ehemals) natürlicher Felsen und Steilwände, von Höhlen und Tierbauten, von Baumhöhlen, Besiedler stark gestörter Standorte (z.B. Trockenstandorte ehemals natürlicher Flussauen), aber auch Neozoen. Die Siedlungsfauna weist einen starken Bezug zu Naturraum und umgebender Landschaft auf, was teils historische Ursachen hat (Besiedlungsgeschichte). Es treten deutliche Gradienten vom Umfeld und Siedlungsrand hin zu zentralen Siedlungsteilen auf (z.B. bei Artenzahlen bodengebundener Tiergruppen): So benötigen viele mobile Arten der Vögel und Fledermäuse die Umgebung von Städten und Dörfern als Nahrungsraum.

Als wesentliche Problemfelder wurden u.a. Barrieren- und Fallenwirkungen (z.B. Entwässerungseinrichtungen, Glas­anflug) sowie Strukturarmut im Kontext der Pflegeintensität von Grünflächen wie auch des Verlusts von Nischen und Höhlungen in der Gebäudesubstanz angesprochen.

Der Schutz von Natur und Landschaft nach dem Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) macht nicht vor dem „besiedelten“ Bereich der Dörfer und Städte Halt. Lediglich bewohnte Innenräume sind hiervon auszunehmen, nicht dagegen Hausfassaden, nur gelegentlich genutzte Dachstühle u.a. Spezifisch ausgeführt wurden die Bestimmungen des §44 BNatSchG und deren Relevanz im Siedlungsbereich.

Häufige Betroffenheit

In der Übersicht der von regelmäßig im Landkreis Tübingen an oder in Gebäuden siedelnden Vogel- (10) und Fledermausarten (12) und der für diese relevanten Strukturen wurde anhand konkreter Beispiele deutlich, wie häufig eine Betroffenheit solcher Arten und ihrer Lebensstätten bei Umbau- bzw. Sanierungsvorhaben zu erwarten ist. Steckbriefe dieser Arten sind bereits auf der Webseite des Projekts enthalten, zudem werden Beispiele besiedelter Strukturen dort eingestellt. Eingegangen wurde zudem auf Arten wie Zaun- und Mauereidechse oder Nachtkerzenschwärmer, die in Freiflächen des Siedlungsbereichs mit bestimmter Ausstattung vertreten sein können und dort z.B. im Rahmen von Planungen, aber auch des Pflegemanagements einer entsprechenden Berücksichtigung bedürfen. Gleiches gilt für Arten der Gehölze, insbesondere älterer Baumbestände im Baumhöhlen.

Andreas Hachenberg, Mitglied der Ornithologischen Gesellschaft Baden-Württemberg, stellte seine Ergebnisse zum Mauersegler in Tübingen vor, der dort durch die Sanierung von Gebäuden schon vielfach negativ betroffen war. Die Bestände unterlagen drastischen und kontinuierlichen Rückgängen, wobei für die Fälle der betroffenen Altbauten nicht genehmigungspflichtige energetische Sanierungen in Verbindung mit Unwis­senheit der Akteure Hauptur­sachen waren. Neu- und Wiederansiedlungen von lokalen Teilpopulationen gestalten sich schwierig, demgegenüber sind integrierte Nisthilfen zur Sicherung vorhandener Bestände meist unkompliziert und günstig zu realisieren.

Beispiele zum Thema Fledermausschutz erläuterte Luis Ramos, der in der Arbeitsgemeinschaft Fledermausschutz Baden-Württemberg tätig ist. Aus seinem und dem Vortrag von Johannes Mayer wurde die Vielzahl von Strukturen und Situationen deutlich, bei denen mit Fledermausvorkommen an und in Gebäuden gerechnet werden kann. Manche Konfliktfälle lassen sich dabei auch strukturell nicht oder sehr schwer vorab erkennen bzw. einschätzen. Jedenfalls im Bodenseekreis, auf den sich die Beispiele konzentrierten, ist zudem auch im Winter­halbjahr mit umfangreicherem Auftreten überwinternder Fledermäuse, insbesondere des Großen Abendseglers, zu rechnen.

Behörden-Kooperation

Renate Kübler, Untere Naturschutzbehörde der Landeshauptstadt Stuttgart, ging auf die Situation und Vorgehensweise in ihrem Amt sowie in der Zusammenarbeit mit der Baurechtsbehörde ein. Im Fall von Abbruch- bzw. Bauvorhaben wird dem Baurechtsamt die Beteiligung der Naturschutzbehörde zum Artenschutz empfohlen, wenn bestimmte Kriterien für das Vorhaben erfüllt sind – wie ein großer oder alter Baumbestand, brachgefallenes Gelände mit offenen Bodenstrukturen, unterirdische Bauwerke (Keller, Bunker, Tunnel) sowie Abrissgebäude (auch Scheunen) mit Hinweis auf gebäudebewohnende Tierarten. In der Praxis ist aufgrund der Vielzahl von Vorhaben – bei steigender Tendenz – keine vollständige Prüfung aller Einzelvorhaben möglich.

