Rück- und Ausblick auf die Arbeit des Europäischen Parlaments
Mit seiner Plenarsitzung am 17. April 2014 hat das Europäische Parlament (EP) seine 7. Legislaturperiode beendet. Die „Bürgerkammer“ als dritte bzw. vierte der großen EU-Institutionen neben EU-Kommission, Rat und Ministerrat konnte ja erst 1979 erstmals von den Wählerinnen und Wählern bestimmt werden. Vom damaligen „Hast Du einen Opa, schick ihn nach Europa“-Image hat sich die Rolle des EP im Rahmen der diversen EU-Verträge von Maastricht über Amsterdam und Nizza bis zum Lissabon-Vertrag, der im Dezember 2009 in Kraft trat, gravierend geändert. Diese Legislaturperiode war die erste mit vollen Mitentscheidungsrechten des EP – ein Grund für einen knappen Rückblick, aber auch für einen Appell!
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Naturschutz und Landschaftsplanung hat in den vergangenen Jahren immer zeitnah über die Entscheidungen des Parlamentes bzw. in den sogenannten Trilogen zwischen Kommission, Rat und Parlament berichtet. Dabei ist das Parlament, wie mehrfach beschrieben, seiner ihm zugedachten Rolle als Vertreter der Wählerinnen und Wähler, auch als Verbraucher und Steuerzahler, leider nicht immer gerecht geworden. An erster Stelle sei hier an das „Greenwashing“ der gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) erinnert, dessen Ergebnisse Naturschutz und Landschaftsplanung 46 (4), Seiten 129-132, zusammengefasst hat – ebenso übersichtlich wie deprimierend. Vom ursprünglich versprochenen „Greening“ der EU-Agrarpolitik – Koppelung sämtlicher Direktzahlungen an Umweltauflagen, 7 % ökologische Vorrangflächen pro Betrieb – ist nach zähen Verhandlungen zwischen den Agrarministern und dem Europäischen Parlament nicht mehr viel übrig geblieben.
So fließen weiter jährlich etwa 58 Mrd. Euro, über 40 % des gesamten EU-Haushalts, in die Landwirtschaft. Und das überwiegend ohne Bindung an Umweltauflagen, zumal das EP auch noch einige der bisherigen „Cross Compliance“-Auflagen gestrichen hat. Hier muss das neue Europaparlament den Scherbenhaufen aufräumen, den die frühere Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner und die konservative Mehrheit im Europaparlament angerichtet haben. Insbesondere der Agrarausschuss ist zu stark von der Agrarlobby beeinflusst gewesen.
Für den „midterm review“ im Jahr 2017, insbesondere in Bezug auf die Erhöhung des Anteils ökologischer Vorrangflächen auf 7 % und die Intensität ihrer Nutzung, wünscht man sich daher ambitioniertere Europaabgeordnete. Dies umso mehr, als das neue Parlament auch die Weichen dafür stellen muss, dass die Gelder der Steuerzahler bei der nächsten Agrarreform für die Jahre 2021 bis 2027 endlich im Sinne der Verbraucher undder Umwelt eingesetzt werden. Wer in der neuen EU-Kommission ab Oktober 2014 das Agrar-Ressort übernimmt, ist noch nicht bekannt. Ob Rumänien noch einmal Dacian Ciolos nominiert, ist unklar, zumal er den überwiegend kleinen rumänischen Bauern (mit weniger als 3 ha Fläche und nur wenigen Tieren im Stall) kaum helfen konnte, und den Agrarlobbyisten im EP und den nationalen Interessen der großen Mitgliedstaaten wie Deutschland, Frankreich und den Niederlanden kaum Widerstand bot.
