20 Jahre Natura 2000 – Zeit für eine Qualitätsoffensive
Wo stünde der Naturschutz heute ohne das europäische Schutzgebietsnetz Natura 2000, ohne FFH- und Vogelschutz-Richtlinie? Gründe zur Klage über den desolaten Zustand der Biodiversität gibt es zu Hauf. Aber ohne FFH-Richtlinie, die vor genau 20 Jahren am 21. Mai 1992 erlassen wurde, wäre die Situation weit schlimmer.
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Die Grundgedanken sind heute noch so aktuell wie damals: Der Gebietsschutz fokussiert auf Lebensraumtypen, die von besonderer fachlicher Bedeutung sind. Ergänzt werden diese durch ein Set an Arten, deren Ansprüche sich in den ausgewählten Biotopen nicht ausreichend widerspiegeln. Schutzgebiete fügen sich in ein funktionales Netz. Ein günstiger Erhaltungszustand der Lebensraumtypen und Anhangsarten ist das Ziel – im Rahmen einer Berichtspflicht gegenüber der Europäischen Kommission ebenso nachzuweisen wie die ergriffenen Maßnahmen. Und wenn Planungen das Natura-2000-Netzwerk oder Anhangsarten betreffen, so sind ihre Auswirkungen auf den Prüfstand zu stellen.
Warum also wurde das 2010-Ziel trotz dieser hehren Ansprüche haushoch verfehlt, weshalb schrumpfen die Roten Listen nicht? Dreierlei Gründe seien herausgegriffen: mangelnde fachliche Qualität, zu geringe finanzielle Ressourcen und fehlende Querschnittspolitik.
Die Qualität: Zu stark spielte bei der Gebietsauswahl die Zufälligkeit mit, zu wenig systematisch wurde gemeldet. Retten, was zu retten ist – als erster Schritt nötig und verständlich, aber solche Restflächenverwaltung allein genügt nicht. Es fehlt der strategische Entwicklungsaspekt, indem wissenschaftlich begründet Populations- und Flächengrößen, Verbunddistanzen, Korridore abgeleitet werden. Das erst verdeutlicht die Lücken im System, die es durch gezielte Maßnahmen zu schließen gilt.
Mangelnde Qualität auch im Kontext der FFH-Verträglichkeitsprüfung: So korrekt das einzelne Verfahren auch absolviert wird, es fehlt die Bilanz der Summationswirkung. Jeder einzelne Windpark für sich genommen schadet Rotmilan, Schwarzstorch und Abendsegler vielleicht nicht. Unter dem Strich aber werden die Populationen irgendwann doch so eingeengt sein, dass die Grenzen der Überlebensfähigkeit unterschritten sind. Oder die Vogelzugwege so abgeschnürt, dass es kein Ausweichen mehr geben kann. Oder der Maisanbau so flächenintensiv, dass der stumme Frühling im Ackerland großflächig Realität ist.
Die Finanzen: Ja, die Bundesländer planen munter ihre Managementpläne. Lassen wir ihre quälend langen Entstehungszeiten und ihre Qualitäten mal unbeachtet. Denn viel gravierender ist, dass aus den Plänen in aller Regel gar nichts folgt: Die Planung bindet die finanziellen Ressourcen im Naturschutzetat der Länder, aber Umsetzung? Fehlanzeige: Die Kassen der Länder sind leer, der Bund springt nur punktuell fördernd in die Bresche, und das EU-Förderprogramm Life+ als einziges europäisches Finanzierungsinstrument für den Natur- und Umweltschutz ist chronisch unterfinanziert. Mindestens 1 % des EU-Etats wäre notwendig, um wenigstens 10 bis 20 % der Kosten von Natura 2000 zu decken; ganze 0,3 % sind ab 2014 p.a. einschließlich Klima- und Umweltschutz vorgesehen (Naturschutz und Landschaftsplanung 2/2012, S. 34). Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) beansprucht hingegen 40 % des Gesamtetats.
Die Politik: Naturschutz funktioniert nur als Querschnittsaufgabe, als Bestandteil aller anderen Fachpolitiken. Solange es nicht gelingt, Naturschutz in die Agrar-, Verkehrs-, Industrie- und Klimapolitik und alle anderen Politikfelder wirklich zu integrieren, müssen die in den engeren Naturschutz investierten Energien weitgehend erfolglos verpuffen.
Europäischer Naturschutz braucht ein starkes Europa. Vogelschutz- und FFH-Richtlinie sind die Grundpfeiler, unverzichtbar. Aber 20 Jahre Natura 2000 sollten Anlass sein, als nächste Stufe eine Qualitätsoffensive zu starten: Für einen wirklichen Erfolg, um das 2020-Ziel zu erreichen, braucht es einen neuen Meilenstein – mehr Qualität, mehr Geld und mehr Integration des Naturschutzes in alle Politikbereiche. Auch mit dem vorliegenden Heft liefert unsere Zeitschrift fachliche Grundlagen dafür: Extensivgrünland in der GAP, Ökosystemleistungen in der Landschaftsplanung, Natura 2000 im Klimawandel, Ökolandbau in der Kompensation.
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