Deutschland setzt europäisches Recht unzureichend um
Paukenschlag aus Brüssel: Die Europäische Kommission hat ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen Nichterfüllung der Vogelschutzrichtlinie eingeleitet. Für eine Richtlinie, die 1979 – vor 45 Jahren! – verabschiedet wurde, bestehen nach wie vor starke Umsetzungsdefizite.
von Eckhard Jedicke erschienen am 19.03.2024Die Kommission bemängelt, dass
- für fünf Vogelarten nicht die am besten geeigneten Schutzgebiete ausgewiesen wurden und diese unzureichend miteinander vernetzt seien,
- für 220 von 742 EU-Vogelschutzgebieten noch keine Erhaltungsmaßnahmen festgelegt seien, besonders in Niedersachsen und Schleswig-Holstein,
- das Vogelschutzgebiet „Unterer Niederrhein“ nicht ausreichend geschützt sei, sodass dort die Zahl der geschützten Vogelarten erheblich zurückgegangen ist.
Aus für 4 % Brachen
Im Fokus stehen Feldvogelarten. nämlich Feldlerche, Feldschwirl und Bluthänfling, außerdem Baumpieper und Kuckuck. Ironie der Geschichte: Zeitgleich verkündet dieselbe EU-Kommission, die Umweltstandards in der Agrarpolitik weiter senken zu wollen (siehe „Bericht aus Brüssel“). Wer Subventionen erhalten möchte, muss bestimmte Grundregeln für einen guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand (GLÖZ) der Nutzflächen erfüllen. Wohl wissend, dass Brachflächen und generell Strukturen in der Agrarlandschaft essenziell für die Biodiversität sind, soll nicht allein die Pflicht ausgesetzt werden, 4 % nicht-produktive Flächen wie Brachen oder Hecken (GLÖZ 8) bereitzustellen. Zusätzlich sollen die Mitgliedstaaten im Falle extremer Wetterbedingungen die GLÖZ 5 bis 7 pausieren können – sie betreffen Praktiken gegen Bodenerosion, eine Mindestbodenbedeckung und Fruchtwechsel im Ackerland. Wo sollen die genannten Feldvogelarten ihre Nahrung finden?
Ein Paradebeispiel für die mangelnde Kohärenz der Politik – deren Exekutivorgan einerseits mit Recht die Erfüllung lange bestehender Standards eingefordert, andererseits die Voraussetzungen dafür grundsätzlich schwächt. Erschreckend, wie schnell die Kommission unter Verzicht auf die sonst notwendige Folgenabschätzung auf die auch in Brüssel mehrfach gewaltsamen Proteste der Landwirtschaft reagiert. Entscheidungen, die langfristig auch gegen die nachhaltige Nutzbarkeit der Agrarlandschaft gerichtet sind – alles nur mit Blick auf die Sicherung von Machtverhältnissen bei der Europawahl im Juni.
Zurück zur Vogelschutzrichtlinie: Deutschland hat nun zwei Monate Zeit, um Stellung zu nehmen. Ist die Kommission mit der Antwort nicht zufrieden, wird sie eine mit Gründen versehene Stellungnahme nach Berlin schicken. Gibt es keine Einigung, so wird die Kommission die Angelegenheit an den Europäischen Gerichtshof verweisen. Er kann letztlich Sanktionen verhängen. Bis es soweit kommt, können Jahre vergehen: Schon seit 2015 läuft das Vertragsverletzungsverfahren wegen mangelnder Umsetzung der FFH-Richtlinie. Es bleibt noch viel zu tun im Vollzug des europäischen Naturschutzrechts.
Kooperative Lösungen als Vorbild
Schauen wir auf positive Beispiele: In diesem Heft beschreiben wir ein kooperativ mit den Landnutzenden entwickeltes und umgesetztes Konzept zur Gewässerrenaturierung in Sachsen. Das sollte eine Blaupause dafür sein, wie Landwirtschaft, Naturschutz und Wasserwirtschaft gemeinsam zukunftsfähige Lösungen entwickeln können. Beeindruckend auch die Bilanz der Bedeutung von Gründächern für Käfer – in Hamburg wurden dort 282 verschiedene Arten nachgewiesen, auch seltene und gefährdete. Die Bedeutung grüner Dächer kann durch eine strukturreiche Gestaltung gefördert werden und schließt auch die gleichzeitige Nutzung für Photovoltaikanlagen nicht aus. Und methodisch schauen wir uns kritisch die vorherrschende Praxis der Erfassung von Reptilienarten an – Pflichtlektüre für alle Gutachtenden.
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