Eingriffsregelung „light“? Bund plant Verordnung zur Kompensation
In Deutschland richtet sich die Zulässigkeit von Eingriffen in Natur und Landschaft seit 1976 nach den Vorschriften der Eingriffsregelung. Sie verlangt, dass die unvermeidbaren Folgen zulässiger Eingriffe bestmöglich kompensiert werden. Das gilt für die Folgen sowohl für die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts als auch für das Landschaftsbild. Beschädigt der Eingriff Naturhaushalt oder Landschaftsbild so schwerwiegend, dass die Folgen nicht mehr behoben werden können, bleibt als Ultima Ratio nur eine Abgabe in Geld, die der Eingriffsverursacher für Zwecke des Naturschutzes und der Landschaftspflege entrichten muss.
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Von der Gesellschaft zur Erhaltung der Eulen
Bisher haben die Bundesländer für die Festlegung von Art und Umfang der Kompensationsmaßnahmen oder auch die Höhe der Ersatzzahlung eigene Vorgehensweisen entwickelt – je nach dem Grad der Qualifizierung in den Bundesländern geeignete und weniger geeignete. Im neuen Bundesnaturschutzgesetz (§ 15 Abs. 7) hat der Gesetzgeber den Bundesumweltminister ermächtigt, diese Dinge in einer Kompensationsverordnung selbst zu entscheiden und auf diese Weise den unterschiedlichen Vorgehensweisen in den Ländern ein Ende zu bereiten. Mit dieser Verordnung hatten Kenner der Materie nicht so rasch gerechnet, zumal sich die 16 Bundesländer in ihren eigenen Vorgehensweisen eingerichtet haben und die Verordnung des Bundes des Einvernehmens mit den Bundesministerien für Landwirtschaft, für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung sowie der Zustimmung des Bundesrates bedarf.
Die Energiewende hat die Bestrebungen zur Vereinheitlichung offenkundig beschleunigt. Jedenfalls kündigt Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) noch für diesen Herbst die Vorlage eines Entwurfs einer Kompensationsverordnung an. Darin soll u.a. geregelt werden, wie man sich die Bewältigung der Eingriffsfolgen etwa infolge neuer Stromtrassen, Windparks oder Freiflächen-Photovoltaikanlagen künftig vorzustellen hat. Eine solche Verordnung muss nicht schlechter sein als manche der bisher in den Bundesländern praktizierten Vorgehensweisen.
Sie muss es nicht, aber sie wird es vermutlich zumindest für einige Bundesländer sein. Denn inzwischen haben Eingriffsverursacher einen enormen Druck gegen die naturschutzrechtlichen Kompensationspflichten aufgebaut. Dieser Druck trifft sich mit den politisierten Forderungen aus der Landwirtschaft, die sich zwar nicht scheut, zu Höchstpreisen Flächen für Infrastrukturprojekte, Gewerbegebiete oder Windparks bereitzustellen, die Inanspruchnahme landwirtschaftlicher Fläche für die gesetzlich geschuldete Kompensation der Schäden an Natur und Landschaft aber als „Flächenverbrauch“ polemisierend ablehnt. Jedenfalls solange ihr nicht auch diese Flächen zu Baulandpreisen abgekauft werden.
Bundesverkehrsminister Ramsauer hat es im Juni in der Neuen Passauer Zeitung auf den Punkt gebracht: „Wenn man für den Bau von Stromleitungen im Zuge der Energiewende auch noch ökologische Ausgleichsflächen schaffen muss, dann ist das völlig kontraproduktiv.“ Kabinettskollege Altmaier dürfte dem zwar kaum zustimmen, sagte aber kürzlich dem Nordkurier: „Die Landwirte sind meine Verbündeten bei der Energiewende. Dazu gehören verlässliche Rahmenbedingungen.“ Angesichts der steigenden Kosten einer in Verzug geratenden kopflosen Energiewende lässt sich die Kritik an Kompensation umso leichter instrumentalisieren.
