Ausbildung zum „zertifizierten Landschaftsobstbauer“
Rund um und östlich von Frankfurt am Main, im Main-Kinzig-Kreis, verblieben große Restbestände der ehemals weit verbreiteten Streuobstbestände. Wie andernorts sind sie stark bedroht von Überbauung und Rodung, aber auch Überalterung und Zusammenbruch. Um notwendige Kenntnisse für Erhalt, Pflege und Neuschaffung zu vermitteln, bildet der Landschaftspflegeverband zum „zertifizierten Landschaftsobstbauer“ aus.
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Ein Lehrgang zur Pflege von Streuobstwiesen
Von Barbara Fiselius und Josef Weimer
Der Landschaftspflegeverband Main-Kinzig-Kreis e.V. hat sich in seinem 20-jährigen Bestehen intensiv mit Projekten zu Erhalt und Entwicklung von Streuobstwiesen beschäftigt. In den ersten Jahren wurden mehrere zigtausend Altbäume Sanierungsschnitten unterzogen, die lebensverlängernd wirkten und somit den Wei-terbestand und die Erfüllung ökologischer Funktionen des Lebensraumes Streuobst sicherten.
Sorge bereitete sehr bald aber die unzureichende Nachpflanzung junger Obsthochstämme in den entstandenen Lücken. Die bei Gründung des Landschaftspflegeverbands noch ausreichend zur Verfügung stehenden Finanzmittel aus der hessischen Ausgleichsabgabe sorgten zunächst für ein steigendes Interesse der Grundstückseigentümer. Die Finanzmittel versiegten aber ab 2000 zu über 90 % aufgrund gesetzlicher Änderungen und vermehrter Inanspruchnahme durch andere Projekte. Zur nachhaltigen Sicherung mussten andere Wege gefunden werden, das Interesse von Eigentümern und Pächtern an den Streuobstwiesen zu aktivieren.
Zunehmend gewann hierbei die Initiative von Privatleuten an Bedeutung. Besonders die gezielte Fortbildung unter Aspekten des modernen Naturschutzes und der naturgemäßen Obstbaumpflege wurde vermehrt angefragt. Ausgehend von mit großer Vehemenz geführten Diskussionen um den richtigen Obstbaumschnitt entwickelten sich klare Positionen zur Ausrichtung von naturgerechter Obstbaumpflege (andere Schnittmethoden sind bei anderer Zielsetzung natürlich sinnvoll und angebracht).
Ausgehend von dieser Diskussion und konkreter Nachfrage entwickelte der Landschaftspflegeverband vor fünf Jahren die Ausbildung zum Landschaftsobstbauer. Ihre inhaltliche und praktische Ausrichtung gilt vorrangig der Herstellung eines individuellen Gleichgewichts zwischen Baumwachstum, Verjüngungswachstum und Fruchtertrag. Kriterien aus der Ökologie kommen hinzu, wenn es um den Erhalt des Lebensraums Streuobst geht. So ist das hohe Lebensalter eines Baumes ein durchaus wünschenswertes Ziel, ebenso das Zulassen von Höhlen und etwas Totholz sowie eine Baumgesundheit, die ohne den Einsatz chemischer Hilfsmittel auskommt.
Bei der Sanierung und Pflege von Altbäumen in der freien Landschaft sollte nach den Prinzipien des naturgemäßen Obstbaumschnittes (vgl. Landschaftspflegeverband Aschaffenburg 2011) verfahren werden:
Erhaltung einer naturnahen Kronenform,
Veränderung der Baumstruktur für ausreichendes Licht in den Kronen und Verjüngung der Triebe,
Stärkung der Vitalität durch Schaffung eines Gleichgewichts zwischen Neutrieben und Fruchtholz,
Erhalt / Wiederherstellung der Stabilität des Baumes,
möglichst weitgehender Erhalt von Höhlen,
und – wo möglich – Erhalt von abgestorbenen Bäumen als stehendem Totholz.
