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Editorial

Ehrlichkeit statt Wolkenkuckucksheim

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„Lügen habe kurze Beine.“ Und: „Ehrlich währt am längsten.“ Sprichworte wie diese sind Erfahrungssätze des Volksmunds. Oft über Jahrhunderte überliefert, besitzen sie einen wahren Kern. Auch in der Umweltplanung: Leider sagt die Erfahrung, dass ­Gegner wie Befürworter von Bauvorhaben vielfach maßlos übertreiben. Einige Jahre, nach­dem eine Planung abgeschlossen und Baumaßnahmen realisiert sind, einen Blick zurückzuwerfen, lohnt allemal. Erfolgskontrolle nennt sich das – nicht allein wichtig (und meist vergessen) für die naturschutzrechtliche Kompensation, sondern auch in Bezug auf die Erreichung der eigentlichen Planungsziele und -prognosen.

Stichwort „Avantis“: Die fast vergessene Industrieruine auf der Grenze titelte die Aachener Zeitung. Dieses sei „ein kleines Stuttgart 21“ gewesen, in den 90er-Jahren ein Reizthema und wahrscheinlich das umstrittenste Gewerbegebiet Europas. Das deutsch-niederländische Areal von 100ha Größe sollte 10000 bis 12000 Arbeitsplätze schaffen. Weit mehr als 50 Mio.€ an Steuergeldern flossen in die Verwirklichung des Gewerbegebiets.

Und heute? Genau zehn Jahre nach Eröffnung des „europäischen Vorzeigeprojekts“ stehen ganze vier Gebäude, es sind gerade 5 % des Areals bebaut. Nach offiziellen Angaben sind 700 Arbeitsplätze entstanden – ob tatsächlich neu geschaffen oder nur verlagert, ist nicht bekannt. Das sind 6 bis 7 % der Prognose. Kann man ehrlich so daneben liegen?

Auch der Feldhamster erlangte in den Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Befürwortern des Gewerbegebiets bereits vor zwei Jahrzehnten juristische Berühmtheit: Jahrelang wurde vor Gericht über seine Existenz gestritten. Schon damals war er nur Stellvertreter, ein Instrument zur Verhinderung: Es ging weniger um Artenschutz als um die Identifikation eines Hebels, um das Projekt aus den Angeln zu kippen. Wie heute der Eremit im Fall von „Stuttgart 21“: Er brachte es mit Foto sogar als Aufmacher auf die Titelseite der Frankfurter Rundschau, garniert mit dem Songtext „Karl der Käfer wurde nicht gefragt, man hatte ihn einfach fortgejagt“. So textete 1983 die Kölner Gruppe Gänsehaut vermutlich unter dem Eindruck der massiven Bürgerproteste gegen den Bau der Startbahn West am Frankfurter Flughafen Ende der 70er- und Anfang der 80er-Jahre.

Proteste damals wie heute sind – unabhängig vom Für und Wider in der Sache – ein Merkmal der Demokratie. Heiner Geißler hat in seinem Schlichterspruch in der Diskussion um Stuttgart 21 klargestellt, dass Projekte dieser Dimension künftig eine weit stärkere Bürgerbeteiligung benötigen. „Die Welt nach Stuttgart 21 sieht anders aus“, erklärte er: „Die Politik wird gezwungen sein, nicht nur die technologischen und ökonomischen Vorteile zu sehen, sondern auch die Auswirkungen auf die Menschen zu berücksichtigen.“

Mehr Offenheit und Ehrlichkeit sind also gefragt. Und dazu gehört auch, Chancen und Risiken von Projekten offen und ehrlich zu beleuchten. Die Bilanz von „Avantis“ in Aachen trägt ganz sicher nicht zur Vertrauensbildung in Prognosen bei. Politiker haben den Menschen dort offensichtlich ein Wolkenkuckucksheim versprochen, ein Luftschloss.

Schärfer wird auch der Ton in der Bevölkerung bei der Planung von Windparks. Die Rolle von Feldhamster und Eremit übernehmen hier Rotmilan und Fledermäuse. Für Letztere fehlt es, gerade bei Anlagen mit der aktuellen Narbenhöhe von 138 m und Gesamthöhe von 180 m und bei Standorten im Wald, ganz offensichtlich an probaten Erfassungsmethoden: Batdetektoren am Boden können das Artenspektrum in Rotorblatthöhe gar nicht erfassen. Alternativen unter Verwendung eines Heliumballons stellt der erste Hauptbeitrag vor. Ehrlichkeit in diesem Punkt heißt auch, die verfügbaren Untersuchungsmethoden nach aktuellem Stand der Technik einzusetzen – auch wenn diese aufwändig sind. In Relation zu den Summen, die in der Windbranche verdient werden – leider meist nicht durch die Bevölkerung, welche den Anblick der Windräder täglich tolerieren muss –, bleiben das dennoch bescheidene Beträge.

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