Teil 2: Lösungsansätze – ein Aufruf zu einem notwendigen Reformprozess
Aus der literatur- und erfahrungsbasierten Analyse der Naturschutzverwaltung in den Bundesländern in Teil 1 des Beitrags werden 20 Thesen abgeleitet. Mit diesen Anregungen soll ein grundlegender Reformprozess eingeleitet werden, um die Naturschutzverwaltung für das 21. Jahrhundert zukunftsfähig zu gestalten. Diese betreffen (1) organisationale Strukturen, um effektiver und effizienter sowie weniger hierarchisch arbeiten zu können; (2) personelle Verbesserungen, um die Arbeitszufriedenheit zu fördern und Zukunftskompetenzen zu ermöglichen; (3) rechtliche, planerische und finanzielle Neuerungen, um die Wirksamkeit der Verwaltungsarbeit zu erhöhen; (4) Ausbildung, Fort- und Weiterbildung, um dem Fachkräftemangel zu begegnen und eine berufsbegleitende Qualifizierungsoffensive zu realisieren. Die Herausforderungen sollten parallel in allen Bundesländern systematisch angegangen und die Arbeitsprozesse zugleich bundesweit koordiniert werden. Der Beitrag ist als konstruktive Anregung gedacht, gewohnte Bahnen ebenso zu verlassen wie gefühlte und reale Zwänge zu überwinden. Eingereicht am 18.03.2024, angenommen am 10.04.2024
von Eckhard Jedicke, Stefan Brunzel, Marianne Darbi, Christina von Haaren, Alexandra-Maria Klein, Werner Konold, Rainer Luick, Ilke Marschall, Kai Niebert, Konrad Ott, Tobias Plieninger, Ulrike Pröbstl-Haider, Markus Reinke, Josef Settele und Sabine Tischew erschienen am 08.05.2024 DOI: 10.1399/NuL.375021 Hintergrund
Die Naturschutzverwaltung in den Bundesländern in ihrer meist dreigliedrigen Struktur mit der kommunalen Ebene (Landkreise und kreisfreie Städte), den Mittel- und den Landesbehörden wird den gesetzlich und politisch (international und europäisch) gesetzten Zielen eines umfassenden Biodiversitätsschutzes und ihren weitergehenden Aufgaben nicht gerecht (Jedicke et al. 2024). Die in Teil 1 dieses Beitrags vorgelegte literatur- und erfahrungsbasierte Analyse ausgewählter Aspekte der aktuellen Situation der Naturschutzverwaltung in Deutschland belegt gravierende Defizite. So hat sich der Zustand aller von der Naturschutzverwaltung mindestens zu beobachtenden Schutzgüter nicht verbessert, sondern er verschlechtert sich weiter. Die notwendige Transformation der Kulturlandschaft erfordert, um Klima-, Biodiversitäts- und Wasserkrise ebenso wie weitere gesellschaftliche Herausforderungen angehen und deren Lösungen einleiten und umsetzen zu können, effiziente und effektive Behörden, die mit den Widerständen umgehen, die Komplexität der Aufgaben bewältigen und das dazu notwendige Umsetzungstempo erreichen können (Jedicke et al. 2024). Mit den Defiziten verbunden ist eine Unzufriedenheit der Mitarbeitenden, die ihren Aufgaben immer weniger gerecht werden können. Ein rascher Wissenszuwachs, dem schwer zu folgen ist, mangelnde adäquate Besetzbarkeit freier Personalstellen sowie eine effizienz- und motivationsbremsende hierarchische Struktur sind weitere wesentliche Ursachen.
Sechs Grundprobleme wurden als Herausforderungen zur Struktur und der aktuellen Arbeit der Naturschutzverwaltung mit jeweils mehreren Einflussgrößen identifiziert (Jedicke et al. 2024):
- Arbeitsverdichtung und zeitliche Überforderung;
- fachliche Limitierungen: sektorale Aufgaben statt ganzheitlicher Ziele;
- Bürokratie: Vorgaben und Strukturen des Verwaltungshandelns;
- finanzielle und förderrechtliche Grenzen;
- methodische Hemmnisse: mangelnde Zukunftskompetenzen (Future Skills);
- aus diesen allen resultierend: Unzufriedenheit der Mitarbeitenden.
Um eine zukunftsfähige Naturschutzverwaltung zu entwickeln, welche den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gewachsen ist, bedarf es eines intensiven und ergebnisoffenen Diskurses zunächst zwischen Praxis und Wissenschaft im Sinne eines ganzheitlich verstandenen Naturschutzes (vgl. Jedicke et al. 2024, Abschnitt 2.2). In einem zweiten Schritt muss diese Debatte auch mit den anderen durch die Zielsetzungen berührten Akteurinnen und Akteuren geführt werden, insbesondere in den Disziplinen der Landnutzung.
Der nachfolgende Text ist als Aufruf mit als notwendig erachteten Ist-Zuständen der Zukunft formuliert, welcher – abgeleitet aus der vorstehenden Situationsanalyse – in knappen Thesen Ansätze für die Lösung der beschriebenen Defizite aufzeigt. Diese sind keine abschließende Aufzählung, sondern beschreiben zentrale Eckpunkte zur Diskussion für den Anstoß eines dringend notwendigen Reformprozesses auf Basis des aktuellen Kenntnisstands.