In dieser differenzierenden Haltung zu Pflege und Erhaltung von Streuobstbäumen wurde der Zertifizierungslehrgang entwickelt. Der Lehrgang ist modulhaft aufgebaut, an zehn Kurstagen werden insgesamt sechs Module angeboten. Den Abschluss bildet eine schriftliche und praktische Prüfung. Die einzelnen Module sind meist zweitägig und umfassen sehr viel praktische Anleitung und Übung.
Inhalte des Grundkurses im Herbst sind Grundlagen der Schnitt- und Pflegearbeiten an Obstgehölzen, vom Erziehungsschnitt junger Obstbäume bis zum Pflegeschnitt mittelalter Bäume. Folgende Themen werden in Theorie und Praxis behandelt: Geschichte des Obstbaus, Befruchtungsbiologie, Aufbau von Obstbäumen, Baumformen, Unterlagen, Stammbildner, Veredelung, natürliche Kronenentwicklung, Kronengestaltung, Knospen und Triebe, Wachstumsregeln, Schnittwirkung, Schnittarten und Schnittmaßnahmen in Theorie und Praxis, Obstarten, Obstsorten, Baumpflanzung, Werkzeuge, Tätigkeiten und Pflege im Jahreslauf.
Inhalte des darauf aufbauenden Fortgeschrittenenkurses sind ebenfalls Schnitt und Pflege von Obstgehölzen, besonderes Augenmerk liegt auf alten Bäumen. Neue Schwerpunkte in Theorie und Praxis sind außerdem: Vitalitätseinschätzung von alten Obstbäumen und den daraus resultierenden Maßnahmen wie Erneuerungs- oder Entlastungsschnitte, Sortenkunde und Sortenwahl, Einsatz spezieller Werkzeuge, die Obstwiese als „Organismus“, fachgerechtes Anlegen einer Streuobstwiese (Standortwahl, Abstände, Bodenpflege, Düngung usw.)
Das Thema Beerensträucher als früher verbreiteter Bestandteile von Streuobstwiesen steht im Frühjahr auf dem Lehrplan, ebenso ein Kurs zur Veredelung von Obstbäumen.
Im Sommer findet die Unterweisung zum Sommerschnitt statt und es wird Wissen zur Baumgesundheit vermittelt. Ein komplettes Übungswochenende und Coaching im Herbst geht dann der Prüfung voraus.
Die Motive, die die Kursteilnehmer locken, sind recht unterschiedlich: Manch einer möchte die Verpflichtung, für ein ererbtes Baumstück oder ein Naturschutzgrundstück zu sorgen, ernst nehmen und sich fachlich dafür rüsten. Für andere geht die Bedeutung darüber hinaus: Die Beschäftigung mit den alten Bäumen wird als Möglichkeit gesehen, sich in der neuen Heimat zu „verwurzeln“. Andere möchten die Ausbildung zur fachlichen Diskussion und Horizonterweiterung ihrer bestehenden langjährigen eigenen Praxis nutzen.
Das Interesse an den Kursen ist inzwischen recht hoch, die Teilnehmer reisen aus der ganzen Bundesrepublik an. Daher werden ab kommendem Herbst erstmalig zwei Parallelkurse angeboten.
Nähere Infos und Termine sind bei den Verfassern erhältlich.
Literatur
Landschaftspflegeverband Aschaffenburg e.V. (Hrsg., 2011): Pflanzung und Pflege von Streuobstbäumen – Naturgemäßer Obstbaumschnitt von Streuobstbäumen. Aschaffenburg.
Anschrift der Verfasser(in): Barbara Fiselius und Josef Weimer, Landschaftspflegeverband Main-Kinzig-Kreis e.V., Georg-Hartmann-Straße 5–7, D-63637 Jossgrund, Telefon (0 60 59) 90 66 88, E-Mail info@lpv-mkk.de, Internet http://www.lpv-mkk.de.
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