Bei konkreten Hinweisen auf relevante Arten wird ein tierökologisches Gutachten mit Bestandserhebung ge­fordert, ggf. zunächst auch eine Potenzialanalyse mit einer Worst-Case-Betrachtung. Zudem wird jedes Jahr wird ein Katalog mit Gebieten erstellt und durchgearbeitet, in denen Planungen anstehen. Soweit relevant, erfolgt hierzu die Veranlassung bzw. Ver­gabe von Gutachten, wobei eine artenschutzrechtliche Prüfung sowohl bei neuen als auch bei alten Bebauungsplänen (soweit ohne bisherige Bearbeitung oder möglicherweise veraltet) vorgenommen wird.

Aus bisherigen Erfahrungen bestätigte Renate Kübler, dass bei Baufirmen, Architekten, Handwerker-, Gartenbau- und Landschaftspflegebetrieben oft keine oder zu geringe Kenntnisse zum Artenschutz vorliegen. Durch Nicht-Berücksichtigung des Artenschutzes kam es z.T. zu erheblichen Zeitverzögerungen in Bauvorhaben (z.B. bei funktionserhaltenden Maßnahmen für Zaun- und Mauereidechse).

Diskussion

Deutlich wurde, dass die Gesetzeslage bestimmte Anforderungen stellt, die aber in der Praxis jedenfalls von vielen Beteiligten und derzeit als nicht vollständig umsetzbar eingestuft werden (zu viele Vorhaben, keine vollständig anwendbaren einfachen Prüfkriterien, bestimmte Maßnahmen sind nicht genehmigungs- oder anzeigepflichtig). Eine verbesserte Kenntnis aller an Vorhaben Beteiligten ist zen­tral. Dabei wird u.a. der Er­arbeitung schneller, einfacher Handreichungen für Bauherren und Kommunen (für Vergabe und Kontrolle) eine große Bedeutung beigemessen. Es wurde auch der Aspekt aufgegriffen, inwieweit standardisierte Auflagen für Fälle, in denen keine nähere Prüfung erfolgt, sinnvoll und möglich sind, z.B. zur grundsätzlichen Anbringung von Nisthilfen an neuen Gebäuden. Allerdings wurde hier auch auf die oft abweichenden Situationen des jeweiligen Einzelfalls hingewiesen.

Falls Prüfungen vorgenommen bzw. Auflagen gemacht wurden, so ist es erstens wesentlich, dass in der Baugenehmigung die Vorgabe enthalten ist, über die ordnungsgemäße Durchführung und ggf. Funktionskontrolle im Rahmen eines Monitorings zu berichten, und zweitens, dass die entsprechenden Berichte auch regelmäßig eingefordert werden.

Unabhängig von der Bedeutung, die durch Baumängel bzw. zwischenzeitlich aufgetretene Schäden an älteren Gebäuden (z.B. Trauf, Fassade) entstandene Strukturen für Tierarten erlangen können, ist es kein grundsätzliches Ziel, solche Schadstellen selbst zu erhalten. Vielmehr sollen ihre Funktionen im Rahmen einer erforderlichen Sanierung oder der Errichtung neuer Gebäude anderweitig gesichert werden.

Der Schutz von Tierarten in Dörfern und Städten sollte sich indes nicht alleine auf die vor europarechtlichem Hintergrund geschützten Arten beschränken. Auch andere Artengruppen wie z.B. die Wildbienen sollten berücksichtigt werden. Auch Nahrungsflächen für Vogel- und Fledermausarten im Siedlungs(rand)bereich kommt eine sehr hohe Bedeutung zu, der Fokus auf Ebene der kommunalen Bewertungen und Planungen zum Thema Artenschutz sollte also nicht nur auf Niststätten liegen. Es könnte in diesem Zusammengang sinnvoll sein, auf kommunaler Ebene ein Vorgehen im Sinne des Bio­diversitätschecks in Baden-Württemberg ( http://www.naturschutz.landbw.de/servlet/is/67650/ ) speziell für den Siedlungsbereich und für „Siedlungsarten“ zu verfolgen.

Anschrift der Verfasser(innen): Jürgen Trautner und Jennifer Theobald, Arbeitsgruppe für Tierökologie und Planung, Johann-Strauß-Straße 22, D-70794 Filderstadt, E-Mail info@tieroekologie.de; Dr. Marion Zobel (Kreisökologin), Landwirtschaft, Baurecht und Naturschutz, Landratsamt Tübingen, Postfach 1929, D-72009 Tübingen, E-Mail m.zobel@kreis-tuebingen.de.

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