2 Eckpunkte eines Reformprozesses – 20 Thesen
2.1 Organisationale Strukturen
(1) Behörden mit Zuständigkeit für Naturschutz und nachhaltige Landnutzung horizontal bündeln
Nachhaltige Landschaftsentwicklung als Leitziel bedarf Behördenstrukturen, welche in interdisziplinären Teams die Herausforderungen der Zeit bearbeiten und lösen. Sämtliche Schutzgüter werden innerhalb einer Behörde oder zumindest Projektteams bearbeitet, welche den integrierenden Auftrag besitzt, die Zukunftsherausforderungen gebündelt anzugehen. Diese könnten mit der Ressource Landschaft (einschließlich der Ressource Fläche) abgegrenzt werden: Sämtliche Aufgaben, die ein nachhaltiges Landschaftsmanagement betreffen, werden hier bearbeitet, die Belange von Schutz und Nutzung in der Verwaltung möglichst eng zusammengeführt. Dazu werden die Zielsetzungen des BNatSchG mit den verschiedenen Schutzgütern (Handlungsgegenständen), Handlungszwecken und Zieldimensionen umfassend umgesetzt. Das bedeutet, dass Belange des Arten-, Biotop- und Landschaftsschutzes gleichermaßen wie die des Boden-, Wasser- und Gewässerschutzes, des Klimaschutzes und der Klimaanpassung in einer Behörde gebündelt werden. Die Trennung von – um eine alte Begrifflichkeit aufzugreifen – „biologischem“ und technischem Umweltschutz wird aufgelöst (wie es in verschiedenen Landesanstalten für Umwelt auch bereits der Fall ist). Viel stärker als bisher werden soziale und emotionale Komponenten von Landschaft als Wahrnehmungsgegenstand und Lebensumfeld des Menschen verankert, denn gerade Landschaftsbild und Naturerleben (oft auch als kulturelle Ökosystemleistung definiert; IPBES 2019) sind ein wichtiger und positiver Identifikationsfaktor und gemeinsamer Wissensraum in der Öffentlichkeit.

Zu diskutieren sind die Vor- und Nachteile einer operativen Zusammenführung auch mit den Landnutzungsdisziplinen – vor allem Land- und Forstwirtschaft und den flächenverbrauchenden Disziplinen wie Siedlungsbau und Industrie, Infrastruktur und Rohstoffnutzung. Einerseits ist eine enge Zusammenarbeit unverzichtbar, andererseits muss verhindert werden, dass insbesondere die Sektoren Land-, Forst- bzw. Wald- und Wasserwirtschaft die Naturschutzbelange ignorieren, nur zu marginalen Zugeständnissen bereit sind oder fachlich fragwürdige Maßnahmen mittragen. Zentral für die Erreichung der meisten Naturschutzziele ist eine Transformation von Landnutzungssystemen zur Nachhaltigkeit, insbesondere der Agrar- und Ernährungssysteme. Diese Tatsache spricht für eine Verschmelzung von Behördenstrukturen und -zuständigkeiten, sofern gewährleistet werden kann, dass Naturschutzziele auch in der behördlichen Führungsverantwortung sichtbar werden. Das könnte z.B. mit einer Doppelspitze in der Leitung und Vetorechten erfolgen. Für die „Kunden“ der Behörden besteht ein zentraler Ansprechpartner anstelle der heute schwer überschaubaren Ämtervielfalt, die zudem durch blockierendes Zuständigkeits- und Kompetenzgerangel aktives Handeln ver- und behindern. Damit könnten viele Verwaltungsprozesse für die Bürgerinnen und Bürger erheblich vereinfacht werden, weil die Abstimmung innerhalb eines Hauses/einer Bündelungsbehörde mit verschränkter Verwaltungsstruktur erfolgt. Zu überlegen ist analog auf Bundesebene, das Bundesamt für Naturschutz mit dem Umweltbundesamt zu verschmelzen, sie in ihrer eigenständigen Facharbeit zu stärken und die Weisungsgebundenheit durch das Bundesumweltministerium aufzuheben. Dabei dürfen in keinem Fall die personellen und finanziellen Ressourcen gekürzt werden. Alternativ könnten verschiedene Ressourcen umgruppiert werden: Die 2. Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) würde durch die Naturschutzverwaltung abgewickelt (wie die additiv zu fordernde eigene EU-Naturschutzfinanzierung). Durch Spiegelreferate in der Eingriffsverwaltung würden leichter Synergien entstehen.
(2) Behörden von hierarchischen hin zu heterarchisch-funktionalen Strukturen umbauen
Die ausgeprägte Hierarchie als ein Hauptproblem für pragmatischen und zukunftsfähigen Naturschutz wird sukzessive durch heterarchische Strukturen abgelöst bzw. ergänzt. Das bedeutet: Selbststeuernde und selbstbestimmte, dezentrale Bottom-up-Entscheidungen werden überall dort eingeführt, wo entsprechende Spielräume ermöglicht werden können. Wo immer sinnvoll, werden ko-kreative Arbeitsweisen insbesondere für konzeptionelle Aufgaben gewählt: In fachlich wie methodisch interdisziplinären Teams werden neue Kreativität und Kooperationen gelebt, welche die Zufriedenheit der Mitarbeitenden erhöhen. Hierarchische Abläufe können und sollten in Teilbereichen dennoch erhalten bleiben, insbesondere bei der Abschichtung planerischer Entscheidungen und im Zusammenspiel zwischen den Planungsebenen. Vorgesetzte gewähren ihren Mitarbeitenden Sicherheit, dass Entscheidungen nur bei grober Fahrlässigkeit zu disziplinarischen Konsequenzen führen. Dass dies bisher nicht geschieht, führt zu vorauseilenden übertrieben „rechtssichernden“ Entscheidungen. In einem weiteren Schritt wird auch in Arbeitsprozessen mit der Praxis von Naturschutz, Landnutzungen etc. unter Einbezug von Bürgerinnen und Bürgern transdisziplinär und ko-kreativ gearbeitet. Damit steigen mittel- bis langfristig Erfolg und Motivation bei allen Beteiligten.
