Geben Sie einen Suchbegriff ein
oder nutzen Sie einen Webcode aus dem Magazin.

Geben Sie einen Begriff oder Webcode ein und klicken Sie auf Suchen.
Aktuelles aus Brüssel

Europäische Bürgerinitiative ­gegen Freihandelsabkommen

Mit dem Lissabon-Vertrag wurde im Dezember 2009 neben der Neuregelung, dass die Ergebnisse der Wahlen zum Europaparlament bei der Wahl des Präsidenten der EU-Kommission zu berücksichtigen sind, ein weiteres Element zur Demokratisierung der EU eingeführt: die Europäische Bürgerinitiative (EBI). Allerdings sind die Hürden für eine EBI sehr hoch und auch ihr Wirkungsgrad ist begrenzt. Die EU-Kommission muss das Anliegen einer EBI nur prüfen, wenn diese EU-weit mindestens eine Million Unterschriften gesammelt hat. Diese Unterschriften müssen zudem aus mindestens sieben EU-Mitgliedstaaten stammen und es müssen länderspezifische Quoren erfüllt werden, für Deutschland zum Beispiel mindestens 72 000 Unterschriften.

Veröffentlicht am
Dieser Artikel ist in der erschienen.
PDF herunterladen
Artikel teilen:

Dennoch haben, beflügelt durch den Erfolg der EBI gegen die Pläne der EU-Kommission zur Privatisierung der Wasserversorgung „right2water.eu“, am 15. Juli 2014 etwa 150 zivilgesellschaftliche Organisationen aus bislang 18 Mitgliedstaaten der EU eine weitere EBI in Brüssel zur Registrierung bei der EU-Kommission angemeldet. Ziel der Bürgerinitiative „Stop TTIP“ ist es, die Europäische Kommission und das Europäische Parlament zum Stopp der Ver­handlungen zum TTIP sowie zu einem weiteren Freihandelsabkommen mit Kanada (CETA) zu bewegen. Der Termin war bewusst gewählt, da vom 14. bis 18. Juli in Brüssel die sechste Verhandlungsrunde zwischen der EU-Kommission und der US-amerikanischen Delegation stattfand.

Die Verbände, darunter der NABU, befürchten bei Inkrafttreten der beiden Abkommen eine Schwächung der in Jahrzehnten entwickelten und bewährten EU-Standards, unter anderem im Bereich von Umwelt- und Naturschutz, bei Verbraucher- und Arbeitnehmerrechten. Denn die bislang treibenden Kräfte in den überwiegend geheimen Verhandlungsgesprächen sind rein wirtschaftliche Interessen, insbesondere der amerika­nischen bzw. kanadischen Energie-, Chemie- und Agrarindustrie.

Da zentrales Ziel der Abkommen die gegenseitige Anerkennung von Standards ist, könnten sich künftig Produkte und Verfahren auf dem EU-Markt durchsetzen, die keinesfalls den derzeitigen EU-Normen entsprechen: der Einsatz von Hormonen bei der Fleischerzeugung bei Kühen und Schweinen etwa, die Behandlung von Geflügelfleisch mit Chlor, gentechnisch veränderte Lebensmittel. Auch die amerikanische Chemikalienge­setzgebung TSCA ist sehr viel schwächer als die EU-Chemikalienverordnung REACH: Während die EU-Kosmetik-Verordnung etwa 1 300 Chemikalien verbietet, untersagt die US-Gesetzgebung gerade einmal die Verwendung von elf Stoffen. Selbst die Energiewende könnte unterwandert werden, wenn Fracking-Gas aus den USA und Kanada ohne Hürden importiert wird und damit den weiteren Ausbau der regenerativen Energien in Europa hemmt.

Durch die geplanten Sonderklagerechte von Investoren (Investor-state dispute settlement, ISDS) vor privaten Schiedsgerichten (arbitration courts) könnten nordamerikanische Energiekonzerne im „worst case“ zudem beispielsweise Bohrlizenzen in den Mitgliedstaaten der EU erzwingen und so die derzeitigen nationalen Fracking-Moratorien etlicher EU-Staaten oder nationale gesetzlichen Bestimmungen unterlaufen. Aufgrund der großen Kritik an ISDS nicht nur von Umweltverbänden, sondern auch von Gewerkschaften, Wirtschaftsdachverbänden und Handelskonzernen, hat die EU-Kommission in den vergangenen Monaten eine öffentliche Online-Konsultation zum Thema durchgeführt. Offensichtlich war die EU-Kommission von der Flut der mehr als 150 000 Antworten überrascht, (Noch-)EU-Wirtschaftskommissar Karel De Gucht sprach daher in einigen Medien sogar von ­einer „Attacke“.

Nach Auffassung des Verbände-Bündnisses zeigt diese rege Beteiligung an der Online-Konsultation aber nur, dass die Bürgerinnen und Bürger der EU einen öffentlichen und demokratischen Diskurs über die Freihandelsabkommen und ihre Inhalte erwarten. Neue Handelsabkommen wären dann sinnvoll, wenn sie beiderseits des Atlantiks dazu beitragen, alternative statt fossiler Energien zu fördern, eine nachhaltige Landwirtschaft mit weniger Massentierhaltung und ohne gentechnisch veränderten Monokulturen zu stärken, die Interessen von Verbrauchern und Arbeitnehmern zu stärken sowie Kennzeichnungspflichten zu verbessern statt aufzuheben – statt all dies rein privatwirtschaftlichen Interessen zu opfern. Bislang beruft sich die EU-Kommission bei ihren geheimen Verhandlungen auf ein Verhandlungsmandat aus dem Jahr 2013, das es nicht erforderlich mache, die Mitgliedstaaten oder nationale Parlamente in die Verhandlungen einzubeziehen. Das Europäische Parlament soll aber in Zukunft besser informiert werden, federführend ist dort der Ausschuss für internationalen Handel (INTA) mit seinem Vorsitzenden Bernd Lange (SPD).

Sofern die EU-Kommission die formalen Hürden als erfüllt ansieht und die EBI zulässt, werden ab September 2014 auf der Website http://www.stop-ttip.org Unterschriften in den EU-Mitgliedstaaten gesammelt. Seit Mitte Juli sind auf dieser Seite Informationen über die Initiative sowie über die beiden Freihandelsabkommen abrufbar.

Claus Mayr, NABU, Direktor Europapolitik, Brüssel, Claus.Mayr@NABU.de

0 Kommentare
Was denken Sie? Artikel kommentieren

Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Schreiben Sie den ersten Kommentar.

Artikel kommentieren
Was denken Sie? Artikel kommentieren