Wie teuer ist ein Blaukehlchen? - Eine Replik
Zu dem Beitrag „Wie teuer ist ein Blaukehlchen? Der ökonomische Wert wild lebender Vögel – eine exemplarische Wertermittlung“ von Olaf Miosga in Naturschutz und Landschaftsplanung 43, Heft 5/2011, Seiten 147-153, soll nicht unwidersprochen bleiben.
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Auch Ökonomie ist eine Wissenschaft
Von Ulrich Hampicke
Mein verehrter Lehrer in Bodenkunde, Professor B., sagte einst mit Recht: Wer nicht die Bodenkunde von der Pike auf gelernt und mindestens zehn Jahre betrieben hat, habe in Fachfragen noch nicht mitzureden. Kam das Thema dann einmal von der Bodenkunde zur Ökonomie, dann hatte Bodenkundler Professor B. (weniger zu Recht) als Erster eine Meinung, wusste alles besser und ließ sich durch nichts belehren.
Wie die Ausführungen von Olaf Miosga im genannten Beitrag „Wie teuer ist ein Blaukehlchen?“ belegen, scheint noch immer die Meinung zu herrschen, dass man Naturwissenschaften lernen muss, Ökonomie aber nicht; hier dürfe jeder nach Belieben drauflos plaudern. Ich versuche, aus dem Begriffs- und Zahlenwirrwarr in diesem Beitrag einige der gröbsten Fehler zu korrigieren, wobei ich aus Grün-den des Umfangs lediglich die einfachsten Konzepte unter denen heranziehe, die unsere Studierenden im Studiengang Landschaftsökologie und Naturschutz an der Universtät Greifswald im Fach Landschaftsökonomie beherrschen müssen.
Gleich im Abstract (S. 147) heißt es, „Dass wilde Tiere einen realen Wert haben, ergibt sich z.B. aus den Kosten von Auswilderungsprogrammen.“ Entsprechend im Text weiter unten: „Diese Kosten können dann als Maßstab angesetzt werden, was ein Tier in einem planerisch ungünstigen Fall wert ist. Anders formuliert können diese Kosten den ökonomischen Wert einer Art bzw. eines Individuums einer Art beschreiben“ (S. 148).
Wert und Kosten differenzieren
Der Wert von etwas ergibt sich in keiner Weise aus seinen Kosten. Nach der Wende wurde fast die gesamte Industrie der DDR geschleift – weil sie wertlos war, weil man auf dem Weltmarkt nichts mehr mit ihr anfangen konnte. Die Kosten ihrer Errichtung waren aber immens – Millionen Werktätige haben sie in harter Arbeit geschaffen. Picasso zauberte in Sekunden eine Zeichnung, die nun im Museum Millionen wert ist – zu Kosten von nahe Null.
Der Wert einer Sache ergibt sich daraus, wie diese Sache geschätzt, wie sie eben bewertet wird, was man mit ihr anfangen kann, was andere dafür hergeben würden, um sie zu besitzen oder zu genießen. Das hat mit den Kosten überhaupt nichts zu tun. Wie man den Wert von Vögeln ermitteln kann, dazu mehr unten. Die ständige Verwechselung von Wert und Kosten in den Artikel demonstriert schon einmal oberflächlichen Begriffsgebrauch. Allenfalls kann man sagen: Wenn Kosten eines Auswilderungsprogramms in Höhe von X eingegangen und solch ein Programm durchgeführt wird, dann ist dessen Ergebnis denen, die das Programm durchführen und bezahlen (oder bezahlen lassen), offensichtlich die Kosten wert, andernfalls würden sie es nicht tun. So genau muss man sich ausdrücken. Andere können die Maßnahme ganz anders bewerten, entweder noch höhere Kosten einzugehen verlangen oder das Programm als seine Kosten nicht wert ablehnen.
Der Autor mag nun – was in der Naturwissenschaft unmöglich wäre – zugeben, dass er sich zwar ungenau ausgedrückt habe, dass ein kluger Leser aber wisse, was er meine und darauf komme es doch an. Lassen wir uns darauf ein und betrachten wir das kleine Rechenbeispiel auf S. 148: In der überschlägigen Kostenermittlung zum Ausgleich eines Kiebitz-Brutpaares (Tab. 1) wird ein Bodenpreis von 35000 €, ein Preis für die Graseinsaat von 5000 € und für die Anlage einer Blänke von 2600 € pro Hektar, mithin zusammen 42600 € für einen Hektar und damit auch für ein Kiebitz-Brutpaar angesetzt. „Ein einzelnes Kiebitz-Brutpaar hat somit einen ökonomischen Gegenwert (was ist das? U.H.) von 42600 € …“.