1(3) Vertikale Fragmentierung von Behörden-Zuständigkeiten überprüfen
In manchen Bundesländern ist die Aufgabenteilung zwischen Ober-, Mittel- und Unterbehörde derzeit nicht stringent und vor allem nicht handlungsorientiert organisiert. Das Landesumweltministerium besitzt künftig eine durchgängige Fach-, Dienst- und Rechtsaufsicht in der gesamten Behördenhierarchie. Die Entscheidungskompetenzen richten sich inhaltlich danach, welche Aufgaben auf der jeweiligen Ebene bewältigt und verantwortet werden können (räumliches und normatives Ausmaß der Probleme) – z.B. Nationalparke auf der nationalen Ebene, lokal bedeutsame Biotope auf der lokalen Ebene. Die unterschiedlichen Fachbehörden, sofern sie nicht ohnehin nach These 1 in einer einzigen Behörde je horizontale Ebene zusammengeführt werden, besitzen jeweils identische Gebietszuschnitte. Auch das trägt zur Vereinfachung von Verwaltungsprozessen bei.
(4) Organisationale Rahmenbedingungen schaffen, um Future Skills innerhalb der Behörden in die Anwendung zu bringen
In der Erkenntnis, dass Fachwissen allein immer weniger ausreicht, um in der Berufspraxis erfolgreich, effizient und motiviert arbeiten zu können, ermöglichen die Verwaltungen ihren Mitarbeitenden, nicht nur idealerweise alle definierten 17 Future Skills zu erwerben (s. These 7), sondern diese auch in der täglichen Verwaltungspraxis anwenden zu können. Damit wächst insbesondere die Fähigkeit, sich Wissen und Kompetenzen anzueignen, die digitalen Instrumente nach dem jeweiligen Stand der Technik einzusetzen und die immer komplexeren Probleme („wicked problems“, verzwickte Herausforderungen) adäquat lösen zu können. Auch dazu fordert Ehlers (2023) den Wandel des Organisationsumfelds von hierarchischen Ablauforganisationen hin zu vernetzten und agilen Organisationen mit beweglichen Abläufen und einem Ermöglichungsmanagement. Das bedeutet, dass sich die Behörde zu einer stärkeren Selbstorganisation entwickelt und Hierarchieunterschiede im Umgang miteinander abbaut: Jede einzelne Mitarbeiterin, jeder Mitarbeiter besitzt in hohem Maße individuelle Gestaltungsmöglichkeiten. Ein Baustein zur Gewinnung qualifizierter Behördenmitarbeitender kann der Wiederaufbau des Referendariats als vorbereitendem Behördendienst mit einer adäquaten Entlohnung sein.
2.2 Personelle Verbesserungen
(5) Mitarbeitende durch Vereinfachung von Prozessen und nötigenfalls zusätzliches Personal adäquat zu den Aufgaben entlasten
Die Naturschutzverwaltung erhält, soweit nicht ausreichend Entlastung durch Umsetzung der anderen in Thesen 1 und 4 genannten Lösungen erfolgt, mehr Personal, um (a) den rapiden Aufgabenzuwachs auffangen und (b) neben dem reinen Reagieren auch proaktiv agieren zu können. Die Mitarbeitenden müssen auch kapazitär in Lage versetzt werden, die durch das Fortschreiten der Klimakrise wie auch unterschiedliche Landnutzungsansprüche entstehende Transformation nicht nur zu verwalten, sondern im Rahmen der Ziele des BNatSchG und gesellschaftlicher Ansprüche gestalten zu können. Nur so kann eine grundsätzliche Trendwende bei der Erreichung der politisch gesetzten und gesellschaftlich eingeforderten Naturschutzziele erreicht werden. Unter Beachtung der in den verschiedenen anderen Thesen skizzierten grundlegenden Veränderungen werden neue Aufgabenprofile entwickelt und notwendige Arbeitsumfänge kalkuliert. Um den Aufwuchs abbilden zu können, bedarf es u.a. der Voraussetzungen, die in den Thesen 17–19 benannt sind. Die für die substanzielle personelle Aufstockung benötigten Mittel erfordern eine entsprechende politische Schwerpunktsetzung und könnten im Sinne einer Budgetneutralität problemlos u.a. durch personelle Umgruppierungen sowie den Abbau und die Umwidmung von umweltschädlichen Subventionen bereitgestellt werden.
(6) Arbeitszufriedenheit durch Kriterien der New-Work-Forschung steigern
Die Steigerung der Arbeitszufriedenheit sollte ein wichtiges Ziel auch in Naturschutzbehörden werden – sie ist ein Eigenwert, steigert aber auch die Motivation und Leistung von Mitarbeitenden. Eine anerkannte Anregung hierfür bietet das SMART-Modell (Parker & Knight 2023, Zacher 2024), das für eine integrative Personalführung fünf Handlungsdimensionen vorschlägt:
- Stimulating work characteristics = Herausforderungen: Aufgabenvielfalt, Fertigkeitsvielfalt, Informationsverarbeitungs- und Problemlösungsanforderungen;
- Mastery work characteristics = Erfolgserlebnisse: Feedback durch die Arbeit und von anderen Menschen, Rollenklarheit;
- Autonomous work characteristics = Unabhängigkeit: Handlungsspielraum bezüglich Entscheidungen, Zeitplan und Arbeitsmethoden;
- Relational work characteristics = Beziehungen: soziale Unterstützung, Bedeutung der Aufgaben und Kundenkontakt;
- Tolerable work characteristics = Ausführbarkeit: keine Überlastung, keine sozialen Konflikte, gute Balance zwischen Arbeit und Privatleben.
