Neue Rechtsurteile
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Kommentiert von Matthias M. Möller-Meinecke
Einstweilige Unterschutzstellung
Der 4. Senat des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg hat die Voraussetzungen für eine einstweilige Unterschutzstellung einer Fläche am Fall eines Hochmoores konkretisiert und dabei folgende Leitsätze entwickelt, die auf andere Fallfesthaltungen übertragbar sind:
1. Eine Verordnung zur einstweiligen Sicherstellung ist nur dann materiell rechtmäßig, wenn der Verordnungsgeber auch erstens den Erlass einer Verordnung zur endgültigen Unterschutzstellung beabsichtigt, zweitens das sichergestellte Schutzobjekt für die Unterschutzstellung in der beabsichtigten Schutzkategorie voraussichtlich in Betracht kommt, drittens erhebliche Gefährdungen des Schutzzwecks zu befürchten sind und viertens die in der Sicherstellungsverordnung angeordneten Verbote auch erforderlich sind, um diese befürchteten erheblichen Gefährdungen abzuwenden.
2. Hochmoorflächen können grundsätzlich Gegenstand einer Landschaftsschutzgebietsverordnung sein. Denn sie bedürfen des besonderen Schutzes, weil sowohl die Leistungsfähigkeit ihres Naturhaushalts oder ihre Nutzbarkeit als Naturgut zu erhalten oder wiederherzustellen sein kann als auch das durch sie vermittelte Landschaftsbild vielfältig, eigenartig oder schön sein kann.
3. Ein Programm einer Landesregierung zum Schutze eines für den Naturschutz wertvollen Gebietes mit näheren Festlegungen für noch vorhandene Restflächen dieser Naturschutzqualität und die ein solches Programm ergänzende und aktualisierende naturschutzfachliche Bewertung dieses Schutzgutes sind im Rahmen der einstweiligen Sicherstellung eine hinreichende naturschutzfachliche Grundlage für die Bestimmung der Schutzwürdigkeit und der Grenzen eines schutzwürdigen Gebietes.
4. Bei der Abgrenzung von Landschaftsschutzgebieten steht dem Verordnungsgeber ein weites Gestaltungsermessen zu. Er darf auch Randzonen eines Gebiets, die zumindest im Wesentlichen noch die Merkmale aufweisen, die den geschützten Bereich im Übrigen schutzwürdig machen, oder die zwar isoliert betrachtet nicht schutzwürdig sind, aber der Abschirmung gegenüber der schutzgebietsfreien Umgebung dienen und diese zum Schutz des Kernbereichs des Landschaftsschutzgebiets vernünftigerweise geboten ist, in das Schutzgebiet mit einbeziehen. Im Rahmen der der Unterschutzstellung vorausgehenden einstweiligen Sicherstellung bestehen keine Bedenken, wenn ein ökologisch zusammenhängendes Gebiet zunächst global, also auch unter Einbeziehung einer Pufferzone, sichergestellt wird und erst im Rahmen der endgültigen Unterschutzstellung flurstücksgenau eine Bestimmung des Schutzgebiets erfolgt.
So kann die Schutzwürdigkeit eines Gebietes auch dort gegeben sein, wo dieses lediglich noch in Degenerationsstadien vorhanden ist. Ausreichend ist es, wenn die Naturschutzbehörde dargelegt, die Flächenabgrenzung danach vorgenommen zu haben, ob es sich zumindest um degenerierte, aber noch renaturierungsfähige Schutzflächen handelt. Nur soweit die Renaturierungsfähigkeit von vornherein ausgeschlossen ist, ist hingegen auf eine Sicherstellung zu verzichten.
5. Eine Gefährdung des Schutzzwecks liegt vor, wenn eine hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass es zu Handlungen kommen wird, die das Schutzobjekt beeinträchtigen können.
Dass dies der Fall ist, kann sich zum einen daraus ergeben, dass in den letzten Jahren vor der Sicherstellung auf Teilflächen des sicherzustellenden Gebietes Nutzungen vorgenommen wurden und umfangreiche Vorbereitungen für weitere beabsichtigte Gefährdungen der Schutzwürdigkeit im sicherzustellenden Gebiet erkennbar sind. Indiz ist auch die Absicht der Nutzer, auf den sicherzustellenden Flächen weitere umfangreiche die Schutzwürdigkeit gefährdende Nutzungen vornehmen zu wollen, um den Zustand der Flächen und damit deren landwirtschaftliche Nutzung zu verbessern. Solche absehbaren Maßnahmen beeinträchtigen die Erhaltung schutzwürdiger Flächen und führen damit zu einer Gefährdung des Schutzzwecks.
6. Die Erheblichkeit der Gefährdung ist anhand der Bedeutung des Schutzobjektes, der Folgen absehbarer Schädigungshandlungen und des Grades der Wahrscheinlichkeit der Beeinträchtigung des Schutzobjektes zu ermitteln.
7. Das Landwirtschaftsprivileg des Naturschutzgesetzes steht Verboten, die auf der Grundlage einer Landschaftsschutzverordnung angeordnet werden (sollen), jedenfalls dann nicht entgegen, wenn diese Verbote sich nur gegen Maßnahmen richten, die eine landwirtschaftliche Bodennutzung erstmalig ermöglichen oder durch eine grundlegende Umgestaltung der bisherigen natürlichen Gegebenheiten erleichtern oder ertragreicher gestalten sollen. Dies wurde für Tiefumbrüche von Grün- in Ackerland, Übersandungen von Grünland und die Anlage neuer oder die wesentliche Vertiefung bestehender Entwässerungssysteme entschieden.