Blicken wir uns diese Rechnung näher an; es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder handelt es sich um eine volkswirtschaftliche Rechnung im Sinne einer Kosten-Nutzen-Analyse nach der einschlägigen Kostendefinition des Lehrbuches („Kosten stellen den mit Preisen bewerteten Verzehr von Produktionsfaktoren dar“, Wöhe & Döring 2000: 376) oder es handelt sich um eine Aufstellung des Finanzierungsbedarfs. Das sind zwei völlig verschiedene Dinge.
Finanzierungsbedarf statt Effizienzpreisen
Warum hat der Acker einen Wert (auch hier Wert, nicht Herstellungskosten!) von 35000 €, warum gibt der Bauer ihn nicht für weniger her? Weil ihm alle dessen künftigen Erträge und Nutzenstiftungen, einschließlich ideeller Art, auf einen Gegenwartswert (Barwert oder Present Value) bezogen, so viel wert sind. Auf die einschlägigen Rechenverfahren dazu gehen wir hier nicht ein. Zum künftigen Nutzen des Bauern gehört auch die Aussicht auf eine jährliche Prämie der Ersten Säule der Gemeinschaftlichen Agrarpolitik von über 300 € pro Hektar. Das treibt gemeinsam mit anderen Einflüssen (z.B. dem Erneuerbare-Energien-Gesetz) den Ackerpreis in die Höhe. Die Ackerpreise sind unnatürlich hoch und keine (in der Fachsprache) Effizienzpreise. Also eine volkswirtschaftlich korrekte Kostenrechnung liegt hier schon mal nicht vor. Interpretieren wir die Sache als Ermittlung eines Finanzierungsbedarfs, wo verzerrte Preise und Transferzahlungen, so wie sie sind, Berücksichtigung finden müssen.
Besitzt das Grünland denn gar keinen Wert? Im Münsterland mag es billiger als Acker sein, aber sein Wert ist sicherlich nicht Null, besonders nicht, wenn es nach 2013 auch eine Flächenprämie von etwa 300 € pro Hektar und Jahr genießt. Wenn hier schon mit Kaufpreisen argumentiert wird, dann hätte der Grünlandpreis dagegen gehalten und die Differenz aus Acker- und Grünlandpreis herangezogen werden müssen.
Der Grünlandpreis ergibt sich aus denselben Prinzipien wie der Ackerpreis, ist aber schwieriger zu berechnen. Der Aufwuchs ist meist kein Produkt mit einem Marktpreis, sondern besitzt einen innerbetrieblichen Wert, der mit besonderen Methoden ermittelt werden muss. Wenn es sich wirklich um Extensivgrünland handelt (was auf lange Zeit hochgedüngten Ackerflächen nicht so einfach zu entwickeln ist), ist der Aufwuchs für laktierende Milchkühe im Allgemeinen nicht geeignet, sondern nur für Färsen, Fleischrinder (Mutterkühe) und Pferde. Im Beitrag Rühs et al. (2005) in dieser Zeitschrift ist detailliert die Ökonomie der Mutterkuhhaltung erörtert worden. Dort ist nachzulesen, dass sie an Kosten und Marktpreisen gemessen völlig unrentabel ist und nur von der Förderung lebt. Trotzdem – irgendeinen Preis wird das Extensivgrünland im Münsterland haben, und der hätte berücksichtigt werden müssen.
Verträge statt Kauf
In der Finanzierungsrechnung tauchen zwei Fragen auf: Wieso muss der Hektar überhaupt dem Bauern abgekauft werden? Man könnte auch (wie es gottlob in NRW und anderen Bundesländern geschieht) Verträge mit den Bauern schließen. Es ist gar nicht gut, so viel Boden herauszukaufen, weil das die Preise weiter antreibt. Wie viel würde das Kiebitzpaar in einer Vertragslösung kosten? Übrigens hätten wir hier ein hervorragendes Beispiel für eine Anwendung der produktionsintegrierten Kompensation, vgl. die Beiträge Czybulka et al. (2009) und Druckenbrod et al. (2011) in dieser Zeitschrift sowie Czybulka (2011). Damit erreichte man das Ziel viel billiger und fachlich einwandfrei ausgeführt.