Naturschutzbehörden als Arbeitgeber schaffen ihren Mitarbeitenden gute Voraussetzungen, damit nach diesem Modell die Arbeitszufriedenheit deutlich steigt. Verknüpft damit sind insbesondere die unter These 1–4 genannten organisationalen Strukturen. Als erster Schritt hilft ein regelmäßiges (aber zeitlich und formal nicht überdimensioniertes) Coaching und ggf. auch eine Supervision der Mitarbeitenden, mit dem adversen Umfeld und nicht zu vermeidenden Misserfolgserlebnissen umgehen zu können.
(7) Erlernen und Praktizieren von Future Skills fördern
Die unter These 4 angesprochenen Future Skills (Ehlers et al. 2021, Horstmann 2023) können Mitarbeitende nur mit einer hohen intrinsischen Motivation erlernen. Selbst wenn sie dazu in ihrem Studium Angebote genutzt haben, so bedarf es einer fortgesetzten und anwendungsorientierten Vertiefung und Verbreiterung durch Angebote der Fort- und Weiterbildung. Die Behörden motivieren ihre Mitarbeitenden durch Anreize dazu, solche Angebote zu nutzen und im beruflichen Alltag anzuwenden.
(8) Behördliche Arbeit durch adäquate Entlohnung und Aufstiegschancen attraktiver gestalten
Einstiegsgehälter liegen für Bewerberinnen und Bewerber mit einschlägigen Bachelorabschluss bei A 11/E 11, mit Masterabschluss bei A 13/E 13. Zugleich bestehende attraktive Aufstiegschancen (z.B. einer Höhenstufung nach berufsbegleitend abgeschlossenem Master), Karrierewege zeigen die Arbeitsgeber von Anfang an realistisch auf. Kontinuierliche Weiterbildungen werden im Rahmen des lebenslangen Lernens zum Standard in der Personalführung (s.a. Thesen in 2.4).
2.3 Rechtliche, planerische und finanzielle Neuerungen
(9) Den aktuellen Abbau rechtlicher Standards stoppen und umkehren und in einem Umweltgesetzbuch zusammenführen
Die im Widerspruch zu den politisch gesetzten Zielen für den Naturschutz stehenden Rückschritte bei rechtlichen Standards wurden beispielhaft in Teil 1 des Beitrags (Jedicke et al. 2024), Abschnitt 2.3, geschildert. Dies ist derzeit nicht nur tödlich für die Biodiversität, sondern auch Gift für die Motivation der Naturschutzbehörden. Der Verlust der biologischen Vielfalt wie auch der durch unterschiedliche Landnutzungsansprüche entstehende Druck erfordert eine Stärkung von Naturschutzstandards. Das Naturschutzrecht wird modernisiert und in einem umfassenden Umweltgesetzbuch zusammengeführt, sodass Rechtsetzungen harmonisiert werden. Dieses bewirkt eine Verwaltungsvereinfachung, ohne die Standards herabzusetzen.
(10) Die Initiative für eine bundeseinheitliche Kompensationsverordnung erneuern und die Eingriffsregelung ganzheitlich und konsequenter umsetzen – vom Verschlechterungsverbot zum Verbesserungsgebot
Die seit mehr als zehn Jahren vorliegenden gutachterlichen Vorschläge für eine in Bund und Ländern einheitlich geltende Bundeskompensationsverordnung werden gemeinsam mit den Ländern umgesetzt. Damit verbunden ist eine
- Stärkung der Entscheidungskompetenz der Naturschutzbehörden,
- Ausweitung der Prüf- und Kompensationspflichten auf alle Schutzgüter sowie
- verpflichtende Umsetzungs- und Wirkungskontrolle.
Kompensationsmaßnahmen genügen in Planung und Umsetzung höchsten fachlichen Ansprüchen und sind besser in den Landschaftskontext und das sozial-ökologische wie sozio-ökonomische Umfeld integriert. Sie lassen einfacher auch Innovationen (Next Practice) und neuartige biodiversitätsfördernde Landnutzungssysteme zu, um eine hohe und langfristig nachhaltige ökologische Wirksamkeit der Maßnahmen sicherzustellen. Dazu werden auch traditionelle Bewertungsschemata hinterfragt. Die Realkompensation wird gegenüber Ersatzgeldzahlungen gestärkt. Letztere bleiben als Ultima Ratio auf Sonderfälle beschränkt. Kompensationsmaßnahmen werden nach Möglichkeit gebündelt zu Flächenpools zusammengefasst, um die langfristige Pflege zu erleichtern. Sie werden in einem Kompensationskataster transparent und langfristig nachvollziehbar erfasst und gepflegt.
Vor dem Hintergrund des schlechten Zustands der biologischen Vielfalt werden unvermeidbare Eingriffe künftig nicht nur ausgeglichen, sondern der Zustand der Natur wird qualitativ verbessert. Über die Weiterentwicklung des Verschlechterungsverbots zu einem Verbesserungsgebot bei der Planung neuer Vorhaben entwickeln sich Gestaltungsmöglichkeiten, die sich nicht nur positiv auf die biologische Vielfalt, sondern auch auf die Motivation der Verwaltung auswirken. Vorbilder können Art. 4 Abs. 1 Nr. a) ii) und iii) EU-Wasserrahmenrichtlinie und die Biodiversity-Net-Gain-Vorschriften (Nettogewinn biologischer Vielfalt) im UK Environment Act sein: Letztere verlangen bei jeder Kompensation (die nach ähnlichen Regeln wie in der Eingriffsregelung in Deutschland umgesetzt wird) mindestens 10 % Biodiversitätsgewinn (Government UK 2021).