In den Medien bekannt wurde die zögerliche Haltung der EP-Mehrheit, oft unterstützt durch die Liberalen, vor allem bei der Diskussion um die CO2-Grenzwerte für Pkw im letzten Jahr. Nur in wenigen Medien wie Naturschutz und Landschaftsplanung wurde auch berichtet, dass sich auch bei der Novelle der UVP-Richtlinie die konservative Mehrheit durchsetzte. Und dass zum Beispiel das sogenannte „Fracking“ nicht in den Katalog der UVP-pflichtigen Projekte aufgenommen wurde, obwohl das nicht nur Grüne und Sozialdemokraten, sondern auch der liberale Berichterstatter für das Thema (Andrea Zanoni aus Italien) empfohlen hatte. Mitte März 2014 entschied der Umweltausschuss im Europäischen Parlament, dass gentechnisch verunreinigter Honig in Zukunft nicht mehr gekennzeichnet werden muss – und machte dabei eine 180Grad-Wende zu seiner bisherigen Haltung! Auch diese Entscheidung fiel mit einer knappen konservativen Mehrheit von 28 zu 25 Stimmen, im Plenum des Parlaments Mitte April wird mit dem gleichen Ergebnis gerechnet. Mit eventuell weitreichenden Folgen für Umwelt und Allergiker: denn nicht nur aus den USA, Kanada und China wird Honig von gentechnisch veränderten Pflanzen in die EU importiert. Auch in zwei der wichtigsten Honig produzierenden Mitgliedstaaten der EU, Spanien und Rumänien, ist der Anbau von Genmais erlaubt.
Gerade im Vorfeld der Wahlen zum Europaparlament am 25. Mai macht dieser Vorgang deutlich, welch tiefgreifende Auswirkungen auf unser tägliches Leben und unsere Gesundheit die Wahlergebnisse haben werden. Es kommt auf jede Stimme an!
Mut machen immerhin die in dieser Legislaturperiode verabschiedete Biodiversitätsstrategie bis 2020 sowie das 7. Umweltaktionsprogramm (UAP), bei dem sich insbesondere EP-Berichterstatter Jo Leinen (SPD) verdient gemacht hat. Damit verfügt die Europäische Union, neben den geltenden Richtlinien und Verordnungen, über einen strategischen Rahmen, der die Voraussetzungen schaffen soll für Schutz und Wiederherstellung der biologischen Vielfalt, für neue Initiativen wie die gerade – mit vielen Kompromissen, aber immerhin – verabschiedete Verordnung zu invasiven Arten, die Strategie zur Grünen Infrastruktur, die bessere Umsetzung des beschlossenen Umweltrechts, den besseren Schutz des Klimas und der natürlichen Ressourcen. Diese strategischen Vorgaben können aber nur auf Druck und mit Hilfe des EP in wirksame Verordnungen und Richtlinien umgesetzt werden – und nur damit kann auch positiver Druck auf die Gesetzgebung in den EU-Mitgliedstaaten ausgeübt werden.
Auch deshalb sollten die Wählerinnen und Wähler sehr genau prüfen, welcher Partei sie am 25. Mai ihre Stimme geben. Aber das Wichtigste: überhaupt wählen gehen! Die magere Wahlbeteiligung von 43,3 % im Jahr 2009 sollte diesmal übertroffen werden. Schon alleine, um den EU-skeptischen Parteien am linken und rechten Rand „Paroli“ zu bieten, die, wie die UKIP in Großbritannien, die derzeit ihre Fühler nach der AfD ausstreckt, mit klima- und naturschutzskeptischen Parolen auf Stimmenfang gehen. Die UKIP etwa wird inzwischen auf über 30 % (!) geschätzt.
Noch ein Grund, wählen zu gehen, liegt ebenfalls im Lissabon-Vertrag begründet: Die großen Parteien haben sich erstmals auf EU-weite Spitzenkandidaten verständigt. Wer von diesen die meisten Stimmen erhält, muss bei der anschließenden Wahl des Präsidenten der EU-Kommission durch die Staats- und Regierungschefs berücksichtigt werden. Ein wichtiger Schritt zu mehr gesamteuropäischer Demokratie, denn bislang wurde der Kommissionspräsident ausschließlich von den Mitgliedstaaten bestimmt. Zudem könnte nach Walter Hallstein (CDU, Kommissionspräsident 1958 bis 1967) erstmals wieder ein Deutscher Kommissionspräsident werden, Martin Schulz (SPD) aus Würselen bei Aachen.
Claus Mayr, NABU, Direktor Europapolitik, Brüssel, Claus.Mayr@NABU.de
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