Zweitens: Das Grünland muss gepflegt werden. Vielleicht wünscht der Landschaftsplaner zugunsten des Kiebitzes gar keine richtige landwirtschaftliche Folgenutzung, dann muss gemäht und das meist wertlose Mähgut entsorgt werden. Das wäre eine schlechte Lösung. Der Kiebitz ist eine Art der traditionell genutzten Kulturlandschaft. Um ihn zu fördern, wäre es besser, die traditionelle Kulturlandschaft in hinreichendem Maße wiederherzustellen als einen geplanten Kunstbiotop. Wenn man diesen aber schon plant – wo sind dessen Kosten und Folgekosten berücksichtigt?
Im Münsterland gibt es viel Reitsport. Ein guter Landwirt würde das spät geschnittene Mähgut vom Extensivgrünland als Heu für die Pferdehalter verkaufen, die solches Heu, anders als Milchkuhhalter, schätzen. Diese lukrative Alternative geht auch nicht in die Rechnung ein. Der Beitrag zeigt also nicht nur Mängel bezüglich ökonomischer Grundbegriffe, sondern ist auch wenig beschlagen von landwirtschaftlicher Praxis.
Nicht nur der Kiebitz
Wir haben ein Zurechnungsproblem. Die Umwandlung von Intensivacker in Extensivgrünland (wenn sie gelingt) dient nicht nur dem Kiebitz, sondern auch zahlreichen anderen Organismen und abiotischen Zielsetzungen (z.B. der Kohlenstoffspeicherung). Die Kosten der Umwandlung (korrekt errechnet) stiften also einen größeren Nutzen, als allein dem Kiebitz Lebensraum zu geben. Das muss erwähnt werden, sonst wird der Kiebitz „zu teuer“ verrechnet. Man könnte daran denken, die Kosten den einzelnen Nutzenkomponenten zuzuschreiben, jedoch hat sich solches immer als willkürlich und unbefriedigend erwiesen. Es ist nicht falsch, alle Kosten (korrekt errechnet) dem Kiebitz als Zielart zuzurechnen. Jedoch muss dann erwähnt werden, dass zahlreiche weitere ökologische Nutzenkomponenten im Kielwasser „umsonst“ mitgefördert werden.
Selbst wenn man die Begriffsverwechselung von Wert und Kosten hintanstellt und die Rechnung richtig als das versteht, was sie sein will, nämlich die Ermittlung der Kosten der Umwandlung eines für den Kiebitz nicht geeigneten Biotops in einen geeigneten – selbst dann ist die Rechnung wegen der vielen Versäumnisse wertlos. Man wagt gar nicht, die Zahlen für die Brutpaare anderer Vogelarten in Tab. 3 (z.B. 220000 € für den Goldregenpfeifer) unter der angegebenen Internetadresse nachzuprüfen.
Findet sich für den Kiebitz im Text hier und da beiläufig der korrekte Hinweis, dass es um die Kosten der künstlichen Herstellung seines Lebensraums in intensiv bewirtschafteten Landschaften („in einem planerisch ungünstigen Fall“) geht, so geht diese Relativierung für den nicht so gründlichen Leser besonders in der Tab. 3 völlig verloren. Dort heißt es lapidar „ökonomischer Wert eines Brutpaares“, also der Wert jedes Brutpaares. Es soll Kiebitze geben, die in schon vorhandenen geeigneten Biotopen brüten; der Leser muss wähnen, dass auch hier ein Paar 42600 € kostet. Für den Kranich werden 50000 € angegeben. Der hat sich als Brutvogel in Mecklenburg-Vorpommern sehr erfreulich vermehrt, ohne dass jemand diesen Betrag ausgegeben hätte. Der Seeadler soll 90000 € kosten. In Wirklichkeit braucht man ihn nur in Ruhe zu lassen und nicht zu vergiften und abzuschießen.