(11) Landschaftsplanung auf allen Ebenen verpflichtend einführen, Daten aktuell halten und Umsetzung sicherstellen
Basierend auf der Erkenntnis, dass Kommunen zentrale Akteure für die Umsetzung des Naturschutzes sein können und müssen, wird eine verpflichtende Aktualisierung einer flächendeckenden Landschaftsplanung auf allen Ebenen in zehn- bis 15-jährigen Abständen nach jeweils aktuellem Stand des Wissens und der Technik sichergestellt. Landschaftsplanungen bzw. die Teile, die nicht hoheitlich verpflichtend sind, werden durchgehend durch vorgeschriebene Daten-Zulieferungen aller landschaftsverändernden Akteure sowie Kopplung der Systeme der Fachverwaltungen in einem Geografischen Informationssystemen aktualisiert. Aktuell gehaltene Landschaftspläne dienen einschließlich ihrer Datengrundlagen als zentrale Basis für alle anderen vorhabenspezifischen Umweltprüfungen und für Fachkonzepte wie Klimaanpassung, Ländliche Entwicklungskonzepte, Flurneuordnung, Biotopverbund, Renaturierungspläne für die EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur (z.B. in Umsetzung einer ggf. verabschiedeten EU-Verordnung; siehe auch SRU et al. 2024) etc. So entsteht auch eine Planungsbeschleunigung. Gleiches gilt für den Landschaftsrahmenplan auf regionaler und das Landschaftsprogramm auf Landesebene, die überall verbindlich werden sollten.

(12) Ganzheitliche Strategien für die Umsetzung eines alle Schutzgüter umfassenden, die Multifunktionalität von Landschaften fördernden Naturschutzes entwickeln
Als Leitlinien für ein ganzheitliches Naturschutzhandeln der Verwaltung werden ko-kreativ neue Umsetzungsstrategien entwickelt, in die die Landnutzenden und weitere Akteursgruppen einbezogen werden. Die Grenze des Diskussionsraumes wird durch die herunterskalierten Mindestziele einer dauerhaft umweltverträglichen Entwicklung definiert – in Richtung auf Exnovation, d.h. die Beendigung nicht nachhaltiger Landnutzungssysteme (Heyen et al. 2017). Populationsbiologische und andere wissenschaftliche Ergebnisse werden in die Leitlinien-Erarbeitung integriert. In gleicher Intensität wie der weiter ausgebaute Arten- und Biotopschutz werden Schutz und Entwicklung der anderen Schutzgüter bearbeitet. Nicht die kontinuierliche Verbesserung oder Best Practice ist das Ziel, sondern ein Paradigmenwechsel hin zu Next Practice als Teil eines transformativen Wandels.

(13) Zielsetzungen des Naturschutzes vor dem Hintergrund des Klimawandels und aktueller Erkenntnisse neu ausrichten und die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen anpassen
Eine grundsätzliche Zieldiskussion wird geführt, wie zukunftsfähig die aktuellen Herangehensweisen in Anbetracht des Klimawandels sind, welche Ziele aufgrund mangelnder Erfolgsaussichten aufzugeben sind und wie bestehende Rechtsnormen sinnvoll angepasst und vereinfacht werden können, z.B. Entlassung ineffizienter und vor dem Hintergrund klimatischer Veränderungen zunehmend irrelevanter Naturschutz-Prüfinhalte, z.B. Klimagewinner in speziellen artenschutzrechtlichen Prüfungen, Artenschutz für nicht haltbare Arten, Festschreibung von Erhaltungszuständen, die fachlich nicht erfüllbar sind, Flexibilisierung von Nutzungsterminen in Programmen (vgl. Brunzel & Hill 2022). Dies kann auch zu einer erheblichen Entlastung von Verwaltungsstrukturen im Naturschutz führen und zu einer nötigen Priorisierung beitragen. Neben anderen Konzepten wie Landethik und „One Health“ wird der Vorschlag zur Überlebensökologie (survival ecology) als zukunftsfähige Alternative zu den bisherigen, meist sehr statischen Naturschutzzielen aufgenommen mit der Erkenntnis, dass der Klimanotstand eine kritische Überprüfung und teilweise Neuformulierung der bestehenden Schutzziele notwendig macht (Gardner & Bullock 2021): Der Paradigmenwechsel zu einer Transformation, welche die post-industrielle Kulturlandschaft auf das Überleben der Menschheit mit vielfältiger Biodiversität und resilienten Lebensgemeinschaften ausrichtet, wird eingeleitet. Das erhöht gleichermaßen Effektivität (Erfolg) des Naturschutzes wie Effizienz (Wirtschaftlichkeit) der Verwaltungsarbeit.
(14) Mehr Flexibilität für Einzelfallentscheidungen und die Erprobung neuartiger Naturschutzansätze durch eine Experimentierklausel ermöglichen
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz plant in der laufenden Legislaturperiode ein Reallabor-Gesetz und möchte einen verbindlichen Experimentierklausel-Check in der Gesetzgebung verankern. Eine solche Klausel wird auch im Naturschutzrecht verankert, um behördliche Freiheiten für die Genehmigung von naturschutzrechtlichen Befreiungen zu schaffen und so Erleichterungen und Raum für Neues etwa in der Landschaftspflege, bei Renaturierungsmaßnahmen oder Landnutzungskonzepten zu schaffen. Diese werden auch mit anderen Fachressorts (z.B. Landwirtschaft, Forstwirtschaft) einvernehmlich abgestimmt.
