RegioZert® – ein Zertifizierungssystem für regionales Saatgut
Bereits Trautmann & Lohmeyer (1975) wiesen auf die Gefahr hin, dass bei der Aussaat von Saatmischungen „nicht autochthone Samen in allen Gebieten ausgebracht werden und es damit zu einer unkontrollierten Verbreitung von fremder Ökotypen und Kleinarten oder sogar von Importsaatgut mit fremden Arten kommt“. Erste Auffälligkeiten in der genetischen Andersartigkeit der fremden Herkünfte zeigten sich in den 1970er-Jahren, besonders in den Blumenwiesenmischungen, die nicht beständig waren und vor allem mit der Überwinterung Probleme hatten. Skirde (1984) bemängelt u.a. die Artenechtheit bei Fertigmischungen.
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Ergebnis des Dialogs zwischen Naturschutz und Saatgutbranche
Mit der Unterzeichnung der Konvention von Rio 1992 und den beginnenden Autochthoniebestrebungen vor fast 20 Jahren wurde auch die Forschung dazu bewogen, in die Beweisführung zu gehen. Genetische Untersuchungen an Kleinsippen und Ökotypen wurden durchgeführt, die Auswirkungen der Vermehrungsmethode auf Wildpflanzen wurden unter die Lupe genommen und Begrünungsmaßnahmen mit gebietseigenem Saatgut untersucht.
Die Ergebnisse zeigten, dass höchste Sensibilität bei den zu verwendenden Arten angezeigt ist, die Arten auf den Vermehrungsflächen die größtmögliche innerartliche Vielfalt aufweisen sollten und die mit solchem Saatgut begrünten Flächen, trotz höheren Preises, wirtschaftlich und hinsichtlich Nachhaltigkeit den herkömmlichen Saatgutmischungen überlegen sind.
Kontroverse und Dialog
Mit diesen Ergebnissen im Gepäck legte der Naturschutz für die Begrünung in der freien Landschaft die Messlatte für die Zulassung von gebietseigenem Saatgut sehr hoch. Viel zu kleine Herkunftsregionen, mitunter auf Gemeindeebene, mit zu geringer Nachfrage nach gebietseigenem Saatgut wurden gefordert. Gängige Arten, unentbehrlich, weil zuverlässige Begrüner im Landschaftsbau, kamen auf Grund ihrer Kleinsippenproblematik auf den Index. Eine Zertifizierung wäre unter diesen Vorgaben nicht möglich gewesen. Eine der gravierenden Folgen dieser Vorgaben wäre ein sehr hoher Preis für dieses Saatgut gewesen, den niemand und schon gar nicht der Landschaftsbau bezahlt hätte.
Die ingenieurbiologische Leistungsfähigkeit, wie Keimverhalten, Wüchsigkeit, Narbenbildung und Wurzelentwicklung der zugelassenen Alternativarten, war und ist unbekannt. Sämtliche DIN-Verordnungen über die Abnahmefähigkeit von eingegrünten Flächen beziehen sich auf die bekannten Wuchseigenschaften der Zuchtsorten. Die Wuchseigenschaften vieler Wildarten in ihrer Eignung für den Landschaftsbau sind nicht bekannt. Die Empfehlungen der FLL (Forschungsgesellschaft für Landschaftsentwicklung und Landschaftsbau) für Rasenmischungen und Bauwerksbegrünungen basieren auf Wuchseigenschaften von Pflanzen, die sich seit Jahrzehnten im Landschaftsbau bewährt haben, u.a. eben diese, die auf dem Index stehen.
In den Sitzungsrunden des Arbeitskreises „Autochthones Saatgut“ in Hannover von 2003 bis 2007 und gleichzeitig auf Länderebene, vor allem im Bayern im Arbeitskreis zur Zertifizierung von Wildpflanzensaatgut, wurden die ersten Kompromisse errungen: Die Herkunftsregionen wurden vergrößert, die Ausarbeitung einer Positivliste der verwendungswürdigen Arten je Region begonnen.
Diese Liste existiert für Bayern seit 2005 und soll nachfolgend, durch ein von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt gefördertes Projekt, für das gesamte Bundesgebiet ab 2010 für insgesamt 22 Herkunftsregionen zur Verfügung stehen. Um die Handlungsfähigkeit der Firmen zu erhöhen, wurden die Herkunftsregionen zu acht Produktionsräumen zusammengefasst, d.h. die Vermehrung des Wildsaatguts muss nicht in der jeweiligen Herkunftsregion stattfinden, sondern darf unter genauen Vorgaben in definierten Produktionsräumen durchgeführt werden.
Die hohe Zahl an Herkunftsregionen ist dennoch nur realisierbar, wenn konzeptionell die Artenzahl der zu vermehrenden Arten eingeschränkt wird. Das hat zwei Vorteile:
(1) Aus der Vielfalt der Positivliste werden diejenigen Arten mit dem größten Potenzial an Wuchsfreudigkeit, Anbaufähigkeit und ökologischer Amplitude ausgesucht, um in der Artenauswahl regionalspezifische aber standardisierte Mischungen (Regio-Mischungen) anbieten zu können. Das erhöht auch die Transparenz für Planer und Umsetzer.
(2) Die geringere Zahl von vermehrten Arten senkt das Risiko einer Verfälschung (die Zulassung der Arten in die Positivliste spiegelt nur den Ist-Zustand der Forschung wider und unterliegt der Veränderung).