OVG Lüneburg, Beschluss vom 30.10.2009, Az. 4 ME 346/08
Verkehrssicherungspflichten für Straßenbäume
Die verschäften Anforderungen der Rechtsprechung an die Verkehrssicherungspflichten gefährden den straßennahen Baumbestand. In einem vom Oberlandesgericht Rostock entschiedenen Fall war ein Autofahrer im Frühherbst auf einer Bundesstraße unterwegs, als eine Pappel, die als erste an einem einmündenden Feldweg stand, stürzte und den Pkw des Klägers unter sich begrub. Die Pappel war zu 70 % innerlich verfault und brach 30 cm über dem Boden ab. Bei dem Unfall wurde der Kläger schwer verletzt und sein Pkw beschädigt.
Die beklagte Gemeinde hatte die später umgestürzte Pappel im August 2005 und im Februar 2006 kontrollieren lassen. Das Straßenbauamt schätzte die Pappel als abbruchgefährdet ein und sah sie zum Fällen vor. Der Landkreis als Genehmigungsbehörde für Baumfällungen erkannte dies nicht als dringlich an. Ein bei der beklagten Gemeinde beschäftigter Bediensteter führte im Februar 2006 eine Baumkontrolle durch und schätzte die Pappel als vital ein.
Das LG Rostock hatte die Gemeinde dem Grunde nach verpflichtet, dem Autofahrer Schmerzensgeld und Schadensersatz zu leisten. Das OLG Rostock hat die Berufung der Gemeinde zurückgewiesen. Die beklagte Gemeinde habe eine besonders strenge Verkehrssicherungspflicht getroffen, da der Baum in der Nähe einer viel befahrenen Bundesstraße stand. Die Gemeinde hätte eine sorgfältigere äußere Besichtigung durchführen müssen. Zwar habe die Ge-meinde die Bäume halbjährlich kontrolliert. Der von der Beklagten betraute Baumkontrolleur untersuchte den Baum aber nicht mit der erforderlichen Sorgfalt. Er hätte vielmehr auf Grund eines Pilzbefalls weitere Untersuchungen vornehmen müssen. Eine solch eingehende Untersuchung hätte einen unterhalb der Grasnarbe vorhandenen Brandkrustenpilz erkennbar gemacht, der zur sofortigen Fällung des Baumes Veranlassung gegeben hätte. Da dies unterblieben war, verurteilte der das OLG Rostock die Gemeinde dem Grunde nach zum Schadensersatz und zur Zahlung von Schmerzensgeld.
In einer anderen Entscheidung reicht es dem Landgericht Coburg für eine Haftung aus, wenn ein Eigentümer von Straßenbäumen die Bäume bei Wachstumsauffälligkeiten nicht regelmäßig kontrolliert und pflegt. Der dortige Kläger fuhr mit seinem Pkw auf einer Kreisstraße durch ein Waldgebiet. Plötzlich brach von einer Rotbuche ein großer Ast ab und fiel direkt vor dem Auto auf die Fahrbahn. Der Kläger konnte einen Zusammenstoß mit dem Baumteil nicht mehr verhindern. Er blieb unverletzt, an seinem Fahrzeug entstand jedoch ein Schaden. Den wollte er vom Eigentümer der Rotbuche – einem staatlichen Forstbetrieb – ersetzt haben, weil der den Baumbestand nach einem schweren Gewittersturm sechs Wochen vor dem Unfall nicht ausreichend kontrolliert habe. Der Beklagte verteidigte sich damit, dass der Baum äußerlich völlig gesund gewesen sei.
Das LG Coburg verurteilte den Waldeigentümer nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Zahlung des Schadensersatzes an den Autofahrer. Das Gericht ist der Auffassung, dass auch bei einem gesunden Straßenbaum Wachstumsauffälligkeiten Anlass für weitere Untersuchungen und Sicherungsmaßnahmen des Eigentümers geben können. Zwar sei hier der Baum tatsächlich gesund gewesen, er hätte aber einen ungünstigen Vergabelungsaufbau („Druckzwiesel“), der als strukturelle Schwachstelle im Kronenaufbau und daher prinzipiell ausbruchgefährdet einzustufen war. Diese Wachstumsauffälligkeit sei für den Eigentümer des Baumgrundstückes problemlos erkennbar gewesen. Dass gleichwohl keine weiteren Untersuchungen, gegebenenfalls auch unter Hinzuziehung eines Fachmannes, und die notwendigen Sicherungsmaßnahmen veranlasst wurden, begründe die Haftung des Beklagten.
Beide Urteil erweitern die Verkehrssicherungspflichten. Nicht nur kranke Bäume, sondern auch strukturelle Schwachstellen in gesunden Bäumen sowie Veränderungen nach Stürmen erfordern nach dieser Rechtsprechung ein rasches Handeln zur Vermeidung einer Haftung. Betroffen sind Bäume auch an Fußwegen durch Wald und Flur, sofern die Nutzer nicht unmissverständlich vor den Risiken gewarnt werden. Betroffen sind neben Forstbetrieben auch alle Städte und Gemeinden sowie private Grundstückseigentümer.
Anschrift des Kommentators: Matthias M. Möller-Meinecke, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Fürstenbergerstraße 168F, D-60323 Frankfurt am Main, E-Mail kanzlei@moeller-meinecke.de, Internet http://www.moeller-meinecke.de.
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