(15) Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU grundsätzlich reformieren und zu einer Gemeinsamen Ökosystempolitik (GÖP) entwickeln

Da bis dato auf EU-Ebene kein eigenständiger Fonds zur Förderung von effizienten und flächenwirksamen Maßnahmen der Biodiversität besteht, bleibt die GAP im Grunde auch weiterhin das wichtige Förder- und Finanzierungsinstrument für den Naturschutz. Das betrifft insbesondere den aktuellen Vertragsnaturschutz und die Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen; diese gilt es auszubauen und fundamental zu stärken. Öffentliche Gelder fließen nach einer sukzessiven Abschmelzung der bisherigen flächenbezogenen Direktzahlungen und produktionsintendierten Subventionen nur noch für öffentliche Güter. Dies muss nach dem Aussetzen der Konditionalitäten im Rahmen der GAP im Jahr 2024 umso zügiger geschehen.
Für eine zukünftige Agrarförderung liegt mit der Gemeinwohlprämie ein praxisreifes Konzept vor (Metzner & Beckmann 2022, Pechan 2023, Röder et al. 2021). Der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen der Bundesregierung hat die Weiterentwicklung zu einer gemeinsamen Ökosystempolitik in die Diskussion gebracht (WBGU 2020); dieser Vorschlag wird weiter ausdifferenziert.
(16) Eine eigene EU-Naturschutzfinanzierung einführen
Allein schon, um FFH- und Vogelschutzrichtlinie, die EU-Biodiversitätsstrategie und die geplante EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur adäquat umsetzen zu können, geht es zusätzlich zur GAP nicht ohne eine adäquat ausgestattete eigene Naturschutzfinanzierung aus Brüssel. Hierfür werden die Rahmenbedingungen entwickelt, der Finanzbedarf kalkuliert und dieser zusätzlich zur GAP bereitgestellt. Hiermit sollten auch naturbasierte Lösungen bzw. „natural climate solutions“ als innovative Verknüpfung von Klima- und Naturschutz gefördert werden.
2.4 Ausbildung, Fort- und Weiterbildung
(17) Dem Fachkräftemangel im Naturschutz durch eine konzertierte Strategie und Kampagne begegnen
Bund und Länder gestalten das Berufsfeld im Naturschutz, insbesondere in der Verwaltung, nicht allein mit oben in den Abschnitten 2.1 bis 2.3 genannten Vorschlägen attraktiver, sondern begegnen dem Fachkräftemangel zusätzlich durch innovative Strategien zur Personalgewinnung. Dazu gehört eine gemeinsam mit den Universitäten und Fachhochschulen/Hochschulen für angewandte Wissenschaften (FH/HAW) entwickelte Kampagne, die Studieninteressierte adressiert und stark interaktiv ausgerichtet ist. Möglichkeiten eines dualen Bachelor- und besonders Masterstudiums werden auf- und ausgebaut, um in Kooperation mit Naturschutzbehörden und Verwaltungen bereits während des Studiums Praxiserfahrungen zu ermöglichen und Studierende für die spätere Arbeit zu gewinnen.
(18) Studiengänge und Curricula an den modernen Bedarfen der Praxis ausrichten
Bestehende einschlägige Studiengänge, insbesondere des Naturschutzes und der Landschaftsplanung, aber auch in den Bereichen Geografie, Agrar- und Forstwissenschaften, Umweltwissenschaften, Limnologie, Hydrologie etc., werden einem Praxischeck unterzogen und ihre Curricula entsprechend bearbeitet, sodass sie den modernen Anforderungen der Praxis entsprechen. Die Naturschutzverwaltung formuliert ihre Bedarfe an die Ausbildungsstätten. Synergien durch Nutzung von gemeinsamen Ressourcen zwischen verschiedenen Universitäten und Fachhochschulen/HAW werden gefördert. Die Ausbildungskapazität wird dem Bedarf zur Besetzung offener und zusätzlich entstehender Personalstellen entsprechend angehoben. Die Zahl relevanter, praxisorientiert arbeitender Professuren an entsprechend ausgerichteten Studienorten (z.B. auch ein Naturschutz-Studium an Hochschulen für Verwaltungswissenschaft) wird deutlich erhöht und ein Mittelbau mit Dauerstellen für die Sicherung der Qualität und Innovation in der Lehre neu etabliert.