Ergebnisse
Für das Zertifizierungssystem des BDP RegioZert® ( http://www.bdp-online.de/de/Branche/Saatguthandel/RegioZert/ ) ergeben sich die Anforderungen für eine Qualitätssicherung und Zertifizierung von gebietseigenem Saatgut im Hinblick auf den Produktionsprozess aus den Naturschutzgesetzen. Dies beginnt mit der Sammlung von Wildpflanzensamen in einem definierten Herkunftsgebiet und umfasst auch die Sicherung der Produktqualität im Produktionsbetrieb.
RegioZert® entstand vor allem unter dem Einfluss der strengen bayerischen Vorgaben, die für die Anerkennung von Regio-Saatgut an folgende Bedingungen geknüpft wurden:
Wahrung der innerartlichen Vielfalt: Daraus entstand bei RegioZert® ein genetisches Populationsmanagement mit genauen Vorgaben über Anzahl der Vermehrungsgenerationen, der Anzahl der Beerntungsstandorte und der Mindestindividuenzahl bei der Bestandsgründung auf der Vermehrungsfläche.
Anzahl der Beerntungsstandorte: Bei herkunftsregionsweit einsetzbaren Arten Sammlung des Ausgangssaatguts an mindestens fünf bis 20 Standorten pro Region zur Abbildung möglichst großer genetischer Bandbreite.
Mindestindividuenzahl bei der Vermehrung: Anbau von mindestens 1000 Individuen aus den verschiedenen Aufsammlungen pro Region auf einer Vermehrungsfläche zur Ermöglichung eines genetischen Austauschs.
Auffrischung mit Wildmaterial gegen Einengung des genetischen Spektrums durch die Bewirtschaftungsmethode: bei Fremdbefruchtern ab der Enkelgeneration der wild wachsenden Stammpflanzen (F 2), bei einjährigen Arten ab F 5 und bei Stauden ab F 3.
Aufzeichnungen: Verpflichtung des Produktionsbetriebs zur Erstellung von Aufzeichnungen, die eine Prüfung der Anwendung der o.a. Grundsätze ermöglichen.
Für RegioZert® wird das Ausgangssaatgut von speziell ausgebildetem Personal gesammelt, die gleichzeitig die Regionalvertretung übernehmen und die vermehrenden Betriebe betreuen. RegioZert® bildet die Grundlage für eine Qualitätssicherung, die sowohl den Anforderungen des Naturschutzes – Rückverfolgbarkeit des gebietseigenen Saatguts von der Handelsware bis zur Sammlung in der jeweiligen Herkunftsregion – Rechnung trägt als auch für den Käufer und Anwender von gebietseigenem Saatgut eine verlässliche Saatgutqualität gewährleistet.
Anforderungen des Landschaftsbaus
Zur Sicherung der ingenieurbiologischen Leistungsfähigkeit der Regio-Mischungen wurde in einem Kompromiss mit dem bayerischen Naturschutz unter dem Begriff „teilautochthone Mischungen“ den Anforderungen im Landschaftsbau Rechnung getragen. Dem Anteil der Gräser dürfen in diesen Mischungen definierte und bewährte Zuchtsorten, basierend auf alten Landrassen, beigefügt werden. Die Zusammensetzung dieser Mischungen ist unter http://www.stmug.bayern.de/umwelt/naturschutz/autochthon/hinwplan.htm einsehbar.
Europa und die Zukunft
Derzeit wird im Ständigen Ausschuss für das landwirtschaftliche, gärtnerische und forstwirtschaftliche Saatgut bei der EU-Kommission der Entwurf einer Richtlinie zum Inverkehrbringen von Saatgut und Saatgutmischungen im Hinblick auf die Erhaltung pflanzengenetischer Ressourcen beraten. Erste Tendenzen deuten darauf hin, dass für zukünftig zu erstellende Saatgutmischungen aus Wildpflanzenkomponenten eine Meldepflicht zur Auflage wird. Die Struktur und Vorgaben im Zertifizierungssystem RegioZert® stehen damit im Einklang mit den möglichen zukünftigen Richtlinien der EU und gehen in manchen Punkten noch darüber hinaus.
Die Bereitschaft des BdP (Bundesverband deutscher Pflanzenzüchter, Abteilung Handel), die vergleichsweise kleinräumigen Vorgaben des DBU-Projekts und einzelner Länder in die Umsetzung zu nehmen, resultiert aus der bereits 2003 gestarteten Machbarkeitsstudie einzelner Firmen, die quasi im Probelauf und unter den strengen Vorgaben des Naturschutzes die Produktion von Regio-Saatgut starteten. Die darin gewonnenen Erfahrungen über Aufwand und Ergebnis spiegeln sich in RegioZert® wider.
Im Gegensatz zur Baumschulbranche bietet sich nun auf dem Saatgutsektor die einmalige Chance, bundesweit ausreichend gebietseigenes Saatgut anbieten zu können, um gemeinsam mit (noch zu schaffenden) straffen Umsetzungsvorschriften der Länder den Einsatz von Importware einzuschränken.
Über RegioZert® lassen sich inzwischen Firmen im ganzen Bundesgebiet zertifizieren, auch um in Zukunft nach Überarbeitung des Saatgutverkehrsgesetzes durch die EU-Kommission handlungsfähig zu sein.
Literatur
Skirde, W. (1984): Rasen oder Blumenwiese. Ökologische Möglichkeiten und Grenzen aus vegetationstechnischer Sicht. Neue Landschaft 29/2, 427-442.
Trautmann W., Lohmeyer, W. (1975): Zur Entwicklung von Rasenansaaten an Autobahnen. Natur und Landschaft 50 (2), 45-48.
Anschrift der Verfasserin: Dipl.-Biol. Kornelia Marzini, Saaten-Zeller, Erftalstraße 6, D-63928 Riedern, E-Mail marzini@saaten-zeller.de, Internet http://www.saaten-zeller.de.
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