Abenteuerliche Zahlen
Der Artikel ist voll abenteuerlicher Zahlenwerte, weil Planungsbüros zu wenig Kontakt zur land- und forstwirtschaftlichen Praxis haben und mit den sehr hohen Preisen von Garten- und Landschaftsbau-Unternehmen und -Behörden rechnen. Eine Neuansaat von Dauergrünland kostet nach KTBL (2009: 403) nicht 5000 € pro Hektar, wie in Tab. 1 angegeben, sondern höchstens 385 €. In Tab. 2 kostet die Begründung eines Hektar Waldes 90000 €. Ziehen wir (sehr) großzügig 20000 € für den Landerwerb ab, so verbleiben 70000 €. Für die Endnutzung eines Hektars hiebreifer Eichen (teuerste der Hauptbaumarten) erhält man erntekostenfrei um 47000 € (Haub & Weimann 2000), vielleicht heute etwas mehr. Glaubt man wirklich, dass ein Forstunternehmen einen Wald für 70000 € begründet, um ihn 100 Jahre später für 50000 € zu ernten? Ist es erlaubt, die Leserschaft der Zeitschrift so in die Irre zu führen, indem Kosten um den Faktor 10 verfälscht angegeben werden? In Mecklenburg-Vorpommern wird (etwa bei Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen) ein Hektar Eiche mit 7000 bis 8000 € begründet. Auch das kann man als zu teuer kritisieren; ein im Zuge der natürlichen Sukzession entstehendes Birkenwäldchen ist nach 20 Jahren wunderhübsch, enthält gutes Brennholz und kann später sogar Wertholz liefern – zum Preis von Null.
Schließen wir mit einigen Bemerkungen zum wirklichen ökonomischen Wert von Individuen, Arten oder anderen Elementen der Natur. Darüber hinaus gibt es mehrere ethische Wertkategorien (Hampicke 1993). Wie der Autor zu Beginn richtig feststellt, können sie einen Materialwert wie jede Ware besitzen. Auch Individuen zu besitzen wird (nicht selten illegal) nachgefragt; hier sind ebenfalls Marktpreise als erste Näherung für ihren Wert anzusetzen. Die immateriellen direkten Nutzenstiftungen (das Singen der Nachtigall) sind dagegen meist Kollektivgüter, so dass keine Marktpreise existieren. Hier muss die Zahlungsbereitschaft nach diesem Erlebnis ermittelt werden. Methoden existieren; keine davon ist perfekt, so dass es eine intensive analytische Debatte unter Fachleuten über ihrer Validität und meist verständnislose Ablehnung unter Laien gibt. Elemente der Natur können auch Bestandteil der technischen Infrastruktur sein; ein Wasserlauf oder eine feuchte Wiese können Abwasser klären. Hier ist der Ersatzkostenwert zu kalkulieren, also die Kosten, die durch die Gratisleistung der Natur an technischer Infrastruktur (z.B. Klärkapazität) eingespart werden. Das hat sich als begrifflich elementar, in der Durchführung im Detail jedoch als mühselig erwiesen. Zu bewerten ist eben doch nicht so einfach!
Literatur
Czybulka, D. (Hrsg., 2011): Produktionsintegrierte Kompensation. Broschüre, Greifswald, 54 S.
–, Hampicke, U., Litterski, B., Schäfer, A., Wagner, A. (2009): Integration von Kompensationsmaßnahmen in die landwirtschaftliche Praxis. Naturschutz und Landschaftsplanung 41 (8), 245-256.
Druckenbrod, C., van Elsen, T., Hampicke, U. (2011): Produktionsintegrierte Kompensation: Umsetzungsbeispiele und Akzeptanz. Naturschutz und Landschaftsplanung 43 (4), 111-116.
Hampicke, U. (1993): Naturschutz und Ethik – Rückblick auf eine 20jährige Diskussion, 1973-1993, und politische Folgerungen. Zeitschrift für Ökologie und Naturschutz 2, 73-86.
Haub, H., Weimann, H.J. (2000): Neue Alterswertfaktoren der Bewertungsrichtlinien. Allgemeine Forst-Zeitung 22, 1194-1198.
KTBL (Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft, 2009): Faustzahlen für die Landwirtschaft. 14. Aufl., Darmstadt.
Rühs, M., Hampicke, U., Schlauderer, R. (2005): Die Ökonomie tiergebundener Verfahren der Offenhaltung. Naturschutz und Landschaftsplanung 37 (11), 325-335.
Wöhe, G., Döring, U. (2000): Einführung in die allgemeine Betriebswirtschaftslehre. München.
Anschrift des Verfassers: Prof. em. Dr. Ulrich Hampicke, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät und Botanisches Institut, Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Grimmer Straße 88, D-17487 Greifswald, E-Mail hampicke@uni-greifswald.de .
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