(19) Eine Qualifizierungsoffensive für berufsbegleitende Fort- und Weiterbildung aufbauen
Berufsbegleitende Fortbildung (Erweiterung vorhandener Kenntnisse für das ausgeübte Berufsbild) und Weiterbildung (Vermittlung zusätzlicher Qualifikationen auch außerhalb des aktuellen Berufsbildes) wird bedarfsgerecht für die verschiedenen Arbeitsfelder in der Naturschutzverwaltung auf- und ausgebaut. Hierzu werden die notwendigen Strukturen gemeinsam mit Universitäten, Fachhochschulen/HAW und Naturschutzakademien sowie weiteren Akteurinnen und Akteuren wie den Berufsverbänden und NGOs geschaffen und über eine Qualifizierungsoffensive gestärkt. Hierbei spielen neben aktuellem fachlichem Wissen – um die Lücke zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und der Anwendung in der Praxis zu schließen – die Future Skills eine zentrale Rolle. Die (nicht als Verpflichtungen aufzuziehenden) Optionen reichen von niederschwelligen Online-Angeboten über ein- und mehrtägige Präsenzveranstaltungen, Kurse wie zum Natura-2000-Management (Sauer et al. 2023), zertifizierte CAS- und DAS-Kurse (Certificate of Advanced Studies bzw. Diploma of Advanced Studies) bis hin zu berufsbegleitenden, teils dualen Masterstudiengängen. Die Entwicklung von Möglichkeiten des internationalen Austauschs wird diese Möglichkeiten des lebenslangen Lernens ergänzen. Microcredentials und Microdegrees, wie derzeit durch die europäischen Universitäten vorangetrieben, werden eine notwendige Voraussetzung für ihre Zertifizierung sein. Nach Eintritt in den Beruf bestehen Möglichkeiten des Coachings.

2.5 Handlungsplan aus bundesweiter Perspektive
(20) Die Herausforderungen bundesweit koordiniert, aber in allen Bundesländern parallel systematisch angehen
Die vielschichtige Problematik benötigt multiple Lösungen, sie betrifft Bund und Länder gleichermaßen. Allein schon, weil für die (Nicht-)Erfüllung europäischer Richtlinien der Bund der Adressat für Mahnschreiben und Vertragsverletzungsverfahren ist, wird auf Bundesebene ein koordiniertes Vorgehen organisiert, auch wenn die Bundesländer parallel ihre individuellen Herausforderungen bewältigen. Zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (inkl. der Autorinnen und Autoren dieses Beitrages) stehen zur Unterstützung bereit. Folgende Schritte werden umgehend angegangen:
- Bildung einer durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz beauftragten und vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft unterstützten, nicht hierarchischen Ad-hoc-Arbeitsgruppe, welche die Bearbeitung des Themas einer zukunftsfähigen Naturschutzverwaltung im 21. Jahrhundert für mindestens die nächsten fünf Jahre steuert; die Zusammensetzung der Arbeitsgruppe ermöglicht insbesondere auch inter- und transdisziplinäre Zugänge und ko-kreative Methoden;
- tiefergehende Analyse und Bewertung der skizzierten Herausforderungen durch einen Verbund wissenschaftlicher Studien mit parallelen Untersuchungen nach identischen Methoden in allen Bundesländern; wichtig ist hierbei, dass sich die Beteiligten auf Wunsch anonym und ohne Furcht vor Schwierigkeiten im Arbeitskontext äußern können;
- Herausarbeiten von Handlungsfeldern und jeweils zugehörigen Akteurs-Landkarten, um aufzuzeigen, welche Verantwortlichkeiten bestehen bzw. wer welche Einfluss- und Handlungsmöglichkeiten besitzt;
- Schaffung von Finanzierungsmodellen für die Entwicklung, Erprobung und Evaluation von Projekten zur Verbesserung der Situation sowie für die Durchführung einer breit angelegten Qualifizierungsoffensive;
- Ableitung nicht allein von Best-Practice-, sondern in einem weiteren Schritt von innovativen wie exnovativen, sich von alten nicht-nachhaltigen Praktiken trennenden Next-Practice-Lösungen, die modellhaft erprobt und zur Übertragung auf andere Länder und Konstellationen dokumentiert und evaluiert werden;
- Aufbau von Reallaboren (siehe Kasten), in welchen ko-kreativ modellhafte Förderprojekte, etwa aus dem Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz des Bundes, umgesetzt und wissenschaftlich begleitet werden – unter konsequenter Weiterentwicklung, Anwendung und Erprobung der im vorliegenden Papier formulierten Thesen.
Reallabore werden als „wissenschaftlich konstruierte Räume einer kollaborativen Nachhaltigkeitsforschung mit Interventionscharakter“ an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Gesellschaft definiert (WBGU 2016: 542). Durch Experimente werden Lösungen für Nachhaltigkeits-Herausforderungen entwickelt und getestet, um Wissen über Transformationsprozesse zu gewinnen (Schäpke et al. 2017).
3 Ausblick
Die in Teil 1 dieses Beitrags (Jedicke et al. 2024) aufgezeigten Herausforderungen gelten in der Gesamtschau über viele Naturschutzbehörden aller Ebenen hinweg, nicht jedoch in jedem Einzelfall. Möglicherweise treffen sie in ähnlicher Weise auch für fachlich anders ausgerichtete Verwaltungen zu. Der vorliegende Beitrag soll ebenso wie Teil 1 keine Schuldzuweisung an einzelne Behörden implizieren. Ungeachtet vieler bestehender Beispiele guter Praxis sowie zahlreicher engagierter, kompetenter und mutiger Personen, die hervorragende Arbeit leisten, ergibt sich bilanziell allerdings ein gravierender struktureller Handlungsbedarf: Die Zeit ist aus vielerlei Gründen reif für grundlegende Neuerungen.
Die aufgezeigten Lösungsansätze sollen nach unserer Evaluation einen breit angelegten Reformprozess auslösen, damit die Naturschutzverwaltung tatsächlich für das 21. Jahrhundert zukunftsfähig wird: als aktive Mitgestalterin einer nachhaltigen Transformation der Kulturlandschaft, welche die gesellschaftspolitisch gesetzten und weitergehend noch zu setzenden Transformationsziele gemeinsam mit den vielfältigen Akteurinnen und Akteuren in der Praxis aktiv und ko-kreativ mitgestaltet, ja antreibt – Behörden (oder Authorities) for Future!