In Wahrheit liegt der Anteil von Kompensationsmaßnahmen an der landwirtschaftlich genutzten Fläche im Promillebereich, wie beispielsweise kürzlich die Antwort auf eine parlamentarische Anfrage im Bayern bestätigt hat. Die in Deutschland mit Kompensationsmaßnahmen belegte Fläche ist im Übrigen so gering, dass die Landesbehörden für Statistik, die sonst so ziemlich alles Messbare messen, diese Flächen überhaupt nicht erfassen. Auch der Ausbau der Stromnetze oder der regenerativen Energiewirtschaft würde in kaum nennenswertem Umfang Flächen für Kompensation beanspruchen, wie alle bisher realisierten Projekte zeigen. Wo Fläche benötigt wird, kann sie zwanglos bereitgestellt werden. Enteignungen zugunsten von Kompensationsmaßnahmen sind zwar rechtlich möglich, in der Praxis aber eine Ausnahme.
Auch finanziell fallen die Aufwendungen deutlich geringer aus, als sie politisch empfunden und kommuniziert werden. Die Aufwendungen für naturale wie monetäre Kompensation bewegen sich zumeist unter fünf Prozent der Investitionskosten für das Vorhaben an sich. Landschaftsbildschäden durch Freileitungen und Windparks führen in der Regel nicht zu Kompensationsmaßnahmen, sondern zu Ersatzzahlungen, die nicht von vornherein Fläche beanspruchen. Die Erzeugung von Bioenergie vom Acker, die mit massiven negativen Umweltfolgen einhergeht, ist als Teil der „guten landwirtschaftlichen Praxis“ von der Eingriffsregelung sogar komplett ausgenommen.
Die Verordnung des Bundes dürfte als „kleinster gemeinsamer Nenner“ auf ein niedriges Niveau zusteuern. Niedrig, was den Umfang der Kompensation anbelangt, und niedrig, was die fachliche Qualifikation der Methoden anbelangt, anhand derer die Schäden ermittelt und „geheilt“ werden sollen. Zu erwarten sind Verfahren, die Natur und Landschaft lediglich den vier Grundrechenarten zuführen, von einem echten Schadensausgleich aber weit entfernt sind.
Die Chancen, dass etwa das Bundesamt für Naturschutz gegenüber dem Bundesumweltminister noch ein Mindestmaß an fachlich qualifizierter Methode durchsetzen könnte, sind gering. Noch geringer dürften die Bereitschaft und das Vermögen der Umweltverbände sein, dem Bundesamt in dieser Sache zu Hilfe zu kommen. Zumindest die anerkannten Naturschutzverbände nehmen zwar vielfach auf lokaler Ebene Mitwirkungsrechte in Zulassungsverfahren von Eingriffsvorhaben wahr. Versierte Verfechter einwandfreier übergeordneter fachlicher Methoden sind diese Verbände jedoch eher nicht. Zudem verdrängt die Durchsetzung der Energiewende den Anspruch der Eingriffsregelung auch dort längst auf‘s Nebengleis. Hoffnungen können an dieser Stelle auch nicht in die Länderfachbehörden gesetzt werden, deren fachliche Unabhängigkeit in Frage steht und die selbst häufig fachlich fragliche Methoden in der Eingriffsregelung befördert oder sich mit ihnen arrangiert haben.
Der Anspruch der Eingriffsregelung auf Schadensausgleich war von Anfang an immer wieder von Politik und Wirtschaft bestritten worden, aber lange nicht so wie jetzt aus Anlass der Energiewende. Zuletzt hatte die Landwirtschaft ein mehrfaches gesetzliches Berücksichtigungsgebot landwirtschaftlicher Interessen bei der Auswahl von Kompensationsflächen im Bundesnaturschutzgesetz durchgesetzt. Die im Namen der Energiewende zurechtgezimmerte Kompensationsverordnung des Bundes wird diese Privilegien ausbauen und der Eingriffsregelung einen noch weitaus schwereren Schlag versetzen – nämlich in der inneren methodischen Ableitung der Kompensation. Auch das zählt zur „Ökobilanz“ der von den Umweltverbänden unterstützten Energiewende. Die Folgen dieser Wende sollte sich der Deutsche Naturschutztag 2012 durch den Kopf gehen lassen.
Anschrift des Verfassers: Gesellschaft zur Erhaltung der Eulen e.V., Breitestraße 6, D-53902 Bad Münstereifel, E-Mail egeeulen@t-online.de .
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