- Die vielschichtige Problematik erfordert multiple Lösungen durch Analyse, Bewertung, Ableiten von Handlungsfeldern mit Akteurslandkarten sowie innovativen und exnovativen, sich von nicht-nachhaltigen Praktiken trennenden Next-Practice-Lösungen, die beispielhaft erprobt werden. Parallel zu diesem Prozess auf Länderebene bedarf es einer bundesweiten Steuerung und Begleitung, nicht zuletzt, weil der Bund als erster Ansprechpartner für die Nichterfüllung europäischer Richtlinien fungiert.
- Organisational müssen die Aufgaben einer nachhaltigen Landschaftsentwicklung interdisziplinär bearbeitet werden, möglicherweise in einer Bündelungsbehörde für die Ressource Land(schaft). Ausgeprägte Hierarchien als internes Hauptproblem gilt es durch Möglichkeiten zu selbststeuernden und selbstbestimmten, dezentralen Bottom-up-Entscheidungen in heterarchisch-funktionalen Strukturen abzubauen.
- Bestandspersonal kann durch Vereinfachung von Prozessen und zusätzliche Personalstellen entlastet und durch adäquate Stellendotierung und Aufstiegschancen motiviert werden. Erlernen und Praktizieren von Future Skills sowie die Umsetzung von Kriterien der New-Work-Forschung steigern die Arbeitszufriedenheit.
- Rechtlich, planerisch und förderpolitisch bedarf es eines Maßnahmenbündels von einem anspruchsvollen Umweltgesetzbuch, einer einheitlichen Bundeskompensationsverordnung mit Verbesserungsgebot sowie verpflichtender Landschaftsplanung über eine ganzheitliche Naturschutzstrategie für multifunktionale Landschaften mit Anpassung der Naturschutzziele an die Klimawandel-Realität sowie mehr Experimentierfreude bis hin zu einer grundlegenden Neuausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik und einer separaten EU-Naturschutzfinanzierung.
- Dem Fachkräftemangel ist durch eine konzertierte Gewinnungsstrategie und Anpassung der Studiengänge an die modernen Bedarfe zu begegnen. Der rasche Zuwachs an Wissen und methodischem Handwerkszeug zum Kompetenzerwerb muss der Praxis durch eine Qualifizierungsoffensive für berufsbegleitende Fort- und Weiterbildung erschlossen werden.
Brunzel, S., Hill, B. (2022): Klimawandel und Natura 2000: Zur nötigen Flexibilisierung der FFH-Richtlinie. Natur und Landschaft 95 (5), 252-258. DOI: 10.19217/NuL2022-05-04.
Ehlers, U.-D. (2021): Future Skills für die Welt von morgen: Das Future-Skills-Triple-Helix-Modell der Handlungsfähigkeit in emergenten Praxiskontexten. In: Hochschulforum Digitalisierung, Hrsg., Digitalisierung in Studium und Lehre gemeinsam gestalten, Springer VS, Wiesbaden, 355–373. DOI: 10.1007/978-3-658-32849-8_21.
Gardner, C., Bullock, J. (2021): In the Climate Emergency, Conservation Must Become Survival Ecology. Frontiers in Conservation Science 2, 1-6. DOI: 10.3389/fcosc.2021.659912.
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Umfangreiche weitere Quellen, auf denen die Aussagen teilweise aufbauen, finden sich im Literaturverzeichnis zu Teil 1 dieses Beitrags.
Aus der literatur- und erfahrungsbasierten Analyse der Naturschutzverwaltung in den Bundesländern in Teil 1 des Beitrags werden 20 Thesen abgeleitet. Mit diesen Anregungen soll ein grundlegender Reformprozess eingeleitet werden, um die Naturschutzverwaltung für das 21. Jahrhundert zukunftsfähig zu gestalten. Diese betreffen (1) organisationale Strukturen, um effektiver und effizienter sowie weniger hierarchisch arbeiten zu können; (2) personelle Verbesserungen, um die Arbeitszufriedenheit zu fördern und Zukunftskompetenzen zu ermöglichen; (3) rechtliche, planerische und finanzielle Neuerungen, um die Wirksamkeit der Verwaltungsarbeit zu erhöhen; (4) Ausbildung, Fort- und Weiterbildung, um dem Fachkräftemangel zu begegnen und eine berufsbegleitende Qualifizierungsoffensive zu realisieren. Die Herausforderungen sollten parallel in allen Bundesländern systematisch angegangen und die Arbeitsprozesse zugleich bundesweit koordiniert werden. Der Beitrag ist als konstruktive Anregung gedacht, gewohnte Bahnen ebenso zu verlassen wie gefühlte und reale Zwänge zu überwinden.
Sustainable nature conservation administration in the 21st century – Part 2: Possible solutions – a call for a necessary reform process
Twenty theses were derived from literature- and experience-based analysis of nature conservation administration in the federal states in Part 1 of this article. These suggestions are intended to initiate a fundamental reform process in order to make nature conservation administration fit for the future in the 21st century. These concern: (1) organizational structures in order to be able to work more effectively and efficiently, as well as less hierarchically; (2) personnel improvements in order to promote job satisfaction and enable future skills; (3) legal, planning, and financial innovations in order to increase the effectiveness of administrative work; and (4) training, further and advanced qualification in order to counter the shortage of skilled professionals and to implement an ongoing qualification offensive. The challenges should be systematically tackled simultaneously in all federal states with the work processes coordinated nationwide at the same time. This article is intended as a constructive suggestion to leave conventional pathways and overcome perceived and real constraints.
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